2. Oktober 2024

Warum die Demokratie demontieren?

Was wollen reaktionäre Populisten letztlich eigentlich erreichen?

In seinem Buch „Why Liberalism Failed“ aus dem Jahr 2018 argumentiert der katholische und erzkonservative Philosoph Patrick Deneen, dass der Liberalismus, also die freiheitliche moderne Demokratie, zwangsläufig selbstzerstörerisch sei. Ein politisches System, das auf der Ausweitung individueller Rechte und Autonomie beruhe, werde letztlich die kollektiven Institutionen – wie Familie, organisierte Religion und lokale Gemeinschaften – untergraben, die das politische Leben überhaupt erst ermöglichen.

Diese Analyse ist ja erst einmal ganz eingängig und intuitiv. Das ist eben ein konservativer Gedanke, der auch der Skepsis vieler konservativer Politiker und deren Wählern zugrunde liegen könnte. Die sich anschließende Frage wäre, wie kommt man zu einer Balance durch Austarieren "individueller Rechte und Autonomie" gegenüber den "kollektiven Institutionen – wie Familie, organisierte Religion und lokale Gemeinschaften [...] die das politische Leben überhaupt erst ermöglichen"?

Die Anfälligkeit der Konservativen für illiberale Ideen

Statt dessen sehen wir überall in den westlichen Demokratien (und nicht nur dort) Bestrebungen, die liberalen und demokratischen Strukturen und Institutionen wieder abzubauen und statt dessen illiberale und despotische Strukturen zu installieren. Die reaktionär-populistischen Treiber dahinter berufen sich zum Teil auf solche konservativen Denker wie Patrick Deneen und schaffen es damit auch die gemäßigten Konservativen irgendwie einzulullen. Hier sehen wir die Anfälligkeiten Konservativer, sich mit der extremen Rechten zu verbünden, so wie wir es in der modernen Geschichte immer wieder sehen. Dabei geht es der Rechten gerade nicht um das Austarieren einer Balance zwischen individueller Autonomie und kollektiven Institutionen. Was wollen sie denn dann?

Was genau da passieren soll, was geplant ist und wie das Zielbild aussieht, das ist nicht immer ganz klar. Und es soll sicherlich auch nicht immer glasklar gemacht werden, um die Wähler nicht ganz zu verschrecken. Dabei sind die Zielbilder von AFD, Ressamblement National, Orban und Trump in den wesentlichen Zügen dieselben. Gerade die AFD in Deutschland traut sich aber nicht, ihre Ziele ganz klar zu machen. In den USA ist man da traditionell offener, das politisch akzeptierte Meinungsspektrum ist gerade nach Rechts hin viel breiter und die Vertreter der extremen Rechten haben keine Scheu, ihre Überzeugungen auch öffentlich zu vertreten (siehe Project 2025).

Donald Trump und sein Vizepräsidentschaftskandidat JD Vance zum Beispiel rühren ganz öffentlich in der braunen Soße, wenn sie z.B. gerade rassistische Internet-Memes über Immigranten teilen, die angeblich die Haustiere der "wahren Amerikaner" aufessen. Der Plan von durchaus sehr reflektierten Leuten wie Vance ist es, erst einmal eine breite Basis (von der sie vermuten, sie sei offen für Rassismus, wenn man ihre Ängste nur schürt) für sich zu begeistern. Die Stoßrichtung ist, den Pluralismus in der Gesellschaft zugunsten eines homogenen Nationalstaates mit traditionellen Werten zurück zu fahren. Als Mittel zum Zweck, nicht als Ziel.

Was wollen Old Business und die ultrarechten Tech-Bros?

Wenn es gelänge, solch eine Gesellschaft mit starken traditionellen Instistutionen zu stabilisieren, wäre sicher ein Ziel für jemanden wie Patrick Deenen bereits erreicht. Die Geister, die jemand wie Deenen rief und die er nun auch tatsächlich begrüßt, wollen jedoch viel mehr. Anders als Konservative wollen die reaktionären Populisten ganz sicher keine starken traditionellen Institutionen. Aber sie brauchen legitime Konzepte, die sie ihren illegitimen Machtansprüchen zugrunde legen können.

