Glücksfall |
Gemessen an dem, was ich bereits als Pubertierender aus Nancy Fridays Büchern aus den 70ern wusste, kommen mir die in der New York Times angezettelten angeblich neuen Diskussionen in der US-Amerikanischen Psychologie wie aufgewärmter Kaffee vor. Im wesentlichen geht es darum, ob man durch seine Phantasien bestimmt wird oder nicht. Ist man schon ein Triebtäter, wenn einen die Vorstellung von erzwungenem Sex erregt? Sind wir homosexuell, wenn wir gleichgeschlechtliche Phantasien haben oder pädophil, wenn uns Lolita reizt?
Die wahre, verdrängte Sexualität
Die "Phänomenologen" unter den Sexualforschern meinen, dass die Phantasien nicht dem Sein vorausgehen, vielmehr sei die gelebte Sexualität der Maßstab für die sexuelle Orientierung. Zum Beispiel rangieren homosexuelle Phantasieren an 4 und 5 Stelle bei heterosexuellen Männern und Frauen. Bei Homosexuellen belegen heterosexuelle Phantasien Rang 3 unter den häufigsten Vorstellungen. Rund drei Viertel der Phantasien drehten sich um "normalen" Sex, beim Rest handele es sich um "Variationen" wie Sado- und Masochismus, gleichgeschlechtlichen oder Gruppensex. Am beliebtesten seien etwa Phantasien von erzwungenem Sex oder die Vorstellung, andere beim Sex zu beobachten. Der Inhalt der Phantasien sei jedoch kein Indikator für eine gestörte Persönlichkeit oder eine Paraphilie. Die Frequenz solcher Phantasien hingegen schon. Bei Triebtätern seien die Vorstellungen äußerst häufig und lassen die Person oft an nichts anderes mehr denken. Der Druck steigt also und sucht sich eher ein Ventil in der Tat.
Die Freudianer unter den Sexualforschern sagen: "Man ist nicht unbedingt, was man tut." Nach der psychoanalytischen Auffassung sind es die Phantasien, Träume und unsichtbaren also nicht ausgelebten Wünsche, die eine Persönlichkeit viel mehr bestimmen, als das tatsächlich an den Tag gelegte, das kulturell gezähmte Verhalten. Mit anderen Worten, wir alle sind potentielle Triebtäter. Innerhalb des Freud'schen Gedankensystems ist das sicher kohärent. Denn das gelebte Verhalten inklusive der geheimen Phantasien ist hier das Produkt aus unterdrückten sexuellen Trieben und unseren daraus resultierenden psychischen Konflikten. Diesen Konflikten und damit einhergehenden Frustrationen werden Korrektur- oder Kompensationsmaßnahmen (z.B. Phantasien oder Ausweichverhalten) entgegengestellt, damit wir mit ihnen leben können. Nach Freud wären unsere erwachsenen Phantasien - ob nun ausgelebt der nicht - die Reflexionen des polymorph-perversen Kindes, das wir alle mal waren, bevor wir durch die unterschiedlichen psychosexuellen Phasen (oral, anal, phallisch, latent, genital) und die Pubertät gingen. Jedenfalls haben wir hinterher alle ein hübsches Über-Ich mit all den Konflikten zwischen unseren kulturellen Idealen und den kontroversen Trieben. Aber was sagt das schon? Daraus leitet sich ja längst nicht ab, dass jemand homosexuell ist, wenn er solche Phantasien hat. Höchstens, dass es in einer Persönlichkeit unterschiedliche Neigungen zur selben Zeit geben kann. Homosexualität ist kein ausschließender Gegensatz zu Heterosexualität. Und wenn ein glücklich bekennender Schwuler auch heterosexuelle Phantasien hat, heißt das ja noch lange nicht, dass er eigentlich lieber nicht schwul wäre. Das sind kontrovers diskutierte Themen in einem Land, in dem auch eine Umerziehung von homo- zu heterosexuell an der Tagesordnung ist. Vielleicht würde es uns allen besser gehen, wenn wir mit den Spannungen unserer Persönlichkeiten leben könnten und aufhörten, alles in schwarz und weiß (schwul und normal, Liebe und Perversion) denken zu wollen.
