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10. August 2024

Faschismus ist plötzlich "weird" und "cringe"

Nachdem sich Joe Biden monatelang an Trumps Faschismus erfolglos die Dritten/Zähne ausgebissen hat, indem er raunte, es gehe in der nächsten Wahl darum, die Demokratie zu retten, kommt der bisher weithin unbekannte Gouverneur von Minnesota Tim Walz und nennt die Republikanischen Amtsanwärter Donald Trump und JD Vance einfach "weird". Das klingt milde, leicht lustig und gar nicht so gefährlich... Und es verfängt! Die Republikaner stehen plötzlich – obwohl dieser Platz historisch den Demokraten zukam – als übergriffig und damit inkompatibel zum Bevölkerungswillen da. Warum?

Crazy/Childless Catlady – eine Obsession der Rechten im US-Kulturkampf (© The Simpsons)
 

Weird ist ein Wort, dass im Deutschen so etwas wie "seltsam", "schräg" bis hin zu "unheimlich" bedeuten kann. Ursprünglich kommt es aus dem Germanischen und bedeutet so etwas wie "unheimliches Schicksal". Es gibt "good weird" und "bad weird". Commedians beispielsweise müssen "weird" sein, damit sie nicht einfach nur lustig, sondern auch originell und provokant sind. Wenn Politiker oder ihre Programme "weird" sind, dann geht das eindeutig in die Richtung "creepy", also "seltsam", "unheimlich" bis "verstörend". In Deutschland fällt einem vielleicht Armin Laschet ein, der als Politiker in seiner 60-jährigen Unreife irgendwie harmlos seltsam war. Unheimlich seltsam sind dann für mich so Leute wie Björn Höcke mit seinem rechtwinkligen HJ-Scharm oder Beatrix von Storch mit ihrer seltsamen Fixierung auf Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Identitäten.

In den USA werden gerade die Republikaner als "weird" identifiziert und von den Demokraten "definiert", die sich z.B. in die privaten Entscheidungen zur Familiengründung einmischen wollen; Stichwörter wären "Abtreibung" und "In-vitro-Fertilisation". Oder wenn sie sich einschießen auf Schulen und dort bestimmte Bücher verbieten oder die Lehrpläne umschreiben wollen, sodass Rassismus oder Sexualität nicht mehr vorkommt. Creepy – Warum mischt ihr euch so übergriffig ein? Oder wenn sie sinnieren, wie sexy M&Ms sind oder Mickey Mouse. Alles irgendwie schräg, "weird". Warum kommen sie auf solche Gedanken? Warum sprechen sie anderen Menschen ihre Zugehörigkeit zu Bevölkerungsgruppen ab (offenbar kann man nicht gleichzeitig einen indischen und afroamerikanischen Hintergrund haben)? Warum haben sie so eine brutale und entmenschlichende Sprache? Dazu gleich mehr.

Noch komischer sind nur Trumps wortwörtliche Kämpfe gegen Windmühlen (sie töten angeblich den Amerikanischen Weißkopfadler für Ökostrom) oder seine Obsession mit dem zu geringen Wasserdruck auf seiner Toilette (Schuld der Demokraten), seine öffentliche Liebe zu Hannibal Lecter ("ein liebenswerter Mann") oder der Frage, ob es besser sei, von einem Hai gefressen oder durch Stromschlag umzukommen. Alles sehr "weird" und "cringe", irgendwie dement.

Warum so seltsame Themen?

OK, Trump selbst ist einfach nur ein seltsamer alter Mann, da muss man nicht weiter fragen, warum er so seltsame Sachen sagt. Da ist wenig Strategie dahinter, Trump ist da ganz transparent, der hat eben wirklich einfach solche Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen: "Plötzlich wurde Kamala Harris schwarz. Das sollte doch mal untersucht werden!" Was genau sollte untersucht werden? Und wer soll das untersuchen? Das ist so "weird" und "cringe" und könnte von einem angetrunkenen, rassistischen Onkel oder Opa kommen. Das qualifiziert Trump zwar nicht für politische Ämter, aber das macht wenigstens seine Kundgebungen interessant. 

