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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

31. März 2012

Kreativ in den Untergang: Innovation als Problem

The only solution to the problem of human innovation is more innovation. (Jonah Lehrer) 

Wer hat Recht: fortschrittsgläubige Kulturalisten oder romantische Naturalisten? Optimisten oder Pessimisten? Werden wir an unserer Technik, an unseren Innovationen, schließlich unserer Kreativität zugrunde gehen (Atomwaffen, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung) oder wird der Fortschritt alles negative kompensieren und Techniken zur Überwindung dieser Probleme entwickeln (Solarenergie, Elektroautos, Weltfrieden)? Werden unsere Technologien der Katastrophe immer einen Schritt voraus bleiben und sie gleichzeitig verhindern können?

Ein Mensch braucht mehr Energie als das größte jemals lebende Tier (MarineBio)

30. März 2012

Eldorado Germany - Eine Checkliste für Unternehmen

Dieser Artikel ist für Marketing-Springer entstanden. Elisabeth Göhring widmet sich beim Marketing-Springer Themen um Unternehmenskultur und Management.

Ist Ihr Unternehmen fit für internationale Fachkräfte?


Im Courrier international - als nur ein Beispiel für europäische Presse - liest man vom Wunderkind Europa: L'Allemagne, nouvel eldorado. Qualifizierte Spanier, Franzosen und Italiener kommen ins Land des Fachkräftemangels. Die deutschen Arbeitsämter drehen den Spieß um und fangen an, die Absolventen in den europäischen Ländern für die deutsche Industrie abzufischen. Hunderttausende Ingeneur-Jobs sind unbesetzt. Der Pool ist leer, ein ganz ungewohnter Zustand für die Agentur für Arbeit. Wir brauchen Arbeitslose und finden sie in Süd-Europa. Im ersten Halbjahr 2011 kamen 49% mehr Spanier und 84% mehr Griechen als im Jahr zuvor nach Deutschland. In Baden-Würtemberg gibt es schon wieder Gastarbeiterprogramme.

24. März 2012

Die Lüge von der Konsensgesellschaft

"Wir leben in einer Konsensgesellschaft und wer da rausfällt, der kriegt böse was über die Mütze." (Giovanni di Lorenzo am 22. 2. 2012 bei Anne Will)

Ich finde dieses Zitat großartig! Eine Konsensgesellschaft, in der man Schläge bekommt, wenn man aus dem Rahmen fällt, lebt den performativen Widerspruch zum modernen Minimalkonsens von Toleranz und Gewaltfreiheit. So etwas ist natürlich erst einmal nur zustimmungsheischendes Phrasendreschen: Die böse Zensurgesellschaft, in der keine abweichenden Meinungen geduldet werden! Das ist die Vorstufe zum Sozialismus, wo alle immer "ja" und "amen" sagen (wenn "amen" nicht verboten ist). Beim näheren Hinsehen, kommen Zweifel auf: Wir scheinen alle ständig unterschiedlicher Meinung zu sein. Mehr noch: Unsere westlichen Gesellschaften werden immer pluralistischer, bunter und offener und nicht einmal bei Problemen, bei denen man sich einen Konsens wünschte - sagen wir: der Umgang mit dem Klimawandel -, wird einer gefunden. Damit einher geht auch ein munterer Austausch über verschiedene Ansichten bis hin zu mitunter gewaltsamen Protesten (London, Vancouver). Selbst in der deutschen Politik, angeführt von unserer unangreifbaren Teflon-Kanzlerin, herrscht muntere Auseinandersetzung, wie man gerade wieder rund um den Präsidentenwechsel sehen konnte. Aber das ist uns dann auch wieder nicht Recht. Angeblich werden wir nämlich politikmüde, wenn sich Politiker streiten.