Aus der psychoanalytischen Perspektive kann man also alles und gar nichts erklären. Und der Plausibilität der am beobachteten Verhalten oder der gelebten Sexualität ausgerichteten Beschreibung einer Person kann man auch nicht viel entgegensetzen. Heterosexuell nennen wir eben die, die überwiegend in zweigeschlechtlichen erotischen Beziehungen leben. Pädophilie wird medizinisch und juristisch auch erst relevant, wenn sie auf die eine oder andere Art aktiv gelebt und vor allem mit anderen geteilt wird (nach dem DSM-IV-TR sind bei Paraphilien auch die zeitliche Dauer - ab sechs Monaten -, die Ausrichtung - beispielsweise auf Objekte, Kinder oder Demütigung anderer - und die Abwesenheit anderer psychischer Störungen oder Einflüsse von Drogen etc. für eine Diagnose ausschlaggebend). Und man wird auch erst durch die Tat zum Vergewaltiger und nicht schon durch den Gedanken.
Die Psychoanalytiker können lediglich sagen, dass es da in uns widersprüchliche Regungen gibt, die auf die eine oder andere Art als Frustventile für die Spannungen zwischen Trieben und gesellschaftlichen Idealen funktionieren und die irgendwie auf die Kindheit zurückgehen müssen. Dass das so ist, glaube ich im Übrigen auch. Nur sind die Kausalitäten äußerst unklar und selten recherchierbar. Theodore Millon beschreibt beispielsweise wie wir - je nachdem, was genau beim "Töpfchen-Training" (ein entscheidender Zeitpunkt, an dem wir beginnen, Machtkämpfe mit unseren Eltern auszutragen) schief gelaufen ist - entweder konformistische Personen werden oder aggressive oder zwanghaft sauber und voreingenommen gegenüber "unsauberen" Personen, aber auch - wenn wir als Kleinkinder das Töpfchen meiden wollten und unseren Stuhlgang hinausgezögert haben - unentschlossene, aufschiebende oder gar negative und für immer unordentliche Menschen (vgl. Millon 2004, S. 266 f.). Wie gesagt - all das ist möglich, wenn während eines relativ kleinen Zeitfensters in der frühkindlichen Entwicklung etwas schief geht. Und mal ehrlich: Irgend etwas geht doch immer schief. Man wundert sich also, dass manche von uns überhaupt halbwegs sozial funktionierende Menschen werden konnten.
Sadismus schließt die Liebe nicht aus
Oder - so etwa der Psychoanalytiker Karl Abraham (vgl. Millon 2004, S. 269) - wenn es bei Säuglingen um das ungestörte Stillen geht: Das ist natürlich gut und sorgt für eine optimistische und erfolgreiche Persönlichkeit. Aber Achtung: Wenn das zu weit geht, dann werden wir naive bis faule Personen, die davon ausgehen, dass schon irgendwer für uns sorgen wird. Ein gutes Beispiel dafür, wie man mit psychoanalytischen Theorien alles mögliche und sein Gegenteil erklären kann.
Laut Millon sollen auch Neigungen wie Sadismus aufs mehr oder weniger erfolgreiche Stillen und Aufs-Töpfchen-Gehen zurückgehen. Auch hier ist klar: Wir sind nicht zwingend Sadisten, selbst wenn wir sadistische Phantasien haben oder unsere Liebespartner im Rollenspiel ans Bett fesseln. Hinzukommt, dass nicht jeder anstrebt, seine Phantasien auch auszuleben. Oft setzen wir Phantasien bewusst ein, um uns für den realen Sex in Stimmung zu bringen. Traurig? Vielleicht. Oder einfach Teil unseres erotischen Lebens, in dem man Phantasie und Realität sowieso nur schlecht von einander trennen kann. Interessanterweise kommen sexuelle Phantasien auch zum Tragen, um eine psychologische Distanz zwischen den Partnern herzustellen. Vor allem Frauen mit einer sexuell-traumatischen Erfahrung - so die New York Times - würden während des Sex auf diese Art ihre Gefühle von ihren Handlungen entkoppeln. Auch das habe ich vor zwanzig Jahren bereits heimlich bei Nancy Friday gelesen. Hier ist die Phantasie dann schon eine Korrekturmaßnahme, die hilft, eine ursprüngliche Störung mit der Wirklichkeit kompatibel zu halten. Auch wenn jemand unbedingt eine bestimmte Phantasie braucht, um überhaupt erregt sein zu können, deutet das auf eine Störung hin. All das passiert in einem recht unklaren und sich ständig ändernden No Man's Land unserer Psychen, wo sich Realität nicht einfach durch Materialität beweist.
