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23. Mai 2012

Die Suche nach der östlichen Weisheit

Ein Road Trip durch Südkorea

Vor etwa einem Jahr bin ich aus Irland zurück nach Deutschland gekommen und hatte seit dem keinen richtigen Urlaub mehr. Ich hatte gleich einen Job in meiner neuen Heimatstadt Leipzig bekommen und wie so oft, wenn etwas neu ist, ist es auch sehr motivierend. Mir fiel also gar nicht auf, wie schnell die Zeit mit der Arbeit verging. Irgendwie war ich jetzt aber doch reif für drei Wochen Urlaub.

Seoul aus der Vogelperspektive: Über 10 Millionen Menschen leben hier

Ich war noch nie zuvor in Asien, also haben wir uns Korea und Japan als Ziele ausgesucht: Von Frankfurt nach Seoul, von Seoul nach Busan, von Busan nach Kyoto, von dort nach Tokio und dann zurück nach Frankfurt. Für die Zeit in Südkorea hatten wir ein Auto gemietet, denn wir wollten etwas vom Land und seinen Leuten sehen und nicht nur die für Touristen leicht erreichbaren Attraktionen. Koreas Städte und die Landwirtschaft (ich hatte es besonders auf die Teeplantagen abgesehen) befinden sich vor allem im Westen der Halbinsel, weil der Osten sehr gebirgig ist. Stadt in Süd-Korea heißt eigentlich immer: Große durchnummerierte Hochhaus-Wohnsiedlungen rund herum und Bürotürme in den Innenstädten. Im Vergleich zu Deutschland fiel mir auf, dass es in den Städten nur selten Grün gibt, manchmal am Fluss oder rund um die buddhistischen Tempel, die man in jeder Stadt findet. Ansonsten scheint alles auf schnelle Erreichbarkeit mit dem Auto und die allgegenwärtige Industrie ausgerichtet zu sein.

Durchnummerierte Wohnblöcke


Konfuzianistisches Korea
Südkoreas Gesellschaft ist geprägt vom Konfuzianismus und seinen hierarchischen Strukturen. Das zeigt sich beispielsweise in dem für uns Westeuropäern eigenartigen Widerspruch zwischen großer Gastfreundschaft auf der einen und mangelndem Respekt unter Fremden auf der anderen Seite. Ist man irgendwo ein Gast oder Kunde, dann wird man absolut freundlich und zuvorkommend, manchmal sogar mit Unterwürfigkeit behandelt. In anonymen Situationen, in denen sich die Menschen gegenseitig nicht kennen, wird jedoch geschubst und gedrängelt, gehupt und gemeckert. Sich kennen, heißt in Korea zu wissen, wie alt der andere ist, was sein Familienstatus ist, seine Bildung, sein Beruf usw. Wenn wir mit Koreanern ins Gespräch kamen, waren dies auch immer die ersten Fragen: Wie alt seid ihr? Seid ihr verheiratet? Was arbeitet ihr? Hat man diese Informationen nicht, dann kann man den anderen nicht in die gesellschaftlichen Hierarchien einordnen und es fällt schwer, ihn zu respektieren. Ich habe beobachtet, dass Kellnerinnen zum Beispiel kein so gutes Leben haben, denn die Bedienten schauen immer herab auf die Bedienenden und behandeln sie unfreundlich. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Kunden in Geschäften äußerst unfreundlich zu den Verkäuferinnen sind. Und auf der Straße gilt ganz einfach das Recht des stärkeren Motors und der lauteren Hupe.

Das Smartphone immer vor Augen
Ich habe darüber immer wieder nachgedacht und finde eigenartig, dass es nicht umgekehrt ist: Solange ich den anderen nicht in "seine Kaste" einordnen kann, begegne ich ihm erst mal mit größtem Respekt. Das macht für mich mehr Sinn. Evolutionär wäre das sicher weniger erfolgreich, weil der standardmäßige Hass auf das Fremde und Andere den Zusammenhalt in der eigenen Gruppe stärkt und der "Erstschlag" im Zweifelsfall vor dem eigenen Tod schützt. Das Misstrauen ist dann eine Lebensversicherung. Aus der Perspektive moderner Kulturen gesehen, sollte das aber nicht mehr nötig sein.

