2. Oktober 2024

Warum die Demokratie demontieren?

Was wollen reaktionäre Populisten letztlich eigentlich erreichen?

In seinem Buch „Why Liberalism Failed“ aus dem Jahr 2018 argumentiert der katholische und erzkonservative Philosoph Patrick Deneen, dass der Liberalismus, also die freiheitliche moderne Demokratie, zwangsläufig selbstzerstörerisch sei. Ein politisches System, das auf der Ausweitung individueller Rechte und Autonomie beruhe, werde letztlich die kollektiven Institutionen – wie Familie, organisierte Religion und lokale Gemeinschaften – untergraben, die das politische Leben überhaupt erst ermöglichen.

Diese Analyse ist ja erst einmal ganz eingängig und intuitiv. Das ist eben ein konservativer Gedanke, der auch der Skepsis vieler konservativer Politiker und deren Wählern zugrunde liegen könnte. Die sich anschließende Frage wäre, wie kommt man zu einer Balance durch Austarieren "individueller Rechte und Autonomie" gegenüber den "kollektiven Institutionen – wie Familie, organisierte Religion und lokale Gemeinschaften [...] die das politische Leben überhaupt erst ermöglichen"?

10. August 2024

Faschismus ist plötzlich "weird" und "cringe"

Nachdem sich Joe Biden monatelang an Trumps Faschismus erfolglos die Dritten/Zähne ausgebissen hat, indem er raunte, es gehe in der nächsten Wahl darum, die Demokratie zu retten, kommt der bisher weithin unbekannte Gouverneur von Minnesota Tim Walz und nennt die Republikanischen Amtsanwärter Donald Trump und JD Vance einfach "weird". Das klingt milde, leicht lustig und gar nicht so gefährlich... Und es verfängt! Die Republikaner stehen plötzlich – obwohl dieser Platz historisch den Demokraten zukam – als übergriffig und damit inkompatibel zum Bevölkerungswillen da. Warum?

Crazy/Childless Catlady – eine Obsession der Rechten im US-Kulturkampf (© The Simpsons)
 

Weird ist ein Wort, dass im Deutschen so etwas wie "seltsam", "schräg" bis hin zu "unheimlich" bedeuten kann. Ursprünglich kommt es aus dem Germanischen und bedeutet so etwas wie "unheimliches Schicksal". Es gibt "good weird" und "bad weird". Commedians beispielsweise müssen "weird" sein, damit sie nicht einfach nur lustig, sondern auch originell und provokant sind. Wenn Politiker oder ihre Programme "weird" sind, dann geht das eindeutig in die Richtung "creepy", also "seltsam", "unheimlich" bis "verstörend". In Deutschland fällt einem vielleicht Armin Laschet ein, der als Politiker in seiner 60-jährigen Unreife irgendwie harmlos seltsam war. Unheimlich seltsam sind dann für mich so Leute wie Björn Höcke mit seinem rechtwinkligen HJ-Scharm oder Beatrix von Storch mit ihrer seltsamen Fixierung auf Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Identitäten.

6. Juli 2024

Der Präsident ist jetzt ein König

Es ist wirklich kein Scherz: die Diktatur kann kommen und sie wird mit Trump kommen, wenn er die Wahl gewinnt

Supreme Court Richterin Sonja Sotomayor: "Bei jeder Ausübung offizieller Macht ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht."

(Alle Artikel dieser Serie: Politik in den USA)

Supreme Court Richterin Sonia Sotomayor (r): "Mit Angst um unsere Demokratie widerspreche ich."
 

In einem vorherigen Artikel schrieb ich, wie langweilig die vor dem US Surpreme Court liegende Frage sei, ob ein Ex-Präsident absolute Immunität haben soll. Ich habe mich geirrt. Für mich, wie für die meisten Beobachter dieser Auseinandersetzungen stand fest, dass diese Frage nicht wirklich eine alternative Antwort als "nein" hervorrufen kann. Folgende gute Gründe fallen einem sofort ein:

11. Mai 2024

Radikale Christen und sexsüchtige Superhelden

Die Perversion protestantischer Tugenden im weißen Evangelikalismus

Die Trumps beten in der Redemptor Hominis Church (White House, Public Domain)

Das Unchristliche wird zum Über-Christlichen

Christliche Werte stehen hoch im Kurs in dem Land, in dem sich 65% der Einwohner an die christlichen Religionen gebunden und nur 27% der Menschen sich nicht religiös gebunden fühlen. Diesen christlichen Werten als fehlbarer Mensch gerecht zu werden, ist nicht leicht.

