Introvertierte in einer Welt der extrovertierten Anreize
Ich bin ziemlich introvertiert, liebe das Alleinsein zu Hause, ein gutes Buch, das Internet als ungefährlichen Kanal nach draußen, ein oder zwei Freunde, aber vor allem das sichere Gefühl, dass ich selbst kontrollieren kann, wie weit ich mich öffnen oder zurückziehen möchte. Und trotzdem gehe ich jeden Tag arbeiten, jeden Tag unter unberechenbare Leute, die mich ungebeten ansprechen und meine Konzentration unterbrechen werden. Jeder Tag ist ein Behaupten in der Gruppe, jeder Tag ist ein Wirbelsturm von Eindrücken und maximaler Stimulation. Wie erschöpfend! Wöchentlich habe ich diese Tage, an denen ich am liebsten gar nicht vor die Tür gehen würde. Schon die Aussicht, mich in das Auge dieses Sozialorkans zu begeben, der dort draußen tobt, ermüdet mich.Party für Introvertierte: Warum vor die Tür gehen? Hier ist's doch schön! (Bild gemeinfrei) |
Dopamin im Belohnungszentrum
Woran liegt es, dass ich diesen Drive nach draußen nicht habe? Ein Teil der Antwort scheint in unserer Hirnphysiologie zu liegen. Wir alle werden vom Neurotransmitter Dopamin stimuliert, nach Belohnungssituationen wie Geld verdienen oder gewinnen, einen Partner zu bezirzen, Ruhm und Ehre zu suchen oder einfach nur die Aussicht auf etwas Leckeres zu essen. Introvertierte und Extrovertierte werden gleichermaßen mit diesem Botenstoff versorgt und wenn er im Hirn ankommt, werden wir plötzlich aktiv, reden mehr und schneller, nehmen die Umwelt schärfer wahr und werden bereit, höhere Risiken einzugehen.Das ist bei Introvertierten und Extrovertierten alles dasselbe, außer dass das Belohnungszentrum im Hirn der Introvertierten nicht so stark auf Dopamin reagiert. Die Dopaminrezeptoren in Extrovertierten hingegen springen deutlich heftiger auf in Aussicht gestellte Belohnungen an, sie werden förmlich elektrifiziert, wenn ihnen externe Belohnungen in Aussicht gestellt werden. Introvertierte hingegen werden weniger von solchen Anreizen motiviert, im Gegenteil: sie werden schneller überreizt und wenden sich von solchen Situationen eher ab, um dem Stress zu entgehen.
Grund dafür ist ein anderer Neurotransmitter, auf den das Hirn von Introvertierten viel stärker anspringt als das Gehirn von Extrovertierten. Mehr dazu kann man beispielsweise in Marti Olsen Laneys Die Macht der Introvertierten lesen.
Acetylcholin im Belohnungszentrum
So wie Dopamin ist auch Acetylcholin ein Botenstoff, der im Belohnungszentrum eine große Rolle spielt. Der Unterschied: Acetylcholin lässt uns großartig fühlen, wenn wir uns in Ruhe zurückziehen können, es motiviert uns zu lang anhaltender Konzentration, zum Nachdenken und Abtauchen in Geschichten, egal ob gelesen (Bücher), gehört (komplexe Musik, Lesungen und Hörbücher), gesehen (Filme) oder auch nur imaginiert (Tagträume). Introvertierte reagieren deutlich stärker auf diesen Botenstoff und natürlich fällt es uns viel leichter, diese Form der Belohnung zu erleben, wenn wir nicht übermäßig durch äußere Geschehnisse um uns herum stimuliert werden, sondern wenn wir uns zurückziehen können.Da ist also meine Antwort auf die Frage, warum ich manchmal morgens einfach nicht aus dem Haus gehen möchte. Ich fühle mich von Ruhe und Konzentration belohnt und nicht von äußeren Reizen, die uns durch die Interaktion mit größeren Gruppen von Menschen überfluten.
Ist es eine Welt für Extrovertierte?
Machen wir uns nichts vor: Die Welt da draußen, die Arbeitswelt insbesondere ist für Extrovertierte gemacht. Natürlich kommen Menschen schneller voran, wenn sie gern in großen Gruppen agieren, dort Risiken eingehen und sehr gesprächig sind. Natürlich strecken sich Extrovertierte deutlich stärker nach den versprochenen Belohnungen und wirken dadurch motivierter.Warum also gehe ich dennoch vor die Tür? Selbst wenn ich nicht arbeiten müsste, würde ich es doch tun und wahrscheinlich sogar ziemlich genau so, wie ich es jetzt mache. Lediglich die Arbeitszeiten würde ich etwas verschieben wollen. Was treibt mich als Introvertierten also in diese Welt der Extrovertierten? Ich habe mich über diese Frage mit Sylvia Löhken, einer der bekanntesten deutschen Autorinnen rund um das Thema Intro- und Extroversion, unterhalten. Es war ein spannendes Gespräch rund um Persönlichkeit, Motivation, Psychologie und Philosophie, die Arbeit und den Sinn in unserem Leben. Dieses Gespräch habe ich in einem professionellen Tonstudio aufgezeichnet und hier könnt ihr es euch anhören:
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Warum wir immer wieder doch rausgehen, obwohl wir es eigentlich gar nicht müssten?
AntwortenLöschenWeil wir doch draußen etwas finden, was uns weiter wachsen lässt.
Weil wir gebraucht werden oder ohne es manchmal zuzugeben, auch jemanden da draußen brauchen.
Weil wir sonst in unserer eigenen Gedanken und Gefühlswelt verloren gehen könnten. (z.B. durch eigene verzerrte Bewertungen, Bilder im Kopf)
Weil wir neue, andere Reize brauchen, um durch sie zu lernen.
Weil wir Beziehungen, Austausch und Kommunikation doch irgendwo wichtig finden.
Weil wir Nahrung, frische Luft und Bewegung brauchen.
Im übrigen versuche ich nicht zu sehr in introvertiert und extrovertiert zu denken. Die wirklich sehr Introvertierten sagen mir, ich sei extrovertiert, weil ich relativ offen das Gespräch suchen kann. Die wirklich Extrovertierten, die gerne Party machen und immer Aktion brauchen, für die bin ich wohl zu ruhig. Also was bin ich dann?? (Auf der letzten Party jedoch war es richtig gut und aus einer angeblich introvertierten Persönlichkeit, kann auch eine Tendenz zum Extrovertiertem enstehen)
Anscheinend suche ich, wie immer auch hier das gesunde Mittelmaß.
Wichtig finde ich auch noch in diesem Zusammenhang, dass man sich von der Beurteilung freimacht, dass Introvertiertsein eine Krankheit ist. Viele verstehen das noch nicht.
Das waren jetzt meine spontanen Gedanken dazu.
Liebe Grüße!
Maria S.
und Susan Cain
AntwortenLöschenhttp://www.geistundgegenwart.de/2011/08/still-die-bedeutung-von-introvertierten.html
habe ich auch gleich hier verarbeitet:
http://ne-na.me/2015/12/05/so-geht-innovation-und-diversity/
Es ist Weltklimakonferenz und welche Vorschläge werden angenommen?
Die von den charismatischsten Rednern, den sozial Best-Angepassten, den Extrovertierten
Ich muss nicht mehr raus, seit ich als Homeworkerin übers Netz arbeite. Das geht schon viele Jahre so und ich bin damit glücklich. Mir fehlt nichts.
AntwortenLöschenGuter Beitrag ! :)
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