Die Erpressung setzt also Gewalt oder die Drohung mit einem Übel voraus mit dem Ziel, mir einen Vorteil zu verschaffen. Die Gegenseitigkeit als Prinzip jedoch will den Vorteil gerecht auf beide Parteien verteilen und weist darauf hin, dass das nur geht, wenn auch beide bereit sind, denselben oder mindestens einen vergleichbaren Preis dafür zu zahlen. Und hier wird es jetzt mit den Kleinkindern spannend, denn sie können diesen Preis nicht zahlen, sie kennen die Währung ja noch gar nicht.
Das Selbst und das Andere
Die Währung ist das Verständnis von Subjekt und Objekt und – darauf kommt es an – dass dieses Vetständnis aus Perspektive des Objekts genau umgekehrt ist. Dass also mein Gegenüber (das Objekt) in seinem Selbstverständnis das Subjekt ist, während ich (das Subjekt) im Verständis des anderen das Objekt bin. Schwierig genug für viele Erwachsene, unmöglich für Kleinkinder.
In der Philosophie von Hegel über Husserl und Sartre war das Andere jeweils eine für das Selbst konstituierende Voraussetzung. Und das erscheint ja auch fast trivial: Ohne das Andere kein Selbst. Nur es ist eben nicht trivial, weil wir als Menschen nicht mit diesem Verständnis geboren werden, sondern es erlernen müssen.
Ohne das Verständnis, dass mein Gegenüber ein ebenso leidensfähiges Subjekt wie ich ist und ebenso legitime Interessen und Bedürfnisse hat wie ich, gibt es kein Mitleid, keine Solidarität, kein Prinzip der Gegenseitigkeit. Übrigens ist das auch der Grund, warum Minderjährige nicht vom Strafgesetzbuch in Haft genommen werden können: Sie haben kein Verständnis des Konzepts des Anderen und man kann ihnen daher nicht unterstellen, dass sie absichtsvoll einen anderen erpressen. Wer nur bei sich selbst bleibt, wird nie richtig zur Welt kommen.
Ich will jetzt nicht in die Fragen eintauchen, ob uns nicht allen aus Gründen gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse zunehmend dieses Verständins abgeht. Man könnte auf der anderen Seite jetzt auch toll über Spiegelneuronen schwärmen und wie die doch zeigten, dass wir auf Verständnis des Anderen und Empathie schon biologisch angelegt sind. Das muss ich jetzt kurz mit dem Hinweis beiseitewischen, dass es aber doch darauf ankommt, diese biologischen Voraussetzung in gesellschaftliche Funktion zu übersetzen. Und das können Kinder eben nicht. Das müssen sie lernen.
Meinem Sohn geht es ausschließlich um ihn selbst und wenn es ihm doch einmal um mich oder um seine Mutter zu gehen scheint, dann nur als Mittel zum Zweck, denn wir Eltern haben all die Schlüssel zu seiner Zufriedenheit in der Hand: von der Liebe, über den Trost, bis hin zu Süßigkeiten. Wir Eltern sind im Grunde Bonbon-Automaten mit einem komplizierten und noch zu erlernenden Set von Hebeln und Knöpfen.
Wo muss ich drücken und ziehen, damit der Zucker aus dem Automaten kommt? Wer einmal spürt, mit welcher Leichtigkeit ein Vierjähriger seinem Vater vorsätzlich heftige körperliche Schmerzen zufügt, der begreift, dass uns diese Kinder lediglich als Automaten sehen, deren Manipulation es zu verstehen gilt, die aber nicht selbst leidensfähig sind, Schmerz oder Lust empfinden können. Meine Arme und Beine sehen oft aus wie die eines Dompteurs verhaltensgestörter Großkatzen, aber wehe, mein Sohn stößt sich den kleinen Zeh, dann ist Weltuntergang.
