Was steckt hinter dem irren Gefühl des Verknalltseins?
Als ich in den achtziger Jahren aufwuchs, wurden nach den Suchmeldungen zu Kriegsvermissten im Radio immer auch Höhrerbriefe, wie dieser vorgelesen:
"Ich habe dich am 21. Dezember im Bus mit der Nummer 50 gesehen. Du hattest eine gelbe Jacke, blaue Hose und einen roten Beutel. Ich hatte eine schwarze Hose und eine graue Jacke an. Wir haben uns kurz angelächelt und dann bist du an der Rathausstraße ausgestiegen. Bitte melde dich, ich muss dich wiedersehen."
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Bitte melde dich, ich muss dich wiedersehen (eigenes Foto) |
Ich fand das immer bizarr, irgendwie traurig und doch so nachvollziehbar. Wem ist das noch nicht passiert: Man sieht in der Bahn, dem Bus oder dem Supermarkt einen anderen Menschen und findet ihn unheimlich anziehend, ja schlimmer noch: Man denkt, dass man sich auf der Stelle verliebt habe, von seinem derzeitigen Leben davon rennen müsste und den zweiten Teil des Lebens mit dieser einem völlig unbekannten Person verbringen möchte. Ist diese Person, so fragen wir uns in diesem Moment, mit ihren sanften Augen, den Lachfältchen, dem sinnlichen Mund und der neugierigen Nase, ist sie nicht der Mensch, auf den wir unser Leben lang gewartet haben? Diesem Menschen sehen wir an, dass er das Verständnis für uns, so wie wir sind, mitbringt, den Sanftmut, den wir in dieser harten Welt so dringend nötig haben und die Schönheit, die wir verdienen. Ohne, dass wir nur ein Wort mit ihr gewechselt hätten, kennen wir diese Person in und auswendig, lassen wir uns jedenfalls vorgaukeln.