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21. April 2019

Gedanken über Gefühle

Gegen eine Politik der Emotionen

Gefühle tauchen immer auf, wenn 
Manipulation ins Spiel kommt. Sie
sind der Werkstoff der Täuschung 
und die Grundlage der Diktaturen.
Wolf Lotter, brand eins, April 2019

Über Gefühle, die öffentlich zur Schau gestellt werden, müsse man kritisch urteilen, sagt Wolf Lotter in der aktuellen brand eins und spricht mir aus dem Herzen (wenn diese Gefühlsmetapher erlaubt ist). Es wird Zeit, dass wir in unserer Erregungsgesellschaft einmal tief durchatmen und dieses ganze Gerede von Authentizität, Empathie und EQ hinterfragen. Und dabei ist gar nicht gemeint, Gefühle abzulehnen, sondern sich über die Gefühle Gedanken zu machen.


Die Konjunktur der Gefühle im öffentlichen Raum und in der Politik ist vielleicht eine Reaktion auf die lange betonte Nüchternheit unserer auf Wissenschaft und Wirtschaft beruhenden technologischen Gesellschaften bzw. auf die Entfremdungserfahrungen und den erlebten Sinnverlust, die sie mit sich bringen. Es war sicherlich auch eine lange schon notwendige Korrektur, dem IQ einen EQ zur Seite zu stellen. Damit war aber nie gemeint, dass man deswegen auf Intelligenz zugunsten der Emotion verzichten solle. Oder ist es nun so, dass angesichts der uns versprochenen oder angedrohten Künstlichen Intelligenz Zeitgenossen meinen, sich auf die reine Emotion zurückziehen zu müssen, weil uns die Maschinen dahin noch nicht zu folgen vermögen?

Schnelles und langsames Denken

Natürlich ist es für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wichtig, die Gefühlswelten ihrer Subjekte nicht zu negieren, ohne deshalb das Handeln auf den reinen Impuls, das Bauchgefühl oder die Intuition abzustellen. Zumal Gefühle und Gedanken keine Gegensätze sind, sondern vielleicht so etwas wie bewegliche Verortungen auf einem kognitiven Spektrum. Gefühle gehen in Gedanken über und Gedanken sind immer auch von Gefühlen begleitet.

Daniel Kahneman hat das mit seiner Unterscheidung von schnellem (intuitivem) und langsamen (logisch kohärentem) Denken beschrieben. Für mich ist Kahnemans Schlussfolgerung, dass intuitives Denken nur dort systematisch erfolgreich ist, wo jemand sehr viel Erfahrung mit immer wiederkehrenden Situationen hat, der springende Punkt. Intuitives Handeln ist nicht per se schlecht, sondern benötigt einfach gute Voraussetzungen, die nicht leicht zu haben sind.

Wenn wir vor weitreichenden und selten zu treffenden Entscheidungen stehen, dann sollte man sich die Mühe machen und rational denken. Einen Kriegseinsatz befehligt man nicht aus dem Bauch heraus. Auch weitreichende wirtschaftliche und politische Entscheidungen wie das Errichten von Zollschranken oder das Aufkündigen von internationalen Vereinbarungen, trifft man lieber nach gründlichem Nachdenken und dem Konsultieren von Experten (wenn überhaupt).

Gefühle und damit Intuition sind evolutionär die älteren und deswegen keinesfalls die besseren Impulsgeber in einer ausdifferenzierten modernen Welt des Miteinanders. Gefühle bieten einfach eine schnelle Orientierung:

  • Freude – verweilen
  • Furcht – wegrennen
  • Wut – angreifen

Jeder kann verstehen, dass solche Kurzschlusshandlungen wie wegrennen oder angreifen in einer natürlichen Umwelt dem Überleben dienen. In einer kulturell überformten Umwelt helfen sie im täglichen Miteinander über den Kindergarten hinaus nicht lange weiter.

Meine Meinung!

