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8. Juli 2013

Hin zu einem Wandel in Führung und Management

Eine cholerische Führungskraft kann man sich nicht mehr leisten


Wie ist der Chef drauf? Illustration: Martin Rathscheck (Typologie der Bosse)

In dem Interview Philosophie und Führungsverantwortung, das Michael Blochberger mit mir führte, stellte er folgende Frage: "Wie stehst du zu der Aussage von Peter Drucker 'Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztendlich nur eine einzige Person führen können und auch müssen. Diese Person sind sie selbst'?" Das ist eine spannende Frage, die man gar nicht so knapp in einem Interview beantworten möchte. Daher hat sich daraus ein Gespräch entwickelt, dass wir jetzt hier veröffentlichen wollen.

So aus dem Kontext genommen und unter Zugrundelegung unseres üblichen Verständnisses von "führen" ist diese Aussage natürlich Quatsch. Sie greift aber das auf, was ich im Interview schon sagte: Man muss alle Mitarbeiter als Erwachsene ernst nehmen, ihnen zugestehen, dass sie selbst wissen, was richtig ist und wie sie es erreichen. Sie sind ja keine Kühe. Man muss sie nicht führen, man muss zusammen Ziele erarbeiten, man muss transparent kommunizieren, man muss Arbeitsmittel besorgen und Hindernisse aus dem Weg räumen und für sein Team einstehen. All das macht eine gute Führungskraft heute. Das ist also fast eine Servicefunktion. Drucker hat Recht, wenn er meint, dass vielen das immer noch nicht klar ist, dass sie noch einem alten Bild des Führens einer Karawane oder eines Heeres anhängen. Solche Führungskräfte müssen sich selbst zu dieser Erkenntniss führen, dass sie eine Servicekraft sind.

Ich finde aber auch, dass man die heutigen Realitäten nicht ganz außer acht lassen kann. In vielen Firmen und Bereichen ist es Alltag und wird es lange Alltag bleiben, dass auch noch nach klassischen Vorstellungen und unter Kontrolle geführt wird. Es ist ein Kulturwechsel, der langsam beginnt. Was mir zu Führungskräften auch noch einfällt: In vielen Situationen muss heute noch irgend jemand entscheiden und die Verantwortung für diese Entscheidungen tragen. Das ist eine Führungsaufgabe und nicht jedem liegt das. Wer das aber kann, hat das Zeug zu führen. Ich denke da zum Beispiel an Obama: Der muss Entscheidungungen treffen, die für Menschen Tod oder Leben bedeuten und er trifft Entscheidungen, die noch lange die Zukunft von Millionen von Menschen prägen werden. Aber er weiß, dass er zwar mit der Hilfe anderer Menschen, aber eigentlich doch nur sich selbst zu den richtigen Entscheidungen führen kann. Er ist da sehr luzide, weiß um seine Fehlbarkeit und um die Abhängigkeiten und darum, dass er sich selbst und seine Energien bewusst steuern muss, um die Fehlerquote seiner Entscheidungen gering zu halten. Das ist für mich eine moderne Führungskraft, jemand mit psychologischem Selbstverständnis.

Was denkst du denn, was Drucker genau mit diesem Satz meint?

Das Zitat von Drucker verstehe ich so, wie du es ja auch beschrieben hast: Echte Führung heißt nicht, Macht ausüben und sagen, wo's langgeht, sondern Vorbild sein. Führung entsteht aus innerer Sicherheit, Überzeugung, Authentizität – also aus Selbstführung. Sie ist nur gut, wenn Folgen freiwillig erfolgt, aufgrund von Beziehung und nicht durch Macht erzwungen ist.

Ja, das ist idealerweise so. Aber es setzt eben eine Menge voraus. Findest du nicht auch, dass wir noch nicht dort sind, wo solche Idealvorstellungen lebbar werden? Wie ist das zum Beispiel in geringer qualifizierten Jobs, an die viele auch nicht mit intrinsischer Motivation herangehen? Ich kenne das aus Call-Centern, wo noch ein ganz anderer Ton herrscht, als in kreativen Büros oder bei Software-Entwicklern. Oder bei der Armee - ist das nicht klassisches Führen? Mit anderen Worten: Geht es wirklich ganz ohne Ausüben von Macht?

