"Im Zweifelsfall fällt man in schwierigen Situationen immer auf das Bewährte zurück. Und das Bewährte ist [...] das, was wir als Ressourcennutzungskultur entwickelt haben."
(Neurobiologe Gerald Hüther in: Human Ressources Manager 05/2011)
Ressourcennutzung, gefunden auf Great Job Opportunities |
Das Gehirn zu nutzen, ist eine Sache. Seine Potenziale zu entfalten, eine ganz andere. Oftmals sind unsere Arbeitsplätze, ja unser ganzes Leben, so organisiert, dass die Nutzung der offensichtlichen Potenziale im Vordergrund steht. Die Entfaltung neuer Potenziale, die Innovation, Kreativität und Begeisterung können dabei verloren gehen. Im Job ist es neben den "Werkzeugen" vor allem die Wertschätzung, die Mitarbeitern entgegen gebracht wird und sie dazu befähigt, die Potenziale ihrer Gehirne zu entfalten. Die zwei wesentlichen Voraussetzung für solch eine Wertschätzung sind laut Gerald Hüther das Übertragen wirklicher Verantwortung und das Vermitteln von Zugehörigkeit. Soweit das implizit noch nicht inbegriffen ist, würde ich noch hinzufügen: respektvolle Kommunikation.
Hüther sagt in diesem Zusammenhang: "Sobald sie [den Mitarbeiter] irgendwo hinkommandieren, haben sie das Bedürfnis nach Gefühl von Verbundenheit genauso verletzt, wie das nach eigenem Gestaltungsmöglichkeiten, also nach Autonomie." Er diagnostiziert, dass selbst die frisch von "Führungsakademien" ausgebildeten Jung-Manager immer noch dem alten Konzept von Ressourcennutzung verhaftet seien, statt den verborgenen Profit in der Entfaltung zu erkennen. Ein Hoch auf die Quereinsteiger und Spät-Berufenen. Denn die lernen oft in der Praxis und aus meiner vergangenen Praxis kann ich sagen, dass es einen Wandel hin zu mehr Wertschätzung, Zugehörigkeit und Verantwortung durch alle Ebenen gibt. Da sind immer Bereiche, in denen es schneller geht, zum Beispiel in der IT-Branche. Aber die anderen werden nachziehen, schon weil sie es müssen, um überhaupt noch Mitarbeiter einstellen und halten zu können. Die Unternehmen, die es nicht lernen, werden einer unbarmherzigen Selektion zum Opfer fallen. Denn der Arbeitsmarkt wird immer mehr ein Arbeitnehmer-Markt.
Emotion setzt uns in Bewegung
"In einer hierarchisch organisierten Ressourcennutzungskultur hat man kein großes Interesse an der Idee, dass Menschen mehr können als das, wofür sie im Augenblick benutzt werden." Das ist ein Grund dafür, dass sich der Mythos vom Menschen als unwandelbar und der Veränderung abgeneigt verfestigt hat. Kinder zeigen uns, wie wir auch als Erwachsene noch etwas ganz anderes erlernen können: Mit Begeisterung. Kinder begeistern sich für alles mögliche. Nur kommen sie dann in die Schule, wo ihnen die Begeisterung abtrainiert wird, weil man sie so erzieht, als ginge es darum, sie als Ressource zu nutzen. Das lassen sich die Kinder nur mit Unlust gefallen und als Konsequenz fällt ihnen das Lernen schwer. Man muss die Begeisterung erhalten oder eben wieder erwecken: "Nur dann, wenn etwas unter die Haut geht und die emotionalen Zentren anspringen, wird im Mittelhirn eine Gruppe von Nervenzellen angeregt. Die schütten daraufhin [...] einen Cocktail neuroplastischer Botenstoffe aus. Und die fördern wie Dünger die Herausbildung neuer Vernetzungen. Im Routinebetrieb des Gehirns passiert das nicht. Man muss etwas erleben, was einem unter die Haut geht, sonst ist es dem Hirn egal." Nicht zuletzt sind die lateinischen und auch englischen Wörter emotion und motivation verwandt. In ihnen steckt das Konzept von etwas in Bewegung setzen.
