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17. März 2018

Was ist Spiritualität wirklich?

Erfahrungsbasierte Formen von Erkenntnis und Ethik

"Ich behaupte, dass die einzige Spiritualität
die Unbestechlichkeit des Selbst ist."
Jiddu Krishnamurti

Wenn jemand zu uns sagt, er oder sie lebe spirituell, dann stellt sich die Frage, was meint diese Person damit? Nicht selten geht es um eine alternative "Weltanschauung" von Menschen, die eine als kalt erlebte wissenschaftliche Welt ohne einen übergeordneten, absoluten Sinn ablehnen, ohne gleichzeitig an einen spezifischen Gott glauben zu wollen.


Spiritualität und Ekstase sind nicht dasselbe (Quelle: Paul M. Walsh, CC BY 2.0)

Was ist Spiritualität nicht?

Da hört man dann Dinge wie "alles ist Geist" oder "die Wahrheit liegt in mir", da ist schnell von Seelenpartnern die Rede, von Karma, Schicksal, Reinkarnation oder gar solchen esoterischen Konzepten wie Astralkörper. Aber das kann es doch eigentlich nicht sein. Solche Ideen zeugen eher von einer Abwesenheit eines geistigen Anspruchs an sich selbst. Eine wirkliche Spiritualität möchte genau das andere: ethische und intellektuelle Integrität als eine "innere Form von Tugend oder Selbstvervollkommnung" (Thomas Metzinger, Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit, PDF-Link).

Spiritualität trägt als "Geistlichkeit" immer auch den Gegensatz zur "Fleischlichkeit" insich, das Weggehen vom Materiellen, die Askese, das Fokussieren auf das, was vermeintlich wirklich zähle und das man nicht in der Welt finden könne. Aber auch das kann keine gute spirituelle Praxis oder Theorie sein, denn sie bringt zwei vermeintliche Gegensätze in Stellung, wo es der intellektuellen Integrität doch eher auf eine Gesamtsicht der Phänomene ankommt, um die Welt wirklich zu verstehen und damit richtig also tugendhaft zu handeln.

Dieser konstruierte Gegensatz baut unter anderem auf dem historischen philosophischen Spiritualismus auf, mit dem "man im Gegensatz zum Materialismus die Lehre von der Wirklichkeit des Geistes oder geistiger Wesen" bezeichnet hat (Walter Brugger, Philosophisches Wörterbuch, S. 373). Aus diesem Spiritualismus und seiner Konvergenz mit den monotheistischen Religionen haben sich allerhand, heute als absurd zu bezeichnende, Weltinterpretationen ergeben, wie beispielsweise der monistische Spiritualismus, nachdem alle Wirklichkeit Geist sei oder der Dualismus Descartes' nachdem Geist und Materie ohne jegliche Vermittlung nebeneinander existierten.

Spiritualität ist also gerade nicht die Überzeugung entgegen des heute verfügbaren Wissens, dass es Geister und Auferstehung gäbe, denn das ist vor allem ein bloßer Glaubensstandpunkt, den man "als die Verweigerung jeder ethischen Einstellung zum inneren Handeln überhaupt beschreiben kann. Es ist ein Mangel an innerem Anstand." (Thomas Metzinger, a.a.O) Spiritualität ist ganz besonders an der eigenen Tugend interessiert, also daran, wie man "richtig" denken kann, anstatt sich von Illusionen und Intuitionen überrollen zu lassen. Dabei steht durchaus so etwas wie Erkenntnis im Mittelpunkt der Bestrebungen, nur eben keine begriffliche Erkenntnis, sondern eher eine erlösende, befreiende Erkenntnis darüber wie ein richtiges, ein gutes Leben auszusehen habe. Und ich selbst halte es für gut möglich, dass ein gutes Leben nicht so viel mit dem Materiellen zu tun hat, wie unsere Gesellschaften uns das aufzudrängen scheinen. Daraus lässt sich allerdings nicht rechtfertigen, alles Körperliche, Materielle abzulehnen oder ihnen gar die Existenz abzusprechen.

"Spirituelle Personen wollen nicht glauben, sondern wissen. Es geht um eine erfahrungsbasierte Form von Erkenntnis, die mit innerer Aufmerksamkeit, Körpererfahrung und der systematischen Kultivierung bestimmter veränderter Bewusstseinszustände zu tun hat [...] Es geht bei der spirituellen Einstellung zur Welt in einem sehr besonderen Sinn gleichzeitig um Erkenntnis und um Ethik. Die spirituelle Einstellung ist eine Ethik des inneren Handelns um der Selbsterkenntnis willen." (A.a.O.)

Alles was heute im Namen einer vermeintlichen Spiritualität auf Magisches verweist, auf Astralkörper, Geister, Engel oder körperlose Seelen ist eher Esoterik, die es als Lektüre oder Seminare auf unsere Geldbeutel abgesehen hat und hat mit Spiritualität nichts zu tun (siehe auch Esoterik zwischen Philosophie und Nonsens). Die kapitalistische Grundierung solcher vermeintlich spirituellen Angebote ist dabei nur ein oberflächliches Problem. Das aus meiner Perspektive größte Problem ist der Versuch, uns als denkende Wesen zu korrumpieren, uns für dumm zu verkaufen und Leute daran zu gewöhnen, einfach an irgend etwas zu glauben, weil es "alternativ" klingt oder aufregend oder eben eine Flucht aus der Realität bietet.

Die spirituelle Alternativkultur ist nichts Fortschrittliches, sondern stärkt den Kapitalismus und treibt eine schon allgemein zu nennende Verblödung voran. Das hat diese pervertierte Form von Spiritualität gemein mit Esoterik, Verschwörungstheorien und ausgrenzenden identitären Politik- und Kulturkonzepten. Nicht umsonst finden wir ja große Schnittmengen zwischen den jeweiligen Anhängern dieser Strömungen.

Moderne Spiritualität richtig verstanden

"Gibt es eine Form von Spiritualität, die nicht selbstgefällig, klebrig oder kitschig ist, bei der man keinen intellektuellen Selbstmord begeht und deshalb auch nicht auf mehr oder weniger subtile Form seine Würde als kritisches rationales Subjekt verliert?" (Thomas Metzinger, a.a.O)

Das, was viele heute z.B. in der Achtsamkeitsmeditation oder in der Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR) praktizieren, kommt dem Ideal einer nicht-naiven Spiritualität sehr nahe. Dabei geht es offenbar vorrangig darum, das eigene Leben durch eine geistig-körperliche Praxis zum Besseren hin zu verändern, ohne gleichzeitig problematische Weltanschauungen wie den Glauben an einen Gott vertreten zu müssen. Heutige spirituelle Praxis hebt gerade nicht auf das "nur Geistige" ab, sondern besteht darauf, dass man Körper und Geist zusammen denken und zusammen pflegen muss. Was dabei in den Hintergrund treten kann, ist die Theorie, also z.B. wie genau Körper und Geist zusammen funktionieren. Es reicht zu akzeptieren, dass das eine nicht ohne das andere funktioniert.

