31. März 2013

Wittgenstein und die gute Form des Lebens

In Peter Sloterdijks Buch Du mußt dein Leben ändern: Über Anthropotechnik von  2009 bin ich auf ein eigenartiges Zitat von Ludwig Wittgestein (1889 - 1951) aufmerksam geworden:
"Daß das Leben problematisch ist, heißt, daß Dein Leben nicht in die Form des Lebens paßt. Du mußt dann dein Leben verändern, & paßt es in die Form, dann verschwindet das Problematische." (Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt a. M. 1994, S. 62)
Auf Facebook habe ich das Zitat erst mal zur Diskussion gestellt und dort gab es viele gute Gedanken dazu. Wittgensteins Worte bleiben aber eigenartig, weil sie unserem heutigen Verständnis von Leben so fern zu stehen scheinen. Wer heute Leben sagt, muss eigentlich immer gleich Pluralität mitdenken. Eine Form von Leben gibt es schon gar nicht, sondern immer viele Formen. Und alle sind OK. Außerdem klingt es sehr nach Anpassung des eigenen Lebens an diese eine rigide Form, wo wir doch im Gegenteil immer versuchen, die äußeren Formen unserem Leben anzupassen. Das Zitat hat mich neugierig gemacht und ich will zeigen, wie man es heute lesen kann und was das für uns praktisch bedeuten kann.*

29. März 2013

Die Gefahr von Psycho-Kult und Selbstoptimierung

Spätestens mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist in Europa und Nordamerika die Ära der Psychologischen Kultur angebrochen. Die Romantiker gingen als erste populäre Jugendbewegung den Weg nach innen und meinten, dort die Welt zu entdecken: in der Introspektion, in den dunklen Höhlen der individuellen Psyche, wo man nun mit ersten Fackeln etwas Licht machte. Was dann folgte, war - begleitet von genereller Individualisierung als Lebensprojektion - der Aufstieg der klinischen und wissenschaftlichen Psychologie. Daran an schließt sich nun die allgegenwärtige Vulgärpsychologie.

Joseph Wright of Derby. A Grotto in the Gulf of Salernum, with the Figure of Julia, Banished from Rome. exhibited 1780
Licht in den dunklen Höhlen unserer Psychen (Joseph Wright of Derby, 1780)

17. März 2013

Ankunft im Postmaterialismus

Was wir wirklich wollen

"Wird nur noch von Innovation geredet, ist das ein sicheres Zeichen für den Niedergang. Und heute redet jeder von Innovation."*
In einem Landhaus in Maine lebt eine Philosophin, Sozialpsychologin und Ökonomin, von der wer leider viel zu selten hören: Shoshana Zuboff. Niemand hat die Krise des Kapitalismus so treffend aus einer Perspektive des Individuums und seines Verlangens auf der einen Seite und der technologischen Infrastruktur auf der anderen Seite analysiert. Durch diese Analyse wird sichtbar, an welchem historischen Punkt des Niedergangs einer Wirtschaftsform wir uns befinden und wie wir von dort aus weiter machen können. Es kommt nur darauf an, was wir wirklich wollen.

"Der Kapitalismus verpennt den Wandel" (Foto: Regierungsbezirk Tokio, Gilbert Dietrich)

Verlangen und Massenproduktion

Zuboff geht von einem simplen und uns allen bekannten Gedanken aus: Das Verlangen bestimmt den Markt, denn das was Menschen verlangen, findet Absatz und damit lässt sich Geld verdienen. Historisch lässt sich das an Beispielen wie dem Porzellan zeigen, das im 18 Jahrhundert plötzlich vom Bürgertum begehrt wurde, weil es ein Zeichen des Reichtums war, der zuvor dem Adel vorbehalten war. Oder denken wir an die 50er und 60er Jahre: Alle wollten Kühlschränke und Autos haben, denn diese Gegenstände waren Luxus. An der Autoproduktion lässt sich zeigen, wie dieses Verlangen der Masse befriedigt wurde: Die Produktion wurde auf Masse umgestellt, das Fließband ließ die Preise purzeln und seit dem ist das Auto kein Luxusgegenstand mehr.

