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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

6. März 2012

Das Vokabular eines genüsslichen Lebens

Chinesisches Essen schmeckt besser mit Stäbchen, denn es kommt darauf an, was wir mit einem bestimmten Essen gedanklich verbinden. Wenn wir Traditionen und Geschichten kennen oder von einer besonderen Art der Zubereitung wissen oder auch nur meinen, etwas stamme von glücklichen Kühen (angeblich werden die Kobe-Rinder massiert), dann schmeckt es uns gleich besser. Haben Sie schon einmal selbst Brot gebacken? Selbst wenn es nicht das beste Brot war, so wird es Ihnen selbst doch besser als jedes Bäckerbrot geschmeckt haben.

Ich bin ein großer Teetrinker und weiß, dass man die unterschiedlichen Tees erst schmecken lernen muss, bevor man sie richtig genießen kann. Geruch, Geschmack, Temperatur, sogar das Geräusch und die Farbe spielen dabei eine große Rolle. Hat man dann noch seine eigene Zeremonie bei der Zubereitung, dann lädt sich das ganze zu einem Erlebnis auf. Nach Jahren der Erfahrung mit Tees weiß ich jetzt, dass der Geschmack (auch bei Whiskeys und Weinen) erst zusammen mit dem Vokabular wächst, das man für die unterschiedlichen Aromen lernt. Erst wenn ich Wörter wie "erdig", "Schokolade" oder "Leder" kenne, kann ich sie auch mit bestimmten Geschmackserlebnissen in Getränken verbinden. Genießen hat etwas von Sprache lernen.

Geschmack ist ein Erlebnis und jedes Erlebnis ist Kontext
Neulich las ich einen schönen Artikel von Alva Noë: Why We Like What We Like. Der Autor, Philosoph und Kognitionswissenschaftler von der University of California, Berkeley, diskutiert das Phänomen, dass es schwer ist, Hundefutter von Leberpastete zu unterscheiden, wenn beide gleichermaßen hübsch angemacht sind. Oder Wein: Selbst Experten fällt es schwer, teuren von billigem zu unterscheiden, wenn sie ihn blind trinken.

Sind wir also bloß auf Status fixierte Angeber? Nein, denn die Leberpastete oder der gute Wein können Qualitäten haben, die jenseits vom "reinen Geschmack" liegen: Sei es der Geruch, die Qualität der Zutaten, die Farbe oder die Darreichungsform. Unserer Denkfehler liege darin zu meinen, dass lediglich das den Genuss ausmache, was auf der Zunge passiert. Wir denken bei Nahrung zu vereinfacht und negieren, dass der Kontext eine größere Rolle spielen kann, als die Kombination von salzig, bitter, süß und sauer.
Wir können Hundefutter von Pastete, roten von weißem Wein, Händehalten mit einer Geliebten von Händehalten mit einem Fremden unterscheiden. Aber was wir dann unterscheiden, sind nicht neuronale Geschehnisse, die von unseren Mündern oder Händen ausgehen, sondern die Gesamtheit dessen, was wir tun. Und was die Weinexperten oder die Liebenden im Geschmack oder Körperkontakt unterscheiden, sind keine Merkmale der intrinsischen Qualitäten im Nervensystem, die nur Weinexperten oder Liebende wahrnehmen; Geschmack ist keine Maßeinheit. Der Experte lenkt vielmehr seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Merkmale, die lediglich da sind, damit wir über sie nachdenken und sie wertschätzen können. Wenn wir es denn auch bewusst machen. (Übersetzt nach Alva Noë)
Aufmerksamkeit und Beschreibung
Und darin liegt für mich der Knackpunkt: Wir Menschen haben die fabelhafte Gabe, jeden noch so profanen Akt mit höherem Bewusstsein aufzuladen und dadurch großartige Erlebnisse zu schaffen. Essen ist für uns weit mehr als das befriedigende Gefühl der Nahrungsaufnahme. Es ist ein kultureller Akt. Ich möchte mich selbst daran immer wieder erinnern, sodass ich mein Essen nicht einfach herunterschlinge oder den Tee in mich hineinkippe. Viel mehr will ich genießen und zwar nicht nur das Essen, sondern das ganze Leben. Und alles was es dazu braucht ist Aufmerksamkeit bei dem, was wir tun und die Einordnung der Erlebnisse in ein sinnhaftes Ganzes. Dazu hilft es, wenn wir aufmerksam unsere Sinneseindrücke beobachten und sie in Worte kleiden, die nicht werten, sondern lediglich beschreiben. Versuchen Sie es einmal und lassen Sie mich in den Kommentaren wissen, was Sie erlebt haben!

2 Kommentare:

  1. Hallo Gilbert,

    das was Du hier beschreibst hat einfach was mit "achtsam leben" zu tun. Und ich stimme Dir vollkommen zu (wie es auch jeder Buddhist tun würde), dass wir jeden Bissen, jeden Schritt, jeden Atemzug bewusst erleben können. Leider lehrte unsere westliche Kultur lange, dass Zeit Geld ist, statt dass Zeit wunderbares Leben ist - Fastfood statt Enjoymentfood. Deine Beschreibung, ein Essen zu genießen, erinnert mich an die Einweisung von Thich Nhat Hanh in die Gehmediation, die ich kürzlich auf DVD sah. Jeden Schritt genießen, "als ob die Füße den Boden küssen würden". Ich denke, man muss nur mal damit anfangen, ob beim Gehen, Essen oder Autofahren, es breitet sich automatisch in einem das warme Gefühl "Jetzt" in einem aus, und man überträgt es sukzessive in andere Lebensbereiche - so geht es mir zumindest.

    Deine Anmerkung, dass Geschmack mit äußerem Kontext zusammenhängt, habe ich schmunzelnder Weise mit meiner Oma erlebt, die nur einen vogelschnabelgroßen Bissen meines Kuchens probierte, weil er ohne Ei ist - und ein Kuchen ohne ist kein Kuchen und deshalb kann er auch nicht wie Kuchen schmecken. Punkt! Ähnliches passiert bei Leuten, die per se veganes Essen ablehnen - "da fehlt was." Habe ich dagegen Besuch, der nicht weiß, dass ich vegan lebe, serviere ich meinen Kuchen und ernte regelmäßig Komplimente :)

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  2. Aufmerksamkeit & Wahrnehmung für die elementaren Dinge des Lebens ist die Wurzel allen Übels:
    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/MarktCampoDeFiori_o_solemio_com

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