Denken wir an die Multimilliardäre Peter Thiel (PayPal Gründer) oder Elon Musk (Tesla etc.), die beide ebenfalls hemmungslos in dieser braunen Soße mitmischen. Gerade die Perspektive der Tech-Start-up-Bros im Silicon Valley eignet sich, um zu zeigen, warum Vertreter des Big Business' zur Demokratiefeindlichkeit neigen (Thiel ist berüchtigt für seine Auffassung, Freiheit und Demokratie seien unvereinbar). Figuren des "Old Business" wie Rupert Murdoch und Donald Trump haben zusammen mit Tech-Bros wie Thiel und Musk einen gemeinsamen Feind und das ist die Souveränität des Volkes, die sich in Institutionen manifestiert, die darüber bestimmen, welches Business zulässig ist und welches nicht. 

Im Old Business ist es beispielsweise der Umweltschutz: Natürlich setzen Umweltschutzregeln, die eben die Lebensqualität aller Bürger schützen sollen, dem Profitstreben des Business' Grenzen, z.B. wenn in Naturschutzgebieten Alaskas nicht mehr nach Öl gebohrt werden darf. Ähnlich ist es mit Arbeitsschutzgesetzen, die eben die Arbeiter schützen sollen und dadurch dem Arbeitgeber Grenzen in der Maximierung der Arbeitsleistung seiner Mitarbeiter setzt. Diese Regulierungen sind große Errungenschaften sozialstaatlicher Bestrebungen in den Demokratien. Auch das Tech-Business "leidet" unter diesen und anderen, z.B. datenschutzrechtlichen und strafrechtlichen Regularien rund um die Verantwortung für gepostete Misinformationen, Beleidigungen, Drohungen oder Hetze. Elon Musks rücksichtsloses Business ist immer wieder Ziel von Aufsichtsbehörden und seine Interessen gehen noch weiter, weil er auch in Verkehrsinfrastruktur von unter der Erde bis ins Weltall mitmischt und sich dabei gern aller ihn zurückhaltenden Regulierungen entledigen würde, aber den Staat als Auftraggeber braucht. Was läge da näher, als eben ein Staat, der nach Musks und Trumps Pfeife tanzt, anstatt nach der wählender Bürger?

Übrigens vermute ich, dass die gefühlte Macht dieser Tech-Bros, sich aus dem normalen Leben ausklinken zu können, sei es auf gekauften Inseln oder ins Weltall, es ihnen ermöglicht, das alte Konzept vom sozialen Frieden, der auch den Reichen wichtig sein müsste, zu ignorieren. Das macht sie agressiver in ihren antidemokratischen Bestrebungen, deren Erfolg eine weit verbreitete Armut und soziale Unruhen zur Folge hätten.

Es geht um Regulierung und Deregulierung

Das Einhegen eines Profitstrebens auf Kosten der Allgmeneinheit passiert durch staatliche oder besser gesagt gesetzgeberische Regulierung. Regulierung und Dereguierung sind keine binären Sachen, sondern finden auf einem Spektrum der Sicherheit auf der einen und der Freiheitlichkeit auf der anderen Seite statt. Deswegen versuchen jene, die jegliche Regulierung ablehnen, diese als Freiheitseinschränkung darzustellen. Dem kann man aber nur auf den Leim gehen, wenn man Freiheit missversteht als, "jeder darf machen, was er will" und mithin als Recht des Stärkeren. Auf der Rückseite dieser Freiheit der Stärksten erkennen wir ganz schnell diejenigen, die dadurch in noch mehr Unfreiheit geraten, also bei den Beipielen oben die, die unter ihrer vergifteten oder denatuierten Umwelt leiden oder die Arbeiter, deren Lebenqualität unter Berufskrankheiten, wenig Zeit oder stupider, abstumpfender Arbeit leiden.

Weil Regulierung auf einem Spektrum stattfindet, ist es generell auch ganz legitim, politisch darüber zu diskutieren, wie weit welche Aspekte in der Gesellschaft reguliert werden sollten. Ich persönlich denke erst einmal, dass man existenzielle Bedrohungen wie klimaschädliche Techniken oder giftige Nahrungsbestandteile durch gesetzliche Regulierung verhindern muss, während ich gleichzeitig denke, dass man niemandem vorschreiben sollte, wie er oder sie zu reden hat. Diese Unterscheidung ist doch nicht schwer. Wieso sollen denn so unterschiedliche Dinge wie Gendern und Umwetschutz in einen Topf geschmissen werden? Weil es tendenziell dieselben politischen Fraktionen sind, die sich für Naturschutz und Gendern begeistern können? Weil es sich leicht mit dem Finger auf die "Verbotsparteien" zeigen lässt? Demokratiefeinde sehen kein Spektrum, sondern lehnen das System, dass Regulierung generell möglich macht, insgesamt ab.

