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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

4. März 2013

Sein lassen, nichts tun, vegetieren

Im letzten Philosophie Magazin las ich, dass unser Leben sich immer mehr beschleunigte. Wir hetzen uns selbst zu Tode, ohne einmal an den Tod zu denken und aus seiner Gewissheit die Konsequenzen zu ziehen: Gelassener werden. Stopp! Wir sollten einfach mal nichts tun! Das ist sicher gut gemeint, aber was heißt das?

STOP! Everything is upside-down
Wie jetzt "Stop"? Nichts tun geht doch gar nicht. Nur Tiere liegen auf dem faulen Pelz (Foto von dullhunk)

Können wir überhaupt "einfach mal nichts tun"?

Wir sitzen zumindest erst einmal da, haben die Augen offen und dann geht es los! Gedanken rasen durchs Bewusstsein, halbe Gedanken, angerissene Gedanken, Gesprächsfetzen, Glaubenssätze. Urteile, Pläne, Gefühle auf dem Weg zu Gedanken. Der Impuls ist da, aufzustehen und irgend etwas anzufangen oder abzuschließen. Die E-Mails zu checken, die SMS-Eingänge und daraus eine Motivation zu beziehen, eine Handlung anzuschließen. Im Philosophie Magazin heißt es: "Jedes sich öffnende Zeitfenster weckt die Neigung, es sogleich zu takten und zu füllen" (Philosophie Magazin Nr. 02/2013, S. 38). Sogar "narkotisierendes Fernsehen" wird als Beispiel für die Unfähigkeit, nichts zu tun, herangezogen. Dabei helfen uns Fernsehen oder andere Narkotika vielleicht am ehesten beim Nichtstun. Oder die Autobahn langrasen und auf den grauen Asphalt starren, der von der Mototrhaube gefressen wird, Kilometer um Kilometer. Ich erlebe das immer als sehr meditativ. Der Gedanke, dass hier Zeit vergeht und ich nichts damit anfange, ist irgendwie aufregend und beängestigend zugleich. Es fühlt sich an, als schlüge ich dem Leben ein Schnippchen und all denen, die unter Leben eine Maximierung von Output vertsehen.

Den existentiellen Fragen die Stirn bieten

Wir wollen eigentlich immer etwas machen, denn Stillstand bedeutet Tod und dem wollen wir davon rennen. Die ununterbrochene Sorge um das eigene Leben, die Geschäftigkeit mit den banalen Dingen des Alltags schützt uns davor, den existentiellen Fragen die Stirn zu bieten. Insofern ist die Geschäftigkeit eine Kondition des Menschen, sie unterscheidet uns vom Tier. Geschäftigkeit ist aus dem Bewusstsein um das Selbst und die damit verbundene Angst vor dem Tod (dem Nichts) geboren. Tiere haben - nach allem, was wir ahnen - diese Angst nicht. Sie kennen nur die unmittelbare Furcht vor dem Feind, die nur zwei Reaktionen zulässt: Angriff oder Flucht. Eine kontemplative Angst oder Langeweile kennen sie nicht. Daher haben sie die Fähigkeit zum Nichtstun, zum in der Sonne liegen, zum Wiederkäuen, auf dem Pelz liegen. Faulpelz!

Ob wir es glauben oder nicht: Der Zwang zur Sorge, zum Tun, zum Schaffen und Erledigen ist eigentlich eine Entlastung und damit eine Befähigung zur Lebenswelt. Die Kontemplation hingegen ist wie eine Degenerations der Lebensfähigkeit, eine Krankheit des Geistes zum Tode. Es gibt diese zwei Schulen: Das alteuropäische Stirnrunzeln und das neuweltliche Handanlegen, die Verwirklichung des Traums vom Fortschritt.

Die unerträgliche Schwere, nichts zu tun

Zurück zur Ausgangsfrage: "Nichts tun wie ein Tier" - Ich glaube, wir können das gar nicht. Wir müssen Krücken erfinden, zm Beispiel Meditation oder die sogenannte Achtsamkeit. Das Erstaunliche an solchen Konzepten ist, dass sie eine ungeheure Anstrengung erfordern. Damit sind sie in sich selbst widersprüchlich, denn eigentlich sollen sie uns doch an so etwas wie einen Naturzustand rückbinden, an eine Selbstverständlichkeit des Seins ohne Sorge, des Einsseins mit der Welt, des Aufgehens im Nichts. Es ist mindestens ironisch, dass dieser Versuch der einfachsten Daseinsform, dem Vegetieren, mit solch einer Schwere der Umsetzbarkeit verbunden ist.

Meditieren kommt nicht von Tieren

Tiere kennen keine Achtsamkeit, sie meditieren nicht. Weder versuchen sie ihren Geist dem Nichts zuzuwenden, noch die Sinneseindrücke bewusst und achtsam zu genießen. Sie sind ihnen einfach ausgeliefert und verarbeiten sie instantan, übersetzen sie in Erregungszustände, die von 0 bis 100 reichen und absolute Ruhe oder maximale Panik bedeuten können.

