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9. Februar 2017

Sophrosyne: Wie der Geist den Körper heilt

Albert Kitzler weiß: Denken heilt!

Manchmal fragt man sich, ob es in den letzten 2000 Jahren überhaupt zu einem Zuwachs an wirklich wichtigem Wissen gekommen ist. Viel haben wir in der Zwischenzeit entdeckt und mit dem Umständen des Lebens haben wir Fortschritte gemacht, aber mit den Weisheiten eines guten Lebens scheinen wir nicht besonders vorangekommen zu sein. All die wichtigen Lektionen zu einem guten Leben rund um Körper und Geist stammen aus der Antike und die hat sie aus dem östlichen Raum übernommen und weiter entwickelt. Alles danach war nur Wissenschaft.

Das eigene Maß begreifen (aus Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer)

Schon das für die antike Lebenspraxis grundlegende Wort sophrosýne (σωφροσύνη), das auf Besonnenheit, Maß und Ausgeglichenheit hindeutet, ist eine Komposition aus gesund und verständig denken (sōphrōn). Dabei handelt es sich nicht etwa um Intuition, also aus dem Bauch heraus das Richtige zu tun, sondern im Gegenteil um die Erkenntnis, dass Intuition als unreflektiertes Handeln auf Impulsen und Wollen beruhen kann, die unserer Gesundheit eben gerade nicht zuträglich sind. Wir kennen das selbst zum Beispiel von Schokolade – wenn wir auf unser Bauchgefühl hören, dann essen wir sicherlich zu viel davon und wenn der Bauch sich dann mit Schmerzen meldet, ist es schon zu spät.

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Sophrosýne, die Sokrates als die menschliche Haupttugend hervorgehoben hat, steht übrigens im Gegensatz zur Hybris, also zu Übermut und Anmaßung. Die grundlegende Argumentationskette des antiken gesunden Denkens geht ungefähr so: Körper und Geist stehen in enger Abhängigkeit und wer Ordnung in seiner Seele schaffe, indem er falsche Vorstellungen ablege, verhalte sich so, dass sein Körper gesund bleibe, was wiederum zu einem gesunden Geist beitrage und beides zusammen bilde das Fundament zu einem glücklichen Leben. Das sollte uns auch heute nicht erstaunen, denn Maß halten bei den Annehmlichkeiten und Anstrengungen oder ausgewogen essen, schlafen und bewegen sind auch heute wieder Selbstverständlichkeiten, mit denen wir Körper und Geist fit halten können. Und wer doch einmal krank oder verletzt werde, fände im richtigen Denken den besten Pfad zurück zur Gesundheit. Bei diesem Ansatz ist klar, dass es nicht darum gehen kann, dass man so ohne Weiteres durch richtiges oder positives Denken ein gebrochenes Bein, Leberkrebs oder Schizophrenie heilen könnte. Es geht um das Verhindern solcher Extremzustände durch ein besonnenes, ausgeglichenes und maßvolles Leben.

"Die beste Verfassung von Körper und Seele, die damit angestrebt werde, sei nichts anderes als ihre Gesundheit. Sei die einmal hergestellt, so stelle sich von selbst ein, wonach jeder Mensch strebe: das Gefühl von Wohlbefinden, Zufriedenheit und Glück." (Albert Kitzler, Denken heilt! Philosophie für ein gesundes Leben

Die Lehren des antiken gesunden Denkens enden nicht dort. Der Autor und Philosoph Albert Kitzler führt uns wieder tiefer in diese alten Weisheiten rund um Selbstsorge und philosophische Praxis ein. Er macht das mit Büchern wie Denken heilt! Philosophie für ein gesundes Leben, in dem er Heilmittel im Denken gegen Krankmacher wie Überforderung, Angst, Hass, Trauer oder auch Habgier, Neid und Hochmut vorstellt. Außerdem stellt Kitzler am Mittwoch, dem 15. Februar 2017, in der School of Life Berlin in einer Mischung aus Vortrag und gemeinsamen Gesprächen seine Ideen und Konzepte dazu vor, wie uns die Weisheiten eines Sokrates, Konfuzius oder Buddha helfen können, Geist, Seele und Körper gesund zu erhalten. Tickets zu diesem Special der School of Life können hier gekauft werden: Sich gesund denken! Philosophie für ein gesundes Leben >>

