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25. November 2024

Warum der Populismus (immer) siegt

Ein Artikel von Erich Feldmeier

Prolog 

"Zugleich tragen viele Demokraten ihre vermeintliche moralische Überlegenheit in unerträglicher Arroganz vor sich her. Ihre Selbstgerechtigkeit ist oft atemberaubend, und dass die Demokraten in der Mitte des Landes kein Bein auf den Boden kriegen, liegt daran, dass sie absolut keine Ahnung haben, was die Menschen dort bewegt“ (Trump wird zurückkommen, SZ, 12.12.2021)

Populismus weltweit auf dem Vormarsch

Es greift zu kurz, Menschen, die unmittelbar wirtschaftlich betroffen sind, für Ihr Wahlverhalten zu kritisieren. Die wirtschaftliche Situation bzw. die gefühlte, vergleichende Gerechtigkeit treibt Menschen dazu, alle Tugenden wie Anstand, Charakter, Kompetenz auszublenden, was in den weit überwiegenden Diskussionen hierzulande meist mit America, WTF? oder ähnlichem verständnislos kommentiert wird (American Heartbreak, NZZ, 10.11.24).

Populisten bieten stets einfache Lösungen für komplexe Fragestellungen an. Um den weltweiten, scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug der Populisten zu verstehen, hilft es einige Klassiker hervorzukramen. Klassiker im Sinne von Werken, die (nach meiner subjektiven Auffassung) das Wesen des Populismus treffend wiedergeben.

Vox Populi - Die Stimme des Volkes

Populismus ist erfolgreich, warum? In unsicheren Zeiten ist die Sehnsucht nach einem Starken Mann auch nach 40.000 Jahren Seßhaftigkeit ein Erfolgsrezept (Der Wunsch nach dem Starken Mann, NZZ, 10.11.24). Insofern stellt sich auch die Frage, ob Populismus nicht nur Ausdruck des Empfindens eines großen Teils der Bevölkerung ist, denn schließlich haben "diese leibhaftigen Demokraten" ihren Führer frei und mit Mehrheit gewählt.

1. Peter Drucker: Culture eats strategy for breakfast

Peter Drucker hat Unternehmensberater immer wieder davor gewarnt, großartige Strategien zu entwerfen, die keine Resonanz im Team finden. Übertragen auf größere Einheiten wie ganze Gesellschaften bedeutet das nichts anderes als: Wenn gemeinsame, gelebte Werte fehlen, ist jede Transformationsbemühung vor allem eine zeit- und nervenfressende Kraftanstrengung.

Menschen ändern sich nicht einfach so. Kulturelle Prozesse sind über viele Jahrtausende und viele Generationen entstanden und haben die in ihnen lebenden Menschen bis auf die Knochen geprägt. Don’T trifft mit seinem Culture War gegen die woke Linke, die nach immer mehr gesellschaftlicher Veränderung trachtet, insofern einen Instinkt, der die tollsten Strategien der Anhänger aus dem Lager der Demokraten pulverisiert.

2. Dan Kahneman: Schnelles Denken 

Wissenschaftler wie Kahnemann und Reinhard Selten (der einzige deutschenNobelpreisträger für Wirtschaft) zeigen uns, wie die trivialen täglichen Entscheidungsmuster, in Jahrtausenden eingeübt und sowohl genetisch als auch kulturell vererbt, immer im Vordergrund stehen müssen. Menschen treffen im Alltag einfache, oft unbewusste Entscheidungen, man solle nicht zu hohe Erwartungen haben. Zum Beispiel:

"Eine zuverlässige Methode, Menschen dazu zu bringen, falsche Aussagen zu glauben, ist häufiges Wiederholen, weil Vertrautheit sich nicht leicht von Wahrheit unterscheiden lässt. Auch autoritäre Institutionen und Marketing-Spezialisten wissen das seit jeher." (Kahneman, S. 85)
Nach 4 Jahren glaubt die Mehrheit der Republikaner die Mär von der gestohlenen Wahl. Karthago muss zerstört werden – ein durchaus bekannter Ansatz. Angemessene Reflektion und das für das Gehirn sehr aufwendige Abwägen von Pro & Contra haben laut Kahnemann immer das Nachsehen. Don‘T schafft es beispielsweise "Programme" aus maximal 10 Wörtern zu bilden, Harris stellt derweil ein 80-Seiten-Konzept vor.