Südkorea gilt als das Land, wo der Konfuzianismus heutzutage noch den größten Einfluss hat. Das gesellschaftliche Zusammenleben ist in der Tiefenstruktur von Ahnenkult und Unterordnung geprägt. Die Frauen hat es dabei am schlimmsten getroffen, denn sie leben ausschließlich in Gehorsamsbeziehungen gegenüber dem Vater, dem Mann und schließlich dem Sohn. An der Oberfläche dieser modern technisierten Gesellschaft merkt man es nicht gleich. Aus dem Ahnenkult ergibt sich auch eine hohe Wertschätzung für den Nachwuchs, weil die Ahnen in den Kindern weiterleben. Das macht Beziehungen für junge Pärchen nicht gerade leicht. Sie stehen unter dem Druck, zu heiraten und Kinder zu haben. Sex um der Freude Willen passt da nicht. Es ist undenkbar, dass ein Mädchen seinen Freund mit nach Hause nimmt, ohne dass es feste Absichten gibt. Dadurch haben sich Stundenhotels etabliert, die die jungen Pärchen gerne buchen, offiziell um ungestört einen Film zu sehen. In vielen Hotels in denen wir waren, fand sich neben Zahnbürste und Seife auch ein Kondom.

Was sich im Alltag völlig verloren zu haben scheint, ist das im Konfuzianismus so wichtige Element der Harmonie. In den Städten drängen sich die Leute durch die Straßen, die Busse und Bahnen. Alle haben ständig ihr Smartphone vor Augen, besonders die großen Geräte von Samsung, wie das Samsung Note sind beliebt. Außerdem werden Autos vergöttert. Koreaner geben unheimlich viel Geld für dieses Statussymbol aus. Ein weiteres Indiz für den Verlust konfuzianischen Tugenden (Weisheit, Güte, Menschlichkeit) ist, dass Südkorea die weltweit zweithöchste Suizid-Rate hat. Suizid ist der häufigste Todesgrund für Koreaner unter 40.

Das ganze Leben in der Stadt aufs Auto ausgerichtet

Wie schon gesagt, ist Korea ein Land der Autos. Das Benzin ist billig, die Städte sind atemmberaubend verpestet, alles geht nur im Stop-and-Go. Autos parken überall und einen Zebrastreifen für das zu nehmen, das er in Deutschland bedeutet, wäre Selbstmord. Alles ist erreichbar mit dem Auto und parken trotz der Fülle kein Problem wegen der Regellosigkeit. Uns kam das natürlich auch zugute und gleichzeitig sind wir mitschuldig, denn leben möchte ich in so einer toxischen Umwelt lieber nicht. Das Auto hat uns aber ermöglicht, Orte zu erreichen, die ausländische Touristen sonst wohl kaum sehen oder nur in Reisegruppen. Zum Beispiel abgelegene Tempel und Hermitagen (einsame Häuser von Mönchen) am Berg Taehwasan oder auch das etwas alberne “German Village” auf der Insel Namhae.

Unerreichbar ohne Auto: Zahllose Buddhas irgendwo an einer Straße nach Magoksa 

Der Tee macht die Menschen gut
Als wir tiefer ins Land kamen, sahen wir die andere, etwas ältere Seite Südkoreas. Hier sind die Menschen oft noch tagein, tagaus auf dem Feld und erarbeiten sich ihren Reis mit den bloßen Händen. Außerhalb der großen Städte geht alles etwas ruhiger zu. Egal wohin wir kamen, wir waren die einzigen Europäer. Meistens vermutete man aber, dass wir Amerikaner waren. Durch die langjährige Präsenz der US-Amerikanischen Soldaten sprechen deutlich mehr Leute ein gutes Englisch, als in anderen Teilen Asiens. Und selbst in kleinen Städten und Dörfern wurden wir ganz normal behandelt. Hin und wieder gab es kleine Grüppchen von Kindern, die uns neugierig durchs Dorf verfolgten oder eine Oma, die uns schamlos und unvermindert anstarrte. Im Allgemeinen wurde jedenfalls kein Aufhebens von unserer Anwesenheit gemacht. Und wenn, dann nur in sehr gastfreundlicher Art. Zum Beispiel besuchten wir das Wilde Tea Festival in Hadong. Hier war alles sehr traditionell und trotzdem hat man uns in unserer funktionellen Tourismuskleidung einfach und ganz selbstverständlich zu Verkostungen eingeladen. Manch einer wollte uns mit auf einem Foto haben, ein anderer hat uns Süßigkeiten aufgedrängt und wieder andere haben uns einfach nur interessiert zugelächelt. Ich glaube, der Tee macht die Menschen gut.