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5 Kommentare:

  1. "Krankmacher wie Überforderung"
    Nur das: Manchmal dient Überforderung als eine (unbewusste) Inszenierung, um an tiefer liegende Konflikte zu kommen. Man kann das Vorgehen des Organismus hier bejahen oder verneinen. Ich finde: Der Organismus hat recht, wenn er auf diese Weise handelt!
    Schwerwiegende Traumata sollte man anschauen können - man kann sie auch deckeln, aber nach landläufiger Auffassung sollte es ja diesbezüglich "vorwärts" gehen.

    Denken heilt: Das gefällt mir jedenfalls erstmal nicht, aus dem genannten und auch aus anderen Gründen. Wir sind keine "rationale" Wesen. Wir tragen viel Irrationales in uns, wir sind geprägt von meist unbewussten Prägungen.

    Gerhard

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    1. Ich finde diese Bemerkung sehr interessant. Unbewusste Inszenierungen, ich könnte auch sagen Übertreibungen. Man merkt, dass man irgendetwas unbewusstes versucht, mit Übertreibungen quasi abzureagieren. Und sogleich stellt man auch fest, dass dieses Verhalten in das Bewusstsein kommt, was den Wunsch auslöst, dass man in das Lot (zurück)kommt. Ich würde sagen, dass es dann wie von selbst (also auch wieder unbewusst) "wider herunteführt" in den ausgeglicheneren Zustand, man reguliert das wieder. Insofern macht für mich diese Inszenierung einen Sinn, obwohl sie ja irrational ist. Aber man merkt das ja dann, dass man überreagiert hat. Das will man auf Dauer sowieso nicht oder es reguliert sich fast automatisch, also unbewusst auch wieder. Kompliziert, aber wahr.

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  2. Das griechische Wort dafür lautet „sophrosyne“ und setzt sich zusammen aus den Worten „gesund“ und „verständig denken“. Tatsächlich waren den Griechen die Weisheit und die Liebe zu ihr, die sie Philosophie nannten, eine Art „Gesundheit des Denkens“ (Homer) oder Gesunddenken. Durch die Fokussierung auf das Denken klammerten sie das Handeln und die Praxis eines gesunden Lebens nicht etwa aus, ganz im Gegenteil. Aber sie wussten, dass unser Handeln und Fühlen ganz maßgeblich davon abhängt, was und wie wir denken, was für Vorstellungen wir haben, wie wir die Welt verstehen, die Dinge bewerten, worauf wir unser Wollen und unsere Begehrlichkeiten richten. Sie verkannten nicht, dass unser Handeln oftmals von unseren Emotionen und Trieben, von unbewussten Denk- und Verhaltensmustern gesteuert wird und Entscheidungen häufig „aus dem Bauch“ heraus getroffen werden. Aber sie erkannten, dass all diese Faktoren maßgeblich von unserem Denken (mit)geprägt und beeinflusst werden. …

    Für Aristoteles sind wir nichts anderes, als das, was wir tagtäglich tun. „Aus unseren Tätigkeiten erwächst unsere Haltung“. Wir werden zu dem, was wir tun. Wir sind unsere Gewohnheiten. Dazu zählen insbesondere auch unsere Denkgewohnheiten: „Man wird wie das, was im eigenen Sinn und Denken herrscht – das ist das immerwährende Geheimnis“, heißt es in den altindischen Upanishaden. Unsere Gewohnheiten sind unser Charakter. Sie sind nach Aristoteles unsere „zweite Natur“, die sich mehr oder weniger über unsere Erbanlagen und frühkindlichen Prägungen, die „erste Natur“, legen und sie maßgeblich formen. Der Charakter sei etwas, „was sich … ausbildet“, eine Gewohnheit, die durch Wiederholung und Einübung entstehe. Durch ein bewusstes Eingewöhnen eines bestimmten Denkens oder Verhaltens formen und verändern wir unseren Charakter und bilden unsere Persönlichkeit. Wodurch werden wir sportlich? Indem wir uns angewöhnen, regelmäßig Sport zu treiben. Wodurch werden wir gelassen? Indem wir uns abgewöhnen, uns über andere, das Schicksal oder irgendeine Sache unnötig aufzuregen. Wodurch werden wir mitfühlend? Indem wir uns angewöhnen, die Sorgen anderer zu teilen. „Wandel heißt Wandel in der Gewohnheit“, heißt es in einem Klassiker antiker chinesischer Philosophie.
    Albert (aus dem Buch)