Viel wichtiger als irgend eine Richtigkeit theoretischer Annahmen ist den spirituell Lebenden das Ergebnis ihrer spirituellen Praxis. Dieser Praxis geht es letztlich darum, "die andauernde Suche nach emotionaler Sicherheit und Gewissheit zu beenden, indem man auf einer tieferen Ebene die innere Struktur versteht, die ihr zu Grunde liegt." (a.a.O.) Und das ist angesichts der alltäglichen Zumutungen eine Informations- und Stressgesellschaft, die unsere emotionale Sicherheit und Gewissheit stetig unterminieren, absolut legitim.

Sinnhaftigkeit im individuellen Leben ist letztlich nicht angewiesen auf Geister, Engel, Heilige, Götter, Wiedergeburt oder Seelenverwandtschaft. Viel bedeutendere Faktoren für das Erleben von Sinnhaftigkeit sind gegenseitige Achtsamkeit und Akzeptanz, Frustrationstoleranz, Selbstkenntnis, Vergebung, Dankbarkeit – alles Eigenschaften, die man selbst ausbilden, verbessern und festigen kann, eben auch durch Meditationstechniken wie Achtsamkeitsübungen, denen gar nichts mystisches zugrunde liegen muss. Sinnhaftigkeit erschaffen und erleben wir in Beziehungen zu anderen Lebewesen, insbesondere Menschen. Die oben genannten Eigenschaften sind es, die uns solche Beziehungen ermöglichen und auf Dauer erhalten. Religionen und andere magische Vorstellungen haben zwar auch sehr brauchbare Komponenten für Sinnerlebnisse, allerdings haben sie einen sehr hohen Preis: Sie verkaufen uns für dumm, sie sind Mittel, uns zu beherrschen und sie hetzen ihre Anhänger nicht selten gegeneinander auf.

"Eine aufgeklärte säkularisierte Form von Spiritualität müsste sich [...] genau dadurch auszeichnen, dass sie von den [...] Entwicklungen in der modernen Philosophie und Wissenschaft nicht wirklich bedroht wird, sondern im Gegenteil sogar das Potential zu ihrer Integration besitzt." (A.a.O)

Wenn wir also von spirituellen Techniken hören, sollten wir immer erst einmal skeptisch hinschauen: Worum geht es? Geht es darum, dass ein Guru oder eine Sekte ihre Anhänger mit Hokospokus vermehren will, geht es um Herrschaftsinstrumente oder ums Geldverdienen oder geht es um wirkliche Spiritualität, also um ethische und intellektuelle Integrität (anstatt Glauben ohne belastbare Fakten) und um das eigene geistige Wachstum, um innere Tugend und Anstand im Denken und Handeln? Daran muss sich Spiritualität heute messen lassen.



Das passt dazu:

29 Kommentare:

  1. Man darf auch nicht vergessen: Auch eine "aufgeklärte Spiritualität" ist nicht immer und jederzeit kompatibel mit einem stressigen Berufsalltag. Vor allem nicht in der "Lernzeit". Es hatte ja Gründe, dass viele Praktiken der spirituellen Entwicklung in vom weltlichen Leben abgeschirmten mönchischen Kontexten geübt wurden! (Stichwort "Frustrationstoleranz").

    Ergänzend zum Thema 2 Blogposts:

    Spiritueller Materialismus - "Mein Haus, mein Garten, meine Wachheit, mein innerer Friede"

    Und ganz neu:

    Über Gott oder: Wie glauben Gläubige?

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    1. Hallo Claudia, danke für den Link, "spiritueller Materialismus" ist eine ganz vortrefflic he Bezeichnung des Widerspruchs, den viele gehen. Das schon vor über 10 Jahren so beobachtet zu haben... Hut ab!

      Bei Antje Schrupp muss ich mal reinlesen.

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    2. "Bei Antje Schrupp muss ich mal reinlesen." Musst du nicht, denn ich habe sie so zitiert, dass du in ihrem Artikel auch nicht MEHR dazu findest. Ihre Begründung einer "Religion ohne Spiritualität" war mir nur intro und Aufhänger zum eigentlichen Thema: WAS IST DAS, was Gläubige glauben, die auf irgend eine Art "in Kontakt mit Gott oder Jesus" stehen? Ich sollte wohl keine solchen Intros mehr schreiben, dann hab ich mehr Chancen, dass Leser mein eigentliches Thema bemerken.

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  2. Spiritualität ist nicht so nebenbei zu gewinnen. Es bedarf lebenslanges "Üben", lebenslange Auseinandersetzung. Nicht ganz kompatibel mit dem, was uns umgibt und was von uns gefordert wird.
    Spiritualität als Begriff ist leider schon längst ausgehöhlt, man muß vielleicht andere finden.

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    1. Ich denke schon, dass es so nebenbei geht, aber für die meisten wirklich nicht ganz leicht. Eben genau durch üben, üben, üben. Die Spiritualität, von der ich hier schreibe beruht aber auch ganz einfach auf der Haltung von intellektueller Redlichkeit. Insofern ist Philosophie auch Meditation, wenn man damit hinter den Vorhang zu schauen versucht.

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    2. Aus meiner Sicht (und Erfahrung) kann jemand 20 Jahre ZEN-Meditation üben und dann doch AFD wählen und Ressentiments gegen Flüchtlinge hegen. Er mag SATORI und was weiß ich alles noch für Zustände und Meilensteine auf dem Meditationsweg erlebt haben, das alles hilft nicht zwangsläufig zu einer Spiritualität, der sowohl einen klaren Geist als auch ein mitfühlendes Herz umfasst.

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    3. Das ist für ich auch völlig verständlich. Solche Meditation wird leider häufig als nicht-denken-müssen missverstanden. Ich würde behaupten, die beste Meditation ist "richtig denken". Wer seinen Geist durch Meditation "leer" haben will, tut gut daran, als Ausgleich doch auch kritisch und logisch zu denken. Reine Meditation führt nirgendwo hin.

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    4. Solche Erfahrungen, @Claudia, habe ich mit Meditierenden noch nicht gemacht.
      @Gilbert: Intellektuelle Redlichkeit. Was ist das eigentlich?
      Ich denke, man kann redlich sein und trotzdem zu allerlei Krudem gelangen.
      Es gibt ja rechte Denker.
      Du sagst: "Die beste Meditation ist "richtig denken". Das weiß ich nicht. Ich bin zwar auch ein Fan des Denkens, schätze es ungemein, auch das Ansammeln und Bewerten von Wissen, aber der Kopf allein richtet es nicht. So mein Gefühl.
      Das stille werden, das zur Ruhe kommen verschafft nach Aussagen vieler Übender einen Zugang zum Urgrund, zum Ganzen, zum Sein.
      Ich muß allerdings zugeben, NICHT zu üben. Habe also das schnelle Leben gewählt. Wobei ich durchaus Erfahrungen aus dem spirituellen Lager bei mir trage.

      Das alles war jetzt von mir vielleicht nur Chat-Chat. Bin etwas müde, wollte aber antworten. Immerhin.

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    5. Danke für deine Antwort, Gerhard! Deiner Frage, was intellektuelle Redlichkeit sei, habe ich kürzlich einen ganzen Artikel gewidmet: Prüfe dein Gewissen hinter deinem Gewissen: Was ist intellektuelle Redlichkeit?.

