29. Dezember 2018

Demokratie, Wirtschaft, Ökosystem: Wo geht es lang?

Philosophische Gespräche zum gesellschaftlichen Wandel

"Orientierung heißt zunächst: Klärung des Terrains.
Wir müssen nach moralischen und ethischen Anknüpfungspunkten
suchen und dann Situationen herstellen, von denen alle Beteiligten profitieren.
Das Problem ist unsere Phantasielosigkeit und dass zu wenig in größeren
Zusammenhängen gedacht wird." (Gesine Schwan, S. 58)

Zum Ende des Jahres 2018 scheinen wir desorientiert zu sein und es stellt sich in verschiedenster und immer drängenster Hinsicht die Frage, wie es weitergehen soll. Wo geht es hin mit dieser Demokratie, mit unserem Wirtschafts- oder gar mit dem gesamten Ökosystem. Das philosophische Wirtschaftsmagazin agora42 hat ganz passend eine Sonderausgabe zum Januar 2019 herausgegeben: Gesellschaftlicher Wandel? Sprechen wir darüber! In dieser Ausgabe sind Interviews mit 19 gesellschaftlichen Akteuren unserer Zeit gesammelt, in denen es um den gesellschaftlich-wirtschaftlichen Wandel geht, in dem wir uns befinden. Das ist immer heikel, denn wer versteht schon genau die Zeit, in die er selbst eingebettet ist? Aber Interviews bieten durch das Hinterfragen und den Dialogcharakter immer eine ganz besondere philosophische Handhabe von Gedanken. Solche Dialoge taugen besonders zur Orientierung, zur Anregung unserer Phantasie und zum Denken in größeren Zusammenhänge. Es ist also aus meiner Perspektive für ein philosophisches Magazin eine ganz besonders brilliante Idee, einmal nur Interviews zu veröffentlichen.

Ich habe hier neun Zitate, die besonders zu mir sprechen, herausgegriffen und kurz in meinem eigenen Bedeutungshorizont beleuchtet. Vielleicht spricht da auch das eine oder andere Zitat zu euch?

1. Dezember 2018

Die Enge der Zeit ist die Wurzel des Bösen

Hans Blumenberg und die Moral der Sterblichen

Der 1920 geborene und 1996 gestorbene, stets im Verborgenen denkende Philosoph Hans Blumenberg ist bekannt für seine intellektuellen Untersuchungen darüber, was es heißt, ein Mensch zwischen Mythen, Metaphern und existenzieller Obdachlosigkeit zu sein. Allein die Titel seiner vielen Werke lassen uns die zahllosen Möglichkeiten ahnen, das Leben zu verstehen: "Die Lesbarkeit der Welt", "Schiffbruch mit Zuschauer", "Höhlenausgänge", "Die Vollzähligkeit der Sterne" oder "Zu den Sachen und zurück". Das sind lyrisch-philosophische Titel, die ein ganzes Metaphernkonzert des Welterklärens in einem anklingen und uns so verstehen lassen, dass unsere Vorstellung von Wirklichkeit nie ganz logisch-begrifflich erschlossen werden kann, sondern dass wir auf Bilder angewiesen sind, um uns zu orientieren. Das ist beides: radikal klug und wunderschön.


Das poetische Weitwinkelobjektiv des Blumenberg'schen Geistes

In seiner Schrift Lebenszeit und Weltzeit geht Blumenberg unter anderem der Frage nach, was uns Menschen zur Bosheit und zu unmoralischem Handeln treibt. Den Rahmen bildet ein "Absolutismus der Wirklichkeit", dem wir nicht entkommen können: Die Sterblichkeit, die Endlichkeit des einzelnen Menschen vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Welt weiterexistiert, auch wenn wir als Individuum verschwinden werden. Generell hält Blumenberg im Anschluss an Arnold Gehlens Anthropologie für den Einzelnen und die Gattung "Mensch" die überlieferten Mythen für einen entlastenden Aspekt angesichts der menschlichen Mangelhaftigkeit. Die Kränkung jedoch, dass man selber sterben müsse, während das "Umeinenherum" einfach weiter existiere, ist auch mit Mythen nicht für jeden zu heilen:

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