28. September 2015

Wann ist unsere Arbeit sinnvoll?

Warum der Arbeitsplatz für uns an Bedeutung gewinnt

Allerorten werden Sinnkrisen ausgemacht: Im Privatleben, im gesellschaftlichen Miteinander, in der Politik und natürlich in der Arbeitswelt. Wir haben uns an düstere Bilder gewöhnt und ein Gefühl gewonnen, dass man da nichts machen kann. Das Verschwinden Gottes, all der Rituale und der Religion als Bindemittel zwischen Individuen und Gruppen ist ein naheliegender Grund für einen zunehmend gefühlten Sinnverlust. Eine Reduzierung unserer Lebenswelt auf Datenoberflächen und virtuelle Freunde ist ein anderer. Und im Philosophie Magazin können wir nun lesen, wie der Sinn auch aus der Arbeit zu fliehen scheint. Ich glaube, dass das nicht so ist oder wenigstens nicht so sein muss. Wenn man weiß, wie Menschen "Sinn" erleben, nämlich im Eingespanntsein von Beziehungen und Zusammenhängen, dann kann es wirklich nicht verwundern, dass ein Verschwinden und eine Virtualisierung solcher Beziehungen dazu führen kann, dass wir unsere Welt als weniger sinnvoll erleben. Gerade unsere Arbeit kann aber starke Beziehungen zu anderen Menschen und Zusammenhänge zu übergeordneten Zielen herstellen. Ein Arbeitsplatz heute, so könnte man argumentieren, ersetzt gewissermaßen andere soziale Räume, die uns zuvor mit Sinnbeziehungen versehen haben.

Soweit muss es doch nicht kommen...

Gesellschaftliche und familiäre Sinnbezüge

Das Verschwinden von größeren Familien mit ihren regelmäßigen Zusammenkünften ist etwas, das ich selbst über mein Leben hinweg beobachtet habe. Ich erinnere mich an große Familienfeiern, als ich noch ein Kind war. Die Uroma wurde abgeholt, die Großeltern aus West-Berlin kamen, die Tanten und Onkel aus Thüringen, die Großtante mit ihrer Familie aus Heilbronn, viele Cousinen und Cousins von überall her und das Zuhause war plötzlich ein rauschendes Fest. Zuerst starb mein Opa, dann meine Uroma, dann die Großeltern im Westen (des inzwischen vereinten Deutschlands), dann gab es Scheidungen und Zerwürfnisse, ich zog ins Ausland und meine Generation hat dieser inzwischen äußerst dezimierten Familie bisher keine neuen Familienmitglieder hinzugefügt. Weihnachten ist nun ein Zusammensein von meinen Eltern, einer Tante, zwei Cousins und mir. Die große Festlichkeit ist dahin, es ist der klägliche Rest des Eingebundenseins in größere Zusammenhänge und der Totalausfall irgendwelcher gesellschaftlichen Bündnisse, wie man sie eventuell in Kirchengemeinschaften erlebt hatte. Ich wette, dass es vielen ganz genauso ergangen ist, wie mir. Dafür haben wir nun hunderte "Freunde" auf Facebook.

Interessanterweise ist sogar ein restriktives System (wie viele Kirchen oder patriarchale Großfamilien) für das Sinnerleben hilfreich. Die Normen, Unterwerfungen und Rituale, so sehr sie die Freiheit des Individuums einschränken oder unseren Intellekt beleidigen, ermöglichen das Sich-in-Beziehung-Setzen, das Erleben von Grenzen und das Brechen von Regeln. Ganz ehrlich: Solche Systeme sind nichts für mich. Ich bin froh, dass das aufbricht und ich mich selbst definieren kann. Dennoch fehlen sie uns als Rahmen für ein sinnerfülltes Leben, wenn wir sie nicht durch andere Systeme ersetzen.

Arbeit als Rahmen für ein sinnerfülltes Leben

Wo erleben wir heute noch größere Gemeinschaften, wenn die traditionellen Bereiche wie Kirche, Familie und Vereine ausfallen? Genau: Auf der Arbeit, im Büro, im Geschäft, in der Werkstatt. Und das nervt oft ganz stark. Die Vorgesetzten sind vielleicht unmöglich, die Kunden und Geschäftspartner sind schwierig und auch die Kollegen haben ihre Macken. Aber siehe oben zu Kirche und Familie: Sinnerleben ist nicht daran gebunden, dass alles toll ist und niemand mich einschränkt, im Gegenteil. Sieht man sich solche Firmen an, die wie verwesende Fische vom Kopf stinken, dann stellt man regelmäßig fest, dass die Belegschaft sagt "Ein super Zusammenhalt unter den Kollegen". Das ist auch ganz normal, wenn man einen gemeinsamen Feind hat. Menschen sind ursprünglich in Stämmen und Klans organisiert und das funktioniert vor allem über Abgrenzung nach außen.