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    1. Die meisten Gewohnheiten entstehen unwillkürlich und ohne darüber nachzudenken. Es sind verinnerlichte, häufig unbewusste Denk- und Verhaltensmuster, „irrationale Seelenelemente“, wie Aristoteles sie nannte. Sie sind aber, und das ist die entscheidende Beobachtung des Aristoteles, nicht in Stein gemeißelt und für ewig festgelegt. Wir können uns durch unser Denken dazu entschließen, uns in Zukunft anders zu verhalten oder anders zu denken, und wenn wir es dann auch tun, uns umgewöhnen. Wir können uns „umprogrammieren“. Das meint Aristoteles, wenn er sagt, dass die verinnerlichten Denk- und Verhaltensmuster, der „Charakter“, in der Lage sind, „nach Maßgabe des befehlenden Rationalen dem Rationalen zu folgen“. Ein Bild Platons aufgreifend beschreibt ein anderer Philosoph diesen Vorgang so: „Da kommt es der Denkkraft zu, nunmehr wie ein Wagenlenker das Gespann der zusammen aufgewachsenen Rosse (irrationale Seelenkräfte), der Begierde und des Gefühls, zu regieren und zu beherrschen.“ Dieses Regieren aber geschehe, indem wir uns durch die Umstellung unserer Gewohnheiten selbst erziehen: „Denn in den unvernünftigen Kräften der Seele kann kein Wissen entstehen, sowenig als in den Rossen, sondern diesen wird die ihnen eigene Tüchtigkeit (Weisheit) durch eine Art unbewusster Gewöhnung zuteil, dem Wagenlenker dagegen durch vernünftige Belehrung.“ Dem „Wagenlenker“ in diesem Bild entspricht unser vernünftiges Denken. Dieses kann „belehrt“ werden und lernt eigentlich ständig dazu, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, sei es durch Gespräche, Bücher, persönliche Erfahrungen oder eben durch philosophische Unterrichtung, die hier gemeint ist.

      Die Weisen der Antike in West und Ost sahen sehr klar, dass die Einsicht und das Wissen zwar grundlegend und wichtig sind, um unsere Persönlichkeit zu entwickeln und etwas in unserem Leben zu verändern. Sie sind aber keineswegs ausreichend. Hinzukommen muss, dass wir unsere „wilden Rosse“ erziehen, d.h. die von „Begierden und Gefühlen“ beeinflussten unbewussten Denk- und Verhaltensmuster verändern. Sie teilten daher die praktische Philosophie in zwei Teile ein, die „das Wissen und die Seelenverfassung“ betreffen: „Denn wer den Lehrgang durchgemacht und richtig begriffen hat, was zu tun ist und was zu meiden ist, ist noch nicht weise, und zwar nicht eher, als bis er eine innere Umwandlung durchgemacht hat, durch die seine Seele ganz mit dem, was sie gelernt hat, verschmolzen ist." Der Transmissionsriemen zwischen der intellektuellen Einsicht und einer „gesunden“ Seelenverfassung, also der Totalität sowohl unserer Einsichten als auch unserer Begierden, Gewohnheiten und Haltungen, ist somit die Übung.
      Albert (aus dem Buch)

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    2. Danke für die Zitate, das bereichert natürlich enorm! Bist du der Autor Albert oder ist die Namensgleichheit Zufall?

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