Eine (fast unmögliche) Kurzfassung zu Peter Sloterdijks Sphären Band II von Paul-Heinz Schwan
Globalisierung oder Sphäreopoiese im Größten ist das Grundereignis des europäischen Denkens das seit zweieinhalbtausend Jahren nicht aufhört, Umwälzungen in den Denk- und Lebensverhältnissen der Menschen zu provozieren. (Peter Sloterdijk)
Das Leben – eine runde Sache?
Das Runde, Bergende, Harmonische begeistert. Es zieht uns schnell in seinen Bann. Es fasziniert zunächst und beherrscht dann diejenigen, die so "beherrscht" – heute würde man sagen: geführt – werden möchten. Rundes ist einnehmend, bewegend. Es inspiriert das Gefühl. Es schmeichelt dem Wohlsein. Der runde Tisch, die gesellige Runde. Das runde Lenkrad für die vielen PS. Wir sprechen vom "Runden" wenn wir beruhigen oder verführen wollen. Wir sitzen gesellig an runden Tischen, sind Teil einer illusteren Runde. Wer möchte nicht, dass der Tag, das Projekt, ja sein Leben eine "runde Sache" wird.
Atlas, der die Welt hält und von 12 Frauen umgeben ist, die die 12 Tierkreiszeichen darstellen (gemeinfrei) |
Sicherlich erinnern Sie sich an ihren
Geschichtsunterricht. Dieses "Lernen nach Zahlen", das Hasten durch die
Jahrtausende der Königshäuser von Kaiserthron zu Kaiserthron ohne roten
Faden? Wer konnte sie am Ende noch zählen, diese Unproduktiven, die vom
Raub lebten und abgehoben "ganz oben in der runden Burg" im Reichtum
schwelgten, während "die ganz unten" in Frondienste, Hunger und
Armuts-Olympiaden lebten? Vielleicht haben Sie sich mal gefragt, was das
Ganze nur so lange am Leben hielt? Warum Herrscher kamen und gingen,
aber alle mit noch größerem prahlten. Warum sie gerade dadurch die
Fügsamen, die Rettungsbedürftigen, die Schutzsuchenden, die ihnen
zujubelten, fanden. Macht hat so zwei Seiten: Macht gegen mich – die
nehme ich in Kauf – denn ich erhalte Macht und Schutz gegen meine
Feinde. Ich bin in der Obhut.
Putin macht es aktuell vor: Das
Böse (der Westen) ist degeniert und faschistisch. Wir in der russischen
Welt müssen zurück zu Einheit und Größe. Gottesfürchtiger Glaube und die
stärkste Rüstung werden uns umfassen: Heim ins harmonische, mächtige,
beschützende Reich. Auch wenn ihr jetzt noch nicht alles habt, bald wird
es ein geeintes, reiches Reich. Das wird eine runde Sache! Ich bin der
Starke und kämpfe für Euch, halte mich für Euch fit: ich Schwimme und
Reite. Die mediale Vorgabe: Große, verführerische Bilder! Nur unsere
Wahrheit! Weg mit der alles vernichten-wollenden Kritik! Sie stört die
gute, die runde Sache. Auf nach Eurasien!
Im globalen Zirkus
Waren
Sie schon einmal im Zirkus (circus = lateinisch für Kreis)? Mindestens
ist Ihnen aber schon der Spruch über die Lippen gegangen oder der
Gedanke gekommen: Was ist das hier nur für ein Zirkus? Oder auch: Diesen
Zirkus mache ich nicht mehr mit! Aber auch wenn sie nicht über diese
Vorerfahrung verfügen, dann werden sie nach wenigen Sätzen ahnen, worum
es geht: Wir verfügen alle über "Zirkusgene": Denn, denken Sie sich eine
Gruppe von Menschen, denen ein Talent gemeinsam ist: Sie können
verführbare andere durch ihre Talente und Inszenierungen so in ihren
Bann ziehen, dass diese für eine Weile ihren grauen Alltag vergessen,
den Darbietungen magnetisiert folgen. Dies tun sie, weil auch sie durch
ein Bestaunt-Werden in einen eigens dafür hergerichteten Raum zu den
unglaublichsten Künsten verführbar sind. Die mit den "Talenten" bereiten
sich vor; die Zuschauer werden überrascht.