Es ist offensichtlich, dass die Forschung hier immer noch hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt. Gerade jetzt, da das Internet enorm dazu beigeträgt, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Pornographie und ziemlich speziellen Sexual-Interessen herzustellen, ergäbe sich eine großartige Möglichkeit für die Psychologie, die Grauzonen zwischen Paraphilie, sexuellen Phantasien und extremen sexuellen Vorlieben zu erforschen und zu kartographieren. In der New York Times beschweren sich stattdessen die Psychologen über die mangelnden Daten und dass es kaum aufgezeichnete Phantasien gäbe. Die Bücher der Feministin Nancy Friday haben sie mit keinem Wort erwähnt. Da könnten sie noch einiges lernen, genauso wie durch einen Blick ins Internet, dass im Grunde visualisierte Formen aller möglichen Phantasien anbietet. Die überall von Laien und professionellen Filmemachern produzierte Pornographie rennt dem wissenschaftlichen Verständnis unserer Begierden voraus. Die Welt ist voll von recht normalen Menschen mit bizarren Vorlieben. Viele Pornodarsteller scheinen ihren Beruf nicht nur des Geldes wegen auszuüben, sondern weil sie darin essentielle Teile ihrer Persönlichkeit verwirklichen können:
Aus der psychoanalytischen Perspektive kann man also alles und gar nichts erklären. Und der Plausibilität der am beobachteten Verhalten oder der gelebten Sexualität ausgerichteten Beschreibung einer Person kann man auch nicht viel entgegensetzen. Heterosexuell nennen wir eben die, die überwiegend in zweigeschlechtlichen erotischen Beziehungen leben. Pädophilie wird medizinisch und juristisch auch erst relevant, wenn sie auf die eine oder andere Art aktiv gelebt und vor allem mit anderen geteilt wird (nach dem DSM-IV-TR sind bei Paraphilien auch die zeitliche Dauer - ab sechs Monaten -, die Ausrichtung - beispielsweise auf Objekte, Kinder oder Demütigung anderer - und die Abwesenheit anderer psychischer Störungen oder Einflüsse von Drogen etc. für eine Diagnose ausschlaggebend). Und man wird auch erst durch die Tat zum Vergewaltiger und nicht schon durch den Gedanken.
Die Psychoanalytiker können lediglich sagen, dass es da in uns widersprüchliche Regungen gibt, die auf die eine oder andere Art als Frustventile für die Spannungen zwischen Trieben und gesellschaftlichen Idealen funktionieren und die irgendwie auf die Kindheit zurückgehen müssen. Dass das so ist, glaube ich im Übrigen auch. Nur sind die Kausalitäten äußerst unklar und selten recherchierbar. Theodore Millon beschreibt beispielsweise wie wir - je nachdem, was genau beim "Töpfchen-Training" (ein entscheidender Zeitpunkt, an dem wir beginnen, Machtkämpfe mit unseren Eltern auszutragen) schief gelaufen ist - entweder konformistische Personen werden oder aggressive oder zwanghaft sauber und voreingenommen gegenüber "unsauberen" Personen, aber auch - wenn wir als Kleinkinder das Töpfchen meiden wollten und unseren Stuhlgang hinausgezögert haben - unentschlossene, aufschiebende oder gar negative und für immer unordentliche Menschen (vgl. Millon 2004, S. 266 f.). Wie gesagt - all das ist möglich, wenn während eines relativ kleinen Zeitfensters in der frühkindlichen Entwicklung etwas schief geht. Und mal ehrlich: Irgend etwas geht doch immer schief. Man wundert sich also, dass manche von uns überhaupt halbwegs sozial funktionierende Menschen werden konnten.
Sadismus schließt die Liebe nicht aus
Oder - so etwa der Psychoanalytiker Karl Abraham (vgl. Millon 2004, S. 269) - wenn es bei Säuglingen um das ungestörte Stillen geht: Das ist natürlich gut und sorgt für eine optimistische und erfolgreiche Persönlichkeit. Aber Achtung: Wenn das zu weit geht, dann werden wir naive bis faule Personen, die davon ausgehen, dass schon irgendwer für uns sorgen wird. Ein gutes Beispiel dafür, wie man mit psychoanalytischen Theorien alles mögliche und sein Gegenteil erklären kann.