Man könnte also meinen, dass der Arbeitsplatz der Ort ist, an dem wir die meisten Interaktionen mit anderen haben und am ehesten in übergeordnete Sinnbezüge einbezogen werden. Aber auch hier droht vielleicht dieselbe Virtualisierung, wie wir sie in unserer Freiheit beobachten? Der belgische Philosoph Pascal Chabot, der sich im Interview zusammen mit seinem Kollegen Mathew B. Crawford gegen die Abwertung der körperlichen Arbeit wehrt, sagt:

Die Omnipräsenz von Computern in der Arbeitswelt sollte uns in Alarmbereitschaft versetzten, da sie in jeder Hinsicht abschottend wirken. Sie schirmen das Individuum vom Konkreten ab und die Kollegen von einander, die inzwischen eher per Mail als direkt kommunizieren. (Philosophie Magazin, Nr. 6 / 2015, S.59)

Gegen Abwertung körperlicher Arbeit bin ich auch. Dennoch wundern mich solche verallgemeinernden Aussagen zu nicht-körperlicher Arbeit. Ich beispielsweise freue mich geradezu, wenn ich mal ein paar Stunden hintereinander am Bildschirm arbeiten und direkt etwas (meistens Text) produzieren kann. Ich und viele in den Büros haben eher das Gefühl, dass die Meetings omnipräsent sind. Ständig meeten alle und keiner arbeitet mehr. Meine Mutter, die mich öfter mal anrufen möchte und wegen der Meetings nie erreicht, bestätigt das und sagt: Was besprecht ihr eigentlich die ganze Zeit und vor allem, wann setzt ihr etwas in die Tat um? Gute Frage! Die Antwort sei mal dahingestellt. Für das diskutierte Problem des Austauschs unter Kollegen ist es eher ein Indiz, dass ein Abschirmen der Kollegen voneinander nicht statt findet. Und ich bin ehrlich: Ich mag die Meetings mit meinem Team, sie sind realer Austausch zu interessanten Themen. Wo habe ich das sonst, außer auf der Arbeit? Anderes Beispiel: Heute habe ich mit einer zukünftigen Mitarbeiterin gesprochen, die wir in Seattle akquiriert haben. Da es hier schon spät war und in Seattle noch früh, habe ich das von zu Hause über den Laptop als Video-Call gemacht. Wir haben ihren Umzug zusammen mit vier Kindern und dem Ehemann geplant. Ist das virtuell? Ist das nicht besser, als übers Telefon? Interessant und befriedigend war es allemal. Wir haben in 50 Minuten so viel von einander und über verschiedene Kulturen gelernt, wie es wohl selten sonst im Alltag passiert. Ich habe das Gefühl, wir kennen uns nun. Die Diagnose, dass alles virtualisiert wird und Bildschirme uns voneinander abschirmen, kann ich also gar nicht teilen.

Nebenbei bemerkt: Es klingt auch immer so, als sei früher - als es all diese moderne Technik nicht gab - alles besser gewesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass übermüdete und geschundene Feld- oder Fabrikarbeiter ein größeres Gefühl von Sinnhaftigkeit hatten, als wir in unserer heutigen Arbeitswelt.

Cover des Philosophie Magazins Wenn Philosophen von Arbeit reden

Ich kann mir natürlich vorstellen, dass das bei Philosophen, die akademisch am PC arbeiten und Texte produzieren, mit den Beziehungen zu Kollegen etwas anders aussieht. Während meiner akademischen Zeit war ich auch oft abgeschirmt von anderen, weil ich den ganzen Tag konzentriert las, recherchierte und schrieb. Aber man kann davon nicht auf die Arbeitswelt in den Büros in der Wirtschaft schließen. Die sieht anders aus.

Ein anderes oft diskutiertes Argument ist die Frage, was von der Arbeit übrig bleibt, wenn alles "virtuell" ist. Wenn ich einen Tisch herstelle, dann bleibt da etwas, das ich sehe, das ich anfassen und an dem ich mich erfreuen kann. Aber das gleiche gilt doch auch für jemanden, der eine App entwickelt oder ein Screen-Design produziert. Wenn man das gut gemacht hat und es am Ende umgesetzt und von Abertausenden Leuten genutzt wird, ist das auch ein Erlebnis von Wirksamkeit. Lasst mal erst die 3D-Drucker Einzug halten, dann kann man das auch alles gleich wieder anfassen.