Was dem Feldforscher
direkt ins Auge sticht: Alles ist Rund! Nicht nur die Bühne, die hier
Manege heißt, sondern auch die Sitzordnung der Zuschauer folgt diesem
Rund. Um Zuschauer und Künstler spannt sich ein rundes, nach oben spitz
zulaufendes Zelt. Alle haben alle im Blick. Alles ist Bunt! Alles ist
bunt-rund-geborgen in einem Innen.
Die Notausgänge sind
beleuchtet. Niemand denkt daran, sie zu nutzen. Für wenige Stunden
schwelgen sich alle in ihren Illusionen. Mit einem Direktor, der glaubt,
alles wie geplant im Griff zu haben. Einer Musik die die dem Zirkus
eigenen Melodien findet. Artisten, die über ein gespanntes Seil laufen,
der Clown, der die Masken, den Spaß und die Melancholie salonfähig
macht, der Dompteur, der unter Einsatz seines Lebens die bedrohliche
Wildnis zähmt, der Reiter, der das domestizierte Tier immer im
berechneten Kreis laufen lässt – physikalisch gebildete sagen: Die
Fliehkraft nutzend.
Obwohl alle die Sprache haben, läuft alles
mit nur wenigen Worten ab, greift aber alles ineinander und hält die
Unterhaltung und die Spannung aufrecht. Soviel Atmosphäre und
Sphärenspannung auf engstem Raum und mit vielen anderen. Aber auch hier
schlägt die Entropie zu. Danach laufen alle wieder in den Artisten-Ernst
des Lebens, in einen empathischen Vandalismus. Dem Zirkus kann man sich
anscheinend nicht entziehen. Es wechseln allein die Formate.
Aktuell
zeigen einige die uralte Zirkusnummer "Krieg", die den einen ihr
Zirkuszelt vernichtet und den anderen ein Zirkuszeltausbau bedeutet.
Beiden grillt diese Nummer die Gefühle für gute Nachbarschaft. Der
Angreifer vernichtet beim Angegriffenen den Glauben, auf den er bald
wieder angewiesen sein wird.
Obwohl die Initiatoren wissen,
dass sie hier die unberechenbarste aller Nummern aufführen, die sich
auch gegen sie selber wenden könnte, lassen sie dem wilden Teil ihrer
Psyche freien Lauf. Vor dem Auftritt erzählen sie sich die wildesten
Mythen über berechtigte Kriege und gute Schutz-Mächte im Weltmaßstab. So
spielen sie Zirkus, der im Extrem alles auslöschen könnte. Aber es ist
wohl auch dieses Faszinosum des Unglaublichen, Unwahrscheinlichen, das
in diesem Zirkus zum Programm werden kann. Schauen Sie nur mal in die
Geschichte dieser Zirkusnummer. Diese haben die unterschiedlichsten
Varianten, die oft genug und oft kalkuliert eskalieren: Dispute,
gewaltlose Krisen, gewaltsame Krisen, begrenzte Kriege und letztlich
Welt-Kriege. Alle Staaten führten, wie der britische Soziologe Michael
Mann nachgerechnet hat, im Schnitt in der Hälfte ihrer Zeit Krieg. Wenn
es schlecht läuft, brennt der globale Zirkus und mit ihm Direktoren,
Artisten und Zuschauer. Die letzteren stellen immer die schweigende
leidende Mehrheit. Aber der Krieg ist nicht demokratisch. Dann riecht es
nach Atom-sphäre: eins der kleinsten Element vernichtet dann alles. Was
genau bringt all das in eine solch bewegende Begegnung? Um das zu
beantworten, bräuchte es eine Wissenschaft der Sphären.
