14. Februar 2025

Demokratie, Absurdität und Depression

Und das Leben für sein Teil? War
es vielleicht nur eine infektiöse
Erkrankung der Materie...?

Das geht vorüber!

Das Jahr 2024 war gesellschaftlich gesehen aus meiner Perspektive überraschend (Faschismus ist plötzlich "weird" und "cringe"), tragisch (Der Präsident ist jetzt ein König) bis katastrophal (Warum der Populismus immer siegt). 

 

"Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden." (Thomas Mann 1938)
 

Viele von uns, um Demokratie und Frieden besorgte Menschen, schauen mit Grausen zurück in die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Dazu wird dann Thomas Manns hundertjähriger Roman Der Zauberberg gelesen, aus dem die oben zitierte nihilistische Frage stammt und schon sehen wir die gespenstischen Wiedergänger der Apokalypse, wie sie uns aus den zwei Weltkriegen bekannt sind. Wir merken ja auch, wie die als garantiert gefühlten Rahmenbedingungen wie Demokratie, Sozialstaat, NGOs oder die Garantie auf territoriale Unversehrtheit souveräner Staaten plötzlich bröckeln. Das kann schon Angst machen. Fragen, die sich stellen sind z.B.:

  • Was kommt dabei raus, wenn Autokraten und Schurkenstaaten nicht mehr von einer starken westlichen werteorientierten Allianz – militärisch und wirtschaftlich – in Schach gehalten werden?
  • Wie weit wirft uns der Backlash (also die Gegenreaktion) in Sachen Klimapolitik zurück und was heißt das für unseren Alltag in ein paar Jahren, wenn dann noch drastischere Maßnahmen ergriffen werden müssen?
  • Was heißt eine ggf. durch Strafzölle und nationalstaatliche (anstatt globalisierte) Wirtschaftspolitik kommende nächste große Wirtschafts- und Finanzkrise für uns, die wir keine Millionäre oder Milliardäre sind? 
  • Was bedeutet der Rückbau von Institutionen wie UNO, WHO oder Internationale Gerichtshöfe auf internationaler und nationaler Ebene?


Man könnte wirklich meinen, die Erosion all der Errungenschaften aus dem zweiten Teil des 20. Jahrhunderts könnte die Monstren des Weltkrieges aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederbeleben. Thomas Manns Seufzer von 1938 "Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden" (Zur Verteidigung der Demokratie), klingt ja schauderhaft modern, als wäre er heute ausgestoßen.

Das Lesen und Nachdenken über die Geschichte in ihren Zusammenhängen zum Heute und Morgen lassen unter den oberflächlichen Parallelitäten jedoch große Unterschiede in den tieferen Strukturen erkennen. Natürlich haben wir gelernt aus der Geschichte (siehe Russlands Krieg, der eben nicht eskalieren kann) und bei allen Streitereien sind die europäischen Länder heute viel eher vereint als verfeindet. Eine allgmeine Lust auf Krieg, der im übrigen auch Thomas Mann zuerst unterlag, scheint es in den heutigen Bevölkerungen überhaupt nicht mehr zu geben.

Zuversicht im absurden Kampf gegen Gipfel

Ich denke, wir brauchen Hoffnung und Zuversicht und keine automatisierte Schwarzmalerei. Ein Mangel an Zuversicht deprimiert uns letztlich alle und spielt nur denen in die Hände, die alles abbrennen wollen, um dann etwas darauf zu bauen, das vor allem ihren eigenen Interessen dient: Warum die Demokratie demontieren? Zuversicht ist letztlich die Grundlage dafür, dass überhaupt irgendwer irgendetwas tut. Wenn wir keine Zuversicht hätten, dass der Tag irgendwie gut genug würde, dann stünden wir vermutlich gar nicht erst aus unseren Betten auf. Auf diese Depression der Massen zählen die, die sich die Welt zu ihrem eigenen Gunsten umbauen wollen.

Also, auch wenn die ungeschriebene Geschichte der Zukunft nicht die vergangene des 20. Jahrhunderts wiederholen wird, kann sie dennoch auf ihre eigene spektakuläre Weise schief gehen. Wir müssen uns auf alle Absurditäten vorbereiten. "Camus lehrt uns", so der französische Philosoph Frédéric Worms, "dass die Demokratie nichts Moderates, sondern etwas Grundlegendes und Radikales ist" (Die Revolte im Angesicht der Absurdität). Und Camus' Sisyphos zieht seinen Lebenssinn gerade aus dem immer wieder nötigen, wenn auch erfolglosen – also absurden – Transport des Steins den Berg hinauf. "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Vermehrt suche ich wieder nach den großen Zusammenhängen, anstatt auf die täglichen Nachrichten zu hören. Das ist zum einen auch eine Flucht und der Versuch, bei Sinnen und Laune zu bleiben. Zum anderen sind es aber auch die großen zusammenhängenden Geschichten aus der Literatur, der Philosohie oder der Menschheitsgeschichte, die eben die täglichen Absurditäten der Politik überdauern. Dadurch können sie uns Leitstern sein und Gewissheit und Zuversicht geben, dass nichts in Stein gemeißelt ist und unvorhergesehene Dinge passieren werden. Rein statistisch, rede ich mir immer ein, ist es unwahrscheinlich, dass nur die guten Dinge schief gehen, auch die, die schlimme Dinge planen, können scheitern (noch einmal Putim als Beispiel). "Das geht vorüber", sagen die Schweden angesichts von Zumutungen angeblich. Manchmal ist der Kampf gegen Gipfel nichts anderes als ein Aushalten, ein Ertragen in Zuversicht.


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