Kindliche Liebe und "Urhaß gegen die Welt"
Und selbst wenn das Kind uns endlich zu lieben scheint, so mit einer ganz deutlichen Ambivalenz: Liebe und Hass sind bei Kindern auf einem sehr kurzen Spektrum und oszillieren deshalb unaufhörlich. Peter Sloterdijk konstatiert, dass es kein ambivalenzfreies In-der-Welt-Sein gäbe und zitiert Gustav Hans Graber aus dem Jahr 1924 (!):
"Das Kind liebt nur, weil das Objekt einen geringen Ersatz für das eigentlich Begehrte bildet, aber der Urhaß bleibt jederzeit bestehen, weil das Objekt, das von der kindlichen Seele her gesehen Mitschuld an diesem verhaßten Sein trägt, nie die volle Befriedigung schaffen kann." (Die Ambivalenz des Kindes, S. 28)
Das klingt jetzt alles sehr negativ, als wenn wir mit Hass auf die Welt kämen und anschließend zu einer halbherzigen Liebe gezwungen werden müssten. Dem ist natürlich nicht so, Sloterdijk fragt vielmehr programmatisch, wo bei allem erkennbaren
Selbsterhaltungstrieb die Ablehnung der Welt und des Lebens herkommt, die sich ja auch manchmal deutlich macht. Natürlich ist diese Ablehnung der Welt – so das psychologische Verständnis vom Menschen, dessen Seelenleben eben schon im Mutterleib beginnt – eine Folge der Vertreibung aus dem Paradies, also des Fallens oder sogar Herausgepresstwerdens aus der mütterlichen Blase, in der für alles gesorgt war. Wer je die erste Geburt eines Menschen gesehen hat, begreift auf ganz tiefe Weise, welche Zumutung das sein muss, fast erstickend und dennoch schreiend aus dem Paradies gerissen zu werden:
"Durch einen mächtigen Anstoß nach der Unlust-Seite hin wird das Pendel des Lust-Unlust-Prinzips in Bewegung gesetzt. Die erste aktive Stellungnahme des Kindes zur Welt wäre somit eine globale Verneinung [...], die ihren Schatten auf alles vorauswirft, was der Fall sein wird. Der Welt kann im Grunde nie verziehen werden, daß ihre objekthafte Präsenz sich an die Stelle der prälibidinösen präobjektiven Gelöstheit gesetzt hat." (Sloterdijk, Weltfremdheit, S. 289)
Ich rekapituliere all das nicht zuletzt für mich selbst, um meinem Sohn seine Grausamkeit, seine Rücksichtslosigkeit – ja seinen asozialen Wahnsinn zu verzeihen. Das klingt selbstsüchtig und anmaßend, ist jedoch die Voraussetzung dafür, dass ich ihm helfen kann, ein empathischer Mensch zu werden und zu verstehen, dass es auf die anderen Menschen in seinem Leben genauso ankommt, wie auf ihn selbst. Ich will ihm beibringen, dass Rücksicht auf die anderen, Empathie und Dankbarkeit die Garanten für das eigene Glücklichsein sind.
Wir Menschen kommen nicht gut oder böse zur Welt, wir erlernen gut und böse zu sein. Ich würde mich sogar festlegen und sagen, wir lernen leichter, böse zu sein und würden ohne massive Anstrengungen nie zu guten Menschen werden. Es ist psychologisch einfacher (wenn auch lebensweltlich nicht erfolgversprechender), die anderen abzulehnen, die Welt zu hassen und lediglich seinen eigenen Vorteil zu suchen, als sich in andere einzufühlen und die Welt aus ihrer Perspektive zu sehen zu versuchen.
Die einzige Ironie an der ganzen Sache scheint mir im Moment, dass es noch schwerer ist, meinem Kind zu helfen, sich in dem ganzen Mist zurechtzufinden, als es mir je selbst schien, mich zurecht zu finden. Aber das kommt mir vielleicht nur deswegen so vor, weil meine Eltern wiederum ihre Sache nicht ganz schlecht gemacht zu haben scheinen.