Die Entdeckung des Runden
Vielleicht
hätten Sie gerne einen Geschichtsunterricht gehabt, der anders als mit
Zahlen begann. Vielleicht mit einer Erzählung über einen Garten, in dem
sieben bärtige Männer vor einer Kugel meditierten und sich ganz von der
alles durchstrahlenden Idee des Runden, Schönen, Idealen erfassen
ließen. Ein jeder könne in ihrem Kosmos geborgen und an seinem Platz
stehen, auf dem er seine Beiträge für das alles überstrahlende
Runde-Schöne zu leisten habe. Sie arbeiteten dran eine philosophische
Schule zu errichten, in der die alt europäische Welt in ein Kugeldenken,
einem Einheitsdenken genommen und auf "Immunologie in Hierarchie"
untersucht wurde. Das Kugeldenken nannte sie Philosophie. So denken sie
Groß, Umfassend, so dass sie für Größeres und Groß-Denker nutzbar wurde,
auch bald für die Vorschule der Theologie herhalten konnte. Sie
konstruierten den Lehrplan aus einem absolut Rundem, Umgreifenden,
Attraktiven, Tragendem, Schönsten dem man die Gefolgschaft einfach nicht
verweigern konnte. Es versprach etwas Unglaubliches.
Den Anfang
im Band II "Globen" macht der hohe psychosemantische religiöse
Gebrauchswert der klassischen Kugelspekulationen. In der umfassenden
Kugel entdeckten die Alten nach Sloterdijk eine Geometrie der
Geborgenheit. Sie hatten den Ehrgeiz, das Ganze des Seienden in dem
stimulierenden Bild einer allumfassenden Sphäre darzustellen. "Von
alters her will das philosophische Denken sagen, wer wir sind und was
wir zu tun haben." (P. Sloterdijk: Im Weltinneraum des Kapitals, S. 11).
Wer sich dem doch widersetzte, dem wurde der Schierlingsbecher
gereicht. Hier im Garten jedenfalls legten die Versammelten und alle die
noch hinzukamen, die Fundamente für ein 2500 Jahre dauerndes
Experiment, dessen Echo bis heute Wiederaufführung feiern möchte. Es
waren die Anfänge der befriedenden Umgreifung: Eine Geometrie im
Ungeheuren, die erste metaphysische Globalisierung.
Was die
Sieben noch nicht ahnten, dass die Entropie auch vor dieser Kugel-Macht
nicht still stehen wird. Oder wenn sie es ahnten, übergingen sie es
geflissentlich. Außerdem werden ihre Nachfolger dazu einen Beitrag
leisten: Sie werden die folgenden Gesellschaften mit den explodierenden
philosophischen Theoriespielen endogen spalten. Es entfacht sich ein
Krieg der Schulen, oder die Schulen fundierten die initiierten Kriege.
Der
Band II der Sphären führt somit "das kleine reiche Wesen" aus dem
"Basislager der ersten idealen Sphäre" mit schwärmend-verheißender und
ängstlich-bewahrender Grundausstattung, zu rauschenden Höhen und in
eisige Höllen: in Gruppen, Horden, Siedlungen, Städte, Reiche, Welt.
Alles grundiert vom Konzept luxurierender Selbstbergung und
Selbstumgebung gegenüber einer unmöglich gewordenen Außenwelt. In
Archen, Stadtmauern, Kuppeln, Weltgrenzen, Immunsysteme. Dafür werden
sie sich zusammen-zwingen, immer größer, immer kriegerischer. Daraus
entwickeln sich die Routinen der Friedensschlüsse. Keiner kann ewig "im
Krieg wohnen".
Welt wird auch sonst zur Hölle
Wo
es "Erhabene-Sphären" gibt, dort gibt es auch "Anti-Sphären". Entzieht
man diesem unsäglichen Raum den katholischen Wächtern, dann kann die
Welt und auch meine eigene Innere zur Höllen-Sphäre werden. Wenn mich
alles überfällt, alles um mich herum "einstürzt", dann wird das ehemals
bergende zur Höllenfahrt. Dann fällt um das "kleine Wesen" herum alles
ins "Nichts". Schon früh lehrt das Leben die Menschen, dass sie sterben
– in einem thanatologischen Raum existieren. Das macht sie
"erwachsener", aber nicht weniger ekstatisch, besonders aber
kultureller. Es sterben ja immer nur die Anderen.
