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4. Mai 2013

Reiss Profile: Was treibt dich an?

Selbsterfahrung mit dem Persönlichkeitstest von Steven Reiss


"Was macht die Menschen im Leben letztlich glücklich und zufrieden und damit dauerhaft leistungsfähig? Was ist für jeden einzelnen Menschen wirklich wichtig?"

16 Lebensmotive, die uns nach Steven Reiss antreiben

Die Frage nach dem Glück und den wirklich wichtigen Dingen in unserem Leben steht der Analyse meines Reiss Profiles voran, die Reiss Master Svenja Hofert mit mir durchgeführt hat. Und es ist eine gute Frage, eine die durch andere Persönlichkeitstests so deutlich nicht erfasst wird. So sehr ich MBTI oder Big Five als "Bestandsaufnahme" unserer individuellen und überdauernden Persönlichkeitsdimensionen schätze, so sehr bin ich überzeugt, dass ein ergänzender Blick auf die uns antreibenden Motive im Leben sinnvoll sein kann.

Anhand von 16 Lebensmotiven wird im Reiss Profile herausgearbeitet, was mich im Leben antreibt. Daraus könnte sich am Ende nicht nur ein enormer Zuwachs an Verständnis der eigenen Persönlichkeit ergeben, sondern auch eine neue Möglichkeit, eigene Entscheidungen - seien sie beruflicher oder privater Natur - zu überdenken. Die 16 Motive sind: Macht, Teamorientierung, Neugier, Anerkennung, Ordnung, Sparsamkeit/Sammeln, Ziel- und Zweckorientierung, Idealismus, Beziehungen, Familie, Status, Rache/Kampf, Schönheit (Eros), Essen, Körperliche Aktivität, Emotionale Ruhe.

Diese Motive erscheinen dem Laien (und auch manchem Psychologen) erst einmal ziemlich willkürlich zusammengewürfelt, sind aber laut Steven Reiss die grundlegenden 16 Motive, die alles menschliche Verhalten bestimmten, wie Reiss in über 6000 Interviews herausgefunden haben will. Kritiker halten gar die zugrunde liegenden Motivationstheorien aufgrund unzureichender empirischer Belege für wissenschaftlich gescheitert. Mehr noch: Reiss Profile funktionierten im Grunde wie Horoskope, denn die Motive seien so "vage formuliert, dass sich jeder heraussuchen kann, was auf ihn zutrifft und hat nach dem Test das Gefühl, seine Person sei präzise beschrieben worden" (Wikipedia).

Theoretische Neugier oder praktische Vernunft?

Im Zweifel bin ich aber immer für ausprobieren. Vielleicht ein Beleg für die sehr geringe Ausprägung des ziemlich missverständlich benannten Motives "Neugier" bei mir. Denn die geringe Ausprägung vereist auf "praktische Vernunft" und Aktionsorientierung im Gegensatz zu theoretischem Wissen. Missverständlich finde ich es deshalb, weil Neugier in unserem Sprachgebrauch eben nicht zwischen praktischem und theoretischem Wissen unterscheidet, sondern einfach nur das Verlangen nach neuen Informationen beschreibt. Mir scheint, dass dieses Reiss-Motiv im MBTI in der Dimension des bevorzugten Informationsinputs (Intuitive/Sensing) seine Entsprechung hat. Dort bin ich jedoch leicht im Bereich "Intuitive" zu finden. Das hieße also, dass ich nicht unbedingt die über die Sinne aufgenommenen praktischen Informationen bevorzuge, sondern gern abstrakt und in großen, gern auch theoretischen Zusammenhängen denke. Wenn ich mir zusätzlich vor Augen halte, dass ich begeistert und lange Philosophie und Literaturwissenschaft (und da ist nun wirklich nichts Praktisches dabei) studiert und auch mit Bravour abgeschlossen habe, dann spricht für die geringe "Neugier"-Ausprägung in der Tat nicht sehr viel.

