22. Februar 2012

Die Welt wird gut und wir merken es nicht

Auf die Fortsetzung eines positiven Trends

Lediglich die Überzeugung, dass eine Verbesserung welcher Art auch immer möglich ist, lässt uns handeln. Peter Diamandis und Steven Kotler haben ein in diesem Sinne geradezu ketzerisch optimistisches Buch geschrieben: "Abundance". Sie argumentieren, dass die Welt entgegen unserer täglichen Wahrnehmung immer besser wird und dass es sich lohnt, das zu erkennen und daran mitzuarbeiten. Eine große Fülle, ein nie da gewesener Reichtum wird die Jahrtausende der Knappheit beenden, so die erfreuliche Aussicht. Dazu werden Trends zitiert, wonach z.B. die Armut innerhalb der letzten 50 Jahre stärker abgenommen hat, als in den 500 Jahren davor. Auch der stete Rückgang der Säuglingssterblichkeit, der Abbau der Unterschiede zwischen reichen und armen Nationen und unsere ganz alltäglichen Erfahrungen des Reichtums (Verfügbarkeit von Nahrung, Wohnung, Gesundheit, aber auch immer mehr Luxus für immer mehr Menschen) werden als Indikatoren angeführt. Die beiden Autoren sind damit in einer Tradition sehr optimistischer Technik- und Fortschrittsverfechter, die in der Moderne von Sigmund Freud bis Steven Pinker reicht.

Nun mag man das als über-optimistisch interpretieren oder dahinter ein dekadentes Menschheitsdämmern vermuten. Fakt ist aber, dass diese globalen und damit für viele Menschen positiven Trends beobachtbar sind:

"Im Ganzen betrachtet leben wir alle ein längeres, reicheres und gesünderes Leben. Ja, immer noch leben Millionen von Menschen in furchtbarer Armut. Aber wenn man die verfügbaren Indikatoren für Lebensqualität betrachtet - Zugang zu Gütern und Services, Zugang zu Transport und Verkehr, Zugang zu Informationen, Zugang zu Bildung, Zugang zu lebensrettenden medizinischen Behandlungen, Kommunikationsmittel, der Wert der Menschenrechte, die zunehmende Wichtigkeit demokratischer Institutionen, dauerhafte Unterkünfte, Nahrung, Arbeit, Energie und sogar erschwingliches Bier -, muss man gestehen, dass sich unsere alltägliche Lebensqualität über die letzten zwei Jahrhunderte dramatisch verbessert hat." (Im Interview mit Sam Harris: Better and Better)

Der Mensch als pessimistischer Affe

Sam Harris hat die Autoren gefragt, warum wir uns dieser positiven Umstände kaum bewusst werden. Die Autoren schieben es auf die Amygdala: Wie jeder Organismus sind wir auf das Überleben ausgerichtet, weshalb uns die Evolution mit einer besonderen Aufmerksamkeit für alles Bedrohliche ausgestattet hat. Wir kennen das: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Auch, wenn sich Klaus Kleber jeden Abend im Heute Journal bemüht, an die Horrormeldungen von Eurokrise und Terrorismus noch eine hoffnungsvolle Geschichte aus dem kulturellen Leben anzuhängen, damit wir nicht allzu betrübt ins Bett gehen.

Aus dem steten Fluss der Nachrichten muss unser Gehirn möglichst schnell ein kohärentes Bild der Welt formen. Dabei nimmt das faule Denkorgan dankbar jede Abkürzung - es kommt zu sogenannten kognitiven Verzerrungen. Diese Verzerrungen sind der Denkökonomie geschuldete, unbewusste Neigungen, die uns im Alltag ohne viel Analyse oft das richtige suggerieren, oft aber auch zu falschen Schlüssen kommen lassen. Zum Beispiel gewichten wir, wie oben geschildert, negative Informationen und Erlebnisse stärker, als positive. Hinzu kommt die Neigung, die Informationen selektiv so zu verarbeiten, dass sie unsere Erwartungen erfüllen, der sogenannte Bestätigungsfehler. Diese beiden Verzerrungen zusammengenommen führen dazu, dass sich das pessimistische Weltbild immer weiter verstärkt. Am Ende denkt man, wir leben in einer schlimmen Welt und wir können nichts dagegen tun.