Auf dem Wilde Tea Festival in Hadong

Grünen Tee gibt es in Südkorea reichlich und überall. Interessanterweise ist die alltägliche Teekultur hier viel stärker ausgeprägt, als in Japan, wo sich inzwischen der Kaffee durchgesetzt hat (Ausnahme sind die eher festlichen Zeremonien, auf die ich in einem späteren Artikel zu sprechen kommen werde).  Und auch in Korea werden die großen Ketten wie Starbucks immer populärer. Aber selbst in diesen Franchise-Lokalen bekommt man einen wirklich guten losen Tee serviert. In Korea wird zu jedem Essen oft kalter Tee serviert und in zahlreichen traditionellen Tee-Häusern gibt es auserwählte Grüne Tees und den traditionellen süßen koreanischen Früchtetee mit Zimt oder roten Datteln (Jujube). Zu diesen Tees gibt es dann immer üppige Süßigkeiten: Reiswaffeln, gefrorene Früchte, Konfekt aus Tee, roten Bohnen und Reis, Kekse. Diese Teehäuser dienen auch als ein ganz stilles und entspanntes Rückzugsgebiet vom Wahnsinn der koreanischen Städte. Hektik hat dort keinen Zutritt. Für mich war die ausgeprägte Teekultur Koreas überraschend und jedes neue Teehaus die Entdeckung eines kleinen Paradieses.

Grüner Tee, Jujube Tee, gefrohrene Kaki-Früchte, Reiswaffeln und Süßigkeiten aus Teig, Reis und Grüntee

Die Östliche Weisheit, Ruhe und Meditation habe ich auf meinem Road Trip nur ganz selten in den Tempelanagen oder in den Bergen beim Wandern gefunden. Je nach persönlicher Neigung warten in Korea aber viele unterschiedliche Paradiese auf ihre Entdeckung: Seien es riesige Fischmärkte, entlegene Tempel und die Hütten buddhistischer Eremiten, die vielen kleinen Inseln vor der Südküste oder ausgedehnte Parks, Naturschutzgebiete und einsame Gebirgsregionen. Leider blieb uns nicht die Zeit, all das ausgiebig genug zu erkunden. Mein Vorsatz ist aber, nach Korea zurückzukehren und besonders den gebirgigen und einsameren Osten zu besuchen. Vielleicht finde ich dort in der Einsamkeit endlich die östliche Weisheit.

Abgelegene Hütte und Tempel buddhistischer Eremiten

Aktive Tempelanlagen findet man überall im Land

Seoul am Abend

Fischmarkt in Busan
Alles für Kimchi, den scharf eingelegten Kohl, den man in Korea morgens, mittags, abends isst
Jemand mag Kürbisse
Proben für die Familie: Sonntagsausflug an den Fluss
Sonntagsausflug an den Fluss II: Miniaturhunde sind in Korea beliebt
Inseln an der Südküste
Busan, die internationalste Stadt Südkoreas

2 Kommentare:

  1. Danke für deinen Bericht! Sehr eigenartig finde ich, dass Kakis gefroren serviert werden. Richtig reif haben sie die Konsistenz und Süsze von Aprikosenmarmalade. Und gefroren? Wie Fruchteis oder viel stichfester?

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  2. Genau, es war wirklich wie gefrohrenes Fruchtsorbet. Köstlich.

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