Seit die Masenproduktion Autos für alle erschwinglich machte, lässt sich nur noch durch Innovation am Produkt selbst ein Unterschied zwischen Volkswagen und Luxuskarosse herstellen. Aber irgendein Auto kann sich heute beinahe jeder leisten (wenn auch den Unterhalt vielleicht nicht). Wir zahlen heute für Konsumgüter nicht mehr jeden Preis, sondern nur, was wir auch zahlen wollen. So verlieren diese Güter auch deshalb an Attraktivität, weil sie leicht zugänglich sind. Die Massenproduktion hat das Verlangen auf breiter Ebene stillen können, jedoch hat sich das Verlangen inzwischen verändert.

Individualisiertes Verlangen

Die Massenproduktion hat ein Wohlstandswachstum in Gang gesetzet, das die Gesellschaft ungeheuer komplex werden ließ und ein neues gesellschaftlichen Phänomen geboren hat: das "psychologische Individuum". Auf diesem Individuum liegt zum einen die Last, sich seinen gesellschaftlichen Status selbst zu erarbeiten (etwas, das in der Ständegesellschaft ausgeschlossen war), hat aber auf der anderen Seite zu einer Emanzipierung des Ichs geführt. Jeder begreift sich nun als einzigartig und mit dem Recht ausgestattet, diese Einzigartigkeit in allen Lebensbereichen zu verwirklichen.

"Ich betrachte das als Aufblühen, als fast unbegreiflich positives Signal von Menschlichkeit. Wir halten uns für wert, in Würde zu leben."*

Man kann sicher nicht sagen, dass diese Individualisierung mit den dazugehörigen Menschenrechten allein durch die Massenproduktion und den resultierenden Wohlstand ermöglicht wurde, aber es ist erfrischend festzustellen, dass Massenproduktion nicht nur ein Schimpfwort sein kann, sondern durchaus seine Zeit gehabt hat, die nun aber vorbei ist.

Während die Massenproduktion der Industrie zur Blaupause für alle gesellschaftlichen Strukturen von Schule über Krankenhaus bis Nationalpark wurde, hat sich als Folge, Begleiterscheinung und Gegenbewegung der Individualismus in die Gesellschaft geschlichen. Das jeweils andere Verlangen aller Vertreter diesen Individualismus passt nicht mehr zu den Mechanismen der Massenbewegung.

Wichtiger als der Erwerb von Konsumgütern ist uns heute, "Zugang zu den materiellen und immateriellen Ressourcen zu haben, die wir brauchen, um so zu leben, wie wir leben wollen. Solche Ressourcen werden aber kaum angeboten."*

Der Kapitalismus verpennt den gesellschaftlichen Wandel, Chaos ist unvemeidbar

Die Bedeutung von "Wert" ändert sicht. Wenn früher etwas einen Wert an sich hatte (weil sich alle über den Warenwert einig waren), dann ist heute der Wert im Individuum und seinen je ganz eigenen Zielen verborgen. Wir wollen nicht mehr alle dasselbe, sondern zum Beispiel unser individuelles Verständis von einem glücklichen Leben verwirklichen.

Der Kapitalismus jedoch, ist in weiten Teilen immer noch der alte. Und weil sein Absatz ins Stocken gerät, wird überall heftig Innovation betrieben, um mit dem altbekannten "Neu" auf jeder Verpackung doch allen denselben Krempel zu verkaufen. Das klappt im Moment höchstens noch, weil es neue Absatzmärkte für Konsumgüter in Asien, Afrika und Südamerika gibt. Strukturell ist das System jedoch am Ende. Deutlich zu sehen, so Zuboff, ist das am Kapitalmarkt:

"...der Kommerzapparat ist ermattet, zieht sich von Güterproduktion und Handel zurück und benutzt das angehäufte Kapital als Basis, um mit finanziellen Instrumenten [d.h. nicht mehr mit Ware, GD] Profit zu erwirtschaften. Die Folge ist eine Kontraktion, in der Firmen finanziell gesund sind, dank Gewinnen durch finanzielle Transaktionen, aber der Wohlstand der Gesellschaft abnimmt. Soziales Chaos ist unvermeidbar."*

Internet - die dezentralisierte Infrastruktur der neuen Ökonomie

Statt kleinteiliger Innovation, die nur noch reparieren will, was systemisch schon versagt hat, muss es zu Mutationen kommen, die sich der neuen Umwelt des individualisierten Verlangens anpassen können. Die nötige dezentralisierte Wertschöpfung, die sich an den jeweils individuellen Werten orientiert, findet bereits im Internet ihre passende dezentralisierte Infrastruktur. Das erinnert an Chris Andersons Postulat vom Long Tail, wonach im Internet die "große Anzahl wenig gefragter Produkte mehr Umsatz erzielen kann als wenige Bestseller" (Wikipedia).

Das heißt übersetzt, dass es sich bald eher lohnen wird, auf ganz individuelle Interessen zu setzen, als auf den vermeintlichen Massengeschmack. Der Zusammenschluss kleiner dezentralisierter Produzenten von Kleidung, Schmuck und Gebrauchsgegenständen auf Seiten wie Etsy scheint das ebenso zu belegen, wie der sich abzeichnende dezentrale Medienkonsum und die kommende Technologie des 3D-Printing. Das Ende der Massenproduktion kommt für uns freilich nicht auf einen Schlag (genauso wenig wie der Buchdruck für die vor 500 Jahren lebenden Mönche), aber aus einem geschichtlichen Abstand wird es als große historische Verwerfung beschrieben werden können.

Das Internet als wirtschaftliche Infratsuktur ist aber nur eines der begleitenden Phänomene: "Das System des Managerkapitalismus mit seiner konzentrierten Organisation, hierarchischer Kontrolle und Ausrichtung auf den Massenkonsum ist an seine adaptiven Grenzen gestoßen. Innovation hält es bloß künstlich am Leben."*

Hybriden eines neuen Kapitalismus

Zuboff beschreibt Firmen wie Apple und Google als Hybriden, die auf diesen Long-Tail-Effekt dadurch setzen, dass sie nicht ein Produkt für alle anbieten, sondern gerade die Verfügbarkeit des Abseitigen herzustellen versuchen. Sie verstehen zwar, dass das Geschäft vom Nutzer ausgeht und nicht mehr von der Firmenzentrale, aber sie versuchen das dann wiederum mit zentralistischen Strukturen (proprietäre Verschmelzung von Software- und Hardware als goldener Käfig für den Nutzer bei Apple) und alten Geschäftsmodellen (Anzeigenverkauf bei Google) oder gar Orwell'scher Komplettdurchleuchtung des Nutzers (bei Facebook) zu kolonisieren. Google und Facebook sehen das naturgemäß anders, denn für sie ist der Anzeigenverkauf und die Durchleuchtung des Nutzers auf der Suche nach seinem Verlangen genau die Voraussetzung für den Long-Tail-Kapitalismus. Was sie dabei vergessen ist, dass bereits die brachial-eigenmächtige Art und Weise, mit der sie ihr Geschäft durchziehen, (siehe Facebook und Datenschutz) immer weniger zum Verlangen der Nutzer passt.

