18. Juli 2015

Mit Hans Fallada in Carwitz

Meine poetische Reise in die Feldberger Seenlandschaft

Hans Fallada ist der Schriftsteller, der mich bereits seit meiner Kindheit begleitet. Mein Vater las mir immer wieder aus meinem Lieblingskinderbuch Fridolin, der freche Dachs vor. Und als ich irgendwann zu alt wurde, las ich selber das Buch wieder und wieder. Was mich am meisten faszinierte, war das geschilderte Landleben, die Einfachheit, die Natürlichkeit, die kleinen und großen Tragödien des Lebens vor der mecklenburgischen Landschaft. Fallada schuf so etwas wie eine Heimat für mich, er weckte mein Interesse für die nordostdeutsche Flora und Fauna. Alles, was mir seitdem in den brandenburgischen und mecklenburgischen Wäldern begegnete, sah ich mit den Augen, die mir Hans Fallada durch sein Kinderbuch gegeben hatte.

Das Hans Fallada Haus mit Garten in Carwitz
Das Hans Fallada Haus mit Garten in Carwitz (Fotos: Gilbert Dietrich)

Später las ich auch Falladas Erwachsenenbücher Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, Kleiner Mann - was nun? oder Bauern, Bonzen und Bomben. Am Ende war Falladas geniale Erzählweise, die von ihm entwickelten Romanwelten, die den süchtigen Leser verschlingen, sicher mitschuldig, dass ich neben Philosophie auch die deutsche Literatur studierte.

Zwischen Berlin und Feldberger Landschaft

Ich wohne jetzt in Pankow Niederschönhausen, wo auch Fallada eine Weile in der Künstler- und Intellektuellenkolonie (später das SED-Bonzenviertel) um den Majakowskiring herum gelebt hat. Heute noch wirkt dieser kleine Teil Pankows irgendwie abgeschirmt von der Welt und man kann Falladas kleines Haus heute in der nach seinem wirklichen Namen benannten Sackgasse Rudolf-Ditzen-Weg sehen und sich vorstellen, wie er dort im damaligen Eisenmengerweg seine letzten traurigen Tage verbrachte, während der Rest Berlins aus dem Krieg aufwachte und sich dem Alptraum einer vollendeten Zerstörung stellen musste.

Mehr noch als diese Pankower Kolonie war Carwitz eine Idylle, über die hinweg die Familie Ditzen die englischen Bomber gen Berlin fliegen sahen, während sie sich um ihre Bienen, das Kleinvieh und sich selbst kümmerten. Aber wie bei jeder vermeintlichen Idylle gärt die Tragik gleich unter der Oberfläche. Die Kriegszeiten waren auch auf dem Land hart, Fallada war depressiv und abhängig von Alkohol und Tabletten, Fallada verbrachte immer wieder Zeiten in Gefängnissen und Anstalten, die Ehe ging schließlich in die Brüche. Aus seinem Briefwechsel mit seinem Sohn Uli Mein Vater und sein Sohn hört man auch Falladas ambivalente Haltung gegenüber den Nazis heraus. Er war durchaus patriotisch, wünschte sich einen Sieg Deutschlands und war kurzzeitig als Reichsarbeitsdienstführer aktiv. Eine Flucht der Familie aus Deutschland wurde jedoch auch immer mal erwogen und dann wieder verworfen. Die sogenannte "innere Immigration" ist in einem Nest wie Carwitz besser vorstellbar, als sonst irgendwo. Hier ließ man ihn in Ruh, denn auch die Nazis waren in ihrer Haltung gegenüber Fallada ambivalent. Mal wurde er kritisiert und verboten, mal von Goebbels zum Beispiel für den Roman Wolf unter Wölfen: Roman gelobt.

 Carwitz heute

Seit meiner frühen Liebe zum frechen Dachs Fridolin wollte ich immer diesen Ort am schmalen Luzin sehen, wo die Dachs-Familie neben den Ditzens lebte, wo sich Fridolin mit Kuh, Hund und Fuchs anlegte und wo die Natur dem Alltag noch ihre Form aufzwang und damit das Leben zwar strenger, aber auch einfacher machte. Jetzt endlich hatte ich einmal die Gelegenheit ergriffen, Zelt, Schlafsack und Kanu ins Auto gepackt und die schön bewaldete Strecke durch den Nordosten Brandenburgs nach Mecklenburg befahren. Nach wenig mehr als einer Stunde Fahrt in Carwitz angekommen, wurde sofort alles entschleunigt: Die Kopfsteinpflasterstraße erlaubt nur 20 km/h, Menschen tragen Paddelboote über die Straßen und die Wege sind eng.

Natur in der Felberger Seenlandschaft
Natur in der Feldberger Seenlandschaft (Fotos: Gilbert Dietrich)

Auf dem kleinen Carwitzer Zeltplatz schlug ich meine Unterkunft auf und machte mich zu Fuß daran, die Gegend zu erkunden. Zu meiner Freude stellte ich fest, dass es am nächsten Abend eine Lesung im Fallada Haus geben würde. Ich vertrieb mir die Zeit mit der Suche nach etwas zu Essen und nach Bier. Dann lungerte ich auf dem Zeltplatz rum, las, hörte Musik und beobachtete die neu ankommenden Familien. Ich liebe das Zelten, die Langeweile, die reduzierte Daseinsweise, das bisschen Brot mit einer Hand Wurst, die Anstrengung, die es kostet, bei Wind und Wetter einen Tee zu kochen, die abendliche Dunkelheit, die der täglichen Geschäftigkeit ein frühes Ende setzt und der zeitige Sonnenaufgang, der einen nach kurzer frischer Nacht in den nächsten langen Sommertag drängt.

Den ganzen nächsten Tag wanderte ich auf den Naturpfaden rund um Carwitz und atmete die Ruhe, dachte an Fallada und Fridolin, fotografierte Blumen und Hasen, badete im Luzin, traf Rehe und sah abends den Fischen zu, wie sie nach den Fliegen schnappten. Dann schlenderte ich ins Fallada Haus und lauschte dem Briefwechsel zwischen Vater und Sohn. In der Dunkelheit meines Zeltes freute ich mich dann auf den nächsten Tag, an dem einer meiner ältesten und besten Freunde zu mir stoßen sollte, auf dass wir das Wochenende in endlos vertrauten Gesprächen in der Natur, beim Baden und Campen rumbringen würden. Freunde, Natur, Literatur und Muße - das alles heißt auch nach Fallada noch Leben und ist gleichzeitig Poesie, ein Traum und nun schon wieder Geschichte. Bis zum nächsten Mal in Mecklenburg.



Das sollten Sie auch lesen:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Top 5 der meist gelesenen Artikel dieser Woche