Vor der Stille der Sturm von Wallace Stegner
In den letzten zwei Wochen habe ich mir eine Online-Auszeit gegönnt und es wirklich genossen. Auf Facebook hatte ich ein paar Beiträge im Voraus geplant, sodass ohne mein Zutun wenigstens ein bisschen was an meine Leser dringt. Es war schön, einmal ohne selbst aktiv zu sein, nur zu lesen, am Strand zu liegen und ein neues Land kennen zu lernen. Eines der Bücher, die ich las war Wallace Stegners Vor der Stille der Sturm (im Origial: All the Little Live Things). Diese Erzählung hat mich wirklich beeindruckt und mitgenommen. Sie hätte wohl eigentlich eine Novelle werden sollen, denn am Anfang und am Ende stehen geradezu unglaubliche Begebenheiten, währen der Text in der Mitte nur so mit Gesprächen, Gedanken und kleinen Konflikten am Leben gehalten wird. Gerade die letzten Kapitel des Buches gehören jedoch zum besten und atemberaubendsten, das ich je gelesen habe. Kurz gefasst geht es um die junge Mutter Marian, die ein zweites Kind erwartet und gleichzeitig mit Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs im Sterben liegt. Sie verwehrt jegliche Chemo- und Strahlentherapie, um das ungeborene Kind nicht zu gefährden. Es ist ein Wettlauf - buchstäblich - um Leben und Tod. Dass der Tod dabei siegen wird, ist nie auch nur eine Sekunde unklar. Aber wird das Leben wenigstens ein kleines bisschen siegen? Das ist das große Thema der Erzählung: Das Leben siegt immer... und der Tod auch. Marian sagt in einem der vielen philosophischen Gespräche mit dem Erzähler:"Es stimmt, der Tod muss in der Welt sein. Sterben ist so natürlich wie geboren werden. Wir sind alle ein Teil dieses großen Pools des Lebens und wir schulden der Welt den Raum, den wir einnehmen und die Chemikalien, aus denen wir gemacht sind. Sobald wir zugeben, dass das keine Abstraktion ist, sondern etwas, das wir persönlich schulden, sollte es nicht mehr so schwer sein." (von mir aus dem Englischen übertragen, S. 287)
Stegner hat ein Buch geschrieben, das einem alles lehren kann, was man zum Leben wissen muss: AUGEN AUF UND DURCH, könnte man sagen. Es wird immer wieder höllisch schmerzen und gleichzeitig ist es das beste, was uns widerfahren kann. Es gibt kein gutes Leben ohne Leid und Tod. Ich empfehle eine Online-Auszeit und Vor der Stille der Sturm.
Ja, eine Online-Auszeit empfehle ich mir selbst auch immer wieder. Sonst kommt man nur schwer zu sich selbst, da es so viele Eindrücke und Reize gibt.
AntwortenLöschenDas Buch klingt wirklich interessant, als ich diesen Artikel gelesen habe, musste ich gestern an den Film "Life of Pi" denken, wo besonders der Satz des "Loslassens" mich zu Tränen gerührt hat. Ich weiß nicht, ob das jetzt speziell nur ein Thema bei mir ist, Abschiede und Abschnitte im Leben "gut"durchleben zu wollen, aber ich denke das sowohl das Leben als auch der Tod (der ja ein Abschied ist) sehr im Menschen allgemein verankert ist und das der Mensch auch die Zeit braucht, sich damit auseinander zu setzen, bzw. das auch einfach bei sich selbst fühlen zu lassen. Da gibt es unterschiedliche Wege der Auseinandersetzung, sowohl rational als auch emotional...
Meine weiteren spontanen Gedanken, kommen aus der Erfahrung, dass ich als Mensch schon mir im Kopf ausmale, was als nächstes kommt und gerade bei Umbrüchen / Abschieden / Übergangsphasen sind diese Gedanken und Bilder eben nicht immer positiv und förderlich. Natürlich darf man das, was vorher war vermissen oder Bedenken zur Gegenwart äußern , aber man weiß ja gar nicht, was noch vor einem liegt und das verbinde ich eben mit den Worten "Augen auf und durch", was Sie hier geschrieben haben. Erst wenn man den Weg weiter geht, sieht man die Situation vielleicht ein Stück weit aus einer anderen Perspektive. Aber man muss halt den Weg gehen. Das ist das Wichtigste daran.
So, das waren jetzt keine Gedanken aus einem wissenschaftlichen Buch, sondern einfach spontan aus dem Bauch heraus.
Und keine Sorge, ich lese hier noch still mit und verfolge die Themen, aber diesmal musste ich einfach schreiben. :)
Liebe Grüße!
Maria S.
Vielen Dank Maria!
LöschenWie immer ein schöner Kommentar, mit tollen Anstößen zum Weiterdenken. Danke auch für den Hinweis auf "Life of Pi".
