26. August 2012

Wie tickt mein Chef? Typologie der Bosse

Eines der größten Missverständnisse im Umgang untereinander ist die Annahme, dass wir eigentlich alle gleich sind. Wir alle gehen im Alltag mehr oder weniger davon aus, dass das, was ich sehe, auch mein Nachbar sieht, dass das, was ich höre, nur einen Schluss zulässt, dass das, was ich denke, auch mein Partner denken muss. Bist du blind? Bist du taub? Bist du blöd? Das sind die reflexartigen Reaktionen, wenn sich jemand anders verhält, als wir es erwarten. Dieses simple Missverständnis ist daran Schuld, dass wir uns zu Hause streiten, auf der Arbeit aneinander vorbei reden oder denken, unser Chef oder unsere Chefin lebe in seiner/ihrer eigenen realitätsfernen Welt.

Wie ist Ihr Chef drauf? Illustration: Martin Rathscheck

Und meistens tun sie das auch tatsächlich: in ihren eigenen Welten leben. So wie jeder von uns. Nur wird es sich besonders bemerkbar machen, wenn jemand, dem der Auftrag gegeben wurde, eine Gruppe von Leuten zu einem Ziel zu führen, einen engen Horizont hat und nicht versteht, dass seine Interpretation der Welt nur eine von vielen möglichen ist. Chefs kriegen auch weniger Kritik, ihr Verhalten wird umfassender toleriert, was dazu führen kann, dass sie ihre Defizite aus den Augen verlieren und sich nicht mehr weiter entwickeln oder im schlimmsten Fall immer extremer werden. Zum erfolgreichen Führungsverhalten (hier z.B. die 25 Erfolgsfaktoren von Jack Welch) gibt es zahllose Tipps und Ratschläge. Einer der wichtigsten fehlt dabei häufig: Lern dich selbst sehr gut kennen, um andere gut zu führen!

23. August 2012

Zum Triumph der Unauffälligen

Im Spiegel Artikel Triumph der Unauffälligen liest man von all den Introvertierten, die es zu etwas gebracht haben: Albert Einstein, Abraham Lincoln, Bill Gates, Steve Wozniak oder Steven Spielberg. Nur ein Extrovertierter - ein ziemlich unangenehmer dazu - wird genannt: Steve Jobs. Man könnte meinen, introvertiert zu sein, ist eine Voraussetzung für Erfolg und Gutartigkeit. All die Extrovertierten seien nur laute penetrante Selbstdarsteller. Das ist natürlich Quatsch, aber offenbar ist es schwer, in einem Magazinartikel ein differenziertes Bild der persönlichkeitspsychologischen Dimensionen von introvertiert bis extrovertiert zu zeichnen. Solche Kategorien verleiten immer noch zu dualistischen Darstellungen und vernachlässigen die Grauzonen, in denen sich die meisten von uns bewegen.

Neidisch? Wahrscheinlich introvertiert! (gefunden auf Frontier Justice)

22. August 2012

Introversion - die neue mediale Faszination

SPIEGEL, 34/2012
Geist und Gegenwart widmet sich schon lange dem Thema Introversion. Wir stellen Bücher vor, erklären psychologische Hintergründe und helfen Introvertierten mit praktischen Tipps dabei, sich besser in einer extrovertierten Welt zu bewegen. Nun hat - nachdem das Thema durch die US-Amerikanische Öffentlichkeit getrieben wurde und sich auch hierzulande Susan Cains Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt wie geschnitten Brot verkauft, der Spiegel die Introvertierten entdeckt. Das Titelthema der aktuellen Ausgabe ist: "Triumph der Unauffälligen. Warum Introvertierte zu oft unterschätzt werden." Faszinierend, wie sehr dieses Thema zur Zeit auch in die deutsche Öffentlichkeit drängt. Mich freut das, wenn es Introvertierten, die sich vielleicht selbst noch nicht im Klaren darüber waren, dass sie ganz normale und doch besondere Menschen sind, dabei hilft, sich besser kennen und lieben zu lernen.