Was heißen die verschiedenen Ausprägungen?

Auf den ersten Blick (siehe Abbildung oben) fällt auf, dass ich eigentlich nur eine einzige hohe Ausprägung (beim Motiv "körperliche Aktivität") habe und ansonsten entweder keine eindeutige Tendenz (gelb) oder sogar unterdurchschnittliche Ausprägungen (rot) zeige. Nun heißt das ja trotz der Signalfarben nie, dass man in einer solchen rot markierten Dimension kläglich versagt, sondern dass man durch dieses Motiv weniger angetrieben ist, als durch seine gegensätzlichen Motive. Wer also weniger durch "Anerkennung" getrieben ist, ist eher selbstbestimmt und durch von einem eher internen Antrieb geleitet. Wer wie ich weniger durch "Ordnung" getrieben ist (meine Frau würde das bestätigen), steht eher auf Flexibilität.

Nicht ohne meinen Master

Ich bin froh, dass mir meine Analyse durch jemanden so erfahrenen wie Svenja Hofert erklärt wurde. Ihr war es ganz wichtig, mich mit den Ergebnissen nicht allein zu lassen, sondern sie in einen Kontext zu stellen, auf unplausible Motiv-Ausprägungen ausführlich einzugehen und sie nicht wegzuerklären, sondern mit anderen Ausprägungen in einen Zusammenhang zu stellen. Die Begleitung durch einen erfahrenen "Master" ist bei diesem Test, der in der Analyse von sprachlichen Ungenauigkeiten, von unglaublicher Oberflächlichkeit und abstrusen Textbausteinen nur so strozt, enorm wichtig. Als Beispiel das Motiv "Sparen", das bei mir eben auch sehr untersdurschnittlich ausgeprägt ist. Hier heißt es in einem sehr kurzen erklärenden Artikel tatsächlich:

"Vielleicht werfen sie ihre Kleidung auf den Boden. Manche Menschen mit einem geringen Bedürfnis zu sparen, kaufen eher etwas neu, als etwas Altes zu reparieren. Es widerstrebt ihnen etwas zusammenzuflicken. Es kann sein, dass sie nicht wissen, wie man etwas repariert."

Das allein so dahingestellt beschreibt mich nun mal gar nicht, aber wenigstens ist es amüsant: Vielleicht werfe ich meine Kleidung auf den Boden. Vielleicht!

Grundlegende oder redundante Motive?

Der Test scheint mir in mindestens einem Grundanspruch psychologischer Tests gescheitert zu sein: So viele Dimensionen ("Motive") wie nötig und so wenige wie möglich zu beschreiben. Zum Beispiel scheinen die Motive "Teamorientierung", "Anerkennung", "Beziehungen" und "Familie" alle in die Richtung zu weisen, die bei den Big Five (und auch dem MBTI) durch Extraversion gekennzeichnet ist. Es wäre kaum plausibel, dass beispielsweise eine Person extrem hoch ausgeprägte "Teamorientierung" hat und gleichzeitig sehr niedrig ausgeprägte Motive "Anerkennung" oder "Beziehungen". So weit geht meine theoretische Neugier, als dass ich das konzeptionell unbefriedigend finde. Es kann sein, dass es erklärbar ist (gern in den Kommentaren unten), aber einleuchtend ist es für halbgebildete wie mich nicht. Lars Lorber - ein in Persönlichkeitspsychologie rund um gebildeter Blogger und Testentwickler - hat sich auf Typentest.de die Mühe gemacht, die Reiss-Motive auf die Dimensionen von Big Five, MBTI und Typentest zu mappen.