Ich selbst kenne und liebe beide Zusatände ins Menschliche übersetzt: Die absolute Antriebslosigkeit auf dem Sofa, das berieseln lassen, eine Art Hirntod bei Bewusstsein, ein rezeptives Vegitieren. Und auf der anderen Seite das hysterische Getriebensein, die Lust, etwas zu erleben, etwas zu schaffen, das bleibt, mich überlebt. Ich will euch alle erreichen da draußen in der narzistischen Hoffnung, mehr zu sein, als nur ich selbst. Ich will Du sein, Ihr sein, ich will alles sein. Es ist eine Art alles verschlingender Eros, der dem Tod davon zu rennen versucht. Vergeblich, schließlich.

"Just below the surface of our shared compulsion to do ever more, ever faster, is a deep hunger to do less, more slowly." (How to Be Mindful in an 'Unmanageable' World von Tony Schwartz)

Unter der uns allen gemeinen Zwanghaftigkeit, immer mehr immer schneller zu tun, verbirgt sich ein tiefer Hunger, weniger zu tun und langsamer zu machen. Dieses Gespaltensein führt dann zu so pervers paradoxen Dogmen wie: Entspann dich und du wirst produktiver sein! Ich dachte, es ginge darum, weniger produktiv zu sein? Sei es drum: Wir werden dieses menschliche Gespaltensein nie überwinden, denn das ist es, was es heißt, ein Mensch zu sein. Außerdem ist nichts daran falsch, dass man sich regenerieren muss, bevor man Leistung bringen kann. Das liegt allen Lebensprozessen naturgesetzlich zugrunde.

Das Nichtstun markiert die Sphäre des Möglichen

In unser aller Leben wird aber der Tag kommen, an dem all das egal ist. Diesem letzten Tag heute schon zu gedenken, kann dem  bewussten Erleben helfen und dem Getriebensein Einhalt gebieten. Im Angesicht dieses alles relativierenden Endes können wir gelassener werden, uns besinnen, was es heißt, ich zu sein. Es hilft mir, all den Zumutungen des Alltags, der Arbeit und Behörden, der Gesellschaft insgesamt den Stinkefinger zu zeigen: Fuck you, I'm me.

"Wer das Nichts in sein Sein aufnimmt, ist kein Burn-out-Kandidat. Zwar gerät der Gelassene leicht in Verdacht, lethargisch, untätig, fremdbestimmt zu sein; doch in Wahrheit schafft er gerade durch sein passives Verhalten Handlungsoptionen..." (Philosophie Magazin Nr. 02/2013, S. 40)

Der Gelassene führt jedenfalls keinen Krieg, erschöpft nicht die Ressourcen, heizt die Erdathmosphäre nicht an, beleidigt keine Mitmenschen. Er versteht, dass es nach seinem Tod (ohne ihn) weitergeht, dass er nicht wichtig ist, dass es die Verschmelzung zwischen "Lebenszeit und Weltzeit" (Hans Blumenberg) nur in seinem Kopf gibt. Diese Verschmelzung ist verständlich, aber doch nur eine Täuschung. Die Herausforderung besteht darin, das auszuhalten und beides ins eigene Leben zu integrieren. Auf der einen Seite das lebensfrohe Höher-Weiter-Schneller zuzulassen, zu genießen und teilzuhaben am Leben. Auf der anderen Seite die Bescheidenheit mitzuführen, die Komik im Tragischen zu sehen, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Und einfach mal nichts tun! Denken Sie mal drüber nach: Sie werden eines Tages einfach nur tot sein und nichts wird mehr eine Rolle spielen. Was sagen Sie nun?

4 Kommentare:

  1. Danke für diesen Artikel mit interessanten Anregungen.

    Ein Kommentar etwas abseits des Themas: Ob die Tiere nicht etwas unterschätzt werden? Wenn ich Haustiere beobachte, erkenne ich deutlich Zustände wie Langeweile und Unausgeglichenheit.

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  2. Ja so scheint es, letzten Endes ist es jedoch nur die Bewertung durch den eigenen Verstand und Projection nach außen auf das Objekt ( das Tier )

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  3. Ja so scheint es, letzten Endes ist es jedoch nur die Bewertung durch den eigenen Verstand und Projection nach außen auf das Objekt ( das Tier )

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  4. Guten Abend!

    Natürlich müssen Tiere nicht meditieren. Sie verfügen auch nicht über so ein komplexes Gehirn wie wir Menschen. Das Problem besteht darin, dass der Mensch sich seine Welt durch sein Denken erschafft. Das Tier hingegen lebt im Augenblick, ohne zu denken. Wir Menschen sind schlau genug, um alle möglichen stressgeladenen Ereignisse gedanklich zu erzeugen. Wir sind in der Lage, die wildesten Emotionen auf Grundlage unserer Gedanken zu erfahren. Selbst wenn wir uns auf dem Sofa berieseln lassen, arbeitet unser Gehirn weiter, weil es Impulse vom Fernseher oder aus unserer Umgebung empfängt. Das Gehirn kommt meiner Meinung nach nur zur Ruhe, wenn wir still sind, wenn wir achtsam sind oder meditieren. Dass solche Konzepte Anstrengung erfordern ist für mich nicht widersprüchlich, denn das ist auf unser diffiziles Gehirn zurückzuführen. Die Tiere haben es da einfacher. So nun aber genug geschwafelt – ich wecke dann mal das Tier in mir.

    Herzliche Grüße!
    Janett Marposnel

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