Und natürlich lesen wir im Magazin zu diesem Thema auch Byung-Chul Han, dessen Texte zu Themen wie Burn-Out oder Müdigkeitsgesellschaft immer wieder recycelt werden. Vielleicht - so möchte man kalauern - wären wir alle weniger ermüdet, wenn wir mal etwas neues von ihm lesen würden. Ist es nicht seltsam, dass Philosophie-Professoren, eine Berufsgruppe, die wie kaum eine andere von der tatsächlich praktischen Arbeit in der Wirtschaft entfernt ist, sich anmaßt, uns vom Wesen der heutigen Arbeit zu erzählen?

Natürlich sagen Philosophen wie Chabot oder Han viele interessante Sachen, die Hand und Fuß haben, die inspirieren und nachdenkenswert sind. Ich bezweifle nur, dass sie uns etwas empirisch stichhaltiges über unsere Praxis im Arbeitsalltag sagen können. Natürlich gibt es viel Arbeit die Mist ist und Menschen entwertet. Es bleibt viel Potenzial zur Entfaltung ungenutzt, weil die Rahmenbedingungen oft mangelhaft sind. Aber was es heißt, in einem Team zu arbeiten, über diverse Medien zu kommunizieren oder eine Software zu entwickeln, das können sie nicht wissen, wenn sie es nicht selbst erleben.

Sind wir Teil des Problems oder arbeiten wir an der Lösung?

Han beschreibt in seinem Text am Ende etwas, auf das die Frage nach Sinnhaftigkeit auch für mich hinauszulaufen scheint. Das Eingebundensein in eine Gruppe von Leuten ist ein wichtiger Aspekt zum Erleben von Sinnzusammenhängen. Ein anderer sehr wichtiger Aspekt ist, dass man überzeugt ist, etwas gutes zu tun. Jemandem helfen, Nahrung anbauen, andere weiterbilden oder ihre Kreativität zu unterstützen sind vielleicht lohnenswerte Unternehmungen. Was ist aber mit den Kapital-Geschäften und Spekulationen, die nur den ohnehin Reichen unter uns nutzen, was ist mit dem perfiden Marketing, das Bedürfnisse weckt, die Menschen eigentlich gar nicht haben? Han beschreibt die sinnlose Produktion von Information und schlimmer noch von Waren:

"Die Welt erstickt in den Dingen. Sie vermehren sich wie Bakterien. Für dieses Wachstum, für diese karzinomatöse Wucherung der Dinge als Waren arbeiten, produzieren und konsumieren wir wie verrückt. Dieses Warenhaus unterscheidet sich nicht wesentlich vom Irrenhaus. Wir haben scheinbar alles. Uns fehlt aber das Wesentliche, nämlich die Welt. Die Welt ist stimm- und sprachlos geworden, ja klanglos. Der Kommunikationslärm erstickt die Stille. Die Vermassung der Dinge verdrängt die Leere." (Philosophie Magazin, Nr. 6 / 2015, S.65)

Hier, in den Zielen unserer Arbeit und weniger in der Praxis sehe ich ein großes Problem. Wofür arbeiten wir eigentlich? Welchen Unterschied macht es in der Welt, dass ich jeden Tag 8 Stunden im Büro verbringe? Bin ich Teil des Problems oder arbeite ich an einer Lösung?

Wenn wir über unsere Arbeit sagen können, dass wir mit ihr zum einen einen guten Zweck unterstützen und zum anderen in einen bedeutsamen Kontakt mit anderen Menschen kommen, dann sind wir der Sinnhaftigkeit arbeitend viel näher als mit vielen anderen Dingen in unserer Freizeit.



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1 Kommentar:

  1. Hallo in den frühen 80iger Jahren hatten wir das Buch von Erich Fromm Haben oder Sein, dabei ging es um Entfremdung. Ist die heutige Entwicklung mit der Arbeitswelt oder dem Beruf als hohes Gut nicht ktitisch zu sehen? Früher arbeitete man um zu leben, heute lebt man um zu arbeiten.Doch die Arbeitswelt hat sich geändert. Befristete Stellen verlangen immer wieder von den Bewerbern neue Jobs zu suchen, sich zu bewerben, den Lebenslauf neu anzupassen und sich immer wieder auf Vorstellungsgespräche vorzubereiten. Gerade für Absolventen nach der Uni oder FH ist es schwer Fuß zu fassen und einen unbefristen Job zu erhalten. Also können Viele dem neuen goldenen Kalb Arbeit immer nur befristet huldigen. Vielleicht ganz gut - denn nichts ist beständiger als der Wandel.

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