Aha-Momente und erweitertes Selbstverständnis

Einen Mehrwert in meinem Reiss Profile sehe ich zum Beispiel bei den Motiven "Macht" und "Kampf", die beide wiederum bei einer Person kaum stark auseinander fallen dürften. An diese beiden Motive denke ich immer wieder, seit ich den Test vor mehr als fünf Monaten gemacht habe. Ich ertappe mich zum Bespiel dabei, wie es mir Spaß macht im Arbeitsumfeld zu gewinnen und mich durchzusetzen. Die beiden Motive zählen zu den ganz wenigen in meinem Reiss Profile - zwar nur moderat ausgeprägten aber immerhin - gegen grün tendierenden Motiven. Mir war vorher nicht bewusst, dass ich eigentlich ganz gern im Wettkampf stehe und auch Macht ausübe. Das war ein blinder Fleck, der sich vielleicht auch durch meine Sozialisation (die sehr auf Ausgleich und Gemeinsamkeit gerichtet war) entwickelt hat. Inzwischen verstehe ich aber, dass mich solche Herausforderungen, die man mit Macht und Kampf umschreiben könnte, reizen. Ich erkenne mich, meine Arbeit und auch meine Sportarten, die immer auf Zweikampf hinauslaufen, darin wieder. Apropos Sport: "Körperliche Aktivität" ist das einzige bei mir grün ausgeprägte Motiv und das ist etwas, dass ich mir immer wieder vor Augen halten sollte: Bleib fit und aktiv, ansonsten geht alles den Bach runter. Das wusste ich aber auch bereits vor dem Test. Was ich auch vorher schon hätte voraussagen können ist die abgrundtiefe Ausprägung des Motivs "Beziehungen" und die enorm ausgeprägte umweltunabhängige "emotionale Ruhe" bei mir. Regelmäßig teste ich in allen möglichen Tests auf extrem introvertiert und ganz gering im Neurotizismus.

Mein Fazit

Wer wissen will, ob es irgend welche Motive gibt, die ihn stark antreiben, der sollte diesen Test ruhig einmal durchführen. Bei Themen wie berufliche Neuorientierung, Analyse des eigenen Führungsstils, Lernverhalten, Lebenspartnerschaften oder passendstem Einsatz der eigenen Lebenszeit können solche Fragen nach Motiven enorm produktive Denkanstöße liefern. Wichtig ist nur, dass sie sich gründlich von einer Reiss-Masterin wie z.B. Svenja Hofert beraten lassen. Denn die ausgespuckten Textbausteine bringen alleine nicht viel und vor allem stellen sie keine Zusammenhänge zwischen verschiedenen Ausprägungskombinationen dar. Wie bei vielen Persönlichkeitstests liegt aber in diesen Kombinationen die wirkliche Erkenntnis.



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4 Kommentare:

  1. Sehr schöner Artikel, Gilbert! Ich kann nur zustimmen - mit dem Reiss Profil sollte man keinesfalls alleine gelassen werden. Die Beratung durch einen Master ist äußerst wichtig. Auch die Verwendung emotional stark aufgeladener Begriffe ist eine Herausforderung. Wie gesagt - das Gespräch mit dem Reiss Master ist hier das um und auf.

    Bei der Zusammenfassung der Dimensionen in den Bereich "extrovertiert" muss ich jedoch widersprechen, basierend auf meinem eigenen Reiss-Profil. Mein stärkstes Motiv ist die Unabhängigkeit (das wurde nun wohl in Teamorientierung umgewandelt, ist also spiegelverkehrt zu lesen - d. h. ich bin wenig teamorientiert - oho!). Gleich dahinter sind jedoch die Beziehungen. Beides sehe ich sehr wohl zutreffend. Ich liebe Menschen und ihre Gesellschaft, arbeite aber lieber für mich alleine und verfolge individuelle Ziele. All das fand ich als absolut passend und war für mich vor dem Reiss-Profil nicht zu erklären. Außerdem bin ich bei der Familie im roten Bereich, habe aber leicht überdurchschnittliche Anerkennung.

    Gerade die Vielfalt der Dimensionen empfinde ich als die Stärke des Reiss-Profiles. Denn der MBTI bildet sehr grobe Kategorien und hat nicht umsonst noch einen zweiten Schritt mit jeweils 5 Subausprägungen. Die Gefahr bei den zugegeben einfach verständlichen Kategorien ist eben, dass über einen groben Kamm geschert wird und mit einer Menge Mischtypen "schief sitzt".


