Daniel Kahneman über das gute Leben
Einigen Lesern wird Daniel Kahneman schon vertraut sein. Er ist der Psychologe, der für seine Arbeiten zu den ökonomischen Entscheidungstheorien und der Verhaltensökonomik 2002 den Wirtschafts-Nobelpreis erhielt. Kahneman hat gezeigt, dass wir Menschen uns nicht einfach nur egoistisch so verhalten, wie es unseren Interessen entspricht, sondern dass wir uns vor allem von unserem Bauchgefühl an der Nase rumführen lassen. Hier finden wir einen Grund dafür, dass viele unserer wirtschaftlichen Entscheidungen schlimmer ausfallen, als wenn wir einfach würfeln würden. Jeden Abend können wir diese Irrationalität ganz ungeschminkt in den Wirtschaftskrisenachrichten sehen. Kahnemans Punkt ist am Ende, dass wir uns vor unseren irrationalen Entscheidungen und dem fortwährenden Selbstbetrug unseres Egos nicht schützen können. Wir werden immer wieder darauf hereinfallen. Uns ist aber bereits dadurch geholfen, dass wir das wissen und erwarten können, um den Schaden in Grenzen zu halten. In folgendem Auszug aus einem Interview mit Kahneman, das im November von Sam Harris veröffentlicht wurde, geht es auch um Entscheidungen, aber eher im Sinne einer hedonistischen Psychologie: Was macht das Leben schön und gut? Und wie spielen das "Erfahrungs-Selbst" und das "Erinnerungs-Selbst" zusammen, sodass wir unser Leben als gut und geglückt wahrnehmen - im Jetzt und in der Rückschau?Vieles in Ihrem Werk dreht sich um die Grenzen der menschlichen Intuition. Wann sollen wir unserer Intuition lieber nicht trauen?
Wenn es um viel geht, sollten wir unserer Intuition misstrauen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Qualität unserer Intuition mit der Wichtigkeit des gestellten Problems wächst. Vielleicht sogar im Gegenteil: Wenn es um viel geht, sind häufig auch große Gefühle mit im Spiel und damit große Impulse, in Aktion zu verfallen. Sollte nicht viel Zeit sein, dann ist die intuitive Aktion im Zweifel besser, als eine Schockstarre, besonders für die, die es gewohnt sind, schnelle Entscheidungen zu treffen. Sollte jedoch genug Zeit sein, dann ist es immer eine gute Idee, sich zu bremsen und nachzudenken. Der Aufwand, eine richtige Entscheidung zu treffen, sollte der Wichtigkeit des Problems entsprechen.
Wann sollten wir lieber nicht reflektieren, sondern unseren Impulsen vertrauen?
Wie Gary Klein betont (sein Buch Natürliche Entscheidungsprozesse. Über die "Quellen der Macht", die unsere Entscheidungen lenken ist eines meiner Lieblingsbücher), treffen wahre Experten - solche, die genug Übung darin haben, die Muster in ihrer Umwelt zu erkennen - bessere Entscheidungen, wenn sie ihrer Intuition folgen, als wenn sie große Analysen anstellen. Tim Wilson hat gezeigt, dass Leute, die sich für ein Deko-Gegenstand entscheiden müssen, besser daran tun, ihren Impulsen zu folgen, als das Für-und-Wider abzuwägen. Sie waren später mit ihren Entscheidungen länger glücklich. Auch wenn man einen Einrichtungsgegenstand kaufen will und mit ihm länger leben will, dann sollte man eher seinen momentanen Gefühlen trauen, als mögliche Vor- und Nachteile zu analysieren.
Was ist der Unterschied zwischen dem "Erfahrungs-Selbst" und dem "Erinnerungs-Selbst"?
Das "Erfahrungs-Selbst" lebt im Moment und beantwortet Fragen wie, "Tut das weh?" oder "Woran hast du gerade gedacht?" Das "Erinnerungs-Selbst" bewertet längere Episoden oder Perioden unseres Lebens, z.B. den Krankenhausaufenthalt oder all die Jahre, seit dem wir die Uni verlassen haben. In Studien zum subjektiven Wohlergehen wird das Glücksempfinden des "Erfahrungs-Selbsts" über die Integration von momentanen Glückserlebnissen über einen bestimmten Zeitraum hinweg bewertet. Das "Erfahrungs-Glück" beschreibt also unter Rückgriff auf momentane Gefühle, wie glücklich man ist, während man sein Leben lebt. Die Zufriedenheit des "Erinnerungs-Selbsts" hingegen, greift auf die Gefühle zurück, die man hat, wenn man über sein Leben nachdenkt und es in der Rückschau bewertet.
Ist dann das "Erinnerungs-Selbst" nicht einfach ein "Erfahrungs-Selbst" in einem seiner Zustände?
Natürlich. Über sein Leben nachdenken, ist eine mehr oder weniger positive Erfahrung, die man haben kann. Aber es ist sinnvoll, diese relativ seltenen Momente von unseren alltäglichen emotionalen Qualitäten zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist besonders relevant, wenn wir das Wohlergehen eines Menschen beurteilen wollen, denn die bestimmenden Faktoren des erlebten Glücks sind substantiell verschieden von denen der Zufriedenheit.
Was bedeuten denn diese zwei Perspektiven für unser Verständnis vom Guten Leben?