Anders ist es bei seinem Vizepräsidentschaftskandidaten JD Vance, der durchaus gebildet ist und eloquent sein kann. Warum spielt er den "Stalker" und läuft hinter Kamela Harris hinterher, schleicht sich an ihr Flugzeug ran, "um es sich mal anzusehen"? Warum redet er von "childless cat ladies" (kinderlose Frauen) und davon, dass kinderlose Menschen weniger Mitspracherecht in der Gesellschaft haben sollten oder davon, dass Kamela Harris' schwarze Identität ein "Fake" wäre? 

JD Vance weiß, dass er da ein dreckiges Spiel treibt und anstatt seine intellektuellen Kapazitäten redlich zu nutzen, nutzt er sie, um sich der republikanischen Basis anzubiedern. Denn diese Basis, die sich zum großen Teil aus Verschwörungserzählungen ganz extremer Medien heraus informiert, die möchte möglichst einfache, reißerische und auch beschmutzende und verachtende Dinge hören. Das sind Menschen, die (vereinfacht gesagt) von der liberalen Politik und Wirtschaft in den großen Städten nicht nur jahrzehntelang vergessen, sondern lange auch verhöhnt wurden und die zu der Überzeugung gelangten, dass Politiker einfach pädophile Verbrecher sind, angeführt von den Clintons und ihren "jüdischen Finanziers". Das weiß JD Vance, ja er hat darüber sogar ein Buch geschrieben, das ich gern gelesen habe. Aber das war 2016 und in einer Zeit, als er Donald Trump noch "the American Hitler" nannte.

JD Vance, der Yale-Alumni, der reaktionäre Silicon-Valley-Darling und Investment Banker, sieht inzwischen, dass seine Verkleidung als Kämpfer für die vergessenen Arbeiter nicht aufgeht: Die Wechselwähler sind zu anspruchsvoll für diesen rassistischen, mysoginen und beleidigenden Quatsch und für die harte Basis der Republikaner riecht JD Vance eben dann doch zu sehr nach Elite. Es ist drollig, wenn er sagt: 

"Was ich daran so seltsam finde und was mehr auf die Medien als auf Simone Biles zurückfällt, ist, dass wir versuchen, aus einem sehr tragischen Moment – ​​Simone Biles‘ Ausscheiden aus der Olympiamannschaft – eine Heldentat zu machen. Und ich denke, es wirft kein gutes Licht auf unsere Art von therapeutischer Gesellschaft, dass wir versuchen, Menschen nicht für Momente der Stärke, nicht für Momente des Heldentums zu loben, sondern für ihre schwächsten Momente." (JD Vance bei Fox News am 28.7.2021)

Das ist – vom Kontext rund um eine Athletin mit mentaler Krise mal abgesehen – ein durchaus interessanter und diskussionswürdiger, wenn auch ein seltsam heroischer und empathieloser Gedanke. Nur bei Trumps Basis kommen Begriffe wie "therapeutische Gesellschaft" gar nicht an, das ist zu intellektuell. Vance ist also nicht nur für die Demokraten oder die Wechselwähler "weird", sondern auch für die, die er versucht zu beeindrucken. Man fragt sich, ob Vance nicht nur keine neuen Wähler für Trump organisieren kann, sondern ob er nicht auch noch bisherige Wähler Trumps nun abschrecken könnte. Die Basis fremdelt jedenfalls sichtlich mit dem neuen Intellektuellen des ultrarechten US-Nationalismus.

Cringe, weird – das geht nach hinten los

Fakt ist jedenfalls, dass das alles nicht besonders gut bei den unterschiedlichen Wählerkohorten ankommt, auf die es in den immer knappen US-Wahlen eben ankommt: Schwarze wollen nicht von Weißen gesagt bekommen, dass eine von ihnen eigentlich gar nicht schwarz sei. Frauen in den Vororten, wollen nicht als Katzenfrauen bezeichnet werden, wenn sie keine Kinder haben. Und wenn sie keine Kinder bekommen können, wollen sie nicht, dass man ihnen IVF als letzte Chance wegnimmt. Sie wollen überhaupt nicht, dass sich die nächste Regierung in ihre gesundheitlichen und sexuellen Privatangelegenheiten einmischt und über ihre innerfamiliären Entscheidungen urteilt. Junge Wähler finden "the old drunk uncle" Trump, den wegen sexueller Übergriffe, Verleumdungen und Betrug verurteilten Straftäter, sowieso peinlich und mit seinen anachronistischen Beleidigungen aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht nicht mehr geeignet, ihr Land in die Zukunft zu führen.