Aber "damit
die ganze Welt menschenleer erscheine, genügt es, dass ein einziger
Mensch dir fehlt". Zügig wird der vom Tod entleerte Raum mit
"Ergänzungs-Kultur" zugestellt. Die Gemeinschaft soll und darf nicht in
Depression fallen. Aus jeder Niederlage geht man in Größeres auf oder
gestärkt hervor und baut größer. Nur das Größere schützt, nicht der
Rückbau! So zumindest erscheint die Welt im Zeitraffer betrachtet mehr
in größeres zu flüchten. Sich begnügen scheint dem Wesen beängstigender
als zu expandieren.
Menschliche Beseelungsverhältnisse kommen
eben nicht einseitig als das Schönste, Größte, Umfassendste unschuldig
daher. Die Geschichte aus der es zu lernen gälte, das sind doppeldeutige
Errungenschaften: Weinrauschende Feste und blutrünstige Gelage; Blumen
bindende Delirien und Kreuze errichtende Rauscharmeen, verwöhnt
getragene Seelen und Waffen schmiedende Kommunen. Vor dem Wohlfühlen hat
scheinbar jemand den Krieg gesetzt.
Nicht nur unglaubliche
Städte, die früh entstehen, zeugen bald von der Ästhetik dieser
scheinbar nie zu überwindenden Differenz. Wer darf denn überhaupt noch
zu ihnen sagen Du musst Dein Leben ändern
fragt Sloterdijk folgerichtig in einer anderen Veröffentlichung mit
diesem Titel und setzt eine "scheue Vermutung" als tastende Antwort: nur
die Krise? Im Großen ist eben nichts, was nicht auch im Kleinen so
vorgeprägt ist. Doch warum gibt es noch immer eher große Sphären als
kleine?
Erst die Sphäre, dann die Moral
Die
Menschen wohnen als die Geburtlichen in ihren Verwöhnungen, in ihren
Erfolgsgeschichten anwachsender Nervlichkeit und Symbol vermittelter
luxurierender Selbsterregungen, also umgeben von Attraktoren von denen
"assoziierte Befehle" auszugehen scheinen, von denen sie sich
provozieren lassen. Denn "sie kommen in die Arena mit dem frühesten an
Urteilskraft, dem Atmosphärengefühl, ausgestattet. Es ist ursprünglicher
als der oral-intime Sinn, der Geschmack und öffentlicher als dieser
zugleich. Der erste Raum als Atmosphäre ist noch nicht mehr als
Schwingung, aber schon die "Amme des Werdens".
"Von der alt- und neu-europäischen Vernunft-Kultur wurde diese dritte Größe – neben Wörter und Dinge, sträflich beiseite gelassen. Dass es etwas gibt, was weiträumiger, früher, durchdringender als beide, haben sie nicht wahrhaben wollen. Außer – leider – bei Heidegger und Hermann Schmitz in der Neo-Phänomenologie, sind die Versuche bis heute eher Randgebiete. Es ist damit ein Denken in die Welt eingebrochen, das sich selber zum Ernstfall erklärt, von dem aber die meisten, auch die Mächtigen, nur Außenansichten gewinnen. Globalisierung oder Sphäreopoiese im Größten ist das Grundereignis des europäischen Denkens das seit zweieinhalbtausend Jahren nicht aufhört, Umwälzungen in den Denk- und Lebensverhältnissen der Menschen zu provozieren. Ab jetzt gilt: erst die Sphäre, dann die Moral. Menschen müssen sich ab jetzt in einem Umfassenden lokalisieren, nicht mehr Schoß oder vegetative Grotte, ein Herd oder Tanzreigen, sondern in einer logischen und kosmologischen Konstruktionsform von überzeitlicher Geltung." (Sphären. Makrosphärologie: Band II: Globen)
Als Reminiszenz aus dem fragilen Ursprung für das Verlangen nach
"Wachstum in ähnlichen Sphären" stehen bereit: ein untrügliches Gespür
für Atmosphärenstimung, ein "unstillbares" Verlangen nach Verwöhnung und
Wohlsein, immunisierende, hüttenschaffende und -sichernde
Anstrengungen, umhegt von nie schlafenden Wällen, Zäunen, Schutz
meinenden Mauern unter ausgespannten privaten, Gottes- und
Regentenschirmen, Baldachinen, Sternen- und Himmelszelten. Später dann
Rechtssysteme, Versicherungen und Wohlfahrtsstaat.