"Ich habe viele Frauen voller Lust angeschaut. Ich habe in meinem Herzen schon oft Ehebruch begangen." (Top 10 Unfortunate Political One-Liners, Time.com)

Wegen dieses Satzes in einem Interview im Jahr 1976 verlor der damalige US-Präsidentschaftskandidat Jimmy Carter beinahe die Wahl.

"Ich fange einfach an, sie zu küssen. [...] Ich warte nicht einmal. Und wenn du ein Star bist, lassen sie dich. [...] Pack sie an der Muschi. Du kannst tun, was du willst." (Trump Watching Access Hollywood Tape During E. Jean Carroll Deposition, YouTube)

Trotz (oder wegen?) dieses Satzes in einem Interview 2005, das kurz vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 veröffentlicht wurde, gewann Donald Trump die Wahl und wird von Anhängern sogar als von Gott gesandt beschrieben. Inzwischen ist dieser Mann auch wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt und steht wegen Verschleierung von Wahlkampffinanzierung im Zusammenhang mit zwei außerehelichen Affären mit Pornstars vor Gericht. Und dennoch steht es um seine Wiederwahl nicht schlechter als 2016 und 2020. Stellen wir uns vor, sein politischer Gegner (z.B. Joe Biden) wäre wegen solcher Dinge angeklagt und von Skandalen und Vorwürfen umgeben... Niemals hätte so jemand eine Chance, Präsident zu werden.

28. April 2024

Trost der Justitz und Perversion der Justiz

Parallelen von Recht und Philosophie

Eine Welt, in der man sich nicht mehr auf Tatsachen und Fakten einigen kann, weil man die Wahrheit lieber seinen Überzeugungen unterordnet, als seine Überzeugungen der Wahrheit unter zu ordnen, ängstigt mich. In so einer Welt gewinnt der Stärkere, der mit dem lautesten Megaphon, der mit den brutalsten Drohungen und nicht der, der im Recht ist.

Auch deswegen liebe ich die Rechtssprechung und kann mir tagelang das Hin-und-her von Argumentationen zwischen Rechtsanwälten, Staatsanwälten und Richtern anhören. Es hat eine beruhigende Wirkung auf mich, so als wenn ich dabei zur Gewissheit komme, dass die Welt doch noch irgendwie im Lot sei. Denn hier zählen Tatsachen! Mit bloßer Überzeugung, Bauchgefühl und Wunschdenken kommt man vor einem unparteiischen Gericht nicht weit. Man braucht überzeugende und allgemeingültige Argumente, um einen Prozess vor Gesetz zu gewinnen. 

Und das Schönste ist, man kann sogar unterschiedlicher Meinung sein und sich trotzdem zivilisiert darüber austauschen. Rechtssprechung ist wie angewandte Philosophie, denn es geht um whare Prämissen, um Logik und Kohärenz von Argumenten, es geht um Beweise und eine präzise Sprache. Besonders beeindruckt mich immer die hypothetische Frage nach dem allgmeinen Prinzip – dieses Werkzeug wird in Philosophie und Recht gleichermaßen genutzt, um Thesen oder Argumente zu prüfen. 