Es ist offensichtlich, dass die Forschung hier immer noch hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt. Gerade jetzt, da das Internet enorm dazu beigeträgt, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Pornographie und ziemlich speziellen Sexual-Interessen herzustellen, ergäbe sich eine großartige Möglichkeit für die Psychologie, die Grauzonen zwischen Paraphilie, sexuellen Phantasien und extremen sexuellen Vorlieben zu erforschen und zu kartographieren. In der New York Times beschweren sich stattdessen die Psychologen über die mangelnden Daten und dass es kaum aufgezeichnete Phantasien gäbe. Die Bücher der Feministin Nancy Friday haben sie mit keinem Wort erwähnt. Da könnten sie noch einiges lernen, genauso wie durch einen Blick ins Internet, dass im Grunde visualisierte Formen aller möglichen Phantasien anbietet. Die überall von Laien und professionellen Filmemachern produzierte Pornographie rennt dem wissenschaftlichen Verständnis unserer Begierden voraus. Die Welt ist voll von recht normalen Menschen mit bizarren Vorlieben. Viele Pornodarsteller scheinen ihren Beruf nicht nur des Geldes wegen auszuüben, sondern weil sie darin essentielle Teile ihrer Persönlichkeit verwirklichen können:
"Ich bin eine junge, selbstbewusste Frau und mag harten, dreckigen Sex; privat und vor der Kamera. Ich möchte anderen Frauen zeigen, dass es in Ordnung ist, ihre sexuellen Wünsche und Phantasien auszuleben, egal wie die aussehen." (Hardcore-Porn-Star Sasha Grey im SPON-Interview)Unsere Psychologen und Soziologen sollten es der Pop-Kultur und Filmemachern wie Steven Soderbergh nachtun und auf die Pornodarstellerinnen zugehen, um von ihnen zu lernen. Vielleicht scheuen sie sich aber, die entsprechenden Forschungsgelder für etwas einzufordern, dass auf den ersten Blick aussieht, als würden sie ihre eigenen Begierden befriedigen wollen.
"Unsere Psychologen und Soziologen sollten es der Pop-Kultur und Filmemachern wie Steven Soderbergh nachtun und auf die Pornodarstellerinnen zugehen, um von ihnen zu lernen. Vielleicht scheuen sie sich aber, die entsprechenden Forschungsgelder für etwas einzufordern, dass auf den ersten Blick aussieht, als würden sie ihre eigenen Begierden befriedigen wollen (G. Dietrich, Unsere sexuelle Phantasien - No Man's Land der Psychen
AntwortenLöschen- 2012)."
Ein Forschungsauftrag wird aus monetärer Masse der Gesellschaft finanziert - da geht es kaum um eigene Befindlichkeiten - wenn wir Glück haben, forschen dort Menschen, die einen alternativen Überblick besitzen. Ein Filmproduzent stellt ein Wirtschaftsunternehmung dar - der kann sich ALLES erlauben. Es besteht also zwischen diesen Feldern eine Diskrepanz - hier die Forschung für das "anerkannte" ALLGEMEINWOHL, dort die Kunst der EINZELHEITEN (die zu Recht oder Unrecht im Laufe der Jahrhunderte geschaffen wurden). "Irgend etwas geht doch immer schief."
"Man wundert sich also, dass manche von uns überhaupt halbwegs sozial funktionierende Menschen werden konnten (G. Dietrich, Unsere sexuelle Phantasien - No Man's Land der Psychen
- 2012)."
Der Erlernfaktor und das unmittelbare Umfeld ist meines Erachtens überaus unterschätzt. Oft wird auf die frühkindliche Phase hingewiesen - und klar sehe ich auch Verhaltensmuster, die durch Großgesellschaftliche Begebungen angelegt sind, Traditionen in denen wir verhangen sind, Erziehungsmaßnahmen denen wir folgen, um uns und unseren Kindern eine "BASIS" zu schaffen - vollkommen verblendet im Akt der Erziehung tun wir Dinge, die nicht sehr gehaltvoll sind, jedoch lange Nachwirkung anzeigen. Und dann sind wir wieder bei den realistischen Maßnahmen die unserer Gesellschaft ausmacht - sei bloß nicht wie du bist!
Ich sage mit anderen Worten " Nothing but the whole wide world".
Vielen Dank, werte/r Leser/in für Ihren schönen Kommmetar!
AntwortenLöschen"...wenn wir Glück haben, forschen dort Menschen, die einen alternativen Überblick besitzen."
