5. August 2023

United States of America v. Donald J. Trump, Defendant

Ein politisches Theater, ohne das die Demokratie einpacken müsste

Zum ersten Mal in der Geschichte der USA wird ein ehemaliger Präsident von einzelnen Bundesstaaten wie Georgia oder New York und vom Staat USA selbst wegen krimineller Handlungen während seiner Amtszeit angeklagt. Zum ersten Mal mussten wir das Spektakel sehen, dass einem kürzlich abgedankten Präsidenten in einem Washingtoner Gericht die Fingerabdrücke genommen und ihm seine Rechte vorgelesen wurden. Was für ein Theater! Und so beginnt die Anklageschrift gegen den früheren Präsidenten:

"Der Angeklagte, DONALD J. TRUMP, war der fünfundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten und ein Kandidat für eine Wiederwahl im Jahr 2020. Der Angeklagte verlor die Präsidentschaftswahl 2020. Trotz seiner Niederlage war der Angeklagte entschlossen, an der Macht zu bleiben."
Unterschrift Jack Smiths, Sonderermittler USA

Was geht uns das an?

Wenn ich mich mit Freunden und Bekannten hier in Deutschland über die historischen Entwicklungen unterhalte, die wir gerade in den USA beobachten können, dann sehe ich zum Teil Desinteresse oder auch Hoffnungslosigkeit. Das ist verständlich, denn wir haben unsere eigenen politischen Herausforderungen. 

Ich sage es mal so klar wie ich es empfinde: Die USA kämpfen gerade um ihre Zukunft als Demokratie und damit um ein Fortbestehen als eine fundamentale Macht, die der politischen Weltordnung eine gewisse Stabilität gibt. Als Beispiel: Stellen wir uns vor, welchen Vorteil Russland in seinem Angfriffskrieg auf die Ukraine gehabt hätte, wenn nicht Joe Biden, sondern Donald Trump regiert hätte, der die Nato sowieso abschaffen wollte und Selenskyj und die Ukraine schon vor dem Krieg in seinem ganz persönlichen Interesse erpresste (wofür er ja auch impeacht wurde).

Mit anderen Worten, was in den USA passiert, ist schon in ganz praktischer Hinsicht relevant für uns und es hat eine noch andere, vielleicht größerer Relevanz: Wenn die USA von der Demokratie in die Autokratie rutschen, dann könnte damit die gesamte Machtbalance zwischen Demokratien und anderen Staatsformen ins Rutschen kommen. Staatsformen wie die in China, in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Russland bekämen einen mächtigen Aufwind und Marine Le Pen, Orbán, Giorgia Meloni und andere wüssten das mit Sicherheit auszunutzen, z.B. um die EU wieder abzuschaffen.

Nur noch einmal zur Einordnung, worum es diesen demokratiefeindlichen Kräften geht: Sie wollen zurück in eine Welt, die nicht durch Institutionen auf nationaler und übernationaler Ebene reguliert ist, weil sie dann ihre eigenen Interessen auf Kosten von Sicherheitsstandards, Arbeitnehmerrechten, Klima- und Umweltschutz, Frieden in der Welt, Menschenrechten usw. schrankenlos durchsetzen können.

Sind die Anklagen gegen Donald Trump wirklich "hoffnungslos"?

"Eine Anklage der Strippenzieher erhöht die zu erwartenden Kosten bei einem erneuten Versuch."
Hoffnungslose Anklagen? Das kommt darauf an, was man sich erhofft. Ich meine, man sollte sich nicht erhoffen, dass das kurzfristig einen Unterschied macht und er deswegen z.B. die Unterstützung seiner Wählertruppe oder der Mehrheit der Republikaner in der US-Politik verlöre. Es ist auch wirklich weniger substantiell interessant, ob Trump nach einer eventuellen Verurteilung in eine Gefängnis kommt. Ja, es ist noch nicht einmal zu hoffen, dass er verurteilt wird, selbst wenn das nach heutiger Beweislage sehr wahrscheinlich dazu kommt.

Was wäre dann aber eine angebrachte Hoffnung? Die Hoffnung ist ganz schlicht, dass sich der Rechtsstaat gegen die Versuche durchsetzt, ihn zu vernichten. Und in gewisser Weise ist diese Hoffnung schon vorerst eingelöst. Nachdem hunderte der Kongressstürmer, die versucht hatten, die Zertifizierung der Wahl zu verhindern (dabei kam es zu Toten, Verletzten und der Verzögerung der Wahlzertifizierung), bereits zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, steht jetzt ihr Anstifter vor dem Richter. Ihm werden vom Sonderermittler Jack Smith im Wesentlichen folgende vier Punkte vorgeworfen:

  1. Verschwörung zum Betrug an den USA, indem nämlich das Wahlergebnis nicht anerkannt werden sollte und Trump trotz Abwahl an der Macht zu bleiben versuchte
  2. Behinderung eines offiziellen Verfahrens, nämlich der Wahl und ihrer Zertifizierung im Kongress
  3. Verschwörung zur Behinderung eines offiziellen Verfahrens, siehe 3., aber nicht nur der Akt allein, sondern bereits eine Verschwörung dazu ist strafbar
  4. Verschwörung, um andere an der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu hindern, nämlich der Rechte, ihre Stimme abgeben und rechtmäßig zählen zu lassen zu können