Die Start-up-Bros, zu denen auch der derzeitige republikanische Bewerber um den Posten des Vizepräsidenten der USA J.D.Vance gehört, der für Thiel gearbeitet hat und durch ihn u.a. mit 10 Millionen Dollar für Wahlkampagnen gefördert wurde, hängen öffentlich solchen Thoerien wie denen Curtis Yarvins an, die behaupten, dass die Regierung nichts anderes sei als eine Geschäftsführung, der der Präsident vorsteht. Man müsse jetzt endlich Schluss machen mit der Demokratie und als Geschäftsführer einen Diktator einsetzen, der den Staat mit Härte und Konsequenz einfach zur Gewinnoptimierung führt. Dabei müsse alles ganz schlank sein, Behörden mit ihren Regierungsbeamten ("deep state") müssten abgeschafft werden und in dem Zuge müssten auch all die derzeitigen Führungsstrukturen und ihre Institutionen wie ein "Tumor herausgerissen werden", forderte Vance beispielsweise.

Beispiele für Institutionen im staatlichen System, die "herausgerissen" werden sollten, werden gleich mitgenannt: Wahlen, NGOs, Universitäten, Umweltschutzbehörden, Gesundheitsbehörden, Verbraucherschutzbehörden etc. Was fällt auf? Ohne diese Behörden und Institutionen hält niemand mehr die "herrschende Klasse" (wer auch immer das sei) in Verantwortung, sich um das Gemeinwohl zu kümmern. Die Diktatoren können sich dann endlich ausschließlich und ungehindert ihren eigenen Interessen und denen ihrer Gönner widmen. Das ist Oligarchie, wie wir sie in Rußland sehen, der moderne Abklatsch einer Monarchie.

Unterm Strich lässt sich festhalten, dass die Demokratiefeindschaft der wirtschaftlichen Eliten vor allem daher kommt, dass sie lieber einfach so wirtschaften wollen, dass sie ihren Gewinn maximieren können und ihnen generell niemand reinredet. Das ist verständlich. Unverständlich ist, dass sie dafür über die Leiche der Demokratie gehen und dass sie damit Anklang bei denen finden, die als erste unter solch einer Diktatur leiden würden: die eher ungebildeten, die ohne Einfluss, die wirtschaftlich armen und machtlosen unserer modernen Gesellschaften. Die reaktionären Populisten bekommen die Wählerstimmen dieser Menschen mit einem Versprechen einer vermeintlich einfacheren und übersichtlicheren Zukunft der Vergangenheit, in der es wieder zählt, nur eine Frau oder ein Mann zu sein, in der einem nicht "der Mund verboten" werde oder die schlauen Wissenschaftler ihnen erklärten, was gut und was schlecht für sie und ihre Umwelt wäre. Eine Zukunft, die medial unbelastet von Klima- und Wirtschaftskrisen wäre, unbelastet vom Zwang, wählen zu gehen (Trump: "...you don't have to vote again") oder sich für andere, schwächere engagieren zu müssen. Der Preis ist eine zerstörte Welt mit wenigen Reichen oben und ganz vielen Armen unten, dazu: Klappe halten, wegducken und machen, was der Chef/Präsident/Autokrat/Diktator sagt.


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2 Kommentare:

  1. Ein leider sehr stimmiger Artikel! Kann mir den gewissen Frust vorstellen, wenn dazu niemand etwas sagt - aber das wundert nicht, denn man kann eigentlich nur zustimmen und "gruslig" drunter schreiben. Habe das Gefühl, wir stehen wie das Kaninchen vor der Schlange....
    Einen kleinen Punkt zum Einhaken finde ich immerhin: Trumps "you never have to vote again" hab ich zwar selbst auf X mit "skandalisiert", was zwar nicht schadet, aber in der Sache falsch war, genau so populistisch "aus dem Zusammenhang reissend" zitiert, wie es leider viele heute machen. Diese Fundi-Christen gehen in der Regel nicht wählen, in diesem Kontext konnte er sie beschwören: "Geht JETZT bitte unbedingt EINMAL wählen, danach müsst ihr es nie mehr tun." (Weil dann ist er ja dran und wird Amerika great again machen und alle sind glücklich).

    Was bei alledem UNSER stark zunehmendes Problem ist, ist die ständige Uneinigkeit der Europäer - ein Elend!

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