Genau das wünsche ich mir. Die besten von denen sollten sich ruhig an den Rändern der Popkulturen nach "Brauchbarem" umsehen. Aber ich sehe, dass da immer noch sehr viel Skepsis ist. Ich habe an der Brown University in den USA einmal zu Phänomenen der digitalen Kunst einen Aufsatz schreiben müssen und habe dort Referenzen der Porno-Industrie angebracht. Das kam gar nicht gut an. Ich habe die Arbeit auch auf Nachfrage nie zurückbekommen.
"... vollkommen verblendet im Akt der Erziehung tun wir Dinge, die nicht sehr gehaltvoll sind, jedoch lange Nachwirkung anzeigen."
Da ist viel dran. Ohne selbst viel Erfahrung zu haben, würde ich denken, dass man beim Erziehen nicht ans Erziehen denken sollte, weil es einen quasi-natürliche Selbstverständlichkeit aus dem Takt zu bringen droht. Gerade da das unmittelbare Umfeld und das frühe Erlernen so prägend sind, sollte man vielleicht versuchen unverkrampft, fördernd und stimulierend mit seinen Kindern zusammen zu leben und im Übrigen so eine Art goldene Regel der Moral befolgen: Behandle dein Kind, wie du selbst als Kind gerne behandelt worden wärst.
"Im wesentlichen geht es darum, ob man durch seine Phantasien bestimmt wird oder nicht." Warum sollte es bei sexuellen Fantasien anders sein als bei allen anderen Fantasien? Genug Menschen haben in Gedanken schon mal auf jemanden eingeschlagen und sind deswegen noch lange nicht zu Gewalttätern geworden, nicht? Und aus der Gehirnforschung wissen wir längst, dass es unserem Geist egal ist, ob ein reales Objekt vor uns steht, ob wir ein Bild angucken oder das Bild selbst vor unserer inneren Leinwand erzeugen: Neurotransmitter schießen los und wir produzieren Hormone... Was mich fasziniert ist, dass das Thema Sexualität scheinbar trotzdem einen Extrastatus hat. Es hat - auf die NY Times und Deine Arbeit an der Brown University bezogen - wohl immer noch den Touch des Ruchlosen oder eines Tabuthemas, das extra erforscht/behandelt werden muss.
AntwortenLöschenWas Erziehung und Sexualität anbelangt: Die Aufklärung erfolgt (in Deutschland) so früh durch Schule und ältere Geschwister/Freunde, die wissen Dinge, da staune ich immer wieder (habe 2 Kinder), und selbst bei "Galileo" werden im "wissenschaftlichen" Vorabend-Fernsehen die "10 beliebtesten Stellungen" gezeigt (Tatsache). Dass alles "normal" ist und was es alles gibt, wissen sie also bereits. Was sie nicht wissen ist, dass jeder anders ist und anders sein darf und wie verschieden das Zusammentreffen von Leibern und Mündern im Porno und in der Realität ist, und dass sie selbst erstmal ihre Neigungen erforschen müssen, bevor sie sich ein Urteil bilden. Ich habe das Gefühl, dass man früher von Tabus geleitet war, und heute darf kein Tabu mehr sein - das kann für die Kids von heute genauso schwierig werden!
By the way: Ich schaue mir grad wieder ab und zu alte "Ally McBeal"-Folgen an, und zu dem Thema passt Season 3 Folge 2 "Heisse Küsse, harte Schläge" - kennt die jemand? Hier geht's auch um (erregende) Fantasien und den Unterschied zu Realität...
"Warum sollte es bei sexuellen Fantasien anders sein als bei allen anderen Fantasien?" Sehr guter Hinweis! Das hatte ich selbst auch nicht bedacht. Klar, eigentlich idiotisch und sicher aus dem Tabu geboren, das mit diesen Sphären einhergeht.
AntwortenLöschen"Und aus der Gehirnforschung wissen wir längst, dass es unserem Geist egal ist, ob ein reales Objekt vor uns steht, ob wir ein Bild angucken oder das Bild selbst vor unserer inneren Leinwand erzeugen: Neurotransmitter schießen los"
Interessanterweise ist es dann bei den meisten von uns aber (ein Glück) nicht ganz egal, wenn es darum geht, Entscheidungen fürs Handeln zu treffen. Ist es also vielleicht alles andere als egal? Genau darum dreht sich ja auch die Frage, ob wir unsere Phantasien bestimmen oder sie uns.
Klar - absolute Tabulosigkeit ist auch wieder ein Problem. Ich denke auch, dass es sicher ein richtiges Alter für solche Themen gibt. Keineswegs wollte ich dazu ermuntern, alle Tabus zu brechen... außer in der Wissenschaft.