"Der Ort des ökonomischen Werts hat sich ins Verlangen des Individuums verlagert. Wären Facebook oder Google oder Apple sich ihrer Rolle als historische Kraft bewusst, würde keiner von ihnen gegen das Interesse seiner Nutzer handeln. Denn sie wüssten, dass sie so auch künftigen Profit verringerten. In jedem Augenblick, in dem sie das Vertrauen des Individuums enttäuschen, geht ihnen Geld verloren."*

Es stellt sich die Frage, wie eine Ökonomie aussieht, in der solche Firmen alles richtig machen. Welche Konsequenzen würden sich daraus ergeben, dass solche Firmen ausschließlich im Interesse der Nutzer handeln würden? Zuboff nennt das eine "ganz neue, noch nicht kartographierte Landkarte" mit enormem ökonomischen Potenzial. Die Nutzer seien bereit, dafür zu bezahlen, dass ihnen die Ressourcen geboten werden, die sie benötigen, um ihre Idee von einem guten Leben zu verwirklichen. Nur darf man dabei nicht ihr Vertrauen missbrauchen, wie es die Hybriden gerade tun.

Was wir wirklich wollen

Wenn das neue am Verlangen des Individuums ausgerichtete System lediglich dazu gut wäre, das jeder eine andere Musik auf seinem iPod hört oder endlich jeder von uns sein eigenes Online-Profil mit je ganz eigenen Bildchen oder Hochzeitsvideos hat, dann wäre das alles nicht der Rede wert. Ich glaube, dass der Zauber, der darin verborgen liegt, eher ein Weniger als ein Mehr ist. Weniger Massenproduktion heißt auch, mehr Chancen für dezentrale, menschlichere Produktion. Ein am wahren Verlangen ausgerichtetes Angebot hieße vielleicht, dass wir viel weniger mit materiellen Gütern kompensieren müssen und statt dessen Zugang zu Ressourcen höher schätzen, als den Besitz von Ressourcen. Wir wollen z.B. immer weniger Autos, dafür lieber Mobilität. Und immer weniger wollen Bücher in der Schrankwand verstauben lassen, aber lesen wollen sie trotzdem. Ich bin gespannt, wie beispielsweise das neue Angebot auf mein Verlangen nach Ruhe, Zeit, Natur, Wertschätzung, Genuss und anspruchsvoller Tätigkeit aussehen wird.

Und was wollen Sie eigentlich? Lassen Sie uns unten in den Kommentaren wissen, wie Ihr Verlangen realisiert werden kann!


*Zitate aus Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10. Februar 2013, Nr. 6, Das System versagt. Protokoll einer Zukunftsvision.

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14. März 2013

Verlosung: Sind wir dafür geschaffen, in Paaren zu leben?

Ich verlose ein brandneues Exemplar des Philosophie Magazins mit dem Titel "Sind wir dafür geschaffen, in Paaren zu leben?"

Sie müssen dazu lediglich zur Fan-Seite von Geist und Gegenwart auf Facebook gehen und unter dem Bild von Tristan und Isolde eine lustige oder philosophische Unterschrift hinterlassen. Wer bis Sonntag Abend die meisten "Likes" bekommt, dem schicke ich das Magazin zu. Wenn nicht genug Stimmen zusammenkommen oder ein Gleichstand herrscht, dann entscheide ich ganz eigenmächtig (der Rechtsweg ist ausgeschlossen).

Und jetzt viel Spaß beim "dichten" und dann vielleicht bald beim Lesen des neuen Philosophie Magazins.

10. März 2013

Das gute Leben braucht Zeit und Resonanz

Wir hetzen dem guten Leben hinterher und verpassen es gerade dadurch

Warum ich Philosophie studiert habe, werde ich oft gefragt. Ganz einfach: Weil die Kernfrage der Philosophie im Grunde folgende ist: Was ist das gute Leben und wie erreiche ich es? Philosophen antworten darauf meistens, dass es das Denken selbst ist, das das Leben lebenswert macht. Die Liebe zur Weisheit ist daher auch die wörtliche Übersetzung des griechischen φιλοσοφία und des lateinischen philosóphia.

