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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

17. November 2013

Was ich von Leistungssportlern für mein Leben lerne

Tim ist Student aus Berlin. Als Man Of Action und bei Du bist genug! schreibt er über das Selbstwertgefühl und möchte nichts weniger, als "das Leben von Menschen zum Besseren verändern". Außerdem schaut er gerne Profisport im Fernsehen, redet mit Spitzensportlern über Motivation und lernt daraus für das eigene Leben. Was genau? Lest selbst...

Meine persönlichen Erfahrungen mit Leistungssportlern

Ich studiere hier im schönen Berlin Sportwissenschaften im Nebenfach. Genau aus diesem Grund läuft mir hin und wieder auch mal ein Leistungssportler über den Weg. Manchmal auch einer aus dem ganz hohen Leistungssegment. Wieso erzählt er mir das jetzt, fragst du dich bestimmt. Ich möchte hier meine ganz persönlichen Erfahrungen mit diesen ja nun mal nicht ganz alltäglichen Studienkollegen schildern und mit dir teilen, was ich aus all diesen Begegnungen für mein Leben gelernt habe. Was bedeutet es für mich als jemand, der Sport nur aus dem puren Spaß an der Bewegung ausübt, in so einer Umgebung unterwegs zu sein? Zuerst einmal kann ich natürlich ständig eine ganze Menge von den Jungs und Mädels lernen.

Ähnlichkeiten der Charaktereigenschaften

Vor allem dann, wenn es um Themen wie innere Einstellungen, Disziplin, Willenskraft und Erfolgsdenken geht. Kurz: Persönlichkeitsentwicklung. Oftmals habe ich das Gefühl, dass alle Leute, die auf hohem Niveau erfolgreich sind, sich in gewissen Persönlichkeitsmerkmalen sehr ähneln.

Beispielsweise verfügen sie über diese ihnen scheinbar angeborene Disziplin und Willenskraft. Für diese Sportler scheint es das normalste auf der Welt zu sein, jeden Tag stoisch ihr Training durchzuziehen, sich an ihren Ernährungsplan zu halten und sich, gleichsam, ganz nebenbei noch auf ihre Karriere nach der aktiven Laufbahn vorzubereiten.

Frage ich sie ganz explizit nach dem, was sie antreibt, klingt das oft so, als wäre es gar nicht erwähnenswert. Scheinbar ist es einfach so da und keiner wirklichen Reflektion wert: "Hmm, weiß auch nicht, das mach ich irgendwie schon immer so." "Manchmal hab ich auch keine Lust auf Training, aber dann gehe ich doch immer hin." "Naja, sonst ist die Wettkampfvorbereitung ja komplett hinüber."

Viel mehr gibt’s dann zu dem Thema nicht zu holen. Gründe nicht zu trainieren, z.B. wegen "keine Lust" gibt es höchst selten.

Auch wenn ich manchmal Geschichten höre, mit welcher Art von Verletzungen und körperlichen Schäden dann noch weitergespielt oder trainiert wird, bin ich sehr beeindruckt (oder besser gesagt, erstaunt). Ich glaube jeder "normale" Mensch hätte da schon längst das Trikot an den Nagel gehängt und wäre entmutigt nach Hause gegangen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei einmal dahingestellt. Zumindest stimmen Willenskraft und die absolute Bereitschaft, alles andere komplett hinten anzustellen.

Quellen der Motivation

Eine weitere, sehr sehr ausgeprägte Eigenschaft ist die Motivation von innen heraus. Als ich neulich einen sehr bekannten Judoka fragte, ob da eigentlich auch seine Eltern Einfluss drauf hatten, dass er so früh schon so oft zum Training gegangen ist, sagte er mir, er wisse schon seit dem sechsten Lebensjahr, dass er seinen Sport einmal gerne professionell ausüben möchte. Seine Eltern mussten ihn manchmal sogar regelrecht im Zaum halten. Mir schien es so, als wenn er niemals größere Zweifel an seinem Lebensweg gehabt hat. Wenn das nicht ein Paradebeispiel für Leidenschaft gefunden und gelebt ist, was dann?