Es hat ja auch was mit Erfahrung zu tun, wie sehr man sich von seinen Fantasien leiten lässt. Beispiel Kuchentheke: Meine Kinder ließen sich lange von der Optik hinreißen, wenn es "schön" und "bunt" war. Die Erfahrung hat sie gelehrt, dass es deswegen nicht unbedingt so schmeckt... Und so gebe ich Dir recht, dass es nicht egal ist, im Gegenteil, dass wir mit zunehmendem Alter besser reflektieren, was wir in die Tat umsetzen - ganz in dem Sinn "Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen." und dass eine tolle Fantasie noch lange keinen Genuss in der Realität garantiert.
AntwortenLöschenUm so darauf zurück zu kommen: Was soll also schon die verborgene Bedeutung sexueller Fantasien sein? Es ist ein Hunger, ein Bedürfnis, wie jeder anderer auch, dabei gibt es unterschiedliche Geschmäcker, und es gibt hier - wie in jedem menschlichen Bereich - Menschen, die sich krank fühlen, die z.B. unter Anorexie oder Bulimie oder unter ihrer Sexualität leiden. Das ist dann aber wieder ein ganz anderes Thema.
"Was mich fasziniert ist, dass das Thema Sexualität scheinbar trotzdem einen Extrastatus hat. Es hat - auf die NY Times und Deine Arbeit an der Brown University bezogen - wohl immer noch den Touch des Ruchlosen oder eines Tabuthemas, das extra erforscht/behandelt werden muss (C. Schmoll 2012, im Kommentar zu Unsere sexuellen Phantasien - No Man's Land der Psychen).
AntwortenLöschenMeine Gedanken sagen mir, dass das Thema der Sexualität "natürlicherweise" ANDERSARTIG behandelt wird als irgendeine Träumerei. DAS FINDE ICH RICHTIG! Beziehen wir das Thema der Sexualität auf die Medizien, beziehen wir es auf einen Kriminaldelikt, wenn auch nur einen möglichen - dann geht uns das ALLE an - beziehen wir das Thema Sexualität auf einen moralischen zwischenmenschlichen Konsenz - dann befinden wir uns in einer anderen Shpäre, in einer vielfältig gelebten Intimität. Diese Sphäre stellt im eigentlichen Sinne auch nicht eine allgemeine Haltung dar - so denkt das Individuum nun mal, und demnach hat die Äußerung darüber auch nichts Allgemeingültiges.
Würden wir diesen Panzer missbrauchen und ihn der Öffentlichkeit zugänglich machen - WAS WÄHREN WIR DANN NOCH? Die Egalität des Forschungsbildes, demnach die Synapsen so oder so in Funktion treten - welch jämmerliche Vorstellung des Selbst.
Ich glaube im übrigen nicht an das Aufklärungsfernsehen, und schon lange nicht an "Ally McBeal" - dies empfinde ich als große optische und verbal gesendete Gleichgewichtsstörung des menschlichen DASEINS. "How many runaways are we stowing?
"Würden wir diesen Panzer [...] der Öffentlichkeit zugänglich machen - WAS WÄHREN WIR DANN NOCH?"
AntwortenLöschenJa, was? Etwas Schlechteres, Geringeres? Das würde ich mal unter "Ansichtssache" ablegen. Das können Sie natürlich so empfinden und dagegen wäre auch gar nichts zu sagen. Andere sehen das anders, das ist doch ok.
"Die Egalität des Forschungsbildes, demnach die Synapsen so oder so in Funktion treten - welch jämmerliche Vorstellung des Selbst."
Ja, natürlich ist das irgendwie reduziert auf Prozesse, die wir so nicht wahrnehmen und die so in unseren Gefühlen nicht auftreten. Jedoch stellt die etwaige Entdeckung solcher "Mechanismen" das Gefühl und das Erleben in keinster Weise in Frage. Diese Sachen zu wissen, macht doch den Sex oder die Gedanken daran nicht weniger schön.
Die tragen aber zu unserem Selbstverständnis bei und ermöglichen - wo "gewünscht" - evtl. ein Eingreifen.
"Ja, was? Etwas Schlechteres, Geringeres? Das würde ich mal unter "Ansichtssache" ablegen. Das können Sie natürlich so empfinden und dagegen wäre auch gar nichts zu sagen. Andere sehen das anders, das ist doch ok."
