15. Juni 2014

Die lange Nacht der Philosophie

Jenseits einer systematischen Wald- und Schreibtischphilosophie

Die lange Nacht der Philosophie in der Wahrnehmung des deutschen Medien- und Event-Publikums scheint vorbei zu sein. Diesen Eindruck hatte ich zumindest gleich, als ich mich durch die überfüllten Flure, Treppen und Räume des Institut Français in Berlin quetschte, das zum ersten Mal nach vergleichbaren Veranstaltungen in Paris und London solch ein Event in Deutschland veranstaltete. Es war dermaßen voll, dass ich mit meiner Begleiterin erst einmal in die Brasserie ging, um Flammkuchen zu essen und mit unseren Nachbarn rechts und links über das Reisen, die Philosophie und die französische Küche zu reden.


Versuche in die populärsten Veranstaltungen, wo man sich - wie ich heute im Tagesspiegel lesen konnte - kleine Wortgefechte zu Heidegger und der Frage, ob auch alles Sein grün sein könnte, lieferte, mussten wir leider aufgeben. Statt dessen hörten wir (sehen konnte man wegen der Massen nur wenig) kurze und oft sehr amüsante Vorträge zur Philosophie von Émile Zolas, zur Rezeption der deutschen Philosophie in Frankreich und zur Philosophie der Erfahrung bzw. Erfahrung der Philosophie. Alle Vortragende waren französische Professoren, was mich meinen ließ, dass zwar das deutsche Publikum gegenüber der Philosophie erwacht sein möge, aber noch lange nicht die deutsche akademische Philosophie gegenüber ihrem möglichen Publikum.

Deutsche Philosophie als französische Leidenschaft

Die Franzosen haben eine lange Kultur der öffentlichen Philosophie, die sich nicht zu schade war, mit einem breiten und oft nicht akademischem Publikum zu verkehren und damit auch Einfluss auf Politik, Kunst und Gesellschaft zu nehmen. Die deutschen Professoren hingegen, bleiben gern an ihren Schreibtischen unter den Linden, an denen schon Schopenhauer, Hegel und Fichte gesessen hatten. Sieht man mal von Heidegger ab, der sich mit seiner Schar der Jünger regelmäßig in Berg und Wald absetzte und von dort aber erst recht mit einer eigenen Sprache des Seins zurückkam. Interessant ist, wenn man Christian Bonnets Vortrag zur deutschen Philosophie als französische Leidenschaft trauen darf, dass gerade diese systematische Wald- und Schreibtischphilosophie mit ihrer unübersetzbaren deutschen Philosophensprache genau das ist, was die Franzosen so sehr an den deutschen Philosophen so sehr fasziniert hat, dass sie der Meinung waren, Deutsch sei die Sprache der Philosophie schlecht hin.

Denken löscht Wissen

Faszinierend war auch der Vortrag von Gérard Bensussan mit dem Titel Philosophie der Erfahrung, Erfahrung der Philosophie. Bensussans Kernthese war, dass Philosophie immer über ihre Sachinhalte hinausgehe. Anders als etwas Naturwissenschaften wie zum Beispiel die Biologie, ziele die Philosophie nicht darauf ab, Wissen zu sichern, sondern das Denken und damit eine Erfahrung zu erwecken. Philosophie ist kein Wissen, sie setzt aber eine Menge an Wissen voraus. Dieses Wissen wird dann im Denken gelöscht und ersetzt. Das heißt, das philosophische Denken ist wie jede Erfahrung eine Investition: Man setzt das, was man weiß aufs Spiel, verliert es im Denken, findet neue Inhalte und gewinnt dadurch an Erfahrung und Inhalten hinzu. Das heißt am Ende auch, dass Denken und Erfahrung immer auch an ein Moment der Überraschung geknüpft ist, denn man weiß vorher nicht, zu welcher Erkenntnis man gelangen kann und welche Ideen einem auf dem Weg dahin begegnen. Für mich ist das genau der Reiz an der Philosophie: Die Ideen, die am Wegesrand der Denkpfade liegen und die jede für sich unser Leben bereichern können.

Auf die nächsten Nächte

Ich bin gespannt, ob sich das Format der Nacht der Philosophie in Deutschland etablieren wird. Das Potenzial hat es genauso wie das Potenzial zur Weiterentwicklung. Nicht nur würde man sich auch die Aufmerksamkeit der deutschen Philosophen wünschen, auch eine Entzerrung des Programms und damit mehr Zeit zum Reden, Diskutieren und öffentlich denken wäre schön gewesen. Mehr als 80 Veranstaltungen in 12 Stunden, scheint mir einfach zu viel gewesen zu sein. Mir hat ganz besonders auch eine moderne Interaktivität gefehlt. Zum Beispiel hätte man mit einer Twitter-Wand und einem Hashtag sowohl im Publikum zur Interaktivität und zum Kontakte knüpfen beitragen können, als auch die Interessierten erreichen können, die nicht zum Event kommen konnten. Nicht zuletzt sorgt diese Form der Medialität heutzutage auch dafür, dass solche Veranstaltungen populär werden und an Einfluss auf die Gesellschaft gewinnen. Es war ein Anfang, der die Tür zur Philosophie in Deutschland noch weiter öffnen könnte.

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