Selbstverständlich beschreibt Drucker ein Ideal von Führung, das aber nicht hundertprozentig erfüllt sein muss, um erfolgreich zu sein. Vielmehr geht es darum, zu verstehen, was Führung erreichen kann, wenn sie nicht auf Angst baut, sondern auf Überzeugungskraft und der Einsicht für alle das Beste zu bewirken.

Meiner Meinung nach befinden wir uns auf vielen Ebenen in einem gesellschaftlichen Wandel, besonders aber in Führung und Management: Die autoritären Führungsstile der Vergangenheit funktionieren nicht mehr, weil die Mehrheit der Arbeitnehmer sich nicht mehr durch Repressalien motivieren lässt. Diese kennen ihre Rechte und verweigern sich statt Leistung zu bringen. Das bestätigt die alljährliche Gallup Studie, nach der über 61% Dienst nach Vorschrift machen und 24% innerlich gekündigt haben (2013). Das heißt 85% der Arbeitnehmer werden von ihren Führungskräften nicht ausreichend erreicht. Ein erschreckendes Zeugnis für die Führungsqualität in Deutschland.

Und nach meinen Beobachtungen ist das unabhängig von der Qualifikation im Job. Gerade dort wo Mitarbeiter wenig intrinsische Motivation mitbringen, kann eine gute Führungskraft mit Überzeugung vorangehen und die Mitarbeiter erleben lassen, wie man sich Bestätigung und Anerkennung erarbeitet. Auch in Call-Centern braucht es Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter coachen und trainieren statt nur den Druck zu verstärken. Kein Mitarbeiter kann auf Dauer eine gute Leistung bringen, wenn man ihm die Freude nimmt.

OK, und nun? Wie kriegen wir das in die Praxis? Ich sehe ja durchaus - und die Studie scheint das zu bestätigen -, dass die alten Führungsreflexe noch den Arbeitsalltag bestimmen. Führungskräftetrainings helfen sicher dort, wo sie gut und nachhaltig durchgeführt werden können, z.B in Konzernen.

Führungskräftetrainings sind zur Vorbereitung auf eine Führungsposition ein Anfang. Leider halten sie oft nicht, was sie versprechen, weil sie vornehmlich Führungstechniken trainieren und kaum auf die Persönlichkeit eingehen. Oberflächlich mag das funktionieren, wenn es aber zu (Führungs-)Krisen kommt – und das ist im Alltag regelmäßig der Fall – bricht der wahre Charakter der Führungskraft durch und das was an Vertrauen aufgebaut wurde, wird verspielt, weil der überforderte Vorgesetzte ausrastet, Versprechungen nicht einhält oder keine Entscheidung trifft.

Meine Empfehlung an Konzerne wie Mittelständler ist, die Kompetenz von Führungskraft neu zu definieren und über die Persönlichkeit der Kandidaten zu entwickeln, weil beides nicht voneinander zu trennen ist. Heute läuft es doch so, dass wenn eine Stelle zu besetzen ist, wird der/die fachlich Beste oder Ehrgeizigste mit einer Gehaltserhöhung geködert, oft ohne dass der Person bewusst ist, was auf sie zukommt. Das sind aber selten die sozialkompetentesten Kandidaten für diesen Job. Sie werden ins kalte Wasser geworfen und sollen funktionieren, aber zur Führungskraft braucht es Reife und Zeit.

Warum wird die Vergabe eines Führungspostens nicht von der Bereitschaft zur Persönlichkeitsentwicklung abhängig gemacht? Bevor jemandem Personalverantwortung übergeben wird, sollte dieser Selbsterfahrung in Form von Persönlichkeitstrainings wie unseren EQ-Seminaren gemacht oder gleich eine Coaching-Ausbildung absolvieren haben. Mit diesem Erfahrungshorizont wird er den Mitarbeitern gegenüber ganz anders auftreten können. Ich kenne Fälle, in denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Kosten hierfür teilen, auch um beidseitig ihr Interesse an Entwicklung zu demonstrieren.

Das klingt für mich sehr nachvollziehbar, schließlich ist es in etwa das, was ich gemacht habe. Und ich beobachte nach wie vor, was du beschreibst: Gute Fachkräfte werden zu Führungskräften, ob sie wollen oder sich eignen oder nicht. Das hat oft katastrophale Folgen, wir wissen ja, dass der häufigste Grund zu kündigen der unmittelbar Vorgesetzte ist. Wie schätzt du die Bereitschaft zu solch einem Perspektivwechsel von Fachkompetenz hin zu Führungskompetenz in der Wirtschaft selbst ein? Ist das nur etwas für Konzerne, Universitäten und Nischenarbeitgeber? Oder zeichnet sich hier ein Trend ab?