AntwortenLöschenDas ist sehr interessant, dass Ihre Meinungsdarbietung in "Ansichtssache" verfällt -in Akzeptanz aller Meinungen und dann EIN ("SCHLECHTERES")- ein GERINGERES ist. Diese Form der Darstellung im schriflichen Akt bietet geradezu eine Angriffsfläche von Möglichkeiten, die wir als lebende Gesellschaft nie in der Lage waren und sind zu überwinden.
Den Tolleranzbereich der Sexualität, auszubauen, ist Sache des Individuums - wenn Sie meinen, es wäre "Ansichtssache", dann ist das oben verfasste Thema der Egalität ausgesetzt und in Ihrem Sinne mit der Argumentation nichtig. Ich hoffe für jeden aller Menschen, dass er oder sie eine wirkliche Formation im geistigen Sinne findet - eine Nachahmung in der Physis der Sexualität (und deren Offerierung) ist doch eine ganz natürlich angelegte Begebenheit - WARUM SO VIEL TERZ? Die Sache der Fortpflanzung hat und wird sich immer begeben.
Ich habe vergessen zu erwähnen. "Ich glaube daran, dass die Etablierung des eigenen Lebensglückes ein legitimes Ziel eines jeden Menschen ist. ...G. Dietrich"
AntwortenLöschen- verlieren Sie diesen Satz nicht aus den Augen!
Lieber anonyme/r Kommentator/in,
AntwortenLöschendanke für die Erinnerung an diesen wirklich für mich zentralen Satz. Ich werde ihn nicht aus den Augen verlieren und sehe auch nicht, wie meine Neugier hinsichtlich sexueller Fantasien diesen Satz gefährden könnte.
Ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden, wahrscheinlich habe ich mich missverständlich ausgedrückt, aber ich meine ja gerade, dass wir NICHT durch das öffentliche Zugänglichmachen unseres "Panzers" SCHLECHTER oder GERINGER werden. Siehe mein Argument zur Pornografie: Da entscheiden Menschen in höchster Radikalität, aller möglichen Schichten ihres Selbst öffentlich zugänglich zu machen. Mir liegt es fern, das zu verurteilen, ich respektiere das.
Um Sie noch einmal zitieren zu dürfen: "Würden wir diesen Panzer missbrauchen und ihn der Öffentlichkeit zugänglich machen - WAS WÄHREN WIR DANN NOCH?"
Wollen Sie uns diese Frage aus Ihrer Perspektive selbst beantworten? Dann klärt sich vielleicht das Missverständnis auf, das sich möglicherweise bei mir eingeschlichen hat.
Ich wünsche einen entspannten Sonntag!
Ein Versuch der Erlärung.
AntwortenLöschenDas Thema der Sexualität ist je nach Empfindung des Individuums ein sehr verborgenes oder entgegen dieser Empfindung ein nach aussen getragenes Gelebtes. Ich würde es sogar noch weiter aufziehen - sie ist Treibstoff und Explosion unserer Daseinsform. Hier können wir nicht nur sondern müssen animalischen Regeln folgen - "manchmal". Das "manchmal" ist das o.g. "ÜBERICH" - das in Gedanken vorhandene und reflektierte.
Da ich kein Anhänger der Freud´schen Theorie bin, gibt es für mich kein "ÜBERICH". Mein "ÜBERICH" besteht aus verschiedenen "ICHs" (ich bin Anhänger Goffmanns). Im Vordergrund steht erst mal sichtbar für die Öffentlichkeit das "ICH" - das NICHT ständig kontrollierte sozial anpassungsfähige Monster unserer Selbst -dennoch die passgenau antrainierte Daseinsform, die uns ein Überleben in sozialen Normen und Strukturen beschert - nicht schlecht.
Ein Problem tritt dann auf, nicht nur bei dem Thema der Sexualität - in jeder Hinsicht von Lebensbereichen, wenn die gelebte Daseinsformation, also das "ICH" mit meinen "ICHs" nicht zueinanderfinden, wenn eine empfundene Spannung existiert, wenn Mensch meint, sich anpassen zu müssen, wenn die eine Rolle uns überfordert, uns etwas abverlangt - dessen wir nicht gewachsen sind würde man sagen (nicht oft genug einstudiert haben meine ich)- erst dann kommt es zur Inklusion und Exklusion, wie immer das auch gesellschaftlich gewertet wird.