"Niemand liest 80 Seiten. Trump dagegen erzählt seine Geschichte in sieben Wörtern: „She broke it, I'll fix it." Sie hat's kaputt gemacht, ich reparier's." (Unsere Probleme beginnen am Tag nach der Wahl)

3. Gorgias: Über die Beredsamkeit

"Die Rhetorik ist nämlich nach meiner Ansicht ein Schattenbild eines Teiles der Politik." (Platon: Gorgias)

Redekunst verhelfe zur Macht und damit sei sie nützlich, der Stärkere siegt. Die Redekunst kann jedoch leicht in den Dienst machtbesessener Demagogie geraten. Und Demagogie und Demokratie schließen sich gegenseitig aus.

Die Methode des Gorgias, Rhetorik als Kunst der Überredung und Überzeugung einzusetzen ist deshalb auch heute noch so bedeutsam – von nahezu jedem Parteitag wird berichtet, er oder sie habe eine tolle Rede gehalten. Die Grundlagen und das Wesen der Rhetorik kommen im Alltag jedoch meist zu kurz. In der Antike wurde Rhetorik klar definiert:

  • Logos: Folgerichtigkeit und Beweisführung
  • Ethos: Autorität und Glaubwürdigkeit des Sprechers und
  • Pathos: Rednerische Gewalt und emotionaler Appell

Nur im Zusammenwirken dieser Aspekte entfaltet Rhetorik seine eigentlich erhellende Kraft. In der heutigen Zeit ist Pathos, unterlegt mit gewaltiger Bildsprache, vorherrschend. Bilder haben im Gehirn immer Vorfahrt. Logos und Ethos kommen entschieden zu kurz.

4. Hitlers Wien – Absolute Leseempfehlung

Brigitte Hamann hat m.E. meisterhaft beschrieben wie Populismus funktioniert. Redekunst, Emotionen und Theatralik stehen ganz weit vorn, wenn es darum geht, Menschen aufzustacheln. Und wieder ist die erlittene Schmach, die gefühlte Ungerechtigkeit fruchtbarer Boden für den Starken Mann.

Wahlen werden oft durch die wirtschaftliche Gesamtlage entschieden. Die gefühlte, vergleichende Gerechtigkeit ist die psychologische Komponente zur wirtschaftlichen Lage und treibt Menschen dazu, bei den vermeintlichen Erlösern alles auszublenden wie Charakterzüge oder Kompetenz. Der Starke Mann macht’s mit Macht – und dieses Durchgreifen erwarten die Wähler.

Die zutiefst berechtigte Frage Wie kann man nur? läuft ins Leere. Hochstapelei ist leider ein Erfolgsmodell und Feature. In diesem Zusammenhang sei nochmal ausdrücklich der Artikel American Heartbreak empfohlen. Natürlich ist die Sehnsucht nach dem Führer und Erlöser nachzuvollziehen, die Sehnsucht nach Religion(en) ist in der Menschheit stark verankert. Potentiell gefährlich ist diese unreflektierte Sehnsucht dennoch, wie man beispielsweise in Scott Atrans In Gods we trust. The Evolutionary Landscape of Religion nachlesen kann.

5. Psychologie der Massen

Gustave Le Bon beschreibt eindringlich wie sich Massen aufstacheln lassen und welche Eigendynamiken auftreten, sobald ein bestimmter kritischer Kipppunkt erreicht ist. Diese Eigendynamik ließ sich ja noch einmal im Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beobachten.

