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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

2. Oktober 2017

Auf in eine horizontale Transzendenz!

Pankaj Mishras apokalyptisch-hoffnungsvolle Vision

Wir als westliche Zivilisation sind in einer tiefen Krise. Weltanschaulich haben wir keinen lockenden Horizont mehr; die Grenzen des Erkundbaren sind verschwunden, die Erde ist auch in dieser Hinsicht zur Kugel geworden. Politisch kommen nationalistische Idiotien zurück, wie wir sie im 20. Jahrhundert glaubten, überwunden zu haben. Ökonomische und ökologische Krisen wachsen zusammen in Eins. Und die vertikale Transzendenz, wie wir sie aus unseren Glaubenssystemen kennen, ist nach langer schwerer Erosion so gut wie verschwunden. Der Westen ist die Krise, die östlichen und südlichen Krisen werden von ihm global verstärkt.


Pankaj Mishra auf dem Palestine Festival of Literature 2008 (CC BY 2.0)

Der Philosoph Peter Sloterdijk nennt einen sich täglich intensivierenden Weltverbrauch als Folge unserer modernen Lebensform des aktivischen Konsumismus oder konsumistischen Aktivismus. In seinem Buch Die schrecklichen Kinder der Neuzeit beschreibt Sloterdijk unseren Lebensstil als ein vollmundig-leeres Versprechen mit unbezahlbaren Kosten und "mengentheoretische Pradoxien":

"Was man allen versprochen hat, kann man nur halten, wenn es nicht allen gewährt wird und wenn nicht alle Betrogenen reklamieren. Das ist die paradoxe Struktur, die jeder modernen Ideologie innewohnt." (Peter Sloterdijk, Philosophie Magazin 01/2015, S. 48)

Die Betrogenen und zunehmend Zornigen befinden sich momentan vor allem süd-östlich von uns und trotzdem ist es eine Krise des Westens. Nicht nur, weil wir langsam eingeholt werden und das Wohlstandsversprechen kaum noch vor der eigenen Türe halten können. Sondern auch, weil die ganze Idee vom weltweiten Fortschritt durch Aufklärung und Technik, für den der Westen schließlich bisher stand, immer löchriger wird.

Um diese von Süd-Ost bis Nord-West globalisierte Krise ganz zu verstehen, sollten wir solchen Menschen zuhören, die das Süd-Östliche und das Westliche zusammendenken können. Solch ein Mensch ist der gebürtige Inder Pankaj Mishra, der inzwischen als einer der weltweit einflussreichsten Intellektuellen zwischen London und Indien pendelt und an Universitäten in den USA und in Großbritannien lehrt. 2014 hat er als erster nicht-westlicher Schriftsteller den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhalten. Nun hat Wolfgang Eilenberger dankenswerter Weise Pankaj Mishra in der letzten Ausgabe des Philosophie Magazins zur Frage interviewt, wohin wir eigentlich mit dieser Krise im Gepäck noch gehen können. Mishras Antwort ist apokalyptisch, mit einem Hauch von Hoffnung. Bezugnehmend auf sein letztes Buch Das Zeitalter des Zorns: Eine Geschichte der Gegenwart beschreibt er zuerst die politisch-gesellschaftlichen Folgen des sich beschleunigenden Weltverbrauchs:

"Heute gibt es keinen Teil der Welt, der von diesen Prozessen unberührt bleibt. Und zugleich entfesseln sie individuelle Sehnsüchte, Ambitionen und Energien. Wir erkennen gerade, dass der Planet möglicherweise nicht so ausgebeutet werden kann, dass mehr als drei Milliarden Menschen dieselben Vorzüge der Moderne erhalten können, wie sie die Menschen in diesem Teil der Welt über die letzten 100 Jahre genossen haben. In regelmäßigen Abständen geraten die daraus entsteheneden Gefühle von Frustration, Wut und Erniedrigung zu einer politisch toxischen Mischung. Und immer gibt es Demagogen oder politische Bewegungen, die nur darauf warteten, diese Energien in eine sehr gefährliche Richtung zu lenken." (Pankaj Mishra, Philosophie Magazin Nr. 6 / 2017, S. 68)