Die
Aufschreie gegen überflutenden Regentenluxus, Staatsschulden, unfassbare
Kriegsgelüste, Eroberungen und Höchstrüstung bleibt leise, wenn sie als
Sicherung der fragilen Ursprungsgewöhnungen, als Pflicht aller
deklariert werden. Dennoch gilt: Laufen versorgende, umhegende
Bemühungen lange Zeit und an zu vielen vorbei, werden Geburtliche für
anders bergende Gralshüter aufgeschlossener.
Die
Vernachlässigten votieren, innerlich und äußerlich neu-verführbar, für
eine Rollenneubesetzung. Dann werden sie neu-religiös, rufen zu ihren
Waffen und Revolutionen bekommen ihre Zeit. Dann erobern im Sturm die
klingenden Versprechen von Erlösung, Führer, Heimat, Volk, Vaterland
"heim ins Reich" oder Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Solidarität
die Herzen der Fragilen die sich nun noch festere Mauern und Rache an
verletzer uralter Erwartungen versprechen. Koste es was es wolle. Die
Rache ist mein – sprachen neuer Herr und alter Diener.
Wir erinnern an Band 1:
Der Mensch ist ursprünglich zu zweit, also primär auf Beziehung, Sozial
angelegt, Immunisierungsbedürftig. Dennoch sind die kämpfenden Reiche,
die Trennungs-Zeichen unübersehbar. Wie ihn also an seinen Ursprung
binden, ohne ihn fest-zu-binden? Gibt es nichts, was alles in sich
birgt, vereint, zusammenhält? Was könnte das besorgniserregte
Gemein-Wesen einbinden, zusammenführen, halten, sogar
steigernd-übersteigen? Wie streng, wie übersteigert, wie überwältigend
stark, ergänzend, verwöhnend, streng und suggestiv ja wie
erotisierend-erotisch müsste das Welt-Konstrukt werden?
Die das
alles und so vor 2500 Jahren denken wollten, wählten eine intensive
Idylle. Einen Garten vor der Stadt, einen lieblichen Rückzugsort. Kein
Seminarhotel, keine moderierten Groß-Lerngruppen in Stadien. Lieber eine
Akademie aus erlesenen Teilnehmern, vor der Stadt. Fern vom üblichen
"Geschwätz des Marktes". Denn es sollte kein zufälliges intuitives
Kunstprojekt, keine schnelle Skizze werden, sondern eine strenges,
logisches "for ever". Rund aber vermessen. Gestuft mit einem
funktionalen Oben, einer Herz-Mitte, einem beschirmten Unten, aber alles
in einem umfassenden Runden, alle einbindend. Die Platzanweiser
exklusiv-inklusive.
Und sie wurde erotisch für erotisierbare
Seelen: das Schönste, das Größte, das Rundeste, komplett beleuchtet vom
Sonnenlicht-Sein: Gott und Welt und Volk in einem "hellen Parlament". So
sicher, dass keiner aus seinen Rollen und aus dem Rahmen fallen würde,
fallen durfte. Wer wollte da zurückbleiben. Angesichts einer solchen
Immunität, durch Sicherheit im Größten. Sokrates war der Sohn einer
Hebamme und Mitglied im Projektteam der ersten metaphysischen
Globalisierung.