      Ich will auch nicht behaupten, das Denken alles sei! Ich weiß zwar nicht, was du mit Wörtern wie "Urgrund" meinst, aber auch ich denke, dass Stille und Leere nötig sind. Nur wenn ich mich entscheiden müsste, dann würde ich sagen, "richtig" (also redlich) denken, wäre mir wichtiger (aus der Leere allein kann nichts kommen) und kann durchaus den Geist frei machen.

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  3. "Da hört man dann Dinge wie "alles ist Geist" oder "die Wahrheit liegt in mir", da ist schnell von Seelenpartnern die Rede, von Karma, Schicksal, Reinkarnation oder gar solchen esoterischen Konzepten wie Astralkörper. Aber das kann es doch eigentlich nicht sein. Solche Ideen zeugen eher von einer Abwesenheit eines geistigen Anspruchs an sich selbst."

    Das hast du schön geschrieben. Und mit dieser großen intellektuellen Offenheit, ja Redlichkeit, spirituellen Systemen gegenüber, von denen du keinen Schimmer hast, kann das ja nur der ganz große Erkenntnis-Wurf werden, wieder mal. Praise the lord!

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    1. Alles, was ich sage ist: Lasst euch nicht von Gurus mit phantastischen Geschichten in die Pfanne hauen.

      Und: Behauptet nur solche Sachen, für die ihr gute Belege habt, alles andere wäre eine Herabwürdigung der eigenen intellektuellen Integrität.

      Glauben kann ja jeder, was er möchte. Zum Beispiel kann ich ja durchaus sagen: Ich glaube, dass es Engel gibt, weil mir das gut tut, auch wenn ich selbst dafür keine schlüssigen Belege odedr Beweise für die Existenz von Engeln habe. Dann gestehe ich mir eben eine private Phantasie ein, imaginäre Freunde sozusagen. Das ist ok, solange ich die Größe habe, anderen Menschen zuzugestehen, dass sie jedes Recht haben, die objektive Nicht-Existenz von Engeln zu behaupten. Ich müsste dann einfach still sein und sagen: Ja, du hast sicher Recht, ich lebe trotzdem lieber in meiner Phantasie.

      Und einen "Schimmer" von solchen spirituellen Systemen zu haben, ist wirklich schwer. Ich würde behaupten, niemand hat einen Schimmer davon, wenn es nicht wissenschaftlich nachvollziehbar erklärt werden kann. Im besten Fall ist es erst mal eine Hypothese, aber selbst die müsste man der kritisch-wissenschaftlichen Untersuchung übergeben. Aber daran hapert es ja bereits bei Esoterikern, denn sie lehnen einfach ab, dass sie irgendetwas nachvollziehbar und allgemeingültig zu erklären hätten. Können sie ja auch machen, aber dann müssen sie damit leben, dass sie nicht ernst genommen werden.

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    2. Glaube, der gleichzeitig auf Subjektives reduziert werden soll, ist lediglich Unaufrichtigkeit und Angst vor der Wahrheit. Spiritualität, die kein höheres Bewusstsein zulässt, ist ein ähnlicher Selbstbetrug. Dann sollte sie nicht als Spiritualität bezeichnet werden. In einer wahrhaft spirituellen Weltsicht führt der Geist nunmal eine eigenständige Existenz, ob monistisch, dualistisch, pluralistisch oder gar "nicht-dualistisch", wie es seit jeher die indische Advaita-Lehre formuliert.

      Beim wahren Glauben geht es stets um eine innere Erfahrung, die so unmittelbar ist, dass sie von äußeren Begebenheiten gar nicht erst berührt werden kann. Wenn das, woran geglaubt wird, sich beweisen oder belegen lässt, handelt es sich nicht um wahren Glauben. Daraus folgt natürlich auch, dass sich die Inhalte dieses Glaubens nicht widerlegen lassen - und wenn sie sich widerlegen lassen, dann war es kein wahrer Glaube, sondern tatsächlich bloß die fehlende intellektuelle und ethische Redlichkeit, von der du sprichst.

      Und ich stimme dir darin zu, dass viele esoterische Lehren Nonsens quatschen. Gleichzeitig folge ich jedoch dem Philosophen Jochen Kirchhoff in der Ansicht, dass dieser Nonsens gerade nicht einer Abwendung vom wissenschaftlichen Denken entspricht, sondern vielmehr noch zu sehr von ihm beeinflusst ist, dabei aber inkonsequent wird und Äußeres mit Innerem vermischt. Wenn der Esoteriker von Energien und Schwingungen spricht, dann sieht er die Welt immer noch durch die dualistische Subjektiv-Objektiv-Brille. Wer wahrhaft glaubt, vermeidet solche "Veräußerungen" und kehrt nach jeder "Äußerung" zu seinen wirklichen Empfindungen zurück. Er wird bei seiner Mission auch nicht übereifrig, weil Missionseifer den Rezipienten von seinem eigenen Inneren zu sehr ablenken würde.

      Gott, Engel, Dämonen, Geister, Christus, auch der Teufel sind Begriffe, die als archetypische Symbole für Erlebtes dienen. So hat jede Religion ihre eigene Sprache. Diese Aussage mag nun selbst reduktionistisch klingen, doch das scheint nur so. Denn letztendlich hat jede Sprache Symbolcharakter, und wenn wir dies in aller Tiefe erkennen und endlich aufhören, das stumme, unmittelbare Erleben immerzu aus unserem Bewusstsein zu verdrängen, dann unterscheidet sich eine theologische Erklärung auch nicht mehr wesentlich von einer wissenschaftlichen. Wir müssen nur lernen, die Sprache, die jeweils gesprochen wird, zu verstehen. Vor zweitausend Jahren gab es auch schon intellektuell und ethisch redliche Menschen, die von "belastbaren Fakten" noch nichts wussten.

      "Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, daß die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien" - Ludwig Wittgenstein, Tractatus, §6.371

      Mein Text mag nun ziemlich "Zen-like" anmuten: Es gehe nur um den inneren Kern der Sache, nicht um äußere Details. Doch tatsächlich bietet die moderne Weltanschauung, von der Wittgenstein spricht, nicht nur keine Erklärung für das Auftreten der Naturerscheinungen, sondern trägt in sich mittlerweile auch fest etablierte Fehlannahmen, allen voran die, dass unser Gehirn unser Bewusstsein erzeugen würde.

      Ich bin selbst studierter Physiker, halte aber schon aus erkenntnistheoretischen Gründen Phänomene wie Astralreisen, Prophezeiungen oder Telekinese nicht für unmöglich. Als ich mir vor wenigen Jahren endlich eingestand, noch niemals ein Atom gesehen zu haben, wurde mir mehr denn je bewusst, dass Wissen letztendlich immer "Glaube, zu Wissen" bedeutet - es sich dabei jedoch nicht um den wahren Glauben handelt, der aus der inneren Erfahrung geschöpft wird. Wir sollten mit unserem vermeintlichen Wissen deutlich vorsichtiger sein.

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    3. Claudia, hat ja dazu schon einiges geschrieben, was ich wirklich für ein gutes Korrektiv halte. Auch ich stoße mich besonders an der Idee: "Wenn das, woran geglaubt wird, sich beweisen oder belegen lässt, handelt es sich nicht um wahren Glauben."