Jetzt stellen wir uns vor, eine Demokratie, der das alles nach einer Wahl widerfahren ist, würde die Übeltäter nicht dafür zur Rechenschaft ziehen. Sie würde zwar die Handlanger hinter Gitter bringen, aber nicht die Strippenzieher dieser Verschwörung... Wäre das – neben einer großen Ungerechtigkeit und großem Unrecht – nicht geradezu eine Einladung zu einem erneuten gewalttätigen Versuch, die Demokratie abzuschaffen? Eine Anklage der Strippenzieher (im Moment nur Trump, vier weitere werden entweder zu Kronzeugen oder später angeklagt) erhöht die zu erwartenden Kosten bei einem erneuten Versuch. Sie mag zukünftig sowohl Strippenzieher als auch Handlanger davon abhalten, solche Versuche erneut zu unternehmen. Eine Folge ist bereits jetzt, dass es Trump nicht mehr gelingt, mehr als eine Hand voll Unterstützer vor Ort zu Protesten zu bewegen.

Es gibt auch den Schimmer einer Hoffnung, dass die breite US-Öffentlichkeit sich doch von der Faktenlage überzeugen lässt und Trump und seine Unterstützer in ihren Lügen erkennt und sich damit immun gegen zukünftige "Rattenfänger" macht. Ich teile trotz der Urteile gegen Fox News oder Alex Jones von InfoWars diese Hoffnung nicht und ich sehe definitiv auch Risiken in der Anklage...

Aus der Anklageschrift United States of Ameriva v. Donald J. Trump, Defendant

Welche Risiken für die Demokratie bestehen in der Anklage Trumps?

Das größte Risiko, das ich sehe, liegt darin, dass man durch die Anklage und Aufarbeitung der zugegebenermaßen sehr stümperhaften Verschwörung von Trump, Giuliani, Sidney Powell, Eastman und anderen eine Art Anleitung zum Staatsstreich baut, aus der hervorgeht, wie man es eben nicht machen kann. Der nächste Autokrat (De Santis steht ja in den Startlöchern) mag etwas schlauer und weniger persönlichkeitsgestört sein und wird aus den Fehlern seines Vorgängers lernen und die Demokratie eventuell ganz geräuschlos abschaffen, ohne Sturm aufs Kapitol. 

Ein anderes ernst zu nehmendes Risiko wäre ein Freispruch Donald Trumps. Unter der bestehenden Beweislast – alles geschah in der Öffentlichkeit und wurde auch von Trump nie geleugnet – wäre das höchst unwahrscheinlich, wenn es sich nicht um ein in den USA übliches Geschworenengericht handelte. Hier reicht es aus, wenn einer der Geschworenen sich nicht von der Anklage überzeugen ließe. Schon dann ginge Trump als Gewinner aus der Sache hervor. Das Bravado, die Selbstfeier, die daraus resultierenden Attacken und Rachemaßnahmen eines eventuell erneuten Präsidenten Trump mag ich mir nicht vorstellen.

Ein anderes Risiko besteht darin, dass die Verfahren nicht in Ruhe und Ordnung zu Ende gebracht werden können, weil Trump sich z.B. wieder strafbar macht (Zeugenbeeinflussung, Beeinflussung der Geschworenen etc.) und ihm Sanktionen drohen, die garantiert zu einem Aufschrei der Republikaner und der Wählerbasis führen. Das hat Potenzial zu Unruhen und zur Störung der kommenden Präsidentschaftswahl, vielleicht sogar für eine erneute große und tiefe Spaltung mit bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen (siehe Professor Millsons Befürchtungen in Wie die US-amerikanische Demokratie (nicht) funktioniert).

Es gibt zahllose weitere Risiken, die daraus erwachsen, dass die Verfahren lange dauern werden und spätestens nach der nächsten Wahl eines Republikaners zum Präsidenten darin enden, dass sie eingestellt werden oder Trump begnadigt wird oder sich selbst begnadigt, wenn er doch wieder Präsident werden sollte. Hier läge dann die Hoffnung auf solche Verfahren wie in Georgia, denn der Präsident hat keinen Einfluss auf die Justiz in den einzelnen Ländern.

Trotz all dieser Risiken musste diese Anklage kommen. Ein demokratischer Staat kann sich nicht wehrlos gegenüber den Kräften zeigen, die ihn zerstören wollen. Dann hätten wir bereits verloren, ohne je gekämpft zu haben. Denn...

Aus der Anklageschrift United States of Ameriva v. Donald J. Trump, Defendant

Und das ist die eine ganz große Sache, die sich eine Demokratie nicht antun lassen darf: Dass jemand an die Macht kommt, der nicht legitim durch das Volk oder seine Vertreter gewählt wurde. Demokratiefeinde müssen entmutigt werden, die absehbaren Kosten ihrer Handlungen müssen sie von ihren Verbrechen abhalten. Oder anders gesagt: Wäre es nicht schön gewesen, lieber Donald, wenn du als Ex-Präsident ganz in Ruhe Golf spielen und abends dein Steak mit Ketchup und Fritten essen könntest, anstatt jetzt jeden Tag um dein Vermächtnis und deine Freiheit zu fürchten und ständig zu ätzenden Gerichtsterminen reisen zu müssen?


Das passt dazu:

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