Das passt dazu:
„Sei reich an förderlichen ‚Stimmungen‘ und ‚Handlungen‘ die dem Neuankömmling eine Fortsetzung des ersten intrauterinen Schwebeglücks ermöglichen und in ihm den Verdacht erhärten: Ich bin willkommen“.Sie ahnen es: Peter Sloterdijk.
AntwortenLöschenJa,ja: das Kind erzieht Eltern, wie Eltern die Kinder. Es beginnt ja schon mit dem ersten Augenaufschlag und dem unbedingten Willen: jetz und genau jetzt: Essen! Ich vermute mal, Nietzsche hatte ein Kind im Sinn als er vom Willen zur Macht sprach. Wenn man dann Enkel hat, kommt man in die Entspannung und schreibt über die "süßen Kleinen" Gedichte:
die Zuckerjahre der CL:
ihr die ihr freude ohne unterlass in meine gießt
damit sie zuckersüß verstärkt in eure mündet
so merk ich mir dass fröhlich goldwert
meiner wege zierrat wird
greif neugiertrunken liebe hände
versenk bestrickend blick in blicke
vertraue herrlich unbedacht
unüberschaubar west nicht hier
heut ohne morgen sein
spiel schwebend ich am meer
erinnerungsfrei von strandung schiffbruch
und reisen ohne widerkehr
die welt passt spielend noch
in pinke spielzeugeimer
am strand dort dämmerd mir wie stark vergehen ist
doch wenig wissen läßt gelassen schaun
wenn es so vieles gibt und doch nicht nichts
will ich einmal die wählende hier sein
und kommt das übermorgen ohne zeitverzug
und schnee zeigt an vergängliches regiert die welt
es macht die kraft aus zuckerjahren
entschlossen gegen untergang im mittelmaß
Sehr schön, das ist natürlich eine starke Kraft, die einen dort als Neubeginn edel anfunkelt bis laserscharf durchbohrt. Und irrerweise auch das Gegenteil: Zum ersten Mal im eigenen Leben die Angst vor dem eigenen (!) Tod.
LöschenDie süßen kleinen sind sie mit 5 Jahren natürlich nicht mehr. Aber dafür werden sie langsam philosophisch, bevor sie - angelich - wieder dumm gemacht werden.
Danke auch für die Sloterdijk'sche Erinnerung an das Willkommenheißen. Dazu muss ich mich manchmal aufraffen, weil es nicht immer "natürlich" kommt. Da fällt mir ein, ich bin niemand, der gern mit "natürlich" argumentiert, weil wir ja Wesen zweiter Natur sind. Manchmal merke ich aber doch, wie sich kreatürliche Grenzen Raum verschaffen und dann komme ich mir vor wie der Vatar-Bär, der den kleinen Kinderbären grießgrämig abschüttelt und wegbeißt und so auch Autonomie lehrt. Das widerspricht dem Willkommenheißen auf den ersten Blick.
Auf geheime Weise werden Kinder von uns ja auf „menschlich-natürliche-Art“ „adoptiert“. Im Idealfall zweimal: erst während und dann direkt, kurz nach der Schwangerschaft.
LöschenDann gibt es Eltern, die mit diesen „kleinen Süßen“ kaum etwas anfangen können dafür aber später, wenn sie philosophieren, Fußballspielen, Klettern, Wandern etc..
Die Adoption kann auch „misslingen“. Dann „kommen“ Kinder oder Eltern sich nur mühsam oder gar nicht „entgegen“.
Ein Aspekt von Erwachsen werden ist sicherlich, eine „schwache Adoption“ mit allen Mitteln die mir zur Verfügung stehen, zu „überspielen“. Nicht indem ich mir Dinge gewaltsam abringe, sondern die „Nischen“ suche, in der ich „ganz beim Kind“ sein kann und möchte. An was sollte das Kind sich erinnern dürfen, wenn es nicht mehr bei mir ist. Und eine „glückliche“ Kindheit ist ja nicht unbedingt eine „bis zum Rand gefüllte“.