Offiziell wird Sozialkompetenz als wichtigstes Kriterium bei der Personalauswahl in Deutschland genannt. Nach meiner Erfahrung scheitert der gute Vorsatz aber in zahlreichen Unternehmen noch am mangelnden psychologischen Bewusstsein und der Bereitschaft, durch fundierte Potenzialanalysen die Sozialkompetenz der Bewerber zu erfassen. Bewerbungsgespräche und ACs bieten den Selbstdarstellern ja eine wunderbare Bühne. Empathie und Sozialkompetenz sind unter Wettbewerbsbedingungen aber schwer zu ermitteln.

Es gibt aber eine wachsende Zahl von Unternehmen, die die Bedeutung einer professionellen Personalauswahl und Personalentwicklung für die Zukunft erkannt hat. Ihnen ist klar, dass in der Kompetenz der Mitarbeiter und in der Qualität der Führung noch die größten Entwicklungspotenziale stecken. Oft sitzen in diesen Firmen (selbst-)erfahrene Psychologen auf den entscheidenden Posten, die dabei sind, mit Fingerspitzengefühl eine kooperative Führungskultur zu etablieren ganz nach dem Motto "fordern und fördern".

Diese Unternehmen sind noch in der Minderheit, aber sie sind Vorreiter für den bevorstehenden Wandel. Wer jetzt nicht beginnt, die Führungskompetenz im Unternehmen zu entwickeln, gute Mitarbeiter zu halten und zu fördern, der wird im steigenden Wettbewerb bald das Nachsehen haben. Rein betriebswirtschaftlich wird man es sich bald nicht mehr leisten können, eine cholerische Führungskraft einzustellen, die ihre Mitarbeiter in die Kündigung oder den Burnout treibt. Da ist Personalentwicklung eine gut angelegte Investition, die Fehler vermeiden hilft. Und es gibt noch ein Indiz dafür, dass auch in der deutschen Wirtschaft der Perspektivwechsel bevorsteht. Durch die stetige Psychologisierung der Gesellschaft wird auch das Management erkennen müssen, dass Menschen keine Maschinen sind, sondern nach psychologischen Kriterien beurteilt und behandelt werden wollen. Was sich in der Gesellschaft tut, wird sich auch im Unternehmen etablieren.

Das hoffe ich sehr. Ich sehe immer noch mit Sorge, dass Personalentwicklungsmaßnahmen als Kostenfaktoren unter einem Rechtfertigungsdruck stehen, dem sie - wenn überhaupt - nur langfristig standhalten können: "Warum soll ich jemanden bezahlen, der meinen Managern irgend etwas Beliebiges von Motivation erzählt und sie zusätzlich noch von der Arbeit abhält?" Aber auch, wenn Erfolge sichtbar werden, ist nicht klar, worauf sie tatsächlich zurückzuführen sind und ob sie sich nicht auch ohne diese Maßnahmen eingestellt hätten. Es ist alles sehr ideologisch: Wenn wir an den Spitzen der Unternehmen Leute haben, die solche Maßnahmen für evident wirksam halten, dann wird es klappen. Wenn an der Spitze solche Maßnahmen generell nur als Kostenblock gesehen werden, dann kann man dagegen nur schwer etwas tun und muss hoffen, dass solche Unternehmen aus Schaden klug werden. Fakt ist, dass Erfolg viele Komonenten hat und Unternehmen auch ohne gute Führungskräfte zumindest mittelfristig erfolgreich sein können. Den Beweis zu führen, dass es noch besser sein könnte und dass sich der dafür zu entrichtende Preis lohnen könnte, ist beinahe unmöglich. Ich drücke aber hier mit dir die Daumen, dass sich dieser von dir beschriebene positive Trend auch in kleinere Unternehmen hinein fortsetzen wird. 



Wenn Sie mehr zu Michael Blochbergers Trainings mit den vielseitigen Aspekten von Führung, Stress- und Selbstmanagement, Emotionaler und sozialer Kompetenz, Motivation und Kommunikation erfahren wollen, dann finden Sie hier das Institut für Corperate Identity & Teamentwicklung im Internet.

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