19. Dezember 2012

Wie bleiben wir menschlich in den Zeiten der Superhelden?

Was ist der Preis der Spezialisierung? Elisabeth Göhring vom Unternehmens-Kulturmagazin schreibt von der Notwendigkeit des lebenslangen Übens, vom Erhalt menschlicher Soft Skills und vom Mut zum Dilettantismus. Aber lesen Sie selbst...

Olympiasiegerin Charlotte Cooper, 1900
Meine Dienstag Abende verbringe ich damit, einen gefiederten Ball über ein Netz zu schlagen, und das möglichst so, dass mein Gegenüber ihn nicht zurückschlagen kann. Das macht einen Heidenspaß, ist sehr anstrengend, und ab und zu verletzt man sich. Ich bemühe mich stets darum, besser zu werden. Leider bemühen sich die Anderen auch, und deshalb bleibt der Erfolg selten und außerordentlich köstlich.

Hier wirkt ein antikes Ideal, das in der Neuzeit wieder aufgegriffen wurde: In einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist.

Im Mittelalter entwickelte sich die Turnier-Kultur anders. Die Männer kämpften um Sieg und Ehre und die Frauen, zumindest einige, betreiben das Kinder-Kriegen wie einen Extremsport - schließlich ging es auch hierbei darum, etwas zu werden: nämlich geachtete Ahnfrau. Sowohl bei den turnierreitenden Kämpfern als auch bei den todesmutigen Frauen galt es, seinen Platz im Leben zu behaupten: Stärke und Gottes Gunst zu beweisen.

Globalisierung des Entwicklungsgedanken
Mit dem Beginn der Neuzeit ändert sich das Ideal: Der Entwicklungsgedanke, dass jeder etwas Neues hinzuzufügen hat, damit die Menschheit weiterkomme, entsteht und wirkt bis heute. Man bildet sich als menschliches Wesen weiter. Es geht darum, immer etwas besser zu werden. Das gilt für die ganze Gesellschaft und für die Individuen.

Dieses Bildungsideal war überaus erfolgreich. Die Gesellschaften und Menschen wurden immer leistungsfähiger, und um auch den Körper in dieses Ideal hinein zu ziehen, entstand ein Drill bald auch jenseits des Militärischen: Mitte des 19. Jahrhundert wurde der Deutsche Turnerbund gegründet. 1896 fand die erste Olympiade der Neuzeit statt und 1903 die erste Tour de France. Sportliche Massenveranstaltungen konnten schließlich durch den Verkehrsmittel bedingten und medialen Schrumpfprozess der Welt ihre heutige Bedeutung erlangen. Die Konkurrenz ist riesig, seit die Welt ein Dorf ist. Da muss man sich schon ranhalten, wenn man es weiter bringen will.

Aber was wird im Spitzensport geformt? Längst ist bekannt, dass Leistungssport keineswegs mehr gesund ist. Es handelt sich eher um einen einseitigen Raubbau am Körper der Profi-Athleten. Jahr für Jahr siegte der gedopte Lance Armstrong beim härtesten Radrennen der Welt gegen andere, die wahrscheinlich auch gedopt waren. Ein Superheld hat eben keine andere Möglichkeit mehr. Wie soll man die außerordentlichen Leistungen auch noch überbieten? Als Lohn winken Erfolg und Geld. Beides Maßstäbe unserer Kultur, Geschwister des Gedankens, immer besser sein zu wollen.

Hoch spezialisiert: Signorina Maria Spelterina 1876 über den Niagara Fällen

Ahhh-Effekt: Spezialisierung und Verzicht auf Ganzheitlichkeit
Auch an den Hochschulen und im Job werden immer mehr Spezialisten gefragt. Am teuersten werden die gehandelt, die das Potential zu Superhelden haben: mindestens fünf Sprachen, Abschluss in Harvard und den Phd mit 28 Jahren. Spezialisten, Experten, Leute, die in einem Bereich so gut sind, dass sich Filme und Serien darüber drehen lassen. Leute mit dem "Ahhh-Effekt". Leute, die die Softskills gleich schon in der Kinderstube anerzogen bekommen haben. Auch diese Menschen haben nur einen 24-Stunden Tag. Worauf haben sie verzichtet oder haben sie das Geheimnis der Effizienz gelöst?