Auch dem Kind helfen Helikopter-Eltern überhaupt nicht. Die !!Kunst!! liegt ja im Da-zwischen und -sorry- im natürlichen, spontanen, von Herzen. Das geht meistens ohne Anstrengung. Ich beglücke mich und mein Kind.
So erinnern wir uns gerne an die Zeit als ich –ganz Kind-: Indianerzelte und Baumbuden gebaut habe, Bäche gestaut, durch den Wald gepirscht, „jeden Abend“Geschichten vorgelesen habe ( Karlson vom Dach war lange ihr Favoriet –meiner nicht-). Aber Wochentags war ich ja auch nur Abends anwesend. Da gab es dann eine „reiche“ Mutter die ihre Kinder „dreimal adoptiert“ hatte – aber immer mit einer langen Leine begleitete und diese immer länger werden ließ.
Diese drei Sätze haben es mir „angetan“:
AntwortenLöschen1) Meinem Sohn geht es ausschließlich um ihn selbst .......Süßigkeiten.
zu 1) Kinder sind junge Menschen-Kinder, aber! sie bringen „Gefühle“ „Gespür“ für „ehrlich“ gemeintes, so wie sie zunächst auch alles „naiv-ehrlich“ meinen.
Woher wissen Sie, dass es „ihm nur um sich selbst geht“? Entdecken Sie denn keinen „Bedarf“ ihnen hier und da „entgegenzukommen“ über das nur „Mittel zum Zweck“ hinaus bei Ihm? Wie oft nehmen sie ihn in den Arm? Wie oft spielen Sie „seine“ Spiele? Wie oft loben Sie? Wie oft zeigen sie ihm, dass sie etwas ganz toll an ihm finden und sie das „so damals“ wohl noch nicht konnten? ( Ich mach mich "klein" damit der andere sich größer fühlen kann)
Wenn Kinder sagen: Du bist blöd, oder ein Arsch! und wenn sie dann vor Wut mir vors Schienbein treten (bis zum Hintern kommen sie erst später) dann sagen sie das überwiegend aus ihrer „kindlichen Orientierung“ die schnell in „Hilflosigkeit/Ratlosigkeit/Wut“ münden kann, heraus. Kinder zeigen dann offen ihre „Wut“ = d.h. Ärger über etwas. Finden Sie heraus, worüber!
Als meine Kinder 8/9/10 wurden, habe ich ihnen keine „eiapupeia“ Geschichten mehr vorgelesen, sondern z.B. „Die grüne Wolke“ des schottischen Schriftstellers und Pädagogen A. S. Neill vorgelesen.
Kinder müssen sich orientieren. Sie lernen "sozial" d.h. ich achte auf mich um dem Kind ein Vor-bild zu geben.
Dazu nutzen Kinder in den ersten Jahren überwiegend die (Eltern) ältere Menschen-(Kinder) die immer „stärker“ wären, wenn es sein müsste. Aber wenn es –häufig!- sein muss, dann ist es schon zu spät, oder besser: Zeit über sich und sein Kind und die Art wie ich mit dem Kind umgehe und sie mit mir nach zu denken. Dann können Fragen auftauchen wie: Wer bestimmt über die verhandelbaren Kleinigkeiten des Alltags? Wo kann ich Entscheidungen altersgerecht an Kinder „delegieren“, wo muss ich entscheiden? Wie gehe ich mit meinen Kindern um? = "kindgerecht-erwachsen-" und zeige ihnen so: ich achte Dich, oder werte ich sie „ab“ (Du bist ja noch klein) Beachte ich ihre berechtigten Wünsche (Essen, Kleidung, Freizeit, Urlaub, Fernsehkonsum, etc.) ist die verfügbare Zeit insgesamt „gerecht“ verteilt?
Ja: „Kinder fordern uns heraus“
2) Wir Eltern sind im Grunde Bonbon-Automaten ......Knöpfen.