      Ganz offensichtlich ist doch das Gegenteil der Fall: Nur der Glaube, dessen Inhalt oder Gegenstand am Ende auch verifizierbar ist und für wahr befunden wurde, hat überhaupt nur die Chance, als "wahrer Glaube" zu gelten.

      Wie kann man etwas als "wahr" bezeichnen und gleichzeitig behaupten, dass es keiner Wahrheitsprüfung Stand halten muss?

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    4. Wenn ich weiter darüber nachdenke, was du meinen könntest, wenn du "wahrer Glaube" sagst, dann wahrscheinlich so etwas wie "reinen Glauben", also ein Glaube, der keine Wahrheit braucht.

      Aber auch das halte ich für ein Missverständnis, denn etwas glauben heißt, dieses etwas für wahr halten. Und man kann nicht etwas für wahr halten und gleichzeitig sagen, "es iteressiert mich nicht, ob das wahr oder falsch ist".

      Und noch eine kleine Korrektur: Dein Zitat von Wittgenstein gibt deine Interpreation überhaupt nicht her! Was er meint und sagt ist, dass ein Naturgesetz allein keine Erklärung der Erscheinungen ist. Und das stimmt natürlich. Das heißt aber nicht, dass die Naturwissenschaften uns nicht die besten Annäherungen für die Erklärung der natürlichen Erscheinungen bieten. Naturwissenschaften und Naturgesetze sind keine Äkquivalente. Die Naturwissenschaften erarbeiten Naturgesetze und arbeiten mit ihnen, erschöpfen sich aber nicht in ihnen.

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    5. Texte und Argumente wie deine bringen mich dazu, meine Wortwahl zu präzisieren und zu überdenken, welche Begriffe in philosophischen Überlegungen Platz haben und bei welchen vielleicht Vorsicht geboten ist. Aber das, was ich in mir selbst als Glaube erlebe, bleibt von Worten und Gedanken unberührt. Ich denke, viele Gläubige würden das unterschreiben.

      Deswegen bleibe ich letztendlich auch bei dem, was ich geschrieben habe. Mit "wahr" meine ich nicht das logische wahr/falsch sondern, wie du schon sagst, eher einen "reinen" Glauben, wobei der in meinem Kopf wieder zu sehr nach Gnostizismus klingt, indem er automatisch Vorstellungen von "Unreinheit" heraufbeschwört. Als Gegenteil der Wahrheit würde ich in diesem Zusammenhang nicht die "Falschheit" auffassen, sondern eher die Lüge...

      Ja, die Formulierungen sind schwammig, aber in dem Bereich geht es nunmal nicht anders.

      Wittgensteins Aussage war vielleicht etwas unangebracht, weil sie in seinem Werk selbst ziemlich kontextfrei steht - weitere Erläuterungen wären hier wünschenswert. Auf der einen Seite hast du Recht. Auf der anderen spricht er ja von der ganzen modernen Weltanschauung, und die baut sicher nicht nur auf den Ergebnissen der Wissenschaft auf, sondern auch auf ihrer Methode - auf die du dich ja ebenfalls berufst. Drittens ist es jedoch keine gute philosophische Praxis, Zitate von Autoritäten zu verwenden, wenn diese nicht eine vollständige, in sich schlüssige Überlegung enthalten. Insofern - ja, es war unangebracht.

      Hier ist übrigens noch ein interessanter Essay "Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie", über den ich vor einigen Wochen stolperte (bei wenig Zeit reicht der letzte Abschnitt): http://www.klaus-hemmerle.de/index.php?option=com_content&id=282&Itemid=33&limitstart=1

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    6. Übrigens, du hast ja Krishnamurti zitiert: "Ich behaupte, dass die einzige Spiritualität die Unbestechlichkeit des Selbst ist."

      Ich würde nun sagen: Der wahrhaft Gläubige (ich bleibe bei meiner Formulierung, ich kann nicht anders) lässt sich nicht einmal mit Fakten bestechen, und mit abstrakten Theorien und Denkgebäuden erst recht nicht. Und das tut er nicht, weil er sich krampfhaft an ihm indoktrinierten Vorstellungen oder an Wunschträumen festhalten würde, sondern aufgrund dessen, dass seine Glaubensinhalte für ihn aus einer Art vollkommenen Evidenz entstehen.

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    7. "Texte und Argumente wie deine bringen mich dazu, meine Wortwahl zu präzisieren und zu überdenken." --> So soll es sein :) Das nenne ich Redlichkeit.

      Das Problem mit der Evidenz für Erkenntnistheoretiker ist, dass man sie keinem absprechen kann, egal wie subjektiv diese Evidenzerlebnisse sein mögen. Dort ist dann auch das Refugium für den "reinen Glauben" ohne Wahrheitsanspruch. Dieser Glaube ist in der Tat unbestechlich, aber eben auch nicht mehr diuskutabel. Ich glaube, Philosophie zieht sich zurecht immer dort zurück, wo Menschen sagen, dass sie etwas unbezweifelbar und damit auch undiskutierbar zu wissen meinen (vulgo: glauben).

      Danke für den Hinweis auf Klaus Hemmerle, das werde ich mir ansehen. Und hier noch ein Text zur Gnosis: http://www.geistundgegenwart.de/2018/02/gnosis-verletztes-leben.html

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    8. Mit Erkenntnistheorie habe ich mich noch nicht viel befasst, würde an der Stelle aber noch einwerfen wollen, dass selbst das logische Schlussfolgern letztendlich auf Evidenz beruht. Die Logik lässt sich nicht beweisen, denn jeder Beweis geschieht mit Mitteln der Logik. Um Sätze der Logik zu beweisen, müsste man folglich Sätze der Logik voraussetzen, was ein Zirkelschluss wäre.

      Diese Überlegung geschieht nun selbst innerhalb der Logik, aber ich will mit ihr ja nicht die Logik beweisen, sondern ihre Unvollkommenheit zeigen. Das ist so ähnlich, wie die Wurzel aus -1 zu ziehen. Diese mathematische Operation führt mit Operationen für reelle Zahlen aus dem Bereich der reellen Zahlen hinaus; meine Überlegung führt mit Mitteln der Logik aus dem Bereich der Logik hinaus.

      Wenn ich als Erkenntnistheoretiker alles "Evidente" außer Acht lasse, würde das dann nicht bedeuten, dass ich mich nicht den Mitteln der Logik bedienen darf? Oder mache ich es wie Wittgenstein und sehe die Grenzen (der logischen Struktur) der Sprache als die Grenzen meiner Welt? (Oder irre ich mich einfach und meine obige Überlegung ist doch aus irgendeinem Grund ungültig, kann man Logik vielleicht nicht auf sich selbst beziehen?)

      Ich will damit nicht "die Logik widerlegen" oder ähnliches. Jedoch halte ich die Logik eben nicht für richtig, weil sie logisch ist - besagter Zirkelschluss -, sondern weil sie evident ist. Genau genommen kann die Logik nicht einmal als "richtig" oder "falsch" gelten, weil dies bereits Wahrheitswerte innerhalb der Logik wären. Der Logik selbst kann gar kein logisch verstandener Wahrheitsgehalt zugeordnet werden.