Denken, Weisheit, Besinnung... das bekommt man nur, wenn man die Muße hat, einen Schritt von der Hektik zurücktreten kann, die das Leben oft bedeutet. Warum ist das heute so schwer? Ist es heute überhaupt schwerer, als früher? Im Philosophie Magazin (02/2013) meint der Beschleunigungstheoretiker (was es heute nicht alles gibt!) Hartmut Rosa, dass unsere Gegenwart immer mehr schrumpft und uns daher alles nicht nur immer schneller vorkommt, sondern an uns vorbei rauscht und dabei an Bedeutung verliert. Es fehle uns daher an der für ein gutes Leben nötigen Resonanz. Ist das so und wenn ja, was können wir tun?

Mit Muße und Besinnung die Gegenwart ausdehnen und erleben, dem guten Leben auf der Spur

Die üblichen Verdächtigen wie E-Mail, Handy und Facebook sind schnell ausgemacht und zusammengefasst die "Steigerungslogik des Kapitalismus" genannt. Aber es gibt auch ganz strukturelle Gründe, die uns hetzen lassen, um ein gutes Leben zu haben, das wir genau dadurch dann verpassen.

Das gute Leben als Privatsache

Eine grundlegende und befreiende Erkenntnis unserer westlichen Moderne ist, dass ideologische Konzepte vom guten Leben fast immer gewaltsame Folgen haben, denken wir an die Heilsversprechen von Kommunismus, verschiedener Religionen in verschiedenen Stadien oder allgemein einfach nur die ganz feste Überzeugung einer Gruppe, im Alleinbesitz der Wahrheit eines guten Lebens zu sein. Das geht selten gut aus.

Daher haben wir die Frage nach dem guten Leben individualisiert. Es ist Privatsache eines jeden, zu entscheiden, wie er leben möchte. Das ist eigentlich auch eine gute Idee. Der Haken an der Sache: Wir selbst ganz allein haben oft gar keine Ahnung, was für uns ein gutes Leben sein könnte. Viele suchen ewig nach einer Antwort und noch viel mehr haben nie angefangen, zu suchen. Wir finden gar nicht die Zeit, herauszufinden, was ein gute Leben sein könnte.

Das Versprechen eines schnellen Glücks

In diese Lücke stoßen nun Angebote aus der Gesellschaft: Arbeit macht glücklich, Kinder, Häuser, Autos, essen, reisen und so weiter. Oder denken Sie an esoterische Gurus, die immer für alles eine schnelle Lösung haben. Oft haben die, die solche Glücksmacher vertreiben, zum Beispiel über Werbung die medialen Mittel, unsere Suche nach einem guten Leben abzukürzen, indem sie mit ihren Produkten überall um uns herum schnelle Abhilfe versprechen. Wir fangen dann an, angeblich glücklich machenden Karrieren zu folgen, noch größere Fernseher zu kaufen oder Autos, Kredite für Häuser aufzunehmen und so weiter. Alle diese Glücksmacher sind jedoch nur für kurze Zeit wirksam, denn es gibt immer was neues, besseres, schnelleres oder größeres. Auch wir selbst haben immer das Gefühl, dass wir uns ständig weiter entwickeln müssen, um den anderen einen Schritt voraus zu sein oder die nächste Herausforderung im Leben zu meistern.

Und weil das gute Leben nun eben die Privatsache jeder einzelnen Person ist, verstehen und verhindern wir als Gesellschaft gar nicht mehr die Zwänge und Entfremdungen, die unsere Leben weg führen, von dem was vielleicht besser wäre. Denn es ist eben nicht mehr die Aufgabe der Gesellschaft, ein gutes Leben zu ermöglichen. Das muss schon jeder selbst machen. Aber anstatt zu pausieren und herauszufinden, was gut für uns ist, rennen wir den immer schneller werdenden Versprechen anderer hinterher.