Arme Eltern! Da muss ich ja irgendwann "böse" "ungerecht" werden.
3) Die einzige Ironie .....zurechtzufinden...
Wie gesagt: Kinder lernen überwiegend „sozial“, von Vorbildern. Wenn sich erwachsene Menschen- Kinder nicht mal zurechtfinden, wie dann Kinder? Erwarten wir zu viel, zu schnell?
Haben wir in der "Moderne" zu hohe Erwartungen.
Bevor ich Kinder hatte, habe ich Bücher gelesen. Weil ich die Erziehung meiner Eltern nicht übernehmen wollte, musste eine Alternative her. Dazu habe ich u.a. folgende Bücher gelesen:
Summerhill (AS Neill)
Non-direktive Kommunikation, Lernen in Freiheit ( beide C. Rogers)
In Summerhill galt das Prinzip freie Erziehung und nicht frei von Erziehung.
Neill bezeichnet seine pädagogische Praxis als selbstregulative Erziehung, nie als Antiautoritär.
Mir ging es nicht um eine 1:1 Übertragung. Aber der Gedanke der selbstregulativen Erziehung, der hat mir geholfen, auch die Kinder so oft es geht, sie selber „sein zu lassen“, nicht direkt zu helfen, einzugreifen, oder zu machen. Eher zu fragen: Was? Wie? Und Du? ..dann die Kinder „machen“ lassen – mit Abstand dennoch „beobachten“. Aber so wenig wie möglich „bewerten“. Frei erziehen nicht frei von Erziehung.
Nicht falsch verstehen: ich bin kein Fantast und kenne die Eltern „Mühen“ die ja auch und überwiegend „Freuden“ sind. Aber: es sind „Menschen-Kinder“ u n d sie wachsen ☺)
Was mir dabei noch sehr hilft ist die „Non-direktive“ Methode nach Carl Rogers oder auch von Rogers „Lernen in Freiheit“. Bitte nicht nach Lehrbuch vorgehen, aber die Grundeinstellung „ der Andere ist im Gespräch wichtig“ " für ihn und für mich will ich etwas erreichen" und auch Grenzen „großzügig“ setzen, das kann man sehr gut nutzen.
Ich habe ein bisschen nachgedacht, über Ihren Komentar oben... Mir scheint, Sie haben meinen Text als eine Art Hilferuf missverstanden. Das ist er nicht, im Gegenteil. Ich liebe das alles, was ich da zur Zeit erlebe, ich liebe meinen Sohn, mache natürlich alles das, was sie richtigerweise auch nahelegen. Und genau dort liegt der entscheidene Punkt: Man kann alles "richtig" machen und wird trotzdem auf diese Wut eines Fünfjährigen stoßen, die alle Vernunft in den Wind schlägt, die alle Vernunft lächerlich aussehen lässt und der auch nicht mit Verständnis, Willkommenheißen, selbst auf die Knie gehen etc. zu begegnen ist.
LöschenIm Grunde ist mein Artikel einfach nur eine anthropologische Exemplifizierung. Ich frage: Was braucht es, im humanistischen Sinne, ein Mensch zu sein. Denn Kinder kommen ja nicht als Menschen in diesem Sinne zur Welt, sondern müssen lernen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Es ist überhaupt nicht verwerflich und kann gar nicht abwertend interpretiert werden, dass es ihnen nur um sich selbst geht. Um was denn sonst? Sie haben kein Konzept vom anderen und in ihnen gibt es zuerst vor allem den Überlebenstrieb, den sie als "zu früh geborene" erst nur durch Schreien kenntlich machen können und später als Drei- bis sechsjährige durch den unbändigen Hunger nach Zucker (stellvertretend für viele andere Zutaten zum Überleben).
Meine Hauotthese ist, dass es kein Selbst ohne das Andere gibt und dass es ein durch die Kindheit schmerzhaft angelerntes Verständis darüber geben muss, was es heißt, der, die oder das andere zu sein, um im humanistischen Sinne ein Selbst werden zu können.