24. März 2024

Die verletzliche Demokratie wehrt sich doch

"Mit Tyrannei meine ich eine Situation,
in der ein Einzelner oder eine Gruppe genug
Macht erlangt hat, um den Rechtsstaat zu umgehen."
(Timothy Snyder)

Populismus ist, wenn Milliardäre betteln gehen müssen

Ein angeblicher Milliardär versucht in diesen Tagen eine halbe Milliarde Dollar aufzutreiben und als Kaution zu hinterlegen, damit er das gegen ihn ergangene zivilrechtliche Urteil wegen Finanzbetrugs in einem Revisionsprozess anfechten kann. Es scheint so, als sei Donald Trump gar kein Milliardär oder zumindest kein liquider Milliardär. Nun geht er betteln: bei befreundeten Versicherungsunternehmern, bei Elon Musk, bei seiner Familie, bei ausländischen Machthabern – irgendwer muss ihm doch die halbe Milliarde borgen können. 

Trump Mug Shot (Fulton County Sheriff's Office)

Trump schreibt sogar seine Wähler an, dass sie ihm kleine und große Summen überweisen sollen, damit er nicht seine Golfclubs und Hochhäuser liquidieren muss. Der Milliardär bettelt bei den Ärmsten in seinem Land, damit er ein reicher Mann bleiben kann. Aber er ist wirklich in einer prekären Lage, in die er sich selbst gebracht hat. Man hat ausgerechnet, dass er täglich ca. $ 200.000 an Anwalts- und Verfahrenskosten anhäuft. Und niemand will ihm mehr helfen, denn Trump ist bekannt dafür, dass er seine Schulden nicht zurückzahlt. Morgen läuft die Frist für die Kaution aus und danach wird die Staatsanwaltschaft anfangen, seine Immobilien zu konfiszieren.

Als eine weitere vielleicht helfende Maßnahme gegen die eskalierenden Rechtskosten hat Trump seine Schwiegertochter in den Vorstand des Republikanischen Nationalkommittees (RNC) gesetzt, um die dort eingetriebenen Wahlkampfgelder direkt an ihn durchzuschleusen. So muss er die Anwalts- und Gerichtskosten nicht aus seiner eigenen Tasche bezahlen. Schon eine starke Nummer in einer Demokratie. Stellen wir uns vor, dass er wirklich von Elon Musk oder den saudischen Machthabern eine halbe Milliarde Dollar erhält, damit er doch noch Präsident wird... Ein Präsident, gekauft von einem Tech-Milliardär oder einem fremden Staat? Das klingt nach einer vielversprechenden Amtszeit – zumindest für die, die ihn dann in der Tasche haben. 

12. Januar 2024

Der Mann auf dem Weg ins Gefängnis oder ins Weiße Haus

Reaktionen eines demokratischen Rechtsstaates auf seine drohende Abschaffung

Wir leben in einer Zeit, in der Demokratie sich wieder bewähren muss. Man sieht es überall, auch bei uns an den immer größer werdenden antidemokratischen Rändern. Am deutlichsten sieht man es aber gerade dort, wo vor dem Verfassungsgericht (Supreme Court der USA) die Frage geklärt werden muss, ob ein Präsident im Amt einfach seinen politischen Gegner umbringen lassen darf. Dass diese Frage überhaupt im Raum steht, ist einfach atemberaubend und zeigt, wie prekär die Lage ist. Donald Trump, ehemaliger und hoffnungsfroher zukünftiger Präsident der USA meint jedenfalls, dass ihm ein solches Recht zustünde. Ob er dieses "Recht" auch dem derzeitigen Präsidenten Joe Biden zugestehen würde?

Screenshot aus Alex Wagner Tonight, 10.01.2024


Wie geht's weiter mit Donald Trumps zahlreichen Gerichtsverfahren, in denen er unter anderem der "Verschwörung, andere an der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu hindern, nämlich der Rechte, ihre Stimme abgeben und rechtmäßig zählen zu lassen zu können" angeklagt wurde (United States of America v. Donald J. Trump, Defendant)? 

Es geht hier nicht um Trump als Person, sondern um diesen historisch einmaligen Zeitpunkt, an dem wir uns befinden und an welchem sich in der mächtigsten Demokratie der Welt entscheiden wird, ob sie eine Demokratie bleiben kann. Nicht oft hat man im Leben das (Un-) Glück, solchen historischen Momenten beizuwohnen und sie in Echtzeit analysieren zu dürfen. Let's go.

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