Warum brennen wir gerade jetzt aus?
Trotzdem werde ich die Frage nicht los, warum sich psychische Probleme im Zusammenhang mit der Arbeit gerade jetzt epidemisch zu häufen scheinen. In einer Zeit, wo Hierarchien flach sind, sich die Arbeit humanisiert, immer besser dem Arbeitenden angepasst werden kann, in einer Zeit, wo bei Vorgesetzten angeblich immer stärker darauf geachtet wird, dass sie auch Führungskompetenzen haben. Warum in einer Zeit, wo die Sinnsuche auch am Arbeitsplatz erlaubt, ja wo kreative Selbstverwirklichung geradezu erwartet wird? Warum sind Erschöpfung, Burnout und Depression unsere großen Plagen im beginnenden 21. Jahrhundert?
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat am 7. März 2012 ein Positionspapier zum Thema Burnout herausgegeben, das diese und andere Fragen rund ums "berufliche Ausbrennen" behandelt. Erst einmal warnt das Papier jedoch davor, jegliche Form der psychischen Krise im Zusammenhang mit einer Arbeitsbelastung als Burnout zu bezeichnen oder den Begriff gar ersatzweise für die Beschreibung einer Depression zu nutzen. Das führe nur dahin, dass man den starken und erfolgreichen einen anständigen "Burnout" bescheinigte und die schwachen mit "Depression" stigmatisiere. "Einen Burnout muss man sich erarbeiten", wie Roland Kopp-Wichmann das treffend formuliert. Außerdem, so die DGPPN, dürfe Burnout nicht länger nur als Problem gesehen werden, das vom staatlichen Gesundheitssystem zu beheben ist, sondern als ein Problem, für das alle "Sozialpartner" (Arbeitgeber, Arbeitnehmer und deren Vertreter) die Verantwortung tragen.
Im Positionspapier wird auch zugegeben, dass es für Deutschland keine verlässlichen Daten darüber gibt, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz wirklich zunehmen:
"Es ist auch unklar, ob diesbezüglich tatsächlich eine relevante Zunahme von Burnout-Beschwerden erfolgt ist. Die gestiegenen Krankschreibungen und Frühberentungen als Folge psychischer Störungen könnten gleichfalls durch deren optimierte Erfassung oder eine gestiegene Offenheit der Patienten, mit ihrem Arzt über psychische und berufliche Probleme zu sprechen, bedingt sein. Dafür spräche u.a. die parallel erfolgte kontinuierliche Abnahme von Krankschreibungen und Frühberentungen infolge somatischer Erkrankungen."*Die Schwierigkeiten, verlässliche Zahlen über Burnout zu erheben, ergeben sich schon daraus, dass es bisher keine klare Differenzierung von Burnout-Beschwerden gibt. Man kann nicht zählen, was man nicht klar abgrenzen kann. Trotzdem geht die DGPPN davon aus, dass es empirische Anhaltspunkte für eine Zunahme solcher Probleme gibt. Wenn es also nicht nur ein statistisches Problem ist, das sich aus der abnehmenden Stigmatisierung von psychischen Problemen ergibt, warum nehmen diese Probleme im Zusammenhang mit unserer Arbeit dann zu? Sollte unsere neue Offenheit gegenüber solchen Gefahren im Gleichschritt mit einer immer sinnvolleren, kreativeren und körperlich weniger anstrengenden Arbeit nicht in einer Abnahme psychischer Probleme auf der Arbeit resultieren?