Mein Verdacht ist, dass das Wort Konsensgesellschaft gern als Totschlagargument gebraucht wird, wenn jemandem, der Blödsinn erzählt, Gegenwind ins Gesicht bläst (siehe Sarrazzin). Man versucht dann, die Kritiker so dastehen zu lassen, als könnten sie keine von ihnen abweichenden Meinungen ertragen. Das ist ein blödsinnig widersprüchliches Argument, denn die Kritiker üben ja gerade ihr Recht auf Äußerung einer anderen Meinung aus, ohne den Kritisierten deswegen von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Konsens oder Befehl
Wenn es also in der Politik nicht stimmt, wie ist es in unseren Büros und im Alltag? Wie konsensgetrieben sind wir hier? Zuerst einmal kommt das auf uns selbst und die Leute an, mit denen wir uns umgeben. Ich habe bereits mit Teams gearbeitet, in denen alle versucht haben, jede Entscheidung basis-demokratisch herbeizuführen. Das hält auf und führt am Ende nicht einmal zu den besten Ergebnissen, sondern zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Ergebnis: Durchschnitt. Wir kennen auch alle die Situationen, wo der Chef einfach ansagt, was gemacht wird, ohne sich um die Ansichten der anderen zu sorgen. Das geht schnell und kann auch gute Ergebnisse liefern. Allerdings hängt alles an einem Punkt, dem Chef. Wenn der sich irrt und die falsche Entscheidung trifft, dann gibt es kein Korrektiv. Außerdem sind unsere Arbeitsanforderungen sowieso nicht mehr kompatibel mit solchen hierarchischen Entscheidungsstrategien. Wo Engagement und Kreativität gefragt sind, kann man mit dem Top-Down-Ansatz nicht viel erreichen, denn dabei schalten Leute ab und fühlen sich nicht mehr verantwortlich. Das Gegenteil ist heute von den Chefs gewünscht und trotzdem verstehen sie es oft nicht, die Bedingungen dafür zu schaffen und das antrainierte autoritäre Alpha-Männchen-Gehabe abzustellen. Mehr Konsens wäre hier gar nicht übel.

Über Geschmack lässt sich nicht streiten, über Softwarestandards schon

Scheiß auf Konsens (Pompo Nelle Casse)
Fasziniert haben mich immer solche Teams, wo alle offen ihre unterschiedlichen Ideen eingebracht haben, diese diskutiert haben und sich dann ganz nüchtern auf die offensichtlich beste Idee geeinigt haben. Das geht gut, wenn es um Ideen mit objektiven Kriterien geht, also zum Beispiel bei der Software-Entwicklung. Gute Entwickler erkennen, welche Lösungen elegant, sauber und skalierbar sind. Da muss man nicht versuchen, zwischen verschiedenen Meinungen einen Konsens herzustellen. Außerdem schien mir in solchen Teams immer eine besondere Reife zu herrschen. Niemand fühlt sich auf den Schlips getreten und alle freuen sich, wenn sie gemeinsam die eleganteste Lösung für ein Problem gefunden haben. Das Gleiche ist in einem Redakteurs-Team oder unter Lektoren nicht möglich. Da wird sich ordentlich gezofft, denn jeder kann eine komplett andere Meinung über einen Text, ein Bild oder eine Sendung haben. Die Philosophen sagen: "De gustibus non est disputandum" (über Geschmack lässt sich nicht streiten). Der Volksmund sagt das Gegenteil. Und so streiten sich alle in den Redaktionen über Geschmacksfragen. Konsens ist hier unmöglich. Bei Geisteswissenschaftlern ist es dasselbe - sie streiten gern über Meinungen und Überzeugungen. Eine besondere Spezies sind Naturwissenschaftler: Sie denken je von sich, dass sie als exakte Wissenschaftler letztlich alles wissen, denn schließlich gibt es nichts als Physik, Chemie und Mathematik in unserem Universum. Um so schwerer können sie verstehen, dass ihr Kollege eine ganz andere Interpretation derselben Daten vorlegt. Wir unterschlagen gern uns selbst als wunden Punkt auf dem Weg der Wahrheitsfindung und vernachlässigen, dass wir psychischen Prozessen unterliegen, die uns qua Selbsttäuschung gern vom rechten Weg abbringen. Als Folge daraus sind wir lieber arrogant, als dass wir eingestehen, dass alles auch ganz anders sein könnte. Also auch da keine Konsensgesellschaft.