Seine Erzählungen von den ganzen, Problemen, Verletzungen und Rückschlägen, die ihn sogar eine Olympiateilnahme gekostet haben, klingen lapidar: "Verletzungen sind eben Verletzungen, das gehört zum Sport mit dazu, danach geht’s dann wieder voll los. Und das mit Olympia, naja das Qualifikationssystem ist schon ziemlich hart. Eine Verletzung und der Zug ist abgefahren."

Aus meiner Persüektive wirken diese Probleme schier unüberwindbar. Aber irgendwie scheint all das für meinen Judoka nie ein wirkliches Hindernis dargestellt zu haben. Das Ziel steht immer über Allem und ist jederzeit fest im Fokus. Für ihn war deshalb auch ganz klar: "Mit so einem Rückschlag muss ich jetzt halt umgehen, wenn ich meinen geliebten Sport gerne weiter ausüben möchte."

Was ergibt sich für mich persönlich daraus?

Ich muss ja zugeben, am Anfang meines Studiums habe ich mich da oft schlecht gefühlt. Ich bin nämlich alles andere als ein Leistungssportler. Ich treibe Sport nicht des Erfolges wegen, sondern einfach aus purer Freude an der Aktivität an sich. Da sah ich dann in manchen Disziplinen schon etwas alt aus. Irgendwie musste ich damit also umgehen. Im Grunde gab es nur zwei Möglichkeiten für mich:

Entweder, ich trainiere jetzt 5x so häufig und verliere dabei sogar noch gänzlich den Spaß dabei, weil ich unbedingt mit den anderen „da oben“ mithalten will. Oder ich nehme es einfach so, wie es ist: Ich konzentriere mich vollkommen auf mich und meine ganz persönliche Leistung, mache mein eigenes Ding, bringe die für mich unter diesen Umständen beste Leistung. Letzteres tat ich dann auch.

Natürlich trainierte ich hart und arbeitete für den Erfolg. Aber für meinen persönlichen Erfolg, und nicht für den Erfolg im Vergleich mit anderen. Mir wurde bewusst, dass ich ja doch gar nicht so "schlecht" bin. Dass meine Unzufriedenheit daher kam, dass ich immer nur nach oben geguckt habe. Auf einmal sah ich zum ersten Mal bewusst die Horde von Mitstudenten, die (nur) die gleiche Leistung brachten oder sogar oft noch schlechter abschnitten, als ich.

Das war es aber noch nicht alleine, das mir so massiv mehr Selbstwertgefühl und ein weitaus positiveres Selbstbild bescherte.

Der ewige Vergleich mit anderen

Es war der Fakt, dass ich endlich aufhören konnte, mich mit anderen Menschen zu vergleichen. Ich hatte jetzt erkannt, dass sich Profisportler auf genau eine Sache im Leben konzentrieren. Während der aktiven Zeit fällt bei ihnen auch vieles hinten runter, was ich im Leben voll im Griff hab.

Vorher sah ich nur den sportlichen Erfolg und ich ging automatisch davon aus, diese Person müsste in allen Lebensbereichen erfolgreich und somit auch rundum glücklich und zufrieden sein. In diesem einseitigen Vergleich schnitt ich schlechter und fühlte mich dementsprechend.

Von einem Normalsterblichen wird oft erwartet, dass er in vielen Lebensbereichen wie Arbeit, Familie und sogar Freizeit absolute Topleistung bringt und sich immer und immer weiter optimiert. Der einzige Vergleich, der zählt, ist mit denen ganz oben. In jedem Lebensbereich. Wie sehr wir uns damit unter Druck setzen!