Und dennoch sehen wir einen Trend zurück zu diesen basalen oder primitiven Erregungszuständen im gesellschaftlichen Miteinander, ja sogar bei demokratisch gewählten Präsidenten und Regierungen. Zunehmend ersparen wir uns das komplizierte Denken und ziehen uns auf unsere Affekte zurück.

"Das Gefühl zeigt eine Veränderung an, eine Abweichung von der Norm, und hilft dabei, diese Veränderung zu bewältigen. Vielleicht ist das der Schlüssel dafür, warum in unsicheren, orientierungslosen Zeiten das Gefühl nach vorn drängt, so wie das heute fraglos der Fall ist." (Gefühlsecht, brand eins, April 2019, S.37)

Da drängt sich natürlich sofort die Frage auf, wann es eigentlich in unserer Geschichte einmal Zeiten der Sicherheit und Orientierung gab? Aber gut, vielleicht sind gerade wieder Umbrüche am Werk, die größer als normal sind, weshalb auch die Erregungen und Wutausbrüche stärker ausfallen. Der typische Wutbürger fügt seinem Tantrum gern so etwas wie "... meine Meinung!" hinzu und verbittet sich damit, dass irgend jemand sein Bauchgefühl – also die Gründe für seine Wut – hinterfrage oder gar nach Argumenten verlange. Meine Meinung – Schluss, aus, Punkt. Dieses Bestehen auf Nichtreflektion machen sich Populisten und Extremisten zunutze, denn ihre Positionen, die häufig einer Wir-gegen-die-Logik folgen, lassen sich schlecht verargumentieren, sondern brauchen vor allem Angst, Wut und Hass. Je weniger die Leute nachdenken, desto eher lassen sie sich von diesen Grundimpulsen steuern. Oder, wie der Psychologe Niels Birbaumer noch pointierter sagt:

"Die rechten Populisten nutzen schon immer den Trick, dass sie Möglichkeiten anbieten, um die Anstrengung des Durchdenkens zu umgehen. Einfache Alternativen. Damit ziehen sie vor allem Idioten an. Denn je dümmer einer ist, desto mehr kostet das Durchdenken." (An den Rändern der Angst, a.a.O., S. 45)

Das Denken ist in der Tat viel energieaufwendiger, als auf den Bauch zu hören, siehe Kahneman. Und wie alle Lebewesen tun wir instinktiv gut daran, hohe Energieaufwände zu vermeiden, wenn wir können. Die Entlastung, die das Denken aus anthropologischer Sicht vor allem für Gruppen ist, ist gleichzeitig auch eine Belastung für den Einzelnen. Geben wir nun als ganze Gruppe weiter nach und entlasten uns vom Denken, so wird das zu einer riesen Belastung der Menschheit werden, die sich in mehr Konfrontation (wir gegen die) und damit Gewalt und Krieg äußern wird. Wirtschaftliche oder territoriale Partikularinteressen (Öl fördern und Grenzen schließen) gewinnen mithilfe des nationalistischen Populismus gegenüber Menschheitsinteressen wie dem Klimaschutz oder den Menschenrechten an Gewicht. Am Ende ist es lediglich das einfach zu vermittelnde kurzfristige Eigeninteresse, das sich gut über Gefühle steuern lässt, das gegenüber den langfristig wichtigen aber leider auf wisschenschaftlichen Einsichten und logischen Argumenten beruhende Gemeininteressen gewinnt. Kann man sich an dem Punkt eigentlich noch auf Diskussionen derart einlassen, ob es nun wirklich einen Klimawandel gäbe?

Zeit und Sorgfalt im Umgang mit Gefühlen

Das ist das Dilemma: Die Vernünftigen verpflichten sich dem auf Fakten und Argumenten beruhenden Dialog und kommen nicht an gegen die, die sich einfach auf ihr Bauchgefühl oder ihre Meinung berufen und den argumentativen Dialog verweigern. Wolf Lotter mutmaßt, dass das auch daran liege, dass sich unsere Gesellschaften mit fortschreitendem Wohlstand weiter individualisieren und damit zunehmend private Gefühle und Meinungen ins Feld geführt werden. Der gesellschaftliche Konsens, der zwangsläufig auf einer gemeinschaftlichen Vernunft gründet, wird durch individuelle Gefühle geschwächt.