Respektgesellschaft statt Konsensgesellschaft
Tendenziell - zum Beispiel auf der Arbeit - gehen wir in eine Richtung, wo wir es wertschätzen, wenn am Ende eines Entscheidungsprozesses alle gehört wurden und zufrieden mit dem Ergebnis sind. Das muss aber mit Konsens nichts zu tun haben, sondern kann einfach ein Ausdruck gelebten Respekts sein. Ich habe sechs Jahre in einer großen US-Amerikanischen Firma gearbeitet und dort gelernt, wie essentiell Respekt ist und wie sehr er die Arbeitsleistung fördert. Man geht immer erst einmal davon aus, dass der andere den Diskurs bereichert, einen guten Vorschlag macht und Diversität mit in den Prozess bringt. In Deutschland haben wir eher Angst vor dieser Diversität. Wir müssen doch die Prozesse und Standards achten, da darf es keine Abweichung geben und irgendwie ist doch von vorn herein schon klar, wie das Ergebnis aussehen muss: Nämlich rechteckig. Da herrscht eine Abneigung gegen alles, was diese Ordnung stören und die klar definierte Zielerreichung hinauszögern könnte. Wie soll man da auf Ideen kommen? Ideen sind doch nur Abweichungen von der Norm.

Bei Hinz Wirkt! habe ich gelesen, wir müssen achtsam sein "gegenüber einem Führungsverhalten/ einer Unternehmenskultur, die immer nur etwas wegschaffen will und Reflektionsschleifen als 'Seminartourismus' diffamiert." Diese Reflektionsschleifen zu zulassen, die Mitarbeiter in die Verantwortung zu nehmen, sie anzuhören, unter einander diskutieren zu lassen, damit ein gutes Ergebnis entsteht - das ist Respekt und nicht Konsens. Und da müssen wir hin: Zur Respektgesellschaft. Zu Hause, auf der Arbeit und in der Politik.

23. März 2012

Gunter Dueck mit Riemann zur Psychologie des Wandels

von Fritz Riemann
Gunter Dueck ist einer der besten öffentlichen Redner, die mir in Deutschland zur Zeit bekannt sind. Seine Vorträge lohnen sich immer, weil man innerhalb von wenigen Minuten auf unterhaltsame Weise dramatisch klüger wird. Im unten eingebetteten Video erklärt er die Zumutungen des Wandels und Fortschritts in Unternehmen und der Gesellschaft anhand der Riemann'schen Unterscheidung von zwanghaften und hysterischen Charakteren. Zu Riemanns Buch Grundformen der Angst: Eine tiefenpsychologische Studie sagt Gunter Dueck: "Das muss man irgendwie gelesen haben. Das ist so von 1970 rum. Wissenschaftler mögen es nicht, weil es eine literarische Glanzleistung ist und alles so gut beschreibt. Es ist nicht wirklich bewiesen, aber man kann gut darüber reden."


Noch mal zur Erinnerung die vier Ausprägungen nach Riemann*:
  • Schizoid: Die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt
  • Depressiv: Die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt
  • Zwanghaft: Die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt
  • Hysterisch: Die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt

Am Rande geht Dueck auch auf die schizoiden und die depressiven ein und stellt die lustige Theorie auf, dass die depressiven Internet-Nutzer auf Facebook sind, weil da alle Freunde sind und die schizoiden sind bei Google Plus, weil man sich da durch Argumentation und Faktenkenntnissen von einander abgrenzt.

Dueck beschreibt, wie wir uns und unsere Kinder zur Zwanghaftigkeit erziehen und dann aber Flexibilität und Lust am Wandel erwarten. Am Ende geht er auch auf Neuronen-Potentiale, also Alpha-Wellen (entspannter Wachheit: "mit Opa ist schöner") und Beta-Wellen ("Management-Meeting") ein und fordert "hirnwellengerechte Erziehung", anstatt zu versuchen, alle Menschen in dasselbe gewünschte Schema zu pressen (mehr zu Erziehung auch in Duecks Blog-Artikel Der Oberschicht-Code). Natürlich schließt er in dem Vortrag auch an sein Buch Professionelle Intelligenz an. Aber ich will gar nicht lange drüber schreiben, denn so gut, wie er redet kann man gar nicht schreiben:

19. März 2012

Zwischen Bauchatmung und Bruststimme

Drei Männer reden über "die Frauen": Ein Artikel von Erich Feldmeier, Günther Wagner und Gilbert Dietrich. Na wunderbar! Das hat gerade noch gefehlt, nachdem "die Frau" über die Jahrhunderte von "den Männern" examiniert, klassifiziert und zuletzt unter Naturschutz gestellt wurde. Aber lesen Sie erst einmal, vielleicht ist es ja ohnehin bald vorbei mit "den Männern".