      (Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste - sorry!)

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    9. Evidenz heißt ja so viel wie unbezweifelbar einsichtig. Ein Merkmal der Evidenz ist, dass sie sehr flüchtig ist. Denn wir haben sehr viele Evidenzerlebnisse jeden Tag, aber wenn wir genauer hinsehen, dann treten plötzlich doch Zweifel auf. Und umgekehrt: Dinge, die unbezweifelbar wahr sind (zum Wahrheitsbegriff komme ich gleich), sind oftmals nicht von Evidenzerlebnissen begleitet. Gerade bei der Logik oder auch Mathematik sind die Zusammenhänge oft so komplex, dass sich kein Evidenzerlebnis einstellen kann, solange man nicht alles bis ins Kleinste zerlegt. An irgend einem Punkt wird es trivial und damit auch evident. Also: Logik ist aus meiner Sicht ein schlechtes Beispiel für Evidenz, es sei denn wir reden nur von der zweiwertigen Aussagenlogik (und/oder/wenn-dann), die den meisten von uns noch evident erscheinen mag.

      Der Wahrheitsbegriff hat wie die Logik das Problem, das du angesprochen hast: Sie sind aus sich selbst heraus nicht begründbar. Das fällt insbesondere dort auf, wo sich Wahrheit nur auf Sprache oder Zeichensysteme bezieht, wie bei der Kohärenztheorie, nach der ein Satz dann wahr ist, wenn er mit allen anderen Sätzen kohärent ist. Dort, wo der Wahrheitsbegriff die Sprache verlässt wie z.B. bei der Korrespondenztheorie nach der der Satz "der Baum ist grün" mit etwas "da draußen" korrespondiert und man hinschauen kann, ob er wahr ist oder nicht, laufen wir noch in ganz neue Probleme, zusätzlich zu den sprachlichen. Die Korrespondenztheorie hat aber immerhin dieses begleitende Evidenzerlebnis, wenn man im Alltag solche Sätze überprüfen kann. Leider ist de Welt aber nicht so einfach. Zur Vollständigkeit noch die Konsenstheorie, nach der das wahr ist, auf was wir uns in der Gemeinschaft einigen. Nicht ganz intuitiv, hat aber auch seine Vorteile. Insgesamt würde ich aber sagen, dass Logik außerhalb von Zeichensystemen sinnlos ist und wir Menschen uns aber immer innerhalb von Zeichensystemen befinden.

      Du sagst: "Jedoch halte ich die Logik eben nicht für richtig, weil sie logisch ist - besagter Zirkelschluss -, sondern weil sie evident ist." Das glaube ich nicht oder zumindest glaube ich nicht, dass das zuende gedacht ist. "Die Logik" ist ja nichts, was wahr oder falsch sein kann. Eine logisch schlüssige Aussage ist jedoch ein Kandidat für das Prädikat "wahr" (z.B.: 1. Aus P folgt Q. 2. Es gibt P. 3. Also gibt es Q). Und warum hast du bei solch einer logisch schlüssigen Aussage ein Evidenzerlebnis? Ich meine, weil es sich in die kohärenten Regeln des Sprachgebrauchs einfügt, hier hat die Kohärenztheorie der Wahrheit ihre Stärke. Außerhalb eines Zeichensystems oder einer sprachlich interpretierbaren Realität, macht auch die Logik als sprachliche Kohärenz keinen Sinn. Nur wir können uns als Menschen schlecht einen solchen Rahmen vorstellen, weil wir ohne Sprache nicht denken oder schlussfolgern können. Soweit mein Verständnis. Und da fängt dann vielleicht erst all das an, was du "wahrer Glaube" nennst?

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  4. Zitat:
    "ClaudiaBerlin18. März 2018 um 13:37
    Aus meiner Sicht (und Erfahrung) kann jemand 20 Jahre ZEN-Meditation üben und dann doch AFD wählen und Ressentiments gegen Flüchtlinge hegen. Er mag SATORI und was weiß ich alles noch für Zustände und Meilensteine auf dem Meditationsweg erlebt haben, das alles hilft nicht zwangsläufig zu einer Spiritualität, der sowohl einen klaren Geist als auch ein mitfühlendes Herz umfasst."

    Dazu passt auch, das es im Bezug auf die Rohingya in Myanmar), buddhistische Hassprediger gibt. Eigentlich kaum zu fassen irgendwie.

    Ich tue mich mit dem begriff Spiritualität auch immer schwer. Achtsamkeit finde ich generell eher treffender, da er eben nicht durch das ganze religöse & esoterische Zeug "vorbelastet" ist.

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    1. Das mit den Buddhisten ist in der Tat für uns westliche Menschen erstaunlich. Nicht aber für die dort sich seit jahrtausenden entwickelnden Kulturen, die immer wieder gewaltsame Konflikte hatten.

      Es ist nur für uns nicht stimmig, weil wir Buddhismus nur als Klischee kennen. Das hat übrigens ganz nachvollziehbar Fahrt aufgenommen, als der Westen den unterdrückten tibetischen Buddhismus entdeckt hat und dieser widerum sich mit einer betont friedlichen Seite diesem westlichen Klischee angediehnt hat, weil ihm das im Konflikt mit den Chinesen half.

      Ansonsten muss man sagen, dass auch Christen, Juden und Moslime (um nur ein paar zu nennen) genau dieselben asketischen, mystischen und eremitischen (also friedlichen) mönchischen Traditionen haben, wie der Buddhismus. Und trotzdem sind alle diese Religionen auch immer wieder gewalttätig.

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  5. @Bengt:

    Warum nennst du innere Erfahrungen "wahren Glauben"? Erfahrungen sind Erfahrungen - und wenn es sich um ausschließlich "innere" handelt, bezieht sich die Frage, ob das geglaubt wird, ausschließlich auf jene, die die Erfahrung nicht teilen. Denn sie können nicht wissen, ob der Erlebende das Berichtete tatsächlich erlebt hat oder nur Geschichten erzählt.

    Ich stimme zu, dass viele religiöse Begriffe Symbole für Erfahrenes sind. Wobei jene, die etwas erfahren haben, oft kleine Minderheiten sind und gerne als Ketzer behandelt wurden (und gelegentlich noch werden), weil sie die Entwicklung der theoretischen Überbauten, der religiösen Systeme nur stören. Systeme, die gerne Machthierarchien etablieren und dazu genutzt werden, nicht nur die Schüler, sondern alles erreichbare Volk zu disziplinieren - im Guten wie im Schlechten.

    "Doch tatsächlich bietet die moderne Weltanschauung, von der Wittgenstein spricht, nicht nur keine Erklärung für das Auftreten der Naturerscheinungen, sondern trägt in sich mittlerweile auch fest etablierte Fehlannahmen, allen voran die, dass unser Gehirn unser Bewusstsein erzeugen würde."

    Das Standardmodell erklärt durchaus eine Menge Naturerscheinungen, mit der "dunklen Energie" kommt man auch gerade weiter - und kürzlich las ich, dass ein Mathematiker die Grundlagen möglicher Beweise für Multiversen entwickelt hätte. Wissenschaft ist nie "fertig" in der Erklärung dessen, was ist. Wie kann man das denn auch verlangen?