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    1. Danke, Eva, für deinen Kommentar! Deinen Widerspruch zu meiner Extraversion-Behauptung unterstützt auch Svenja Hofert hier ganz deutlich: Im Zweifel bin ich immer für Ausprobieren. Liebe Grüße, Gilbert

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  2. Motive gibt es wohl immer, wenn Handlungen im Spiel sind.
    Was dieser Test nach meiner unprofessionellen Auffassung aber lediglich widerspiegeln kann, ist, welche Motive jemand (Tester, Getester) nach einem bestimmten Auswertungs-Algorithmus am ehesten plausibel machen kann.

    Das sagt beispielsweise rein gar nichts darüber aus, ob diese vermeintlich "ursächlichen" Motive ankonditioniert, eingebildet oder auch nur momentan-aktuell sind.

    Es sagt nichts darüber aus, wohin diese Motive den Probanden führen werden oder wovon sie ihn abzuhalten vermögen.

    Ja, selbst die Motivbegriffe sind ja völlig wertfrei, da "Familie", je nachdem, einmal z.B."Loyalität" implizieren kann und ein andernmal etwa "Unselbstständigkeit".

    Weiter ist damit nicht beschrieben, wie veränderlich oder veränderbar diese Motive sind.
    Bzw. es lässt sich auch nicht darauf rückschließen, inwieweit der Proband veränderlich oder veränderbar ist.

    Es wird auch keine Konnotation vorgenommen, die das jeweilige Motiv zu einem Vektor (für was auch immer) werden lässt.

    Gibt es ein Motiv hinter dem Motiv? - Bleibt unbeantwortet.

    Ja, gibt es überhaupt echte "Motive" oder sind diese vielleicht sogar nur Etiketten für unbeschriftete Kraftbehälter (black-boxes), deren Inhalt eigentlich unbekannt ist, die aber irgendwie statistisch signifikant mit gewissen Wechselwirkungserscheinungen in Verbindung gebracht werden können, was aber nicht gleichzeitig zwingend bedeutet, dass sie tatsächlich in der gedachten Form wechselwirken.

    Genauso gut hätte man auch nach Lieblingsfarbe, Lieblingsessen oder anderen Poesiealbumfragmenten fragen können.

    Kurz: Ich bin da ein wenig ratlos - mir erschließt sich die Sinnhaftigkeit so nicht.
    Was sagt das dem Probanden letztlich oder dem Tester?

    Mit dieser abstrahierten Form von "Persönlichkeits-Tests" habe ich eh Probleme.
    Denn alle diese Tests leugnen Emergenz.
    Das müssen sie auch, sonst könnten sie gar nichts berechnen, da Emergenz Berechenbarkeit per definitionem ausschließt^^

    Ist also so ein Test vielleicht nicht eher ein Akt "systematisierter Verzweiflung" angesichts eines nach wie vor großen Unverständnisses von "Psyche" überhaupt?

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    1. Ich weiß nicht, ob es ein Akt von Verzweiflung ist, das wäre wieder am Einzelfall zu prüfen und dann wäre das auch wieder nur in diesem Moment war? Und was sagte das uns dann über solche Tests und Leute, die mit solchen Tests arbeiten?

      Es ist für mich eher wie ein kleiner Spike im Steigeisen. Mit diesem einen Spike kann man das Massiv, das man selbst ist, nicht erklettern. Aber mit anderen dazukommenden Werkzeugen in ihrer Gesamtheit schon.

      Für manche Menschen mag es auch eine Art Spiel sein, das Ideen gibt, Zugänge zum Selbst eröffnet oder Gedanken zu eigenen Motiven in Gang bringen kann.

      Man darf das nicht überbewerten, mit offenem Interesse betrachten wäre eine Möglichkeit des Umgangs.

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