15. März 2012

Männer Cliquen bis zur Frührente

Unser Autor Erich Feldmeier macht sich heute darüber Gedanken, wie wir mit Menschen in unserer Arbeitsgesellschaft umgehen und ob wir zu einer fachgerechten Besetzung von Positionen kommen oder ob wir in einem Männer-Cliquen-Modell verharren: Ich kenne so unendlich viele Fälle, in denen die jungen, unausgebildeten, unerfahrenen und führungsunfähigen Vorgesetzten die Notbremse ziehen, weil sie dem Organisationsproblemen nicht gewachsen sind... Ich denke da an meine aufmüpfigen Kinder!


"Ich denke dabei an meine aufmüpfigen Kinder!" (Foto: Feldmeier)

"Es stand schlimm um Spanien, schlimmer als Goya es in seinem Inneren hatte wahrhaben wollen... Es lag daran, dass die Königin und Don Manuel die Ämter mit ihren Günstlingen besetzt oder schlankwegs verkauft hatten. An den entscheidenden Posten saßen schlechte Männer, die sich, statt Spaniens Interessen zu wahren, von der Republik bestechen ließen" (Lion Feuchtwanger, Goya)

9. März 2012

Burn-Out-Kultur

Selbstreflexion und Eigenverantwortung

Überall lesen wir darüber und ich konnte mich nie durchringen, darüber zu schreiben: Burn-Out. Zum einen ist es immer ratsam, mit Themen vorsichtig zu sein, die plötzlich zu einem Medien-Hype geworden sind. Zum anderen ist dieser Begriff Burn-Out so unscharf, dass eigentlich keiner wirklich weiß, wo "burn" anfängt und "out" aufhört. Es ist keine anerkannte Krankheit, sondern ein nur vage beschreibbarer Zustand mit unklaren Symptomen. Es scheint, dass schnell jedes diffuse Gefühl von Überforderung und Motivationslosigkeit als Burn-Out "erlebt" wird, besonders wenn dabei noch Angst und Erschöpfung auftreten. Ich will nicht sagen, dass diese Erscheinungen kein Problem darstellen, ganz im Gegenteil. Aber es nur als Burn-Out zu labeln, kann am Ende nicht weiter helfen. Vielmehr benötigen wir klare Symptombeschreibungen, erprobte Therapien und am allerbesten Prävention und langfristige kulturelle Korrekturen.

6. März 2012

Das Vokabular eines genüsslichen Lebens

Chinesisches Essen schmeckt besser mit Stäbchen, denn es kommt darauf an, was wir mit einem bestimmten Essen gedanklich verbinden. Wenn wir Traditionen und Geschichten kennen oder von einer besonderen Art der Zubereitung wissen oder auch nur meinen, etwas stamme von glücklichen Kühen (angeblich werden die Kobe-Rinder massiert), dann schmeckt es uns gleich besser. Haben Sie schon einmal selbst Brot gebacken? Selbst wenn es nicht das beste Brot war, so wird es Ihnen selbst doch besser als jedes Bäckerbrot geschmeckt haben.

Ich bin ein großer Teetrinker und weiß, dass man die unterschiedlichen Tees erst schmecken lernen muss, bevor man sie richtig genießen kann. Geruch, Geschmack, Temperatur, sogar das Geräusch und die Farbe spielen dabei eine große Rolle. Hat man dann noch seine eigene Zeremonie bei der Zubereitung, dann lädt sich das ganze zu einem Erlebnis auf. Nach Jahren der Erfahrung mit Tees weiß ich jetzt, dass der Geschmack (auch bei Whiskeys und Weinen) erst zusammen mit dem Vokabular wächst, das man für die unterschiedlichen Aromen lernt. Erst wenn ich Wörter wie "erdig", "Schokolade" oder "Leder" kenne, kann ich sie auch mit bestimmten Geschmackserlebnissen in Getränken verbinden. Genießen hat etwas von Sprache lernen.