Bezeichnend ist jedoch dass sich Lügen und Legenden über viele Jahre hartnäckig in der öffentlichen Meinung als vermeintlich wahr manifestieren, die Geschichte von den Gestohlenen Wahlen ist ja nur ein Beispiel unter vielen. Yuval Noah Harari hat dieses Thema auch aus Sicht der Medien überzeugend dargestellt: “Die meiste Information ist Phantasie, Lügen, Propaganda.“ Die Instrumentalisierung dieser Form von Information lässt sich in der Geschichte der Massen-Kommunikation recht weit zurückverfolgen. Sie schafft vor allem eine Polarisierung und ein Lagerdenken.

The Divided States of America

In den USA wurde ‚die Wahl‘ längst verloren, und zwar nicht die von 2024, sondern die Präsidentschaftswahl ganz allgemein. All das erbärmliche Gezerre mit dem archaischen Wahlsystem und der tiefen Spaltung, der gänzlich verschiedenen Lebensumstände in Stadt und Land zeigt: Gefangen im Klein-Klein hängt die Gesellschaft in einer Endlosschleife und kommt nicht mehr zu faktenbasierten Entscheidungen. Ein Reset des Parteiensystems könnte helfen.

Es soll hier jedoch nur vordergründig an diesem aktuellen Beispiel aufgezeigt werden wo wir als Gesellschaft hinsteuern. Der Populismus wird noch viele Früchte tragen. Der Wirkmächtigkeit sollten wir uns auch im Hinblick auf die eigenen Wahlen in Deutschland gewahr werden.

Das Zeitalter der Aufklärung hat vor 300 Jahren begonnen. Ingenieure und Wissenschaftlerinnen machen grandiose Entdeckungen. Das gilt offensichtlich nicht für das friedliche Zusammenleben und konstruktive Wirken der Menschen. Seit Gorgias nix dazugelernt?

Epilog

"Meine Botschaft an die Demokratische Partei lautet: Ihr habt in den letzten drei Jahrzehnten etwas falsch gemacht. Es gibt eine Gruppe, die immer weiter abrutscht, und ihr müsst auf sie zugehen. Und zwar, ohne bei Themen wie Rassismus oder LGBT-Rechten nachzugeben.“ (Arlie Hochschild: Stolen Pride)
Danke an Michael D. für die vielen Anmerkungen

4 Kommentare:

  1. Mal wieder Populismus als Kampfbegriff und Abgrenzungsinstrument. Als ob nicht das gesamte Parteienspektrum Populismus meisterlich beherrschen und anwenden würde.

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    1. Ja, nur weil "alle es tun", ist es ja deswegen nicht gut. Ich finde schon, dass man Populismus als eine abwertende Beschreibung analyiseren kann. Denn schaut man sich beispielsweise die Dudendefinition an, dann muss man Populismus durchaus ablehnen:

      „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (…) zu gewinnen".

      Natürlich gibt es solche Tendenzen in jeder Partei und zu Wahlkampfzeiten, in denen es ja genau um die "Gunst der Massen" geht, gibt es das ganz verbreitet.

      Davon abzugrenzen wäre aber eben eine populistische Partei, die in Opportunismus und Dramatisierung/Radikalisierung ganz generell ihr Wirken entfaltet.

      Die Gefahr ist hier klar: Es werden "die Massen" mit dramatisierenden Szenarien und vermeintlich einfachen Mitteln gegen diese Szenarien hinter sich geschart, ohne dass die Versprechen gegenüber diesen Massen eingelöst werden können.

      Was soll denn daran gut sein?

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    2. Genau, die Versprechen die gar nicht eingelöst werden können, schaffen erst recht Frustration gg.über der Politik und den demokratischen Instanzen.
      Bin gespannt wieviel Stimmung für Populismus (und populistische Parteien) in Deutschland bei der nächsten Bundestagswahl durch schlechtes Vorbild der Ampelregierung erzeugt wurde und wird

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  2. Abgrenzungsinstrument?
    Ja natürlich nutzen alle Parteien/Lager Populistische Elemente (statt z.B. Sach- und Fakten-orientiertes Vorgehen)
    Genau das ist wenig zielführend v.a. bei feindseligen Lagern die sich gegeüberstehen.
    Ausnahme höchstens Uruquay... wo ein gepflegter charaktervoller Umgang gepflegt wird.

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