Und das können Kinder bis zu einem bestimmten Alter eben gar nicht. Man kann ihnen das nicht vorwerfen, man kann damit aber auch nur sehr schlecht arbeiten. Man muss eben trotzdem das Vorbild sein, von dem Sie sprechen.
Das ist schon alles. Natürlich kann man dabei als Eltern vieles richtig und vieles falsch machen. Ich bemühe mich.
Sicherlich war ich ob Ihres Textes „erstaunt“ und habe (zu Ihren Gunsten) in der Tat etwas „Hilfe-erfragendes“ vermutet. Deshalb danke für die Richtigstellung, dass es sich um einen Grundsatztext handelt.
AntwortenLöschenIch habe Ihren Text als „Herausforderung“ gesehen, weil sich darin für mich zwei Aspekte „verbargen“: Eine verfängliche Frage darüber „Was braucht es, im humanistischen Sinne, ein Mensch zu sein“ und Ihre Sicht auf „das Kind“ der ich meine entgegenhalten wollte.
Wer also ist „der Mensch“? Einer der „den Humanismus“ („evtl. die Menschenrechte“?) täglich mit Füßen tritt? Was soll ich meinem Kind sagen, wenn es fragt: Papa, was ist Humanismus? Oder es antwortet auf eine Defintion: Warum definiert ihr mit Eurer erwachsenen „Vernunft“ alles und haltet Euch kaum, oder sehr, sehr unterschiedlich daran?
„Denn Kinder müssen lernen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein“, schreiben Sie.
Soll ich dem Kind dann sagen: Ja Du, Du bist noch kein Mensch, denn Du schlägst „mit der Wut eines Fünfjährigen alle Vernunft in den Wind“. (Obwohl auch das sicherlich ein Argument sein darf.)
Oder bestärke ich das Kind darin „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen?
Das Kind schlägt also wohl eher meine Vernunft mit seiner Vernunft in den Wind.
Ergo sage ich: Ein Kind ist ein Wesen mit einer „eigenen, altersgemäßen Vernunft“ die „natürlich“ nicht meine sein muss. Dann aber verhandele ich „auf Augenhöhe“ über die „hier und jetzt geltende Vernunft“.
Ob daraus -wie Sie schreiben: „im humanistischen Sinne ein Selbst werden wird“ habe ich nur bedingt in der Hand. Denn es hat schon eine "eigene unvernünftig- vernünftige Vernunft“. Auch kommen die Jahre, da muss/will es sich aus „meiner Vernunft entfernen“. Bis dahin habe ich immerhin versucht, Vernunft -verhandlungs-Kompetenz anzuregen.
Und das heißt nicht zuletzt auch für mich und dem Kind "offen" zu bleiben: Offen für andere Positionen, flexibel in der Situationsbewältigung in modernen Zeiten. Das Markenzeichen der Moderne ist Kontingenz. Diese bedeutet die prinzipielle Offenheit und Ungewissheit menschlicher Lebenserfahrungen. Mit einem „festgelegten“ Humanismus stelle ich mir selber ein Bein. Das bedeutet aber keine Beliebigkeit. Die "Bandbreite" lege ich fest. Und das gilt es so früh wie möglich zu üben: auf der Basis der von Beginn an vorhandenen Vernunft.
Sie schreiben: „Und das können Kinder bis zu einem bestimmten Alter eben gar nicht.“ Das würde ich so sagen: „Jedem Alter wohnt ein Vernunft-Zauber inne“, eben seine spezielle „Vernunft“ die sich aus-faltet, um morgen zu einer entwickelteren zu werden.
Dass die Ausbildung von vernunftbeherrschter Subjektivität auf dem schmerzhaften Verzicht von unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung beruht, das erlebt tatsächlich jedes Kind und haben wir selber erlebt.