Das gleicht inhaltlich dem, was Sloterdijk sagt und beide stellen heraus, wie die aus diesen Dynamiken resultierenden thymotischen Energien den Zorn der Entwürdigten gebehren, den wir heute in nationalistischen Bestrebungen in Asien oder im religiös maskierten Fundamentalismus im Nahen Osten und Afrika sehen. Es ist eine Realität, dass wir uns den Wohlstand, den der Westen genießt, nicht für alle bald neun Milliarden Menschen leisten werden können. Es ist Realität, aber es bleibt auch eine Ungerechtigkeit, die Asien, Afrika und Südamerika nicht einfach hinnehmen, sondern mit nationalistischen Aufholprojekten beantworten werden. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass die Vorstellung, marktwirtschaftlich getriebenes Wachstum bringe "breite Mittelschichten und rechtsstaatliche Ordnung" hervor, schlicht falsch ist und dass wir diese Ideologie, nach der nicht zuletzt auch die USA seit dem zweiten Weltkrieg immer militärisch expansiv vorging, ablegen müssen.

Horizontale Transzendenz

Die Chance zur Kurskorrektur sieht Mishra gerade in der ökologischen Katastrophe, die wir herebeigeführt haben. Nur ein Begreifen dieser Katastrophe kann uns auf den Weg zu einer globalen Nachhaltigkeit führen, Wolfgang Eilenberger nennt das die horizontale Transzendenz.

"Der Schaden, der durch die Entfesselung der individuellen Sehnsüchte und Ambitionen dem Planeten zugefügt wurde, ist an einen Punkt gelangt, an dem eine Vielzahl von Arten schlichtweg nicht mehr existiert. In großen Teilen dieser Welt steht die Existenz der menschlichen Spezies selbst infrage. In diesem Sinn hat die Umweltkrise bei der Fokussierung des Denkens geholfen, weil die Krisen, denen der Kapitalismus und die Nationalstaaten bisher ausgesetzt waren, uns noch nicht mit dem Problem des Aussterbens konfrontiert haben. Der leitende Gedanke sollte sein, dass wir diesen angerichteten Schaden begrenzen müssen. Wir sind alle Teil eines defensiven Manövers." (Pankaj Mishra, Philosophie Magazin Nr. 6 / 2017, S. 71)

Nur wenn wir begreifen, dass wir selbst die nächsten sind, die akut vor dem Ausstreben stehen, könnten wir neue und zukunfstträchtige Ziele entwerfen und damit in eine horizontale Transzendenz übergehen, die unserer Stellung im Kosmos gerecht wird: In Abhängigkeit von und Verflechtung mit allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten. Es geht um's Überleben.



Das passt dazu:

6 Kommentare:

  1. Das ist alles nicht neu, leider. Kein einziger Gedanke. Wie sollen daraus Energien geboren werden, die unsere Probleme Lösen?.
    Ich dachte dieser Tag mal an den Club of Rome. Immerhin sind deren Warnhinweise 45 Jahre alt !! Und Warner gab es seither vielfach und immer wieder und aus allen Sparten bis hin zum Showbusiness.
    Das Einzige ist vielleicht, daß das Übel stärker ins Bewusstsein eines jeden eingesickert ist. Vor 50 Jahren war das vermutlich noch nicht so.

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    1. Lieber Gerhard, danke für deinen Kommentar!

      Genau wie du, musste auch ich an den Club of Rome denken, dessen Warnungen es länger gibt als mich selbst. Ich habe mir exakt die Frage gestellt, die du jetzt stellst.

      Ich meine, wir dürfen nicht der Versuchung verfallen, in unhistorischen menschlichen Zeitaltern zu denken, obvwohl es gerade bei dem Thema akut genug wäre. Die Menschheit ändert sich über lange Zeiten hinweg und meistens begleitet von Katastrophen. 50 Jahre Warnung sind gar nichts. Wir dürfen nicht aufhören damit, aber die Warnungen müssen sich ändern, damit sie nicht abstumpfen.