Resonanz und Antworten über Facebook hinaus

Auf die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, sagt Hartmut Rosa: "Das Wesentliche ist, eine gelingende Weltbeziehung entwickeln zu können. Es geht also ganz zentral um Resonanz" (Philosophie Magazin, 02/2013, S.57). Dabei reicht die Resonanz nicht aus, die wir bekommen, wenn wir eine Statusmeldung bei Facebook absetzen und auf die Likes und Kommentare warten. Zwar sind Facebook und andere soziale Möglichkeiten des Internets genau wegen dieser Resonanz so verführerisch, aber um ein gelingendes Leben zu führen, benötigt man einiges mehr von seiner Umwelt.

Rosa prägt das Bild von der "antwortenden Welt": Mein Wirken in der Welt, wird mich vor allem dann erfüllen, wenn es Antworten provoziert, wenn es ein Echo gibt, eine Resonanz. Wir benötigen die Anerkennung unserer Mitmenschen, der Gesellschaft, unserer Lebensgefährten und Kollegen, um ein vollständiges Ich-Gefühl zu entwickeln.

"Resonanz stellt sich nicht durch das Machen, das Beherrschen ein, sondern durch das Öffnen, durch das Offenwerden für etwas."  (Philosophie Magazin, 02/2013, S.58)

Das Antworten der Welt werden wir allerdings nur dann vernehmen, wenn wir auch hinhören, wenn wir offen sind für die Reaktionen unserer Mitmenschen und uns die Zeit nehmen, sie nachklingen zu lassen. Genauso benötigen wir Zeit, um auf andere zu reagieren, die auch auf Resonanz angewiesen sind. Wir nennen das schlicht zwischenmenschliche Beziehungen: Dem anderen Raum und Zeit geben, auf ihn zu reagieren und ihm die Zeit zu geben, auf mich zu ragieren. Nicht selten schaltet sich unsere Ungeduld dazwischen, etwas vom anderen zu bekommen, wenn wir ihn als bloßes Mittel zum Zweck begreifen. Eine Beziehung mit Resonanz wird sich darauf allein nicht gründen lassen.

Das Verstummen der Welt

Rosa meint, dass Menschen am Arbeitsplatz krank werden, weil die Anerkennung, die Resonanz, die Antwort fehlt. Das passiert dann, wenn immer schneller immer mehr abgeliefert wird, ohne dass etwas zurückkommt, ohne dass man den Fortschritt und die guten Folgen der eigenen Arbeit noch sieht. Dieses Muster lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen. Auf unsere Freizeit, wo wir vielleicht mit Kopfhörern ausgestattet auf dem Fitnessbike strampeln und dabei auf den Flachbildschirm vor uns starren. Oder im Urlaub: Wenn wir durch die Museen rennen, um alles (aber auch wirklich ALLES) zu sehen, dann nehmen wir uns nicht die Zeit, zu beobachten, genau hinzuhören und zu entdecken, was der fremde Ort oder das Gemälde uns sagen könnten. Es lässt sich auch auf die Beziehungen zwischen Liebenden übertragen, wie wir oben gesehen haben. Unser konsumistisches Verhältnis zur Welt führt zu ihrem Verstummen uns gegenüber.

Wo gehts lang zum guten Leben?

Wir müssen uns die Zeit nehmen, geduldig hinzusehen, genau zuzuhören, in Gänze und Detail zu erfassen, was die Welt und unsere Mitmenschen zu bieten haben. Hartmut Rosas sieht ziemlich optimistisch die folgende Alternative:

"Die Geschwindigkeiten, die Dynamik des sozialen Systems wieder auf ein für den Menschen gutes, human verträgliches Maß zu reduzieren. Die Frage sollte also nicht sein: Wie schnell können wir werden? Sondern: Was ist gut für uns? So gibt es wenigstens die Hoffnung, dass man auf dem Wege philosophischer Reflexion vielleicht doch noch dazu beiträgt, dass ein Systemwechsel stattfindet." (Philosophie Magazin, 02/2013, S.59)