Interessanterweise scheinen es gerade diese positiv besetzten Aspekte unserer modernen Arbeitswelt zu sein, die uns jetzt im Burnout-Phänomen zu schaffen machen: Ständige Innovation, Freiheit als zeitliche und räumliche Flexibilität, unbegrenzte Aufstiegschancen, Selbstverwirklichung:
"In der bis in die 60-er Jahre des 20. Jahrhundert dominierenden Disziplinargesellschaft sei das Verhalten des Einzelnen sowohl im Privatleben als auch in der Arbeitswelt durch Gebote und Verbote autoritär gesteuert worden. Dieser autoritäre Druck sei durch die gesellschaftlich-demokratische Entwicklung der letzten Jahrzehnte in den Hintergrund getreten. An seine Stelle sei schrittweise das Diktat der Leistungsgesellschaft getreten, das den Einzelnen zu noch höherer Effizienz führe. Es werde ihm die Überzeugung vermittelt, dass er alleine, unabhängig von seiner Herkunft, für seinen beruflichen Erfolg verantwortlich sei. Unbegrenzt in Aussicht gestellte Aufstiegschancen erzeugten den Eindruck einer zwingenden Freiheit zur Maximierung der eigenen 10 Leistung und des erzielten Erfolgs."*
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Psychosozialer Stress am Arbeitsplatz
Ebenso wichtig dürften reale Defizite in den Strukturen sein, in denen wir arbeiten. Die bereits seit Jahren in der EU bestehende Sozialpartner-Vereinbarung zum Thema psychosozialer Stress am Arbeitsplatz habe, so die DGPPN, in den meisten EU-Staaten zu entsprechenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz vor gesundheitsgefährdendem psychischen Stress geführt. Nicht so in Deutschland; unser Gesetzgeber hat bisher keine mit dieser Vereinbarung einhergehenden Arbeitsschutzgesetze erlassen. Ob solche Gesetze jedoch die typischen Risikofaktoren für psychische Erkrankungen ausschalten könnten, ist mir unklar. Die DGPPN zählt als "arbeitsplatzbezogene Bedingungsfaktoren" für Burnout auf:
- Permanente Veränderungen und Neuanforderungen in der Arbeitswelt, Rollenambiguität
- Eine global härtere Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen führe oft zu Rationalisierungen, die zu einer verstärkten Arbeitsbelastung der am Arbeitsplatz Verbleibenden führe, oft verbunden mit Ängsten vor weiteren Stellenkürzungen
- Erhöhte Innovation, mit der vor allem oft ältere Arbeitnehmer mit abnehmender fluider Intelligenz überfordert seien
- Die Durchdringung der Arbeitswelt mit computerbasiertem Controlling führe zu kontinuierlichen externen Kontrolle durch Vorgesetzte
- Das Aufheben der Grenzen zwischen Arbeitswelt und Privatleben durch ständige Erreichbarkeit führe zu eingeschränkten Erholungs- und Regenerationsmöglichkeiten
- Bonuszahlungen schwächten die intrinsische Motivation, steigerten den Konkurrenzdruck und führten bei Nichtauszahlung zu Demotivation
Weitere Risikofaktoren seien ein eingeschränkter Tätigkeits- und Handlungsspielraum, ein Übermaß an Verantwortlichkeit, problembeladenes Klientel, mangelnde Transparenz am Arbeitsplatz, mangelndes Feedback, überhöhte Leistungserwartungen, mangelnde Einflussmöglichkeiten und geringe Aufstiegschancen.
Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Einflussfaktoren
Solch eine Liste kann natürlich nicht befriedigen. Man sieht leicht, dass den einen stresst, was der andere benötigt (eingeschränkter Handlungsspielraum versus Übermaß an Verantwortlichkeit). Zum Beispiel werden alle, die wie ich im MBTI ein INTP sind, kaum Probleme mit ständiger Innovation, Rollenambiguität und wenig Feedback haben. Der eine möchte eine gleichbleibend überschaubare Anforderung, der andere will Veränderung und Aufstiegschancen. Und beides ist legitim. Die DGPPN weist deshalb auch auf das bio-psycho-soziale Modell hin, das man zur Erklärung heranziehen muss. Es sind eben nicht nur die oben geschilderten Faktoren am Arbeitsplatz verantwortlich, sondern auch genetisch und entwicklungsgeschichtlich bedingte individuelle Faktoren, wie zum Beispiel die psychologische Belastbarkeit einer Person oder der selbst auferlegte Leistungsdruck, von dem oben schon die Rede war.
Mal abgesehen von der Arbeitsgesetzgebung und der Aufgabe für die Mediziner, das Phänomen Burnout so zu fassen, dass Diagnosen für eventuell nötige Prävention, Therapie und Rehabilitation möglich werden, zeigt uns das bio-psycho-soziale Modell zahlreiche Ansatzpunkte, wie Entscheidungsträger in der Wirtschaft dem "strukturellen Burnout" entgegenwirken können. Das sind zum großen Teil Themen für das Management und die Personalentwicklung in den Firmen. Wer sonst sollte für gesunde Strukturen sorgen, die sich in Transparenz, persönlichkeitsgerechter Führung und daraus resultierender individuell angemessener Arbeitsanforderungen zeigen?
*Alle Zitate aus dem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout (PDF).