Wenn es einem Leistungssportler nur mit perfekter Disziplin und eisernem Willen schafft, Topleistung abzurufen, wie soll dann ein Normalsterblicher das Gleiche leisten, so ganz nebenbei direkt noch in mehreren Lebensbereichen?

Ich denke, dass wir das Ideal von höher, schneller, weiter viel zu sehr auf unser eigenes Leben übertragen. Wäre es dann nicht viel klüger, uns einfach mal von diesem ewigen Vergleichen freizumachen?

Einfach einmal Sachen nur für sich selbst zu machen und nicht aus dem Grund, besser zu sein, als der nächste. Dafür, um sich selbst zu beeindrucken und nicht deine Freunde? Daraus kann dann wahre Zufriedenheit und Glück entstehen. Dieser ständige Leistungsgedanke hindert uns daran, die Dinge wertzuschätzen, die wir schon können oder besitzen. Wir neigen einfach zu sehr dazu, immer nur in eine Richtung zu schauen: Den anderen hinterher.

Der innere Fokus

Wieso nehmen wir nicht einmal voller Stolz zur Kenntnis, was wir schon alles können, wie unglaublich wertvoll wir als Person sind oder wie viele Leute wir gerne in unserem Leben haben, die uns genauso gerne haben? Wieso investieren wir denn nicht mehr Zeit darin zu lernen, einfach einmal so glücklich und zufrieden zu sein, auch wenn sich der Nachbar gerade den dritten Benz vor die Tür gestellt hat?

Das ist übrigens kein Aufruf zum Stillstand oder zum Nichtstun. Es ist vielmehr ein Aufruf, alles zu geben und sich ständig weiterzuentwickeln, aber das vornehmlich für sich selbst zu tun. Da können wir viel von den Leistungssportlern lernen.

Ich meine, so stark der Leistungsgedanke, der Wettkampf und das besser-als System dort auch im Vordergrund stehen, ich glaube keiner von ihnen hätte es auch nur annähernd so weit gebracht, hätten sie nicht diesen unglaublichen inneren Antrieb und den Spaß an ihrer Sportart.

Also ist dies ein Aufruf an alle, ihre Leidenschaft zu finden und sich in dieser weiterzuentwickeln. Ganz alleine für den Spaß an der Sache und für dich selbst. Dabei können wir uns so Einiges von den Leistungssportlern abschauen, denn sie haben zweifelsohne viele Fähigkeiten internalisiert, die in Persönlichkeitsentwicklungsbüchern rauf und runter gebetet werden.


  • Finde etwas, was dich wirklich begeistert (check)
  • Nimm Probleme als Herausforderungen und nicht als unüberwindbare Hindernisse (check)
  • Umgib dich mit Menschen, die dich fördern und auf den gleichen Weg sind, wie du (check)
  • Setze dir Ziele und Zwischenziele und kontrolliere deinen Fortschritt (check)


Und so weiter, und so fort.

Was ich also gelernt habe?

Ich habe gelernt, dass ich selbst die wichtigste Referenzperson in meinem Leben bin, ich gerne und viel von und mit anderen Menschen lerne, aber mich nicht in den direkten Vergleich begebe. Der einzige Mensch, den ich versuche, tagtäglich zu beeindrucken und nach dessen Liebe und Zuneigung ich wirklich strebe, das bin nur ich ganz allein.

Wie schaut es da mit dir aus?

3 Kommentare:

  1. Bei dem Blick auf Leistungssportler gibt es ja häufig zwei Blickwinkel:
    Entweder Bewunderung (über die Konsequenz und den Erfolgsdrang des Sportlers und natürlich auch seinen Erfolg) oder eher Verachtung (einer so einseitigen, ungesunden Lebensweise, die eben auch Verzicht auf vieles bedeutet).

    Ich denke du hast den Nagel gut auf den Kopf getroffen: Wenn der Sport wirklich die Berufung eines Menschen ist und er damit seine großen Ziele erreicht, dann sind auch die ganzen Nachteile ok. Und dann ist der, der seine große Leidenschaft gefunden hat, vielleicht glücklicher als mancher Andere.