Der „erziehungsberechtigte Erwachsene“ durchlebt die Situation im mehrfachen Sinne. Er erlebt die "unvollständige Rationalität" ( Jon Elster, 1979) an seinem Kind, erinnert sich an seinen eigenen Prozess, schaut gleichzeitig in seine Gegenwart und der um ihn herumstehenden tatsächlichen und vermuteten Vernunft-Erwartungen von Nachbarn, Dorf und Welt.
Im Idealfall findet er außerdem Empathie für das Kind und versucht sich als aufgeklärter voll-rationaler Erwachsener um eine „Vermittlerrolle“ zwischen all diesen mahnenden und lockenden Gesängen der mörderischen Sirenen. Spätestens hier kommt das Stichwort "Vertrauen" ins Spiel. Menschen sind nicht nur human und Vertrauen ist ein sensibles Gut. Aber zwischen Eltern und Kinder ein unverzichtbares. Wir sind aufgeklärt aber auch ratlos, hilflos.
Vor und hinter uns liegt ein unübersehbar „Flicken“-Teppich des Rationalen und wer weiß, was unsere Kinder in Zukunft noch erwartet. Müsen sie bald „Un-Human“ werden um „das Humane“ zu retten? Muss es das unbändige der Kinderjahre „bewahren“ für den Fall aller Fälle? Was, wenn es vor lauter Humanismus den Humanismus nicht wirkungsvoll verteidigen kann?
Denn hinter jedem „ismus“ lauert eine „ismus“.
Sehr wichtig, ihr Hinweis auf die Kontingenz, das Volatile und die Unsicherheit rund um solche gesellschaftlichen Konzepte. Ich weiß jedoch nicht, ob man hinter den Humanismus wieder zurück kann... Ich mag es mir nicht vorstellen. Man muss ihn erweitern, Tiere und Dinge (Ressourcen z.B.) mit einschließen (siehe Bruno Latour). Aber hinter diesen Mindeststandard (dass ein jeder Mensch um seiner selbst Willen in seiner Würde unantastbar ist und ihm alle Menschenrechte ohne Weiteres zustehen) wieder zurück fallen, kann/will ich mir nicht vorstellen.
AntwortenLöschen„Jedem Alter wohnt ein Vernunft-Zauber inne“, eben seine spezielle „Vernunft“ die sich aus-faltet, um morgen zu einer entwickelteren zu werden.
Das ist mir sehr sympathisch und dennoch will ich es mit einem einfachen Bild hinterfragen: Stellen Sie sich vier- oder fünfjährige auf einem Spielplatz vor und beobachten sie was passiert: Ohne Rücksicht wird das Recht des Stärkeren ausgelebt. Vergolten wird Auge um Auge. Es wird gespuckt und geschlagen. Gegenstände anderer werden hemmungslos weggenommen, versteckt, zerstört.
Diese einfach Beobachtung illustriert, was ich meine, wenn ich sage, diese Menschen müssen erst lernen, Menschen (im gesellschaftlich vereinbarten sozialen Sinne) zu werden.
Und da meine ich die feststehenden sozialen Regeln, weniger das Ausgestalten innerhalb dieser Regel, das natürlich sehr individuell werden wird und auf das wir als Eltern oder Erziehende nur wenig Einfluss haben. Ein Glück!
Nun habe ich Ihren Artikel nochmals gelesen und merke, wie „reflexhaft“ ich den
AntwortenLöschenText als Kindererziehung gelesen habe und mit dem Stichwort Humanismus ins Gehege gekommen bin. Nun bei Ihrer Spielplatzsituation da fiel es mir „wie Schuppen“ von den Augen: die ist ja ein Pardebeispiel für Konfliktlagen in denen „der Humanismus“ sein „wahres“ Träger-Gesicht zeigen kann: s o w o h l das der Kinder wie auch! der Eltern. Die Facetten die dabei zu Tage kommen, sind für alle Beteiligten lehrreich, dann trifft man auf alle „Fraktionen“ „des Humanismus“.Dann geschieht es leicht, dass Erwachsene "wie nach einem Krieg" davon schleichen und Kinder fröhlich weiterspielen - oder auch andersherum.