Sehr guter Artikel - schon wieder! :-) -
AntwortenLöschenMeine eigenen Erfahrungen mit einem Burnout und dem Weg mitten hinein und wieder heraus kann ich in wenigen Worten auf den Punkt bringen. Trotz allen Fortschritts, so genannten unbegrenzten Möglichkeiten, Erfolgserlebnissen, Anerkennung, Selbstbestätigung..... die Liste vermeintlich positiver Aspekte ließe sich noch ziemlich weit fortführen, sollte, ja muss! der Mensch Mensch bleiben (dürfen).
Ich habe erkannt, wie wichtig es ist, dass ich
a) ich selbst bleibe
b) keine Vergleiche mit anderen anstelle
c) ES GENÜGT, ZU SEIN, DIE ICH BIN.
Die Umkehr vom einstigen Streben (siehe obige begonnene Liste) war ein weiter Weg. Zunächst war für mich die Einsicht, dass ich oben Genanntes gar nicht mehr erreichte, ganz gleich, wie viel ich strampelte, ein Schock. Das Burnout-Syndrom war letztendlich jedoch die Wendemarke, der erlittene Schock hilfreich. Die im vorstehenden Artikel, Abs. 2, beschriebenen positiven Veränderungen der Arbeitswelt sind mehr Wunschvorstellungen und Propaganda, sie finden sich in der Realität nur selten. Häufig ist das Gegenteil der Fall.
Für Frauen kommt ein weiterer wichtiger Belastungsfaktor hinzu: die Doppelbelastung. Da können sich Frau von der Leyen und Konsorten noch so tolle Programme ausdenken.
Über das Eine (Arbeitswelt) wie das Andere (Mensch in der heutigen Gesellschaft) ließen sich viele weitere Artikel schreiben. Fakt ist für mich, dass wir uns alle viel zu weit von unserem Menschsein entfernt haben. Arbeit ist heute nichts mehr, das vom Beginn einer Sache bis zu ihrem Ende wirkliche Zufriedenheit bringt, dadurch dass man ein fertiges Produkt in den Händen hält. Ich glaube, Erich Fromm schrieb schon über die zunehmende Abstraktheit der Arbeitswelt, was zu Problemen führen werde. Er hatte Recht! Und was die Belastung von Frauen durch die verantwortungsvolle Aufgabe als Mütter plus einem anständigen Job, der die Haushaltskasse aufbessert, angeht - von einem Karrierestreben will ich hier noch gar nicht reden - hat uns Frauen die Veränderung durch Emanzipation und Gleichberechtigung nicht sehr viele Gefallen getan.
Akzeptanz würde ich noch als wichtigen Baustein sehen. Akzeptieren, dass man ist, wie man ist. Dass niemand einem vorschreiben darf, wie man sein sollte und auch nicht, was man erreichen muss im Leben. Zu Entscheidungen stehen und die Verantwortung so lange zu tragen, wie es erforderlich ist. Dies gilt besonders für meine Geschlechtsgenossinnen! Wer sich entscheidet, Kindern das Leben zu schenken, dem empfehle ich, diese Entscheidung und die daraus resultierenden Konsequenzen gründlichst zu überdenken, und zwar in allen Facetten. Freilich weiß auch ich erst vieles aus der eigenen Erfahrung. Andere könnten jedoch davon profitieren, sie zu hören. Ein weiterer Punkt hin zu mehr Menschlichkeit und Miteinander, sich austauschen von Mensch zu Mensch, anstatt zum Bestseller bei den Ratgebern zu greifen.
Ach ja, da könnte ich noch eine ganze Menge mehr sagen. Dabei wollte ich doch mit wenigen Worten auf den Punkt kommen :-). Ich bitte um Nachsicht.
Ich bin, die ich bin!
Es genügt zu sein, wer ich bin und zu leisten, was in meinen Kräften steht. Wichtig: es sollte mit meinem Innersten im Einklang stehen.
Dies sind die wohltuenden Erkenntnisse meiner Reise heraus aus dem Burnout hin zu einem zufriedeneren, bescheideneren und glücklichen Leben.
Und übrigens: die Verantwortung für das Leiden im Burnout-Syndrom, trägt jeder selbst! Die Umstände mögen erheblich dazu beitragen, aber jeder Mensch trifft jeden Tag seine Entscheidungen für sich. Er allein hat es in der Hand, "drin" zu bleiben oder auszusteigen.