    Dass mein (!) Bewusstsein von meinem Gehirn abhängt, davon gehe ich aus. Einfach aus der Evidenz, dass Menschen, denen man den Schädel einschlägt, kein Bewusstsein mehr haben. Wenn ich natürlich Bewusstsein (oder den noch schwammigeren "Geist") begrifflich sehr WEIT fasse, dann gibt es auch eine Intelligenz der Quanten und den Geist des Steins - anything goes, wir sind ja frei, unsere Begriffe zu definieren. Nur entstehen dabei eben auch recht absurde Streitereien, die niemandem nützen!

    Dass du noch kein Atom gesehen hast, heißt doch nicht, dass du den Gerätschaften, die die Wissenschaft zwecks Erweiterung unserer Sinne erschaffen hat, nicht trauen kannst. Aber ok, das Wissen ums Atom als einen "Glauben, zu wissen" definieren - da komme ich noch mit, das kann man so sagen.

    Inwiefern ist dieser Glaube aber unwahrer als der "wahre Glaube", den du dem Wissen um die inneren Erfahrungen zugestehst? Das ist doch gar kein Glaube, sondern Wissen: ich WEISS ohne jeden Zweifel, dass ich ETWAS erfahren habe - auch dann, wenn es etwas Unglaubliches bzw. nie da gewesenes ist. Das ist für mich kein Glaube, sondern Wissen.

    Wobei es ein sehr beschränktes Wissen sein kann, denn sogenannte "innere" Erfahrungen sind mystisch oder psychisch, wir haben für sie keine "normale Sprache" und neigen dazu, nicht nur zu beschreiben, sondern auch gleich zu interpretieren.

    Und DA fängt das Elend an mit vielen spirituellen Lehren: sie interpretieren die Erfahrung und versuchen sie verfügbar zu machen. Jeweils für das, was sie als das Gute und Wahre für die Welt, für ihre Schüler oder auch nur für sich ansehen.

    ....weiter in Teil 2. Mein Text hat 3970 Zeichen, doch das Blog meldet allen Ernstes:

    "Dein Darf höchstens 4.096 Zeichen umfassen-Code kann nicht übernommen werden."

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    1. Teil 2: Du schreibst:
      "Ich bin selbst studierter Physiker, halte aber schon aus erkenntnistheoretischen Gründen Phänomene wie Astralreisen, Prophezeiungen oder Telekinese nicht für unmöglich."

      Das Elend ist, dass all diese Phänomene niemanden zu einem besseren Menschen machen oder zu einem "höher entwickelten Geist"! Wem die Kundalini in den Kopf steigt, der wird meist nur krank, und wer aus seinem Körper heraus tritt, kann in einem Eskapismus landen, der nirgendwohin führt. Kurze Momente des "SatChitAnanda" oder der "Unio Mystika" eignen sich nicht zur Lebenshilfe, sondern verführen Menschen oft genug dazu, sich für erleuchtet zu halten oder vor allem auf eine Wiederholung hinzuarbeiten.
      Tja, sorry, ich bin da in einen Art Rant geraten und höre jetzt besser auf! Es ist auch ein zu weites Feld!

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    2. Ein langer Text, da arbeite ich mich mal Stück für Stück durch...

      "Denn sie können nicht wissen, ob der Erlebende das Berichtete tatsächlich erlebt hat oder nur Geschichten erzählt."

      Jetzt steht hier schon wieder "wissen", obwohl doch die ganze Zeit vom Glauben die Rede ist. Die Rezipienten können es nicht "wissen", jedoch ihrer Empathie und Intuition horchen.

      "Systeme, die gerne Machthierarchien etablieren und dazu genutzt werden, nicht nur die Schüler, sondern alles erreichbare Volk zu disziplinieren - im Guten wie im Schlechten."

      Da stimme ich dir zu. Glaube kann leicht missbraucht werden und wurde in der. Hier trifft das im Artikel angeführte Zitat zu, dass Spiritualität

      "Das Standardmodell erklärt durchaus eine Menge Naturerscheinungen, mit der "dunklen Energie" kommt man auch gerade weiter - und kürzlich las ich, dass ein Mathematiker die Grundlagen möglicher Beweise für Multiversen entwickelt hätte. Wissenschaft ist nie "fertig" in der Erklärung dessen, was ist. Wie kann man das denn auch verlangen?"

      Danke für diesen Absatz. Da sitzt du leider genau der Illusion auf, welche Wittgenstein m.E. meinte, und vielleicht kann ich es ein wenig erklären.
      Zunächst einmal geht es nicht darum, wie "fertig" die Physik ist. Angenommen, sie wäre vollständig, die Weltformel wäre gefunden. Es würde an der gemachten Aussage nichts ändern.
      Das Unerklärliche liegt nicht im Zusammenhang der sinnlichen Erscheinungen, in deren "Wechselwirkung" - die die Naturgesetze anscheinend vortrefflich beschreiben - sondern darin, dass die Naturgesetze abstrakter Art sind, die Erscheinungen jedoch konkret. Die Physik kann nicht erklären, wie das Konkrete aus dem Abstrakten hervorgeht. Der Unterschied zwischen beidem ist heute weitgehend unbekannt, aber nicht, weil er keine Rolle spielt, sondern weil er im Laufe der Geschichte der Wissenschaft einfach vergessen wurde und später dann aufgrund ihres empirischen Erfolgs geleugnet. Newton spielte bei diesem Vergessen eine große Rolle (wofür ihm persönlich kein Vorwurf gemacht werden kann). Die Physik begann (meines Wissens nach) mit der Frage nach der Ursache der Bewegung. Newton lieferte die mathematischen Formeln und man nahm fälschlicherweise an, die Sache sei damit erledigt (sofern es nicht zu empirischen Widersprüchen kommt - s. Relativitätstheorie und Quantenphysik). Aus physikalischer Sicht ist sie auch erledigt, jedoch nicht aus philosophischer. Ich glaube nicht, dass Aristoteles (der Mann mit dem "unbewegten Beweger") von Newtons Erklärung - die eben keine Erklärung ist, sondern nur eine mathematische Beschreibung - befriedigt gewesen wäre.
      Wir müssen entsprechend gar nicht über dunkle Materie reden, sondern können über die Newtonsche Kraft sprechen, wie sie heute Achtklässler in der Schule lernen. Wenn wir uns vorstellen, dass ein Körper eine Kraft erfährt, dann stellen wir uns die Kraft automatisch als etwas aus unserem subjektiven Erfahrungsbereich vor - als Drücken, Schieben, Ziehen o.ä. Nach der Annahme, dass die physische Realität eine objektive Gegebenheit sei, die von unserem subjektiven Bewusstsein unabhängig existiere, existiert für den beobachteten Körper aber kein Drücken oder kein Schieben. Eine gängige Formulierung in der heutigen Physik ist "der Körper erfährt eine Kraft" oder "eine Kraft wirkt auf den Körper". Bei diesen Aussagen handelt es sich jedoch um Projektionen aus unserem eigenen Erleben. Die Wirklichkeit "wirkt" auf uns und wir "erfahren" sie (laut Prämisse) nur, weil wir ein Bewusstsein haben. Weil der Körper nichts erfahren kann, kann die Kraft nicht als Ursache seiner Bewegung gelten. Newtons Kraft ist ein rein mathematischer Begriff, der das Geschehen quantitativ beschreibt, aber nicht kausal erklärt. Die Beschreibung mit der Erklärung zu verwechseln - das ist es, was Wittgenstein, so, wie ich ihn verstehe, meinte.

