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Alles, was Lust macht, ist gut (Bubble Joy von Davide Gabino via Flickr CC) |
Gut ist, was Lust macht
Es gibt ganz fundamentale Gegensätze in unserem Leben: Spaß/Horror, Gut/Schlecht, Lust/Unlust usw. Wir sind sozusagen gespalten. Warum ist das so? Vom Menschen sagt Alexander Kluge in
Die Lebensbahn des Zwerchfells: Sein Kopf, das Herz, die Atmung ziehen nach oben, zum Höheren. Das Niedere - die Verdauungsorgane, die Geschlechtsorgane, die Beine - verbindet ihn mit der natürlichen Welt. Und was liegt dazwischen? "Weder auf die Kommandos von oben noch auf die von unten wirklich hörend, ein starker Muskel: das Zwerchfell..."¹ Und in der Tat scheint auch der aufs Zwerchfell zielende Humor die Entladung der Spannungen zwischen Gegensätzen zu ermöglichen. Im Interview in der
Epilog, sagt Alexander Kluge:
Jedes Baby will die Kugel, die ihm vorgeführt wird, greifen. Wir wollen zur Wirklichkeit hin, und wir wollen, wenn uns Wirklichkeit schädigt und Angst macht, von ihr weg. Diese Gefühle können Sie nicht trennen. Das ist der Antagonismus des Gefühls. Das ist eine Revolte der menschlichen Empfindung gegen die Wirklichkeit. Hier liegt die Quelle des Witzes, das ist aber gleichzeitig auch sehr ernst.²
Dieser grundlegende Antagonismus ist in der Philosophie vielfach beschrieben. Baruch de Spinoza beschrieb schon im 17. Jahrhundert sehr fern von jeder Moralisierung mit Lust und Unlust das Grundprinzip der Lebenserhaltung: Wir streben zur Lust, die uns zur Selbsterhaltung führt und weg von der Unlust, die eine verringerte Selbsterhaltungsfähigkeit anzeigt. Als Beispiel der Hunger: Er bereitet uns Unlust, wir werden sogar launisch und aggressiv, wenn er andauert. Essen und Trinken jedoch bereiten uns Lust und dienen der Selbsterhaltung. Über
erotische Triebe muss man gar nicht reden, denn sie sorgen über die Selbsterhaltung hinaus für die Arterhaltung. Alles, was Lust macht, ist gut.
Erkenntnis ist lustvoll
Das Zusammendenken von Körper und Geist (oder Leib und Seele) als zwei Aspekte eines Wesens macht neben dem Verzicht auf Moralisierung Spinoza so modern. Er wollte "geometrisch über Unfreiheit und Freiheit, das gelingende und misslingende Leben, über Schmerz, Trübsal, Lust und Liebe nachdenken", so Michael Hampe in
Spinoza und die Lebenslust im neuen
Philosophie Magazin. Das heißt, anstatt über das menschliche Verhalten moralisch zu urteilen, will er es nach den Gesetzen der Natur wissenschaftlich untersuchen. Nach diesem aufklärerischen Verständnis ist Lust gut, denn sie hilft uns bei der Selbsterhaltung als grundlegendes Streben jedes natürlichen Wesens.
Doch um uns dem auszusetzen, was für uns gut ist, müssen wir wissen, was für Individuen wir sind. Wir müssen wissen, was in der Welt unser Tätigkeitsvermögen steigert. Selbsterkenntnis und Welterkenntnis können unsere Lust steigern. Überhaupt sind wir, wenn wir erkennen, tätig, und wenn wir dabei Neues herausbekommen, steigern wir unsere Selbsterhaltungsfähigkeiten und empfinden Lust.*
Spinoza ist kein reiner Hedonist: Auch Lust kennt ein Übermaß, besonders dann, wenn wir sie isoliert auf bestimmte körperliche Regionen oder Zustände beschränken. Die Grenze von Lust zu Sucht und damit zu Unlust ist fließend. Bei einem Lusterleben, das den Exzess zur Normalität erhebt und uns in die Sucht und Unlust treibt, bleibt die Erkenntnis dessen auf der Strecke, was dem Triumph der Lust über die Unlust dauerhaft dient.
Die Heiterkeit (hilaritas), die eine Form der Lust ist, hat jedoch niemals ein Übermaß, so Spinoza. Denn in der Heiterkeit werden alle Teile des Körpers in ihrer Fähigkeit, tätig zu sein, gesteigert. [...] Es ist die Heiterkeit und nicht die erotische Ekstase, die die absolute Lust Spinozas darstellt. Sie ist immer gut, birgt kein Suchtpotenzial. Es mag sein, dass die Intensitäten der fokussierten Lust oder Unlust, eines organisch fixierbaren Hochgenusses oder Schmerzes viel größer sind als jede Heiterkeit und jede Melancholie. Doch wenn wir uns auf das konzentrieren, was unser Wesen ausmacht: unsere Fähigkeit, uns als Individuen zu erhalten, dann sind diese den Gesamtzustand betreffenden Lüste und Unlüste die relevanten Zustände.³
Was mir hier auffällt ist auch noch eine andere Modernität: Die frühe Vorwegnahme unserer heutigen Obsession auf das individuelle, das Ich, das es gegen alles andere zu erhalten gelte. Aber sicher wäre es ein Missverständnis, wenn wir Spinozas Selbsterhaltung als Egoismus lesen. Denn auch hier greift die Erkenntnis der großen Zusammenhänge als Voraussetzung zu Lust und Heiterkeit: Ohne Du kein Ich, ohne Wir kein Individuum.
Liebe stellt sich da ein, wo die Ursache eines Lustzustandes betrachtet wird. Wenn wir uns selbst und die Welt richtig erkennen, so bereitet das Lust. Wenn wir den Zusammenhang zwischen uns und der Welt erkennen, so bereitet das noch mehr Lust.
[...]
Das glückliche Leben ist lustvoll, weil es von der Liebe zu den unpersönlichen Strukturen der Natur bestimmt ist.³
Was ist nun mit dem Zwerchfell? Ist es die Grenze zwischen Mensch und Tier? Dieser Muskel, den wir benötigen, um aufrecht zu gehen und der auf der anderen Seite unkontrollierbaren Spasmen ausgeliefert ist, wenn wir gekitzelt oder über alle Maßen belustigt werden. Der Mensch - so Helmut Plessner
4 - kommt im Lachen an seine Grenzen, er verliert die Kontrolle und damit das, was ihn als Menschen auszeichnet. Wie ein Tier ist er im Lachen seinen Affekten ausgeliefert. Die Heiterkeit hingegen ist kein Lachen, sondern ein auf Dauer gestelltes Arrangieren und Verstehen des Menschen in seiner Umwelt. Kontrollverlust wie Lachen, gelegentliche Exzesse des Genusses oder die erotische Ekstase gehören aber dazu. Denken wir nächstens mal dran: Gut ist, was uns Lust macht.
1) Alexander Kluge: Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten.
2) Die Epilog, Heft 04: "Ich beabsichtige das gar nicht."
3) Michael Hampe in Spinoza und die Lebenslust im Philosophie Magazin Nr. 4 / 2014 | Das Ich-Syndrom
4) Die Epilog, Heft 04: Der Sinn des Lachens — Helmuth Plessner entdeckt den Ursprung des Menschen von Maybrit Hillnhagen
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