6. Juli 2024

Der Präsident ist jetzt ein König

Es ist wirklich kein Scherz: die Diktatur kann kommen und sie wird mit Trump kommen, wenn er die Wahl gewinnt

Supreme Court Richterin Sonja Sotomayor: "Bei jeder Ausübung offizieller Macht ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht."

(Alle Artikel dieser Serie: Politik in den USA)

Supreme Court Richterin Sonia Sotomayor (r): "Mit Angst um unsere Demokratie widerspreche ich."
 

In einem vorherigen Artikel schrieb ich, wie langweilig die vor dem US Surpreme Court liegende Frage sei, ob ein Ex-Präsident absolute Immunität haben soll. Ich habe mich geirrt. Für mich, wie für die meisten Beobachter dieser Auseinandersetzungen stand fest, dass diese Frage nicht wirklich eine alternative Antwort als "nein" hervorrufen kann. Folgende gute Gründe fallen einem sofort ein:

  1. hat bisher nie ein US Präsident solch eine Immunität gebraucht, weil sie ihre Amtsgeschäfte ohne kriminelles Verhalten (Richard Nixon als Ausnahme, dazu kommen wir gleich) durchgeführt haben und ihnen und ihrem Regierungshandeln ein gewisser Respekt vor Strafverfolgung sicher auch guttat. 
  2. hat der Fall Nixon gezeigt, dass es durchaus die Strafandrohung braucht, um die Verfassung und damit die Bevölkerung vor einem kriminellen Präsidenten zu schützen. Nixon wurde von seinem Nachfolger begnadigt, eben weil ihm eine strafrechtliche Verfolgung drohte. Diese Präzedenz allein machte jede weitreichende Immunität gegenstandslos.
  3. muss man sich nur die möglichen Konsequenzen ansehen: Der Präsident könnte dann beispielsweise seinen politischen Gegner einfach entführen oder umbringen lassen, ohne dass man ihn dafür starfrechtlich zur Verantwortung ziehen könnte.
  4. gilt der Grundsatz, dass keine Person über dem Recht steht.
  5. ist der Supreme Court derzeit erklärtermaßen konservativ und damit absolut gegen die Ausweitung der Macht des Staates, zu dem der Präsident als Vorstand der Exekutive gehört. Konservativ heißt auch, dass solche Richter nur den Text der Verfassung auslegen und aus diesem Text wird klar, dass die Verfassung sich gerade gegen autoritäre oder monarchische Bestrebungen richtet, denn gegen den britischen König wurde sie verfasst. Immunität des Präsidenten kommt in der Verfassung aus diesem guten Grunde nicht vor.

Supreme Court bricht mit seiner konservativen Tradition

Langweilig? Am 1. Juli 2024 hat der US Supreme Court uns alle überrascht (TRUMP v. UNITED STATES): Entgegen dieser vielen Punkte (und es gibt noch mehr), die nahelegten, dass der Court so einen absurden und vormodern-monarchischen Anspruch von Immunität ablehnen würde, hat der Court doch tatsächlich dem nächsten Diktator das Bett gemütlich gemacht: 

Der Präsident kann ab sofort einen politischen Gegner geheimdienstlich abhören (Nixon), in seinem Wettbewerb durch kriminelle Methoden behindern (Trump) oder sogar töten (bisher hypothetisch), solange es sich um einen "offiziellen Akt" handelt und er sich dabei der offiziellen Kanäle seines Amtes (Berater, Vizepräsident, Chief of Staff, das ihm unterstehende Militär etc.) bedient. Folgende ganz neue dreistufige Einordnung der Immunität durch den Supreme Court macht das möglich (SCOTUSblog)​:

  1. Immun: Dies betrifft Handlungen, die direkt mit den Kernfunktionen des Präsidentenamtes verbunden sind, wie das Ausstellen von Begnadigungen, das Vetorecht, die Ernennung von Amtsträgern und die Anerkennung ausländischer Regierungen. Diese Handlungen sind durch absolute Immunität geschützt, was bedeutet, dass der Präsident weder während noch nach seiner Amtszeit für diese Handlungen strafrechtlich verfolgt werden kann​.
  2. Vermutlich immun: Handlungen, die im Rahmen der offiziellen Pflichten des Präsidenten vorgenommen wurden, genießen eine vermutete Immunität. Das bedeutet, dass diese Handlungen grundsätzlich durch die Immunität geschützt sind, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass sie außerhalb der verfassungsmäßigen Befugnisse liegen oder in einer Weise durchgeführt wurden, die nicht im Einklang mit dem Gesetz steht.
  3. Nicht immun: Handlungen, die privater Natur sind oder eindeutig außerhalb der offiziellen Aufgaben des Präsidenten liegen, fallen nicht unter die Immunität. Dazu gehören beispielsweise strafrechtliche Handlungen wie das Einreichen falscher Wählerlisten oder andere private Handlungen, die keinen direkten Zusammenhang mit den offiziellen Pflichten des Präsidenten haben.

Natürlich geht es um 2., denn in diese Kategorie werden alle zweifelhaften Handlungen fallen, für die sich künftige Präsidenten immun erklären möchten. Sollte jemand bei "vermutlich immunen" Handlungen des Präsidenten, die Immunität in Zweifel ziehen wollen, gilt nun die Einschränkung, dass Aussagen oder Aufzeichnungen von Beratern und offiziellen Gesprächen, die mit der Ausübung offizieller Pflichten zu tun haben, nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen. Das heißt, nicht nur muss man nun dem Präsidenten nachweisen, dass seine Handlungen außerhalb der verfassungsmäßigen Befugnisse des Amtes lagen oder auf eine Weise durchgeführt wurden, die nicht im Einklang mit dem Gesetz steht. Man muss diesen Nachweis führen und dabei auf die typisch anfallenden Beweise aus z.B. Gesprächsnotizen verzichten. 

Auf das obige Beispiel, der Präsident könne seinen politischen Herausforderer töten, angewandt, sagen selbst die Verteidiger dieser höchstrichterlichen Entscheidung: Ja, klar – wenn der Präsident "alles richtig macht" und als Oberbefehlshaber des Militärs die offiziellen Wege einhält, um diesem Militär zu befehlen, den anderen Präsidentschaftskandidaten zu töten, dann soll man ihm erst mal nachweisen, dass das strafbar war. Man darf ja keine Beweise zur Hilfe nehmen, die bei diesem offiziellen Befehl zustande kamen. Aber sie beruhigen uns: Solch einen Befehl würde ein anständiger Militär nie ausführen. Ja, das stimmt vermutlich, die Geschichte kennt ja auch nicht einzigen unanständigen Militär :))

Politische Richter und Staatsanwälte

Die USA sind eine eigenartige Demokratie. Ich ging darauf schon in vorherigen Artikeln ein, dass beispielsweise vieles an Rechtstaatlichkeit darauf beruht, dass sich Politiker ehrenhaft verhalten. Anstatt klare und sanktionierbare Regeln und Gesetze für die Regierung zu haben, geht man davon aus, dass der Präsident und anderen Staatsorgane sich fair und ehrenhaft verhalten werden. Dieser antiquierte Geist zeigt sich noch einmal in diesem Urteil ganz deutlich und das an einem geschichtlichen Zeitpunkt, wo selbst dem letzten wohlmeinenden Philantropen klar geworden sein muss, dass Menschen wie Donald Trump einen Scheiß auf Fairness und Ehre geben.