Wir sind den Menschen, die sich ganz einer Sache, einem Thema widmen, sehr dankbar. Sie verzichten auf vieles, nämlich auf alles, was nicht direkt oder indirekt ihr Thema betrifft. Sie bekommen dafür gesellschaftliche Anerkennung und meist gute Bezahlung. Wir brauchen diese Spezialisten, um den mittlerweile extrem komplizierten Anforderungen nachzukommen. Je spezieller das Thema, je exakter irgendetwas gemacht werden muss, desto dringender werden Leute gebraucht, die links und rechts alles liegen lassen und zu einseitig voller Aufmerksamkeit bereit sind. Aber was bedeutet solcher Verzicht auf Ganzheitlichkeit?

Genau so, wie man sich durch einseitiges Training zwar zu Spitzenleistungen bringen kann, aber gleichzeitig anderes verkümmern lässt, ist es mit dem einseitigen Fachwissen: Es bringt die Menschen an die Grenzen der "Humanität".

Einige Firmen* bieten deshalb ihren Mitarbeitern Arbeitszeitmodelle an, die ihnen erlauben – natürlich nach Erledigung der Pflichten – sich selbständig mit eigenen Projekten zu befassen. Dabei werden auch gemeinnützige Projekte ins Leben gerufen, die der Firma Reputation und der Allgemeinheit Vorteile bringen. Oft wird die Zeit allerdings auch genutzt, um sich noch weiter zu spezialisieren.

Deutlich zielgerichteter ist das "Studium Generale", das immer mehr Hochschulen als Zusatzangebot oder Einstieg anbieten. Es wird versucht, einem "Fachidiotentum" entgegenzuwirken. In einigen Hochschulen wie Witten/Herdecke wird sogar ein Tag jeder Woche dem gemeinsamen fachübergreifendem Studium gewidmet. Günther Kapust, Berater im Hochschulteam der Arbeitsagentur Frankfurt am Main, fasst die Vorteile so zusammen:
"Im Studium Generale lernt man, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, differenziert zu analysieren, intensiv und kreativ an Problemstellungen heranzugehen. Diese so genannten Soft Skills der Teilnehmer werden trainiert, und auch andere wie beispielsweise soziale Sensibilität, Kritik- und Konfliktfähigkeit." http://www.abi.de
Mehr Mut zum Dilettantismus täte gut
Aber ist nach dem Studium Schluss mit der Generalität? Ist man dann sozusagen "fertig", hat die Softskills erlernt und kann sie nun einsetzen, ohne sie weiter zu pflegen? Oder stehen Mensch und Arbeitgeber auch in einer gewissen Verantwortung die breiten und allgemeinen Fähigkeiten stetig weiter zu entwickeln?

Das Bildungsideal der Entfaltung und Weiterentwicklung ist zutiefst in der abendländischen Kultur verwurzelt. Es ist ein starkes Mittel, dass uns zu binden vermag: Der gemeinsame Sport, das Sprachen lernen, Nachdenkereien, die nicht gleich Philosophie genannt werden müssen, Malen als Möglichkeit zur Artikulation von Ideen. All das sind Mittel, eine gemeinsame Sprache über die einzelnen Subkulturen hinaus zu üben. Dazu muss man sich allerdings wieder auf einer Ebene des Dilettantismus treffen. Das erfordert Mut von allen Beteiligten. Und der täte uns und unserer Gesellschaft gut.



1 Kommentar:

  1. Dies ist ganz einfach (bezogen auf die Überschrift des Artikels):
    Menschlich bleiben wir mit allen unseren Schwächen und Vorzügen. Menschlich sein dagegen, bedeutet für mich mit offenen Augen und Herzen durch's Leben zu gehen, mehr braucht es da nicht an Worten.
    LG.aus Wien

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