Ich bin da weniger optimistisch, dass wir das als Gesellschaft mittelfristig hinbekommen. Dazu sind wir viel zu fasziniert vom Fortschritt, vom ewig neuen und außerdem wirtschaftlich zu sehr abhängig davon, immer schneller und effizienter zu werden. Hoffnung macht mir vor allem, dass immer mehr einzelne Menschen wie du und ich begreifen, dass sie mit dem Hetzen, dem Streben, dem Besitzen aufhören müssen, weil sie nämlich die Welt nicht mehr sehen und hören, sondern ständig an ihr vorbei eilen. Wir verstehen immer mehr, dass wir mit dem bewussten Leben anfangen müssen und wir sind bereit, dem Zeitgeist etwas entgegen zu setzen und auf manches zu verzichten, wenn wir dadurch nur mehr Zeit bekommen. Wir wollen das Leben erkennen und verwirklichen, das für uns und unsere nächsten gut ist und das lässt sich nicht auf materiellen Reichtum reduzieren. Ist das der Weg, auf dem wir doch noch zu uns selbst finden? Welche Chancen sehen Sie?



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4. März 2013

Sein lassen, nichts tun, vegetieren

Im letzten Philosophie Magazin las ich, dass unser Leben sich immer mehr beschleunigte. Wir hetzen uns selbst zu Tode, ohne einmal an den Tod zu denken und aus seiner Gewissheit die Konsequenzen zu ziehen: Gelassener werden. Stopp! Wir sollten einfach mal nichts tun! Das ist sicher gut gemeint, aber was heißt das?

STOP! Everything is upside-down
Wie jetzt "Stop"? Nichts tun geht doch gar nicht. Nur Tiere liegen auf dem faulen Pelz (Foto von dullhunk)

Können wir überhaupt "einfach mal nichts tun"?

Wir sitzen zumindest erst einmal da, haben die Augen offen und dann geht es los! Gedanken rasen durchs Bewusstsein, halbe Gedanken, angerissene Gedanken, Gesprächsfetzen, Glaubenssätze. Urteile, Pläne, Gefühle auf dem Weg zu Gedanken. Der Impuls ist da, aufzustehen und irgend etwas anzufangen oder abzuschließen. Die E-Mails zu checken, die SMS-Eingänge und daraus eine Motivation zu beziehen, eine Handlung anzuschließen. Im Philosophie Magazin heißt es: "Jedes sich öffnende Zeitfenster weckt die Neigung, es sogleich zu takten und zu füllen" (Philosophie Magazin Nr. 02/2013, S. 38). Sogar "narkotisierendes Fernsehen" wird als Beispiel für die Unfähigkeit, nichts zu tun, herangezogen. Dabei helfen uns Fernsehen oder andere Narkotika vielleicht am ehesten beim Nichtstun. Oder die Autobahn langrasen und auf den grauen Asphalt starren, der von der Mototrhaube gefressen wird, Kilometer um Kilometer. Ich erlebe das immer als sehr meditativ. Der Gedanke, dass hier Zeit vergeht und ich nichts damit anfange, ist irgendwie aufregend und beängestigend zugleich. Es fühlt sich an, als schlüge ich dem Leben ein Schnippchen und all denen, die unter Leben eine Maximierung von Output vertsehen.

2. März 2013

Ein Käfig aus Gedanken

Elena Welsch ist Coach und erzählt uns heute von diesen typischen und uns allen anliegenden Zwangsjacken des Geistes, den Glaubenssätzen. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied, oder? Lesen Sie selbst...

Wie stillen wir unser Bedürfnis nach Freiheit und Streben? (Foto von Elena Welsch)

Glaube kann Berge versetzen, davon bin ich felsenfest überzeugt. Für den Glauben ist es dabei völlig unerheblich, in welche Richtung er die Berge manövriert. So ist es nicht unbedingt selbstverständlich, dass mir mein Glaube Hindernisse aus dem Weg räumt. Im Gegenteil, oftmals setzen wir uns selbst mit negativen bzw. einschränkenden Gedankenmustern richtige Gebirgsketten direkt vor die eigene Nase!

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