Aber: In vielen Fällen sind diese Gefühle auch legitim, ohne dass sie sich deshalb dazu eignen, wegweisende Prämissen zu weitreichenden politischen Entscheidungen zu sein. Natürlich ist es legitim, Angst vor Fremden zu haben, aber diese Angst ist keine Basis für Politik oder irgendwelche intersubjektiven Handlungen. Und so genau könnte das Ernstnehmen von Gefühlen in der Gesellschaft aussehen – Ängste und andere Gefühle eingestehen und zugestehen und dann durchdeklinieren, welche Folgen verschiedene mögliche Entscheidungen im Umgang mit diesen Ängsten hätten.

"Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, dass die anderen falsch liegen, weil sie wütend sind. Man muss auch die Frage stellen, wie es dazu kam. Kompromisse schließen. Verhandeln. Deals machen, damit die Gefühle nicht Oberwasser kriegen." (a.a.O. S. 39)

In der Regel aber werden politische Entscheidungen in zu großer Eile getroffen. Als Beispiel hier etwa die Entscheidung zum beschleunigten Atomausstieg nach Fukushima 2011 oder ihre Entscheidung zur Aufnahme großer Gruppen von Flüchtlingen in 2015. Beides ziemlich geistesgegenwärtige und aus dem Bauch heraus getroffene Entscheidungen von Angela Merkel. Ich persönlich meine, dass beide recht intuitive Entscheidungen dieser sehr erfahrenen Politikerin richtig waren, aber sie wurden mit einer Schnelligkeit getroffen, die zum Verstehen von Sorgen, zum Schließen von Kompromissen und zum Verhandeln keine Zeit ließ. Merkel traf ihre Entscheidungen schnell aus dem Bauch heraus und so konnten sie gar nicht vermittelt und erklärt werden.

Ich denke, dass das klare und verständliche Herleiten von Entscheidungen das beste Mittel ist, um unter Abwägung verschiedenster Interessen und Emotionen eine breite Akzeptanz herszustellen. Das erfordert Zeit und Sorgfalt und könnte uns mit einer weniger emotional aufgeladenen und daher auch weniger manipulierbaren gesellschaftlichen Öffentlichkeit belohnen. Eine lebenswerte Zukunft für uns alle würde damit wieder wahrscheinlicher werden. Meine Meinung!



Wolf Lotters vollständiger Text Gefühlsecht kann hier nachgelesen werden.

Das passt dazu:

2 Kommentare:

  1. Ca. zweimal die Woche trendet auf Twitter "gefühl" - ganz ohne Hashtag. Ich beobachte das etwa seit Dezember 2018 und finde es erschreckend. Man denkt nicht mehr, man behauptet nichts und stellt nichts in Frage, sondern man hat das Gefühl, dass.....

    Gegen Gefühle lässt sich nicht argumentieren. Auch sind die Dinge ja meist sehr komplex, da wäre es einfach zu anstrengend, sich ins Jeweilige einzulesen und eine Analyse, eine These, eine Kritik oder auch nur einen argumentierenden Kommentar zu verfassen.

    Irgendwann, so fürchte ich, werden jene die Macht übernehmen, die am gefühligsten auf all die vielen Gefühle antworten, die Angst und Hass verstärken und es verstehen, die Hoffnung zu erwecken, mit ihnen werde alles anders.

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    1. Hoffentlich hast du Unrecht und es kommt nicht so!

      Auf jeden Fall können wir nicht hoffen, dass "die Menschen" wieder zur Vernunft kommen, sondern müssen uns überlegen, wie wir politisch, journalistisch und sonst auch im Privaten und Öffentlichen mit dieser Duselei "vernünftig" umgehen können.

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