Ehrlich gesagt, hatte mich Joe Biden mit seinem Weltuntergangsgeraune vom Ende der Demokratie absolut überzeugt und ich hätte ihn als Amerikaner auf jeden Fall gewählt und würde jedem sagen: Egal, wenn er alt ist und stolpert, der andere ist auch alt und der reißt uns auch noch alle mit in seinen stinkenden Abgrund – wir müssen die Demokratie retten.

Das funktioniert allerdings bei vielen Menschen nicht. Erstens ist das Konzept "Demokratie" für jeweils andere Menschen jeweils anders belegt, anders wichtig oder im schlimmsten Fall irgendwie sowieso fragwürdig. Zweitens kann es um sonst etwas gehen, wenn die beiden Kontrahenten einfach nicht inspirieren oder die Leute mitreißen können, dann geht eben niemand zur Wahl, außer die Verrückten, die es wirklich ernst meinen.

Happy Warriors vs. Apokalypse

Walz, der das "weird" in Bezug auf Trump und Vance geprägt hat, ist inzwischen der Vizepräsidentschaftskandidat, der mit Kamala Harris zusammen das Weiße Haus für die Demokraten und – noch wichtiger – für die Demokratie erhalten wollen. Mit der Weltuntergangsstimmung von Biden und Trump haben sie komplett gebrochen. Statt dessen rufen sie einen Gute-Laune-Wahlkampf aus, geben sich als die "Happy Warriors" – die glücklichen Kämpfer und machen so einen riesigen Kontrast zum Schlechte-Laune-Wahlkampf der Republikaner auf. Andere Kontraste wären die von Zukunft vs. Apokalypse, von Menschlichkeit und Solidarität vs. Brutalität in Sprache und Ideen.

Und das funktioniert: inzwischen ist eine breite Bewegung entstanden, die erleichter aufatmet und den frischen Wind und Optimismus spürt, den eine Präsidentin Harris bedeuten könnte. Ich wünsche ihnen, dass sie die Stimmung halten und sie das zu einem Wahlsieg im November trägt.

Für mich stellt sich wieder heraus, dass es in der Politik zunehmend um Charakter gehen muss, die Inhalte sind alle diskutabel. Man kann mit allem "normalen" leben und alles dikutieren, sei es Steuergesetzgebung, Umweltrechte, Familien- und Einwanderungspolitik. Davon geht die Welt nicht gleich unter. Wenn man aber Leute wie Putin, Netanyahu, Orban, Erdogan oder Trump an der Macht hat, die einfach nur aus persönlichen Gründen zündeln und zerstören wollen, weil sie sich bereichern, weil sie der Gesetzgebung entkommen wollen oder weil sie einfach nur schlecht gelaunte und miese Charaktere sind, dann hat eine Gesellschaft schlicht verloren. Da gibt es keine Aussicht auf ein Agieren im Sinne des gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Vorankommens. Es gilt, schlechte Charaktere mit Hilfe guter Laune, Menschlichkeit und guten Ideen vom Hof zu jagen!


Das passt dazu:

2 Kommentare:

  1. Toller Artikel, danke, dass du dir die Arbeit gemacht hast, im Detail zu berichten, was gerade gegen Trump & Co. vorgetragen wird - auch mit neuen "Narrativen" wie "wierd" und auf einmal mit Erfolg. Ich habe gerade nur den "gefühligen" Aspekt (Joy, Optimismus) besprochen und erfreue mich am Kampf positiver Gefühle gegen "schlechte Stimmung":

    Wahlkampf der Gefühle
    https://www.claudia-klinger.de/digidiary/2024/08/10/wahlkampf-der-gefuehle/

    Bin sehr gespannt, wie das ausgeht!

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    1. Danke, Claudia!
      Der gefühlige Aspekt ist schon das, was im Moment im Vordergrund steht. Und hinter diesen Gefühlen stecken natürlich "Erlebnisse" und bei vielen in den USA sind das letztlich Untergangsstimmung, Hass, Streit und daraus folgend deprimierende Erlebnisse. Und das hat ganz viel mit dem Kulturkampf der neuen extremen Rechten zu tun: Sie reden uns jeden Tag ein, wie schlimm es um uns steht, wie wir alle verarscht werden und wie uns das Ende unseres Wohlstands droht. Und dann kommt plötzlich jemand wie Harris und verbreitet Optimismus, Hoffnung... Das klappt überraschend gut.

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