Ein Gastbeitrag von Georg Spoo / agora24
Auf den ersten Blick haben Kapitalismus und Religion kaum etwas gemeinsam. Doch von Ludwig Feuerbach und Karl Marx kann man lernen, wie eng beide miteinander verwandt sind.
Ludwig Feuerbach und Karl Marx über Religion und Kapitalismus (Bild gemeinfrei) |
Ludwig Feuerbach: Der Mensch als Paradoxon und der Ursprung der Religion
Um zu verstehen, warum sich Kapitalismus und Religion so ähnlich sind, muss man zunächst einen näheren Blick auf Feuerbachs Kritik der Religion werfen, die wiederum auf seinem Verständnis des Menschen aufbaut: Der Mensch, so Feuerbach, ist zum einen ein einzelnes und unverwechselbares Individuum mit besonderen Eigenschaften und Merkmalen, das sich von allen anderen Individuen unterscheidet. Er ist zum anderen aber als Mensch immer auch noch mehr als ein einzelnes Individuum, nämlich ein Teil der Menschheit. Mit der Menschheit meint Feuerbach nicht nur die Summe der Individuen, sondern auch die allgemeine Idee des Menschen und des Menschseins. Feuerbach vertritt nun die Auffassung, dass wir uns nicht nur als einzelne Individuen, sondern immer auch unabhängig von unseren individuellen Merkmalen allgemeiner als Menschen überhaupt verstehen. Der Mensch ist in gewisser Weise ein Wesen, das zwischen sich selbst als Individuum und der Menschheit, deren Teil er ist, aufgespalten ist. Der Mensch ist, in Feuerbachs Worten, sowohl
Einzelwesen als auch Gattungswesen. Diese Spaltung macht unser Menschsein wesentlich aus: Wir können uns als Einzelwesen ganz auf unsere Innenperspektive und unser Eigeninteresse zurückziehen und uns von der Menschheit abwenden. Wir können als Gattungswesen aber auch über uns hinauswachsen, von uns absehen und uns als Teil von etwas Größerem verstehen. Als Menschen sind wir aufgespannt zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen dem Verbleiben im Innenraum unserer Einzelexistenz und dessen Überschreiten hin zum Außenraum unserer Gattungsexistenz.