Dann strahlt man bei dem Satz „ Der Mensch ist nur dort ganz Mensch wo er spielt“
nicht mehr ganz so hell, sondern ließt Schiller nochmal ein paar Seiten weiter:
„Die energische Schönheit kann den Menschen eben so wenig vor einem gewissen Überrest von Wildheit und Härte bewahren, als ihn die schmelzende vor einem gewissen Grade der Weichlichkeit und Entnervung schützt. Denn da die Wirkung der erstern ist, das Gemüth sowohl im physischen als moralischen anzuspannen und seine Schnellkraft zu vermehren, so geschieht es nur gar zu leicht, daß der Widerstand des Temperaments und Charakters die Empfänglichkeit für Eindrücke mindert, daß auch die zartere Humanität eine Unterdrückung erfährt, die nur die rohe Natur treffen sollte, und daß die rohe Natur an einem Kraftgewinn Theil nimmt, der nur der freyen Person gelten sollte; daher findet man in den Zeitaltern der Kraft und der Fülle das wahrhaft Große der Vorstellung mit dem Gigantesken und Abentheuerlichen und das Erhabene der Gesinnung mit den schauderhaftesten Ausbrüchen der Leidenschaft gepaart; daher wird man in den Zeitaltern der Regel und der Form die Natur eben so oft unterdrückt als beherrscht, eben so oft beleidigt als übertroffen finden. Und weil die Wirkung der schmelzenden Schönheit ist, das Gemüth im moralischen wie im physischen aufzulösen, so begegnet es eben so leicht, daß mit der Gewalt der Begierden auch Energie der Gefühle erstickt wird, und daß auch der Charakter einen Kraftverlust theilt, der nur die Leidenschaft treffen sollte: daher wird man in den sogenannten verfeinerten Weltaltern Weichheit nicht selten in Weichlichkeit, Fläche in Flachheit, Korrektheit in Leerheit, Liberalität in Willkührlichkeit, Leichtigkeit in Frivolität, Ruhe in Apathie ausarten, und die verächtlichste Karrikatur zunächst an die herrlichste Menschlichkeit grenzen sehen.“
Nur in glücklichen Ausnahmefällen endet ein solcher Tag auf dem Spielplatz mit einem gemeinsamen Grillabend. Wenn, ist Mensch vielleicht dann erst ganz Mensch: für ein paar Stunden.
Dazu auch noch etwas aus der Welt der Geburtlichen aus Band 2 Sphären:
AntwortenLöschenin zahllosen einzelnen hinterlässt
die entbindung einen unruhigen fundus
- entweder mehr in richtung:
pränataler engeangst – klaustrophobisch-
unerträgliche enge im synergetischen feuer
- oder mehr hin zu:
postnatalen weiteangst – agoraphobisch-
unerträgliche weite im nachgeburtlichen eis
szenische engramme die sich zeitlebens
in grundstimmungen und handlungsbereitschaft
übersetzen
die irgendwie entbundenen wissen ohne
reflexion und begründung
was niemehr geschehen darf
auch auf dem feld philosophischer diskurse strahlen sie aus:
- freiheits- und revolutionsbegründungen oder
- holistische bindungs- und heimholungsdoktrinen
nichts ist im großen außen was nicht präfiguriert ist im kleinen inneren
und so lautet der zweite kategorische imperativ:
die maxime aller handlungen muss es sein,
die handelnden vor erneuten
höllischen präsenzen zu bewahren,
ein zustand der nie wieder gegenwart haben darf
doch
beim ausagieren von folterungen übernimmt
das nie-mehr die regie:
teuflisches agieren bedeutet jetzt: ich habe eine intuition
für das unerträgliche des anderen
in perversen kommunikationen kann ein drang
zum jetzt-erst-recht freigesetzt werden
nie mehr!
fordert das menschliche imperativ
dann gerade! antwortet das
positive interesse an hölle