Viele Grüße!
Der Tod kommt uns zunehmend so vor, als schuldete uns das Universum eigentlich grenzenloses Leben und ein sorgenloses Dasein, und als sei das Abschiednehmen eine nicht zu leistende Zumutung. Dabei ist der Tod die Funktion, die macht, dass das Leben überhaupt blühen kann, da es nur im Kreislauf existiert, und ich würde nicht nur sagen, wir schulden "der Welt" unsere geliehene Leiblichkeit, sondern wir schulden es denen, die da noch kommen werden, denn auch Menschen sind natürliche Wesen und von der Verrottung abhängig.
AntwortenLöschenEine gute Nachricht habe ich aber noch: Wir können uns, wenn wir eine Sekunde den Blick von unserem Ich auf uns selbst abwenden (wer das kann, ist ein Gott), auch vorstellen, dass der Abschied nur temporär ist. Damit meine ich nicht, dass man den Tod überlebt und wiedergeboren wird. Das Sich-nicht-Überleben aber kann ein Neuanfang sein, in einem neuen Wesen das ebenso zufällig/unmittelbar geboren bzw. in sein Dasein geworfen wird wie wir es wurden. Ein radikaler Neuanfang, ohne "nochmal von vorn" zu beginnen - der existenziale Sprung in das Nichts. Aber nicht in das immerwährende Wegsein.
So sehe ich den zukünftigen Rest der Lebewesen nicht als fremde Wesen an mit jeweils einmaliger Lebensinstanz, sondern nur einzigartiger Personeninstanz - und mit einem unpersönlichen oder Blick offenbart sich der Tod als nur das "Andere der Person", nicht des Lebens.
Vielen Dank für diese Gedanken! Ja, wir schulden es denen nach uns und wir schulden denen noch viel mehr, z.B. eine lebenswerte Umwelt. Schade nur, dass wir nicht in die nach uns investiert sind. Eine bloße "Schuld" ohne "Zinsen" und ohne Konsequenzen bei nicht Begleichen kann nur wenige motivieren.
LöschenMir gefällt diese Idee von einem radikalen Neuanfang als Sprung ins Nichts ohne immerwährendes Wegsein! Auf die für die meisten von uns entscheidende Art droht jedoch ein immerwährendes Wegsein: Wenn wir allen Hokuspokus beiseite lassen, dann müssen wir davon ausgehen, dass unser Ego (Bewusstsein, das Selbst etc.) mit dem Sprung ins Nichts verloren geht. D.h. vor dem Tod kann uns der Gedanke vom radikalen Neuanfang als Sprung ins Nichts ohne immerwährendes Wegsein vielleicht beflügeln, danach ist es aber auch alles Schnuppe.
Liegt es nicht allein in unserer Wahl, was für uns die entscheidende Art ist? Das habe ich mit "wer das kann, ist ein Gott" gemeint: Natürlich ist die entscheidende Art für das, was wir sind, nämlich Menschen, zunächst der Tod als immerwährendes Wegsein. Wir treten ab und begrüßen neue Erdenbewohner, die uns überleben. Aber als Gott (so albern das klingt) könnten wir doch auch mit uns existenzialer umgehen und uns von dem Gedanken lösen, in ein immerwährendes Wegsein zu verschwinden. Wenn es um Beflügelung ginge, würde ich frei nach Heidegger eher die Endlichkeit, die Immanenz betonen, aber gerade umgekehrt geht es mir ja um das Andere, den radikalen Neuanfang.
LöschenEs ist so schnuppe nicht! Denn stellen Sie sich das Ganze mit der Konzeption der Gerechtigkeit von John Ralws vor! Hat Ralws gedankliche Einfühlung in eine Nicht-Wissen-Situation nicht genau damit zu tun? Ein radikaler Neuanfang wäre nicht so etwas wie Reinkarnation. Es wäre überhaupt nichts. Es wäre nicht mal allein vorstellungsmäßig zu schaffen, eine Verbindung zwischen Personen herbeizudichten. Wir wüssen gar nicht, wie es uns mal geben würde in Form einer völlig neuen Person (oder eines vollkommen anderen Seinsmodus). Habe ich dann nicht genau die Bedingungen des Urzustandes? Und zwar nicht fiktiv, sondern real und für jeden? Ich bin Philostudent und genau das ist mein monoideistisches Thema, und ich hoffe, dass ich das irgendwann besser begründen kann (und wenn es nicht klappt, dann soll es mir auch recht sein).
Faszinierend! Wenn Sie Interesse haben, Ihre Gedanken in einem Artikel zusammenzufassen und damit auch weiter auszubilden, dann würde ich Ihnen eine Möglichkeit zur Veröffentlichung hier anbieten. Lassen Sie mich bei Interesse einfach über das Kontaktformular wissen.
Löschen