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    3. Bei meinen Ansichten zu dem Thema habe ich Carl Friedrich von Weizsäcker viel zu verdanken. Im "Aufbau der Physik" versucht er, die Quantentheorie aus philosophischen Axiomen zu rekonstruieren, also zu zeigen, dass man sie theoretisch auch vor zweitausend Jahren hätte entwickeln können - ohne empirische Befunde, allein durch hochentwickelte Mathematik und Reflexion auf die Voraussetzungen empirischer Forschung. (Und das, obwohl die Quantentheorie bei ihrer Erscheinung allen so "absurd" und "revolutionär" erschien.) Bei Erfolg dieses Unterfangens wäre die tiefgehende Folgerung, dass Physik keine Erklärung einer als unbekannt angenommenen Natur liefert, sondern eine Beschreibung dessen, was der Mensch beobachtet, wenn er überhaupt wissenschaftlich beobachtet! Allein die Idee und der Mut dazu ist dem modernen Wissenschaftsverständnis gegenüber schon phänomenal, weshalb ich sie hier erwähne. In "Zeit und Wissen" gelangt er außerdem zu dem Schluss, dass eine Sache, die sich nie physikalisch "wissen" lassen wird, die Zeit ist, und zwar ihre Dreiteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vor allem der Aufbau der Physik ist lesenswert, enthält jedoch einiges an höherer Mathematik.

      "Inwiefern ist dieser Glaube aber unwahrer als der "wahre Glaube", den du dem Wissen um die inneren Erfahrungen zugestehst? Das ist doch gar kein Glaube, sondern Wissen: ich WEISS ohne jeden Zweifel, dass ich ETWAS erfahren habe - auch dann, wenn es etwas Unglaubliches bzw. nie da gewesenes ist. Das ist für mich kein Glaube, sondern Wissen."

      Der Glaube ist unwahrer, weil er auf den sinnlichen Erscheinungen basiert und nicht auf der aus sicht selbst erfahrenen Evidenz, aus der unmittelbaren Art und Weise des Daseins. Dadurch, dass er sich wenigstens theoretisch widerlegen ließe, trägt er schon den Keim der Unwahrheit in sich.
      Ansonsten ist Glaube eben der überlieferte Begriff. "Gnosis" ließe sich zum Beispiel ja auch mit "Wissen" übersetzen, ebenso der indische Begriff "Veda". Es ließe sich theoretisch auch von "Gewissheit" oder ähnlichem sprechen, aber zu diesen Begriffen fehlt der seelische Bezug.
      Und es ist nicht so, dass ich nicht zweifeln würde. Ich zweifle ständig, kehre jedoch immer wieder zu meinem Ausgangspunkt zurück. Behandle ich meinen Glauben als ein restlos überzeugtes und unanfechtbares Wissen, erstarrt er. Der Glaube muss aber lebendig bleiben.

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    4. "Dass mein (!) Bewusstsein von meinem Gehirn abhängt, davon gehe ich aus."

      Ja, meine Ansicht zu diesem Thema ist nicht weit verbreitet... letztendlich ist es wieder die fehlende Unterscheidung zwischen dem Abstrakten und dem Konkreten. Das Problem ist, dass ich, wenn ich sage, das Bewusstsein sei ein Produkt/Erzeugnis/Ergebnis meines Körpers/Gehirns eben voraussetze, dass es etwas in der Welt geben könne, was mein Bewusstsein, genau so, wie ich es erfahre, erzeuge/produziere. Damit Bewusstsein "erzeugt" werden kann, muss es jedoch einen Mechanismus geben, bei welchem das Erzeugnis am Ende herauskommt, ohne das vorher Bewusstsein jeglicher Form da gewesen wäre. Man muss sich das Gehirn dafür nicht einmal als mysteriösen Biocomputer vorstellen. Es reicht, sich eine einfache "Black Box" zu denken: In die Black Box gelangt ein Input (z.B. Sinneseindrücke, aber auch bereits im Körper vorhandene Hormone oder elektrische Signale in Neuronen - alles, was man annimmt, das im Gehirn irgendwie "zu Bewusstsein transformiert" werde). Die Black Box transformiert den Input auf eine unbekannte Weise und gibt am Ende das Bewusstsein als Output aus. Die Frage ist nun: Wo im Gehirn oder im Körper befindet sich dieser Output? Wenn ein Gehirnchirurg im Hirn seines Patienten operiert, sieht er nicht dessen Träume, sondern bestenfalls Elektrizität. Wie kann es sein, dass der Patient seine Träume anders erlebt (dass er sie überhaupt erlebt)? In seinem Kopf sitzt auch kein kleiner Mann, der auf das Bewusstsein blicken würde wie auf eine Leinwand. Das Problem hat erst im zweiten Schritt mit Quanten oder dem Urgrund des Seins zu tun. Ausgangspunkt ist diese einfache Überlegung: Im ganzen menschlichen Körper gibt es kein "Ausgabegerät" für das Bewusstsein beziehungsweise dessen Inhalte.

      "DA fängt das Elend an mit vielen spirituellen Lehren: sie interpretieren die Erfahrung und versuchen sie verfügbar zu machen. Jeweils für das, was sie als das Gute und Wahre für die Welt, für ihre Schüler oder auch nur für sich ansehen."

      Ja, da steckt der Keim des Scheiterns. Ich muss an dieser Stelle passen, mir fällt an der Stelle keine vernünftige Rechtfertigung ein, dennoch darüber zu philosophieren. Ich höre da allein auf mein Gefühl. Was wäre auch die Alternative? Redeverbot über das, was mich im Kern meines Wesens erschüttert? Das wäre ja wie in der DDR.

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    5. "Das Elend ist, dass all diese Phänomene niemanden zu einem besseren Menschen machen oder zu einem "höher entwickelten Geist"! Wem die Kundalini in den Kopf steigt, der wird meist nur krank, und wer aus seinem Körper heraus tritt, kann in einem Eskapismus landen, der nirgendwohin führt."

