Du musst diese kleinen alltäglichen Probleme abschaffen!
Was können wir von Obama lernen? Auf jeden Fall, dass Führungsaufgaben und Entscheidungen treffen, nichts für schwache Nerven sind. Sie sind nicht leicht, auch wenn wir mit unserem Urteil immer schnell dabei sind: Unsere Chefs sind vor allem Idioten, Psychopathen und Narzissten genauso, wie unsere Politiker inkompetent und korrupt sind. Und das gilt natürlich jeweils für alle ganz generell.
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Unbenommen: inkompetente und korrupte Politiker gibt es genauso wie Narzissten und Psychopathen unter unseren Chefs. In der Regel reduzieren solche Labels aber vor allem die Komplexität der Wirklichkeit. Führungsaufgaben sind kompliziert, die Beziehungen, zwischen denen Chefs und Politiker navigieren müssen, sind oft sehr komplex. Ein Chef ist z.B. fast immer unter Druck von oben und unten zur gleichen Zeit. In so einer Situation kann man es leider niemandem Recht machen. Politiker mögen ihre Werte und Ideale haben, für die wir sie gewählt haben, aber sobald sie "an der Macht" sind, müssen sie gerade in Demokratien so viele Kompromisse eingehen, dass uns ihr eigentliches Wahlprogramm nur noch als scheinheiliges Mittel zur Machtergreifung vorkommt.
Barack Obama ist ein gutes Beispiel, wie man auch dabei Integrität bewahren kann. 2009 erhielt er den Friedens Nobel Preis - offenbar zugleich als Vorschusslorbeeren und sanfte Erpressung gedacht - und ist seither ein militärisch sehr aktiver Präsident geblieben. Im Grunde war es unfair, ihm diesen Preis zu geben, denn jeder wusste, ein amerikanischer Präsident kann in dieser Welt kein Pazifist sein. Natürlich roch Obama die Falle sofort und hielt bei der Preisverleihung eine Rede, die deutlich machte, dass Krieg auch in Zukunft nötig sein würde, aber dass jede Situation einzigartig sei und eine einzigartige Entscheidung erfordere, anstatt eine generalistische Perspektive nach dem Muster der
Achse des Bösen.
"Zu sagen, dass Gewalt manchmal nötig ist, ist kein Aufruf zum Zynismus - es ist eine Anerkennung der Geschichte, der Fehlbarkeit der Menschheit und der Grenzen der Vernunft." (Obama im Rathaus von Oslo)
Wir sehen hier bereits eine Hauptzutat guter Führung: Mutige Kommunikation, ohne Rücksicht auf die Enttäuschung, die sich daraufhin einstellen wird. Wenn man es niemandem Recht machen kann, dann kann man immerhin sich selbst treu bleiben. Das Nobelkomitee hatte sich eine pazifistische Rede erhofft, bekommen hat es eine Darlegung der Gründe, warum Pazifismus keine Option ist, so sehr er auch wünschenswert wäre. Obama hat sich damit freigeschwommen und sich der gut gemeinten Erpressung entzogen. Er wusste, dass noch mehr Abhängigkeiten und falsche Erwartungshaltungen als ohnehin schon bestanden, das Letzte waren, was eine Führungskraft wie er noch brauchte. Gerade dann, wenn er Figuren wie Osama bin Laden und andere Führer des Terrors zur Strecke bringen wollte. Ich glaube, dass Chefs - und wenn sie auch nur ein kleines Team führen und keine Terroristen bekämpfen - von solchen Beispielen lernen können.
Glaubwürdigkeit aus dem Willen zu Wahrheit und Optimismus
Mutige Kommunikation, die jeden erreicht und bei aller Härte der Botschaft doch Authentizität vermittelt, ist sicher einer der größten Garanten für gute Führung. Und Obama ist darin ausgezeichnet. Wie kein anderer versteht er es, die Gegebenheiten als schwierige Herausforderungen zu beschreiben, die dennoch mit guten Erfolgsaussichten angegangen werden können. Dieser Willen zu Wahrheit und Optimismus haben ihn so populär gemacht und lassen seine Gegner regelmäßig wie orientierungslose Tölpel wirken. Obamas Problem bleibt natürlich, dass die Realität der Umsetzungen hinter seinem Optimismus zurückbleibt, auch wenn das - denken wir an Steuerreform und Gesundheitswesen - vor allem seinen Kontrahenten anzulasten ist.