"Die Kugel erweist sich als die dynamische, wahre Ikone des Seienden: denn indem sie den Betrachter informiert und umgreift, beginnt sie als wirkende Idee in ihm zu leben. Sie bringt das menschliche Auge in die exzentrische Position, die eigentlich nur einem abgetrennten Gott eigen sein könnte: folglich vergöttlicht sie den menschlichen Intellekt, der die Regel der Kugelerzeugung erfasst hat." Sphären. Makrosphärologie: Band II: Globen
Was
braucht das kleine, zitternde Wesen im Angesicht des unglaublichen
Raumes: Die Allmacht-Kraft eines Gottes. Wer mich als sein Ebenbild
erschafft, dem kann ich nachfolgen, den kann ich auch bald überwinden =
töten. Was folgt: die Mechanisierung der Mütterlichkeit in der
nach-theologischen Zivilisation. So wurde das Gute, Runde, Schöne
willkommene Blaupause für Religion und weltliche Regenten. Strenge,
Befehl, Gehorsam und Disziplin: ein platonischer Nachhall des
"Einhegens"? Alles "Züchtigen-Zurichten" ein gut gemeintes "Umsorgen",
ein "vom Sein" gedachtes, also auch für mich?
Angesichts dieser
Kugel als der einzigen die gilt, wird das kleine Wesen zum Optimismus
verdammt. Es trainiert sich im exakten Optimismus: Das eine Sein ist der
Reichtum schlechthin. Platon hatte es vorgemacht: Entspannung in der
Apokalypse des Raums. Wer sich umschaut, entdeckt eine Welt voller
Kugelsymbole. Auch heute noch und heute wieder besonders.
Doch
den Einwohnern wird bald deutlich: Es ist "die letzte Kugel". Seit der
terrestrischen Globalisierung durch Kartografen und Seefahrer, später
Klimatologen, Wirtschaftspolitiker, Ökologen zeigt sie sich nicht nur
als das Schönste, Rundeste, Beste, sondern ebenso als halbschön bis
hässlich. Doch immerhin war sie 2500 Jahre gültig. Alles erobernde,
ergreifende, strenge, hierarchische, ein Oben und Unten denken, in
Vorgaben und Folgen, in Befehl und Gehorsam.
Egal, sagte der
historische Mensch, hauptsache immunisiert, versorgt, ergänzt,
eingebunden, aufgehoben in Gottes- und Herrscherhand. Stolz erhebt er
den Blick zu denen, die für ihn mächtig sein müssen, weil sie von Gott
eingesetzt wurden, um mich zu meinen. Dem König entsagen bedeutet dem
göttlich-runden-umfassenden entsagen. Da kann man so manches übersehen,
ertragen, hinnehmen. Vorerst.
Wer verzichtet auch modern
geworden freiwillig auf alle Umhegungs-Sicherungen: Sozialstaat,
Versicherungen, Recht, reichliches Warenangebot. Wir bleiben
multi-verführbar und dadurch multi-benutzbar. Wir warten auf externe
Versprechungen und laufen ihnen nach. Wehe uns übersieht jemand bei den
Vergünstigungen. Und die Kugel? Uns heutigen scheint sie zuzurufen:
spielt weiter mit mir.
Lesen Sie auch Teil I: Wir sind Plazentatiere >>
Anmerkung: Große Teile des Textes sind original aus oder angelehnt an Sphären. Makrosphärologie: Band II: Globen
von Peter Sloterdijk, versehen mit Anmerkungen des Autors. Aus
Platzgründen wurde auf ausführliche Zitationen verzichtet. Sie finden
mehr dazu in Begleittexte zu Peter Sloterdijk „Sphären“ / Die letzte Kugel: Ein Begleittext zu Peter Sloterdijk: „Sphären“ Band 2: Globen von Paul-Heinz Schwan sowie in weiteren Begleittexte zu Band 2 + Band 3 vom Autor.
Ein faszinierender Artikel, auf intuitive Weise geschrieben. Einleuchtend herausgearbeitet finde ich besonders den Zusammenhang von Geborgenheit und Macht. Die Macht kommt im Gewand des vordergründig Anmutigen. Dabei kam mir direkt der Herr der Ringe zu Bewusstsein. Hier bündelt sich die Macht in der Form des "EINEN" des runden Ringes. Was dieser in den Träger anrichtet wissen wir alle.