    Was ich dabei kritisch sehe:
    Ist es wirklich die große Leidenschaft - oder stehen eben nur die Eltern dahinter, denn häufig muss ja schon von Kindesbeinen an eine solche Karriere begonnen werden. Da fallen mir prominente Beispiele (Mary Pierce) bzw. Freunde ein, wo das so war.
    Außerdem stelle ich mir die Frage: Was ist, wenn es zwar die große Leidenschaft ist, aber dann das quentchen Talent für Top-Erfolge fehlt? Bzw. kann ich von Anfang an schon die ganzen "Kosten" einer solchen Karriere überschauen?
    Sowas betrifft nicht nur Spitzensportler, sondern beispielsweise auch viele Künstler - mir fallen insbesondere Musiker dazu ein.

    Wenn dann das ganze Leben nur auf diese eine Leidenschaft zugeschnitten ist, dann kann auch schnell einmal die Welt einstürzen. Wieviele Sportler/Musiker etc. sind es denn, die die großen Erfolge erreichen? Mit Sicherheit gibt ein ganz kleiner Prozentsatz.

    Ich persönlich würde niemand raten, sein ganzes Leben nur auf eine Leidenschaft aufzubauen.

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    1. Die von ehrgeizigen Eltern "geförderten" Existenzen mal außer Acht gelassen: Nur wer seine Leidenschaft auch auslebt, ausprobiert kann sicher sein, dass sie ihn nicht als bloße ewige Sehnsucht durchs Leben treibt. Nicht jeder Weltzusammenbruch ist eine Katastrophe, und selbst wenn, kann man nicht abschätzen, inwiefern man im Zustand der Verhausschweinung (den Begriff borge ich mir mal vom ollen Lorenz) glücklicher geworden wäre. Und die Frage ist überhaupt, inwiefern "Top-Erfolg" sich definieren lässt: Viel Geld und Ansehen, oder etwas, das einen vollkommen ausfüllt? Manchmal steht einem ein Übermaß an Abwägung einfach bloß im Weg. Rennen, bolzen, malen, Riffs oder Etüden spielen bis zum Umfallen und nicht so viel nachdenken.

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    2. Hey Sebastian,

      deine Kritikpunkte sind natürlich vollkommen berechtigt. Auch ich stehe dem Leistungssport teilweise sehr kritisch gegenüber.

      Die Stichworte Erfolgsdruck und Doping müssten da ja schon ausreichen.

      Außerdem arbeite ich gerade eine Studie durch, die untersucht, wie es mit dem Karriereende von Leistungssportlern aussieht.

      Da wurde unter anderem auch herausgefunden, dass gerade die Sportler, die alles hintenanstellen und ihr Selbstwertgefühl und ihre Identität maßgeblich auf ihrem sportlichen Erfolg aufbauen, erheblich größere Probleme haben, ihr Leben nach der aktiven Laufbahn positiv anzugehen.

      Insofern ist eine derartige Fokussierung auf eine Sache gerade in Hinsicht auf das spätere Leben sehr riskant. Von den körperlichen Folgen einmal ganz zu schweigen.

      Trotzdem sehe ich es so wie Anon, dass es wichtig ist, seine Leidenschaft zu finden und auch zu leben.

      Und da können wir von den Sportlern lernen.

      Wie schon im Artikel erwähnt habe ich das Gefühl, dass die Motivation von innen bei den meißten Sportlern das absolut Treibende ist und die Eltern da nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dann gibt es wiederum auch die sogenannten "Eislaufmuttis", die ihre Kinder schon im Entwicklungsalter gnadenlos auf Erfolg drillen.

      Ich denke also, dass eine kritische Sicht auf das ganze sehr wichtig ist, aber wir, wie im Artikel auch schon angesprochen, sehr sehr viel von ihnen für uns selber lernen können.

      Grüße

      Tim

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