      Ja, dieses Argument hört man bereits, wenn man von harmloseren Dingen wie Gott spricht. Ich kann dazu nur aus meiner Lebenserfahrung berichten, dass ich, seit ich vor drei Jahren Gott gefunden habe, ein deutlich positiverer Mensch geworden bin und mich mir selbst und der Welt stärker verbunden fühle als je zuvor. Ich war vorher sehr eskapistisch veranlagt - jetzt bin ich es gerade nicht mehr.
      An den wenigen mystischen Erfahrungen, die ich bisher erlebt habe, bin ich nicht hängen geblieben. (Zumal nicht alle positiv waren.) Ich habe auch kein Bestreben, weitere zu erzwingen. Ich reflektiere über sie und das hilft mir, meinen Horizont und meine Sensibilität zu erweitern. (An einer Bibelstelle heißt es ja auch, man solle Gott nicht versuchen.) Mittlerweile sehe ich stärker durch meine Intuition und nehme Dinge wahr, die ich früher nicht wahrgenommen habe - selektive Wahrnehmung eben. Ein besserer oder schlechterer Mensch bin ich allein durch meine Absichten und Taten (oder etwas anderes, was ich nicht benennen kann).
      Ich bekomme zudem immer mehr das Gefühl, dass es nicht nur guten, sondern auch bösen Geist gibt. Die Unterscheidung zwischen beiden ist nicht immer leicht, und sie ist definitiv ethischer Natur, erfordert also die "Unbestechlichkeit des Selbst", welche ja im Artikel zitiert wurde, als allererste Voraussetzung. Können wir uns in diesem letzten Punkt, der tatsächlich das wichtigste an der ganzen Sache ist, einig sein? Nicht im "guten und bösen Geist", sondern in der "Unbestechlichkeit des Selbst"?

      Mein Text ist noch deutlich länger als deiner geworden. Noch einen dieser Länge werde ich nicht schreiben, es kostet einfach zu viel Zeit. Aber das Thema beschäftigt mich ja auch! Ich hoffe, ich konnte mich ansatzweise verständlich machen. Gute Nacht.

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    6. Vielen Dank, Bengt! Und kein Grund, sich zu entschuldigen. Im Gegenteil, das Netz und solche Themen brauchen auch wortreiche Auseinanderetzungen, immer nur Komlpexitätsreduzierung macht am Ende auch nur dumm.

      Was mir wirklich geholfen hat, ist die Unterteilung in Naturgesetze abstrakter Art und konkreten Erscheinungen. Ich stimme voll zu, dass das eine gute Lesart Wittgensteins ist. Einer meiner Leser hat mir zu diesem Thema folgendes Heideggerzitat geschickt:

      "Niemals vernehmen wir im Erscheinen der Dinge zunächst und eigentlich einen Andrang von Empfindungen, z. B. Töne und Geräusche, sondern wir hören den Sturm im Schornstein pfeifen, wir hören das dreimotorige Flugzeug, wir hören den Mercedes im unmittelbaren Unterschied zum Adlerwagen. Viel näher als Empfindungen sind uns die Dinge selbst. Wir hören im Haus die Tür schlagen und hören niemals akustische Empfindungen oder auch nur bloße Geräusche. Um ein reines Geräusch zu hören, müssen wir von den Dingen weghören, unser Ohr davon abziehen, d.h. abstrakt hören." (in "Der Ursprung des Kunstwerkes", 1936)

      Das trifft es aus Sicht der Phänomenologie ganz gut.

      Was mir auch hilft, ist zu reflektieren, inwieweit Unbestechlichkeit des Selbst im Glauben eingeschlossen sein kann. Meine Auffassung bisher ist, dass man schlechterdings nicht redlich von einer Überzeugung sprechen kann, für die man keine Belege hat, die auch für andere akzeptierbar sind.

      Thomas Metzinger meint in Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit: "Das subjektive Erleben von Gewissheit ist nicht dasselbe wie der tatsächliche Besitz von Gewissheit, denn die moderne Forschung zeigt auf vielfältige Weise, dass wir uns jederzeit auf unbemerkte Weise über den Inhalt des eigenen Bewusstseins täuschen können. Intuitionen haben eine lange biologische Geschichte. Wer es also ernst meint mit dem philosophischen Projekt der Selbsterkenntnis, muss die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass intuitive Gewissheiten systematisch in die Irre gehen können und dass es auch beim „direkten Blick ins eigene Bewusstsein“ jederzeit introspektive Illusionen geben könnte. (S. 20)"

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    7. Die Bewusstseinsdiskussion finde ich jedoch übers Ziel hinaus. Ist es wirklich so ein Geheimnis, so etwas Mysteriöses, was da passiert? Ich denke nicht.

      Natürlich sieht man keine Träume, wenn man den Kopf aufmacht. Und es ist auch kein Geheimnis, dass nicht das Gehirn allein, sondern der ganze Körper durch unüberschaubare Feedbackschleifen (Selbst- und Framdwahrnehmungen) an der Hervorbringung dieses Erlebnisses, das wir Bewusstsein nennen beteiligt ist. Und es ist auch gut belegt, wie Claudia schon sagt, dass dieses Erlebnis aufhört, wenn man den Kopf vom Körper trennt. Also: Das Gehirn als Grundlage des Bewusstseins, aber nicht als erschöpfendes Organ. Da kann man noch so sehr über abstrakt versus konkret nachdenken, konkret müssen wir davon ausgehen, dass das Bewusstsein ein Phänomen ist, das auf einen lebenden Körper und neuronale Netze angewiesen ist. Auch hier noch mal Metzinger: "Nur sehr wenige der beteiligten Wissenschaftler in der aktuellen empirischen Bewusstseinsforschung glauben heute noch an ein Leben nach dem Tod. Ein funktionierendes Gehirn ist beim Menschen eine notwendige Bedingung für das Entstehen von Bewusstsein. Selbst wenn es vielleicht keine begriffliche Reduktion der subjektiven Innenperspektive gibt, an die unser inneres Erleben gebunden ist, so ist doch sehr klar, dass die Inhalte unseres bewussten Erlebens „von unten“ festgelegt werden, durch lokal und gleichzeitig stattfindende Ereignisse auf der Ebene des Gehirns. Die seriöse Forschung sucht heute nach dem „neuronalen Korrelat des Bewusstseins“ (dem NCC oder neural correlate of consciousness), also nach der kleinsten Menge von Eigenschaften im Gehirn, die hinreichend ist, um subjektives Erleben zu erzeugen. Die Wissenschaft versucht, diese Eigenschaften immer genauer zu isolieren, und sie macht Fortschritte. Dabei glaubt kaum jemand, dass es Sinneswahrnehmungen, Erinnerung, Denken oder Aufmerksamkeit ohne das NCC, also nach dem körperlichen Tod, noch geben könnte." (S. 23)

      Deine Frage: "Wo im Gehirn oder im Körper befindet sich dieser Output?" ist meines Erachtens keine sinnvolle Frage. Denn wenn du wirklich nach Output fragst, bekommst du eben elektrische Signale (wie übrgens auch, wenn du nach der "Egentlichkeit" von Gerüchen oder Bildern in wahrnehmenden Wesen fragst). Es ist kein Output, sondern ein Erleben, das in dieser Black Box stattfindet. Diese Black Box (Mensch) gibt nichts aus, was man Bewusstsein nennen könnte, sondern sie erlebt (qualia) und handelt unter Bezugnahme auf das Erleben. Hier könnte man dann im Handeln höchstens ein behavioristischen Output aufzeichnen. Aber der lässt nicht auf inneres Erleben schließen. Ich empfinde das alles gar nicht als rätselhaft, sondern als lediglich noch nicht hinreichend erschlossen (siehe NCC).

      Aber vielleicht habe ich deine osition auch noch nicht ganz verstanden?

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