Du musst die Energie einteilen und bündeln
Obama ist aber nicht nur ein hervorragender Kommunikator, sondern versteht eine Menge von Selbstmanagement. Und das kommt daher, dass er sich selbst sehr reflektiert, psychologisch denkt und sich selbst gut kennt. Die Erkenntnisse, die er daraus zieht, ermöglichen ihm, sehr bewusst mit den Herausforderungen seines Amtes umzugehen, wie wir in
Obama's Way von Michael Lewis im Magazin
Vanity Fair lesen konnten:
"Du musst Sport machen," sagt er zum Beispiel. "Ansonsten brichst du irgendwann zusammen." Und du musst diese kleinen alltäglichen Probleme abschaffen, die vielen von uns jeden Tag so viel Zeit kosten. "Ich trage nur graue oder blaue Anzüge," sagt er. "Ich versuche Entscheidungen zu minimieren. Ich will keine Entscheidungen darüber treffen, was ich anziehe oder esse, weil ich zu viele andere Entscheidungen zu treffen habe." Er erwähnt Forschungsergebnisse, denen zufolge jede Entscheidung die Fähigkeiten zu weiteren Entscheidungen mehr und mehr erschöpft. Deshalb ist Shopping so anstrengend. "Du musst die Energie, die dir zum Entscheiden zur Verfügung steht, einteilen und bündeln. Dich selbst zu routinieren, hilft dabei. Du kannst nicht durch den Alltag gehen und dich von Nebensächlichkeiten ablenken lassen." (Michael Lewis)
Nur eine bestimmte Farbe zu tragen, geht sicher für viele von uns zu weit. Aber die Richtung, in die es zeigt, ist klar: Man kann nicht auf einem hohen Level bestimmte Leistungen bringen, wenn man sich nicht konzentriert. Man muss seine Kapazitäten einteilen und ganz gezielt einsetzen, anstatt sich im Alltag aufzureiben. Es kommt also nicht von ungefähr, dass einem Präsidenten die meisten Sorgen abgenommen werden. Es ist auch dasselbe Prinzip, dem das klassische Verhältnis von Chef und Sekretärin folgt. Und auch die Erkenntnis, dass Routinen uns entlasten, ist nicht neu, aber hier von Obama auf die Spitze getrieben. Wenn Ihr Chef also nicht jede E-Mail beantwortet oder sich um bestimmte Dinge einfach nicht zu scheren scheint, dann muss das nicht Inkompetenz und Faulheit sein, vielleicht weiß er sich einfach, gut aufs Wesentliche zu konzentrieren?
Das Heisenberg-Prinzip für Entscheider
Außerdem ist Obama ein guter Team-Manager, der alle seine Mitarbeiter in Entscheidungsvorgänge mit einbindet. Beispiel: In einem Meeting im März 2011, in dem er entscheiden sollte, ob in Libyen eine Flugverbotszone eingerichtet werden sollte, erhielt er nur wenig hilfreiche Informationen und Optionen von seinem engsten Beraterkreis: Option 1: Flugverbotszone einrichten, Option 2: gar nichts tun. Gab es keine weiteren Optionen?
Also fing Obama an, jeden im Raum, auch die jüngsten, nach ihren Meinungen zu fragen. "Es war etwas ungewöhlich," gibt Obama zu, "dass ich auch die fragte, die gar nicht am Tisch saßen. Ich wollte auch das hören, was die am Tisch offenbar nicht sagen wollten." Was er hören wollte, war ein Grund für differenziertere Maßnahmen als die Flugverbotszone und was es für die amerikanischen Interessen bedeutete, wenn er Massaker an der libyschen Bevölkerung hinnehmen würde. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum entscheidet er dann nicht gleich selbst in diesem Sinne? "Es ist das Heisenberg-Prinzip," sagt er. "Dass ich die Frage stelle, ändert bereits die Antwort. Außerdem schützt es meine Entscheidung, wenn ich andere in den Prozess einbinde." Sein Verlangen, selbst die Meinung der jüngsten im Raum zu hören, ist sowohl ein Merkmal einer warmen Persönlichkeit, als auch kühle Taktik. (Michael Lewis)
Obama unterläuft bewusst etablierte Status-Strukturen, schließlich ist er der erste schwarze Präsident geworden. Das allein scheint schon etablierte Strukturen über den Haufen geworfen zu haben. Er spielt lieber mit "normalen Leuten" Basketball, als mit den CEOs der großen Firmen Golf. Statt Washingtoner Cocktail Partys zu besuchen, liest er lieber zu Hause ein Buch. Wenn man ihn in der Menge baden sieht, wird man beobachten, dass er gern die Nähe zu alten und schwachen Menschen sucht, anstatt die zu den jungen und schönen. Er bindet auch den "geringsten" seiner Mitarbeiter in Entscheidungsvorgänge ein und man kann es sich bei ihm nicht anders vorstellen, als dass er auch die Putzfrau und den Hausmeister im Weißen Haus auf die charmanteste und lockerste Weise begrüßt. All das ist durchaus bewusst und Teil seines Amtes:
"Eine meiner wichtigsten Aufgaben", sagt er, "ist sicher zu stellen, dass ich den Leuten gegenüber und der Bedeutung meines Amtes gegenüber offen bleibe, ohne dass es mich überfordert und dadurch paralysiert." (Michael Lewis)
Diese Balance zu halten, ist für jeden Chef ungeheuer wichtig. Man kann keine vernünftigen Entscheidungen treffen, wenn man sich von der Realität der Basis entkoppelt. Auf der anderen Seite kostet es zu viel Energie, wenn man alle Details und zu viel Kommunikation verarbeiten muss. Man muss den Kopf über Wasser halten, darf sich nicht verstricken in die kleinen Kämpfe und Ambiguitäten. Man muss bereits selbst die Überzeugungen vom richtigen Ziel entwickelt haben und trotzdem auf die anderen hören können. Man muss sie mit an Bord nehmen können, ohne sich vom Kurs abbringen zu lassen.
Es wird Zeit, dass sich Führung in Politik und Wirtschaft reformiert, offener und demokratischer wird und gleichzeitig die psychischen Mechanismen und Herausforderungen anerkennt und versteht. Nur so kann gute Führung gelingen. Obama ist ein Muster dafür, wie man bewusst und mit luzidem Selbstverständnis an Führungsaufgaben herangeht.
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