21. August 2012

Müssen oder Dürfen? Was wir von Kindern lernen können

Katrin Hentschel ist Erzieherin und beobachtet im Alltag gern die Parallelen zwischen Kindern und Erwachsenen. So auch im folgenden Artikel, in dem sie nicht nur der Frage nachgeht, ob unsere als selbstverständlich begriffenen Ansprüche auch unseren Kindern genügen, sondern auch, was wir im Gegenzug von unseren Kindern lernen können, um besser zu uns selbst zu finden. Aber lesen Sie selbst...

Morgens aufstehen, ein Lächeln auf dem Gesicht haben, sich nochmal kurz umdrehen und dem Vogelgezwitscher lauschen. Das ist für mich die Freude des Lebens: Den Moment genießen. Leider schaffe ich das nicht immer, aber umso mehr freue ich mich über die Augenblicke, in welchen es mir gelingt.

Was braucht das Kind? (Foto von Achim Lippoth gefunden bei NOTSOYELLOW)

17. August 2012

Wie es zur Liebe kommt und was dann daraus wird

Kennen Sie das auch: Je öfter wir einer Person wieder begegnen, desto mehr mögen wir diese Person. Wir finden sie sogar attraktiver und das beruht auf Gegenseitigkeit. Nicht immer funkt es gleich, manchmal schwelt es länger und dann brennt es um so doller. Das funktioniert allerdings nur, wenn die erste Begegnung nicht gleich negativ war, denn sonst wird nur die Abneigung stärker. Man nennt das den Mere-Exposure-Effekt, auf Deutsch also etwa: Effekt durch bloßen Kontakt. Geprägt wurde diese Idee 1968 von Robert Zajonc, der den Effekt evolutionspsychologisch* als Konditionierung über Sicherheitsreize erklärt.

Wir lernen lieben, wen wir kennen (Bild bei sloth unleashed gefunden)

12. August 2012

Freiheit, Individualismus und Selbstausbeutung

Die Gesellschaft nach Byung-Chul Han

In der Sommerausgabe des Philosophie Magazins findet sich ein Interview mit Byung-Chul Han, dem koreanischen Philosophen, der an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe lehrt und den ziemlich populären Essay Müdigkeitsgesellschaft geschrieben hat, in dem die "heutige Leistungsgesellschaft" als "eine Gesellschaft freiwilliger Selbstausbeutung" behandelt wird. Anders als sein Chef Peter Sloterdijk, ist Han jedoch ein Romantiker, der dem individualisierten Übermenschen, den Sloterdijk fordert, nichts abgewinnen kann. Das Interview ist recht deprimierend, denn man muss auf fünf Seiten unablässig Behauptungen wie die folgenden lesen:

Unberechenbar und gar nicht müde: Street Art in Leipzig. Wir leben doch noch, hassen und lieben!

"Es gibt keine Liebe mehr, weil wir uns frei wähnen, weil wir zwischen zu vielen Optionen wählen." Und: "Es ist kein langfristiges Projekt mehr möglich... Daher wird es keine Politik mehr geben." Oder: "Menschliche Handlungen, die emphatisch zukünftig sind, wie Verantwortung oder Versprechen, verkümmern heute." Aber auch: "Heute ist die Philosophie [...] ein Teil der Hölle des Gleichen geworden." Und erst recht: "Die akademische Philosophie in Deutschland ist leider total erstarrt und leblos. Sie lässt sich nicht auf die Gegenwart, auf gesellschaftliche Probleme der Gegenwart ein."

8. August 2012

Der Übermensch in uns und das richtige Leben

Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen:
den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten jeden Moment Ihres Lebens unendliche Male erneut durchleben, wieder und wieder bis ans Ende der Zeit. Wer kann das ertragen? Nur der, der das Leben in all seinen Facetten bejaht und keine Reue kennt. Wenn Sie mich fragen, ist das ein bisschen viel verlangt. Wir alle erleben Momente, die wir nicht noch einmal erleben möchten: schmerzhafte Besuche beim Zahnarzt, der Tod einer geliebten Person oder eine öffentliche Blamage. Es wäre nicht menschlich, solche Momente im Leben nicht zu bedauern. Wäre es übermenschlich? Wir wollen es untersuchen und erkunden, wie man solch einem Ideal wenigstens in Ansätzen näher kommen könnte.