      Insofern hat mich das hier doch wieder beeindruckt. Zum einen, weil es eben niemand aus Rom ist, wo man einfach sagen könnte, dass die im Süden eben nicht mitspielen dürfen. Alles aus Rom ist europa- oder zumindest westzentriert. Mit Mishra spricht einer aus dem Südosten mit seiner Perspektive auf uns. Und er warnt auch nicht im Sinne von "Spart Ressourcen, um den Planeten zu retten", sondern er sagt, dass es gar nicht anders kommen wird, als dass die Nationen im Osten und Süden versuchen werden, aufzuholen. Sie werden sich nicht von uns abhalten lassen. Außerdem bringt er das mit einem Problem des Nationalismus in Verbindung, und das ist in der Tat ein neuer Aspekt.

      Es ist so ein bisschen wie beim Projekt Dark Mountain: Niemand sagt da noch, dass wir etwas verhindern könnten. Vielmehr stehen wir jetzt vor einem anderen Problem: dem eigenen Aussterben. Wir müssen jetzt schon an eine Zeit danach denken, denn es bleibt nicht genug Zeit, um das Einsetzen des Aussterbens noch zu verhindern.

      Wie du sagst: Das Übel sickert langsam ins Bewusstsein und inzwischen sehen wir auch Staaten, die umlenken (das haben wir die ersten 30 Jahre nach dem Club gar nicht gehabt). Ich befürchte, das Übel muss noch um einiges größer werden, bevor wir wirklich eine Notbremse ziehen (wenn überhaupt).

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  2. Ich verstehe nicht, wie man angesichts von 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde (Tendenz steigend) das "Aussterben" als akute oder auch nur mittelfristige Gefahr an die Wand malen kann! Das ist so ziemlich das Entlegendste, was uns droht, einfach weil wir so viele sind. (Zum Vergleich: Menschenaffen gibt es noch ca. 300.000).

    Selbst wenn der Meeresspiegel steigt, Küstenstädte verschwinden, ein paar AKWs explodieren, Kriege und Bürgerkriege unsere "gemütliche" Existenz verunmöglichen - selbst wenn Millionen und Milliarden sterben, werden in den verschiedensten Weltgebieten noch genug übrig bleiben. Die teilweise sogar noch in der Lage sind, sich selbst von ihrer Umwelt zu ernähren, ohne großtechnische Zivilisation (und evtl. sogar besser, weil das Land nicht mehr für den Luxusanbau von Blumen, Palmöl und Kosmetik-Substanzen genutzt wird).

    Nicht das Aussterben droht der Menschheit, sondern dem "Westen" droht das Ende seiner parasitären Existen, der Verlust des Friedens, das Chaos im Zusammenbruch der Infrastrukturen und all der Zivilität und Friedlichkeit, an die wir uns als irgendwie selbstverständlich gewöhnt haben.

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    1. Na die Tragik kommt eher daher, dass wir uns eben nicht jenseits von Menschenaffen, Regenwald und Meeren begreifen dürfen. Deren Aussterben ist unser Aussterben. Und noich einmal: Verfallen wir nicht immer den Fehler, in "menschlich-lebenzetlichen" Dimensionen zu denken. Aussterben ist niemals die Frage nur einer Generation der betroffenen Spezies. Aussterben kann im erdzeitlichen Verständnis ruckzuck gehen, während du das selbst noch als "Gemütliche" Existenz wahrnimmst. Das Ansteigen der Bevölkerungszahl auf ca. 9 Milliarden (so die Vorhersagen) ist geradezu integraler Bestandteil des möglichen Aussterbens. Auch das ist ein regelmäßiges Muster: Populationen werden zu groß für ihre angestammten Ökosysteme. Ich sehe aber tatsächlich auch eher eine Apokalypse mit Überlebenden als wahrscheinlich an. Schließlich übertreffen wir an Erfindergeist eben doch jede andere Spezies.

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  3. Hast Du den Ausdruck "Verkonsumieren" der Erde gebracht? Oder las ich den woanders?
    Es wird noch kräftig und ausgiebig getafelt, ist ja eh zu spät und jetzt langen wir nochmal hin.

    Daß unsere Spezies in geringen Anteilen überleben wird, ist kein Trost, denn aus Fehlern lernt man ja nicht. Das Problem wird sich danach wohl wieder ereignen.

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    1. Ist sicher richtig. Wenn du eine bessere Idee hast, wie wir damit umgehen können, außer es immer wieder drastisch zu kommunizieren, dann schreib gern! Trösten ist übrigens das Letzte, was ich hier will ;)

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