AntwortenLöschenDanke für Ihre Zustimmung. Sehr schön. Ja, vielleicht ist der Mensch ein Knecht und Herr der Ringe, vielleicht seines Ringes? Vielleicht wirft er Ringe aus und läßt sich von Ringen einfangen? Vielleicht ist er der Protagonist (s)einer „Unendlichen Geschichte“. Gute Geschichten sind lebenspraktische Philosophie.
AntwortenLöschenDas Runde in all seinen rund 7,95 Milliarden Facetten jedenfalls erscheint mir als die heimliche Weltmacht, eine weltumspannende „Pandemie“. Sie entspringt keinem Labor, kommt aus keiner Fabrik. Wir sind ihre Produkte und ihre Erzeuger. Wir sind ihre Tester, Beschädiger oder Vernichter, wie auch ihre Förderer oder Verhinderer.
Sie intoniert und infiziert alles Neue und alles Bestehende. Ebenso alles Innovative wie alles Konservierende. Sie lebt in den schon ewigen, weltumspannenden, religionsübergreifenden Spekulationen über die Frage „Wer oder was ist der Mensch“. Wenn man sich das genauer ansieht, so spürt man in allem eine eigenartige Rundungs-Sucht im Verbund mit einer Rundungs-Blindheit. Diese verschärft sich m.E. durch die unheilvolle Trennung von Labor- und Lebensrundheit - ich könnte auch sagen: von Philosophischer- und Alltagsrundheit, von Politischer – und Lebenspraktischer-Rundheit, von Gruppen und Individueller Rundheit. Gleichzeitig ist sie fast ein Zaubertrank.
Wenn Menschen sterben, stirbt eine Rundheit für die Hinterbliebenen. Wenn Kulturen untergehen, geht eine Rundung unter. Moderne Kulturen sind Rundungs-Designerkulturen, weil die Rundung nicht mehr philosophisch oder religiös, sondern selbstermächtigt entworfen werden will.
Deshalb hatte Josef Beuys recht, als er sagte: Jeder ist ein Künstler. Er hätte ergänzen können „ein Rundungskünstler“. Jeder sitzt an seiner Honigmaschine.
Ganz praktisch kann man es am Ukraine-Krieg sehen: Der Kanzler erhält zwei „Rundungsbitten“: einmal von Gegnern schwerer Waffenlieferung und gleichzeitig von deren Befürworter. Beiden unterstelle ich here Rundungsabsichten.
Aber: je fundamentaler beide argumentieren, umso schwieriger wird die Sache.
Putin führt einen / seinen „Rundungskrieg“. Wenn die Mehrheit ihm zustimmt, dann zeigt das, dass sie das „Putinsche-Rund“ als „ihr Rund“ empfinden. UND: Wer „meine / unsere Rundung“ stört, ist der Feind. Insofern sind Gesellschaften immer schon gespalten: Jeder trägt seinen Ring.
Trotzdem treten immer wieder „Rundungsapostel“ auf und warnen vor der Spaltung. Sie nennen es „Befriedung der Gesellschaft“. Daran erkennt man, dass solche Gemeinschaften eben aus individuellen Rundungskünstlern bestehen.
Das Runde ist fragil aber unerlässlich. Keiner kann auf Dauer im Un-Runden leben.
Wer aber will sich zum Physiker, Mathematiker des Runden aufschwingen? Vielleicht ist ja sogar der Krieg das Runde, wenn es gegen den Rundungsfeind geht? Dann steigern sie sich ins heroische. Das Rund kann zu den Waffen rufen.
Wer weiß schon, was wir alles für eine gute Rundung tun. Der Mensch ist somit unberechenbar, weil er seine eigene Rundung kaum kennt, aber spürt, wenn sie verletzt wird. Wenn Putin die Berichterstattung kontrolliert, dann kennt er offensichtlich das empfindliche von ihm gebaute Runde, in der sensible russische Seelen sich zu Hause wähnen. Er möchte sie vor einer Ernüchterung "bewahren". Er will ja nur "das Runde", „sein Volk“ im Runden halten.