Der Supreme Court ist mehrheitlich konservativ bis radikal rechts besetzt, v.a. weil die Demokraten sich bisher "ehrenvoll" verhalten und kurz vor Wahlen keine Richter ernennen (siehe der Tod von Richter von Ruth Bader Ginsburg sechs Wochen vor dim Jahr 2020) und die Republikaner jede Chance auch gegen den zuvor von ihnen selbst geforderten Respekt gegenüber dem neuen, bald startenden Präsidenten genutzt haben, ihre rechten Richter zu platzieren. Für mich als Deutschen ist es schockierend, dass niemand in den amerikanischen Medien davon ausgeht, dass die Richter unpolitisch zu sein haben. Im Gegenteil: Alle sowohl links bei MSNBC als auch rechts bei Fox reden davon, wie die Mehrheit der Richter Trump diesen Gefallen tun wollte und sollte. In meinem Verständnis von Demokratie ist diese Art der Rechtssprechung das Gegenteil von ehrenhaft und fair.

Es zeigt sich, dass eine Gesellschaft, die lediglich auf Ehre, Fairness und Anstand, anstatt auf zusätzlich auf ein starkes Gesetz setzt, am Ende dem zugute kommt, der sich wie Trump selbst nicht diesen moralischen Standards unterwirft. Das ist ähnlich wie in der Mafia, die immer von Ehre schwafelt, damit sich niemand dem Recht des Stärkeren in den Weg stellt und beispielsweise mit der Polizei oder anderrn Institutionen kooperiert.

Auch in den anderen Verfahren, die Trump derzeit anhängen, fällt das Politische unangenehm auf: Ständig beschwert sich Trump, dass er von einem "demokratisch" berufenen Staatsanwalt angeklagt oder von einem "demokratischen" Richter veruteilt wird. Und das stimmt auch, denn manche Staatsanwälte oder Ankläger haben sich unter dem Versprechen wählen lassen, endlich Trump ans Schlafittchen zu gehen. Oder anders herum: Die Richterin über die Anklage rund um gestohlene Geheimdienstdukomente gegen Trump wurde selbst von Trump während seiner Amtszeit eingesetzt und behindert für alle ganz offensichtlich das Verfahren. Es ist ein ganz klares Makel der US-Amerikanischen Demokratie, dass sie bisher nicht von solchen Kinderkrankheiten geheilt ist. Nun mag es dafür sogar zu spät sein.

Das Bett ist gemacht, für einen Diktator, einen König

OK, Trumps Richter haben ihm also den Gefallen getan, alle rechtlichen Hürden für seine möglicherweise zukünftige Präsidentschaft aus dem Weg zu räumen. So kann er all das umsetzen, was er früher schon versucht hatte, nur diesmal ohne das Gesetz fürchten zu müssen. Sie haben ihm auch den Gefallen getan, alle seine bisherigen Verfahren noch einmal in Zweifel zu ziehen. Z.B. muss nun bewiesen werden, dass die – so von Trump behauptet – vermutlich immunen Handlungen doch nicht unter die Immunität fallen. Eine riesige Hürde, wenn man vormals einfach offensichtlich strafbares Handeln nun irgendwie aus einem Sumpf von angeblich offiziellem Vorgehen abscheiden muss.

Es ist wirklich kein Scherz: die Diktatur kann kommen und sie wird kommen, wenn jemand wie Trump unter dieser höchstrichterlichen Neugesetzgebung an die Macht kommt. Wenn der nächste Möchtegerndiktator nicht zu dumm ist, kann er oder sie alles machen, was sie wollen... sie müssen sich nur in ein Gewand offiziellen Amtshandelns kleiden, ihr Verbrechen einen "offiziellen Akt" nennen und schon ist alles immun.

Die linke Richterin Sotomayor, die sich der Mehrheitsmeinung ihrer Kollegen nicht anschloss, schrieb in ihrer abweichenden Meinung, in der sie fragte, was mit der Tötung von politischen Gegnern, mit der Annahme von Bestechungsgeldern und einem antidemokratischen Umsturz durch den Präsidenten wäre: 

"Immun, immun, immun [...] Selbst wenn sich diese Albtraumszenarien nie bewahrheiten – und ich bete, dass sie es nie tun –, ist der Schaden bereits angerichtet [...] Die Beziehung zwischen dem Präsidenten und dem Volk, dem er dient, hat sich unwiderruflich verändert. Bei jeder Ausübung offizieller Macht ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht."


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