Entscheidend finde ich gar nicht mal das Thema, hier nun Sexualität. Entscheident finde ich die Reaktionen und Themen die damit in Verbindung gebracht werden. Hier Galileo oder A. McB. und die Info der N.Y. Times. Entscheidend finde ich, wie abhängig wir uns in sämtlichen Lebensbereichen von der Stimmung außerhalb aufwiegeln lassen, uns verunsichern lassen, anstatt wir Menschen uns auch als Individuum auf uns VERLASSEN.
Wir wären viel mehr, könnten wir einige Tolleranzbereiche öffnen und akzeptieren und einfach sein lassen. Könnten wir die Biologie eines jeden akzeptieren?
Danke für den Hinweis auf Goffmann, muss ich mich mal mit auseinandersetzen.
AntwortenLöschen"Wir wären viel mehr, könnten wir einige Tolleranzbereiche öffnen und akzeptieren und einfach sein lassen. Könnten wir die Biologie eines jeden akzeptieren?"
Dagegen kann man kaum etwas sagen, glaube ich.
Zitat von Anonym: "Entscheidend finde ich gar nicht mal das Thema, hier nun Sexualität. Entscheident finde ich die Reaktionen und Themen die damit in Verbindung gebracht werden. Hier Galileo oder A. McB. und die Info der N.Y. Times. Entscheidend finde ich, wie abhängig wir uns in sämtlichen Lebensbereichen von der Stimmung außerhalb aufwiegeln lassen, uns verunsichern lassen, anstatt wir Menschen uns auch als Individuum auf uns VERLASSEN.
AntwortenLöschenWir wären viel mehr, könnten wir einige Tolleranzbereiche öffnen und akzeptieren und einfach sein lassen. Könnten wir die Biologie eines jeden akzeptieren? " Zitatende
Aus meiner persönlichen Sicht gelingt insbesondere letzteres erst, wenn wir das Ich (egal welches) als das erkennen, was es ist. Illusion.
Hallo, jemand zu Hause? Wenn Sie sagen, dass das Ich eine Illusion ist? Wie kommen Sie dann zu dieser Aussage? A-HA! Diese Aussage kommt dann aus den NICHTS. Oder sind Sie ein NIEMAND? Oder ist das Ich ein Alian, der seinen Körper verlassen hat? Kann es aber nicht. Ihr Glaube daran, dass das Ich eine Illusion ist, ist Ihr Glaube. Hallelujah. Darauf muss man auch erst mal kommen. Glaube ist eben nicht Wissen. Übrigens finde ich das auch sehr gut so.
LöschenNaja, ich denke schon, dass ein "Ich" als überdauerndes und abgeschlossenes Sein eine Illusion ist. Das fängt schon damit an, dass alle paar Jahre ihre Körperzellen einmal komplett ausgetauscht sind, sie sind dann nichts von dem mehr, was sie vor sieben Jahren noch waren.
LöschenAber wo es noch deutlicher wird: Erklären Sie doch mal, was ihr Ich ist! Dann werden Sie selber merken, wie illusionär das ist. Sie sind, streng genommen doch nur eine Ansammlung von Empfindungen, aus der heraus sie eine Art überdauernde Geschichte stricken, die Sie ihr Ich nennen. Einen grundlegenden und abgetrennten Zusammenhang des psychischen und physischen Erlebens gibt es nicht. Aber wenn, Sie meinen, das sei totaler Quatsch mit Aliens usw., dann lasse ich mich gern überzeugen. Sagen Sie, was genau ist ihr Ich?
Apropos, noch zwei Lesetipps:
LöschenUnser Ich-Gefühl ist im Grunde ein Scherz (Alan Watts über den Hautsack, den wir unser Ich nennen)
Der Geist als hervorragender Diener... (David Foster Wallace über das Ego)
Viel Spaß beim Lesen!
Ich weiß, dass Ihnen meine Antwort zu dürftig ist, aber eine andere habe ich nicht. Mein Ich ist nicht Ihres. Mein Körper ist auch nicht Ihrer. Woher mein Ich genau kommt, ist mir völlig egal. Ich bin eben fürchterlich bescheiden. Ich glaube an das Ich, Sie nicht. Aber das ist auch egal. Glauben kann man nicht erklären. Er ist einfach da, so wie das Ich. Ich ist Glaube.
AntwortenLöschenInteressant! Das ist so ähnlich, wie der Philosoph Thomas Metzinger sagt: "Das Selbst ist nur ein Modell".
Löschen