Ohne Hoffnung keine Veränderung

Und hier liegt die Stoßrichtung der Autoren: Den Menschen die Hoffnung zurückgeben, denn wer nicht hofft, wird auch nichts ändern. Die Hoffnung der Autoren kommt aus dem technischen Fortschritt und den Möglichkeiten und preiswerten Zugängen, die er schafft. Das heißt der kommende Reichtum wird sich ihrer Meinung nach nicht in Konsumgütern zeigen, sondern im Zugang zu Wasser, Nahrung, Gesundheit, Kommunikationstechnologie, Internet und so weiter. Wer wissen will, wie das genau vor sich geht und was die schon sichtbaren Anzeichen sind, sollte das Buch (im Moment nur auf Englisch) lesen. Das ganze ist etwas zirkulär: Denn wenn Peter Diamandis und Steven Kotler sowieso voraussagen, dass alles gut wird, wieso sollte man dann noch zur Veränderung animieren? Die beiden würden sagen: Weil eben immer noch vieles schlecht ist und es viel schneller besser würde, wenn wir alle optimistisch anpackten.

Ich finde das einen schönen Gedanken. Außerdem lässt sich dieses Prinzip auch auf unseren individuellen Alltag anwenden. Beobachten Sie sich einmal selbst: Bemerken Sie die Neigungen, das Negative überzubewerten und gleich im Anschluss dafür auch noch nach Bestätigungen zu suchen? Dabei haben wir doch alle die allmorgendliche Hoffnung, dass dieser Tag etwas Schönheit birgt. Das gibt uns die Kraft, überhaupt aufzustehen und irgend etwas zu tun. Sei es, die Welt zu retten oder ein Buch zu lesen.

5 Kommentare:

  1. Schöner Gedanke... Ich muß gestehen es hat eine ganzen Weile gedauert bis ich darauf gekommen bin, aber Natur und Umwelt stöhnen mächtig unter unserem Fortschritt. Zumindest unser schlechtes Gewissen wächst aber leider auch gleichzeitig die Ablenkungsmechanismen...

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  2. Das stimmt schon. Die oben zitierten amerikanischen Optimisten wissen das auch, aber vertrauen auf den technischen Fortschritt, der diese Probleme angeblich lösen soll. Ich bin da auch sehr skeptisch. Auf der anderen Seite ist es ein schlagendes Argument, dass sich unsere Lebensumstände unaufhörlich verbessert haben. Auch mit der Umwelt gehen wir immer bewusster um... aber ob das noch reicht? Oder sind wir schon (mit der Weltbevölkerung und ihren Erwartungen an Konsum etc.) über den Tipping Point hinaus?

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  3. Natürlich hat sich 'bei uns' viel getan, auch umwelttechnisch und das sollte man unbedingt(!) begrüßen und verbreiten.

    Besonders gefällt mir auch die Dualistische Argumentation des 'eh zu spät' und 'wieso dann noch verändern'

    Vor kurzem habe ich Paul Ehrlich zitiert:
    "ich bin optimistisch, wenn ich mir vorstelle, was die Menschheit tun könnte. Ich bin aber sehr pessimistisch, dass sie es tatsächlich auch tun wird..."
    http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/PaulREhrlich_stanford_edu

    Beeindruckt hat mich auch T.C. BOYLE, im Interview mit der SZ:
    er schreibt er sei kein Öko-Jesus, gleichzeitig jedoch sehr bewusst und auch sehr konsequent
    http://ed.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/TCBoyle_tcboyle_de

    Nunhat KPMG eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass es die letzten Jahre nur BEI UNS besser geworden ist, weil die Externalisierungs-Kosten ausgeblendet werden.
    "dass externe umweltbedingte Kosten, die im Allgemeinen nicht in Geschäftsberichten aufgeführt werden, in elf untersuchten Schlüsselindustriesektoren von 2002 bis 2010 um 50 Prozent von USD 566 auf USD 846 Milliarden angestiegen sind":
    http://ed.iiQii.de/gallery/ValueCreation/LOGO_kpmg_com

    Demnach müssen wir die Externalisierungs-Kosten berücksichtigen, in China in der verlängerten Werkbank und im Virtuellen Wasser:
    Wichtig ist auch, dass soziale Kosten, z.B. Abladen unserer Demographie-Probleme auf Frauen und Rumäninnen', die natürlich auch Kosten verursachen ebenfalls zu berücksichtogen, vgl.
    http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/MajaHrgovic_birn_eu_com

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  4. Und hier direkt bei Ted u.a. mit deutschen Untertiteln.

    http://www.ted.com/talks/lang/en/peter_diamandis_abundance_is_our_future.html

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