4. August 2012

Lügen - Warum denn nicht?

Ein Autor, den ich wegen seiner Kreativität und Klarheit sehr schätze, Jonah Lehrer, hat sich dermaßen in Lügen über die Quellen seiner Arbeit (zuletzt: Imagine) verstrickt, dass das Buch aus dem Handel genommen wurde und er von seinem Posten bei der Zeitung The New Yorker gefeuert wurde. Jonah Lehrer ist noch jung, wird geläutert wiederkehren und an seine frühen Erfolge anknüpfen.

Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Lügen unser Leben verkomplizieren können. Anstatt bei unsauberer Quellenlage zuzugeben, dass er unter dem großen Termindruck schlampig gearbeitet hat, erfand er Geschichten zu seinen Quellen, die leicht als Lügen enttarnt werden konnten. Ganz ähnlich die Plagiatsaffäre des Karl-Theodor zu Guttenbergs. Oder denken Sie an die tragische Gestalt des Christian Wulff: Es wäre nicht schön gewesen, wenn er gleich gesagt hätte, dass er Vorteile genossen hat, die er nicht hätte in Anspruch nehmen dürfen. Aber es hätte ihm sicherlich die Ehre gerettet. Statt dessen hat er sich öffentlich im Fernsehen und der Presse in Widersprüche verwickelt und gilt nun als hässliches Gesicht der deutschen Politik. Diese Beispiele machen mich neugierig, wie man aus ethischen Gesichtspunkten mit Lüge und Wahrheit umgehen soll. Ist es tatsächlich so, dass man Lügen auf jeden Fall vermeiden muss oder sind Lügen unter gewissen Voraussetzungen legitim? In wie weit schade ich mir selbst, wenn ich lüge? Ich habe dazu ein kleines Buch von Sam Harris gelesen: Lying. Harris geht hier kurz darauf ein, was Lügen sind und welche Art von Lügen wir uns erlauben. Der Hauptteil des Buches ist aber eine Rechtfertigung der strikt ethischen Position, dass Lügen unter allen zumutbaren Umständen vermieden werden müssen.

Was ist eine Lüge?

Die Lüge ist philosophisch betrachtet gar nicht so trivial. Mit Unwahrheit oder Fehlinformation ist es nicht getan. Harris schlägt folgende Definition vor: Lügen heißt, jemanden vorsätzlich zu täuschen, der eine ehrliche Kommunikation erwartet. Das lehnt sich eng an übliche Definitionen an, wie man sie auch in Enzyklopädien lesen kann. Dieser Begriff von Lüge vermeidet, dass man jemanden einen Lügner nennt, der sich einfach nur geirrt hat und deswegen die Unwahrheit sagt (kein Vorsatz) und auch Pokerspieler oder Magiker sind keine Lügner, wenn im Kontext der Kommunikation klar ist, dass die Mitspieler oder das Publikum gar nichts anderes erwarten, als getäuscht zu werden. Dieser Begriff der Lüge hat jedoch mindestens einen Nachteil: die Kontextabhängigkeit lässt Hintertürchen offen: Was, wenn ein kleiner Junge vom Magiker erwartet, dass er ihn nicht täuscht, während die Mutter des Jungen weiß, dass es nur eine Vorstellung ist? Dann haben wir nach dieser Definition die paradoxe Situation, dass der Magier zugleich ein Lügner und kein Lügner ist. Ebenso wird der Begriff problematisch, wenn wir ganz zynisch sagen: In unserer Gesellschaft erwartet sowieso niemand mehr vom anderen, dass er ehrlich ist. Ist dann alles Lügen legitim?

Polygraph
Eine Lüge macht uns mindestens geringfügig nervös (gefunden bei Oddeveld)

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