Es gibt das extrem Aristotelische Verständnis, das die Relevanz von subjektiver Zufriedenheit komplett bestreitet. Aber selbst für die, die nicht so weit gehen wollen, wirft die Unterscheidung zwischen erlebtem Glück und Zufriedenheit ernsthafte Probleme auf. Ganz besonders scheint es keine Hoffnung für ein einheitliches Konzept für subjektives Wohlergehen. Ich selbst war lange der Ansicht, dass nur erlebtes Glücksempfinden zähle und dass Zufriedenheit lediglich eine fehlbare Schätzung für wahres Glück liefere. Jetzt weiß ich, dass das nicht haltbar ist und zwar aus folgendem Grund: Wir Menschen scheinen der Erfüllung unserer Ziele viel mehr Wichtigkeit beizumessen, als unserem erlebten Glücksmomenten. Eine Definition von subjektivem Wohlergehen, die unsere Ziele (und die aus ihrer Erfüllung resultierende Zufriedenheit) ignoriert, ist also nicht haltbar. Auf der anderen Seite ist auch die einseitige Betrachtung von Zufriedenheit nicht haltbar. Wenn zwei Menschen gleichermaßen zufrieden oder unzufrieden mit den Erfolgen in ihrem Leben sind, aber die eine Person lächelt die meiste Zeit und die andere ist immer schlecht gelaunt, dann können wir das auch nicht ignorieren, wenn wir nach ihrem Wohlbefinden fragen.
Gibt es die Möglichkeit, die beiden Zustände zusammenzubringen?
Es gibt einen Weg, aber die wenigsten werden ihn nehmen wollen: Wir müssten das erlebte Glück als Hauptziel unseres Lebens begreifen und dann in dem Maße zufrieden sein, in dem wir dieses Ziel erreichen. Das würde bedeuten, wir müssten alle anderen Ziele und Werte in den Wind schlagen und das ist einfach nicht wünschenswert.
Die andere Möglichkeit ist, momentanes Glück umzudefinieren in eine umfassendere Bewertung. Zum Beispiel wenn die Intensität und Häufigkeit ästhetischer Erfahrungen wichtig für die Bewertung unseres guten Lebens ist, dann würde der Wert (oder Nutzen) dieser Erfahrungen ebenfalls dadurch gesteigert werden. Hier wird dann aber die Erfahrung, wie glücklich oder unglücklich wir in diesem Moment wirklich sind, nicht mehr berücksichtigt. Das geht also auch nicht so richtig.
Als auf Sicherheit gepolte Persönlichkeit tendiere dazu, dem "Erinnerungs-Selbst" den Vorzug zu geben. Fürs neue Jahr habe ich mir aber vorgenommen, wieder mehr MOMENTE in mein Leben zu lassen. Was sind Sie typischerweise - Erinnerungs- oder Erfahrungs-Selbst? Und wie wir Ihre Zukunft aussehen? Ich freue mich über Kommentare dazu.
Also nach dem Lesen dieser Unterscheidungen bin ich wohl eher ein "Mischling" :) Und ich schließe ich Deiner Meinung an, dass es die Kombination aus beidem ist, die das mentale Wohlbefinden ausmacht.
AntwortenLöschenWas mir fehlt, sind die Begriffe "Interpretation" beim "Erinnerungs-Selbst" und "Bewertung" beim "Erfahrungs-Selbst". Die großartigen Momente entstehen durch Nicht- oder auch positives Bewerten der Situation, wobei ich zum "Nicht-Bewerten" im buddhistischen Sinn tendiere, d.h. im Jetzt den Moment zulassen und ihn bewusst zu erleben. Unser "Erinnerungs-Selbst" lebt dagegen von unserer Interpretation, also von unserer Bewertung im Nachhinein. Das Spannende daran ist, dass ich im Nachhinein auch noch meine Bewertung verändern kann, wenn ich z.B. in der Rückschau das Ereignis in einem größeren Bezugsrahmen für mich sehe - wenn (und wie) ich WILL. Der Moment dagegen ist jeden Moment vorbei...
Besonders in den Tagen zwischen Jahren fröhne ich der Erinnerung + Interpretation gern meiner persönlichen Rückschau, ich lese alte Tagebücher, viele Einträge des vergangenen Jahres, aber manchmal auch stichpunktartig aus anderen Jahren, schaue was sich verändert hat, wie sich meine Interpretation vielleicht verschoben hat, was dazu beitrug und wie ich gerade geneigt bin zu interpretieren.
Einen Tipp habe ich noch, was die "Momente" anbelangt. Das macht meine Freundin: Sie schreibt Tagebuch wie ich, stellte aber fest, dass DIE Momente oft nicht festgehalten werden. Deshalb steht bei ihr eine "Momente-Box", daneben Zettel und Stift, um sie kurz mit Datum versehen festzuhalten. Am Jahresende setzt sich die Familie zusammen, und jeder liest abwechselnd einen Zettel vor - und erinnert gemeinsam. Ein schönes Ritual, finde ich. (Die Zettel kommen dann natürlich in einen Umschlag ins Tagebuch...)
In diesem Sinn: Eine zufriedene, inspirierende Rückschau und viele eindrucksvolle, spannende und 'banale' und herzberührende Momente für's Neue Jahr!
Danke Claudia! Eine Momente Box ist eine tolle Idee. Muss ich mir merken.
AntwortenLöschenZu der Interpretation: Da hast du absolut Recht. Und ich denke gerade hier scheiden sich die, die immer glücklich zu sein scheinen, von denen, die immer Pech zu haben meinen. Richard Wiseman hat zur Frage von Glückskindern und Pechvögeln umfangreiche und aufschlussreiche Studien gemacht. Die Interpretation der eigenen Lebensepisoden und das Zulassen des Unverhofften (Moment), spielen demnach eine enorme Rolle. Darüber habe ich in Glück haben oder die Wahrnehmung des Unverhofften geschrieben.