Freude und Begeisterung erleben wir bei der Arbeit nur, wenn Wertschätzung, Zugehörigkeit und Verantwortung gelebt werden können. Diese intrinsische also aus dem Menschen selbst kommende Motivation über extrinsische Motivation zu kompensieren, funktioniert höchstens kurzfristig. An mehr Geld oder Macht gewöhnt man sich schnell. Aber die Begeisterung und Aufregung, wenn etwas vorangeht und der eigene Einsatz dabei unersetzlich ist, die ist jeden Tag neu. Das eben ist die Aufgabe der Führung und des Managements: Die Mitarbeiter zu inspirieren und ihnen zu ermöglichen, den Erfolg selbst als wichtig zu erleben. Und zwar nicht, weil dadurch ein paar Share Holder noch reicher werden, sondern weil es das eigene Projekt ist, die eigene Verantwortung und Begeisterung, die auf der Arbeit vorangebracht und ausgelebt werden können. Wenn das "von oben" immer wieder behindert oder bevormundet wird, dann muss irgendwann auch der beste, klügste und motivierteste Mitarbeiter auschecken und nur noch die Schicht schieben oder eben zu einem wertschätzenden Arbeitgeber wechseln.
Win win win
Micro-Managing und Alpha-Tier-Gehabe demotivieren die Belegschaft und im besten Falle lachen die klügeren Mitarbeiter den Chef aus. "Wenn sich eine Führungskraft durch autoritäres Verhalten gegenüber anderen stärken muss, ist es keine Führungskraft, sondern nur jemand, der eine bestimmte Position in einem System besetzt, die ihm aus irgendwelchen Gründen zugefallen ist." Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die Arbeit für mich selbst viel angenehmer und sogar einfacher ist, wenn ich anständig und maßvoll delegiere und meinen Mitarbeitern einen Raum zur Verwirklichung der selbst gesteckten Ziele schaffe, als dass ich sie bevormunde, Entscheidungen für sie treffe und ich am Ende alles selbst mache, weil ich meine, keinem trauen zu können. Es ist eine klassische Win-Win-Situation: Mitarbeiter und Vorgesetzter haben beide etwas davon. Man könnte sogar noch ein Win hintenanhängen, denn die ganze Firma gewinnt, wenn das Management die Mitarbeiter motiviert und in die Lage versetzt, ihren Job vernünftig und mit Freude zu machen.
Entfaltung durch Kommunikation
Zurück zum Gehirn: Es macht zwar nur 2% unserer Körpermasse aus, verbraucht aber rund 20% der gesamten Energie. Das heißt also, dass jede Veränderung, jedes Lernen und damit das Entfalten immer auch unheimlich viel Energie kostet. Und gerade Veränderung und Lernen werden im Job immer mehr zu Konstanten. Peter Kruse von What's Next? sagt, dass "Veränderungsbereitschaft zur intrinsisch motivierten Selbstverständlichkeit" wird, "wenn die Aussichten attraktiver sind, als der gelebte Status Quo". Das Verlustrisiko muss klein erscheinen und die Zugewinnchancen groß. Am Ende ist es immer eine Frage der Argumentation und der individuellen Interpretation von Situationen. Und hier liegt ein anderer großer kreativer Spielraum des Managements: Ziele der Veränderung, Strategien und Kontext kommunizieren, anstatt immer nur an die Zahlen von morgen zu denken.
Wirtschaft, Management und Gehirn sind noch nicht genügend zusammengewachsen. Man kann aber keine Mitarbeiter zum Erfolg führen, wenn man ihre Motivationen nicht versteht. Wenn es dennoch zum Erfolg kommt, dann war es nicht wegen, sondern trotz des Managements und der Erfolg blieb mit Sicherheit unter seinem Potenzial. In der Zwischenzeit bleibt uns als Individuen nur, den Institutionen voraus zu sein und auf unserer eigenen Entfaltung zu bestehen. Wo sie nicht gewährleistet ist, werden wir nicht als Menschen, sondern nur als Ressourcen geschätzt. In letzter Konsequenz müssen wir dann weiter ziehen, dorthin, wo wir geschätzt werden.
Das ist ein ganz wunderbarer Artikel, auch ganz im Sinn des Klassikers "Mythos Motivation" von Sprenger. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel eigentlich aus Forschung von Soziologie und Psychologie schon lang bekannt ist, mittlerweile mit "harten Fakten" aus der Neurobiologie belegt werden kann und sich trotzdem nur mühsam was in den Unternehmen ändert.
AntwortenLöschenIch glaube, die ANtwort liegt zum Teil darin, dass es Mittel zum Zweck ist und kein Selbstzweck. Es ist auch noch ein ziemlich teures Mittel, das also den primären Zwecken eines Unternehmens erst einmal entgegen steht. Es benötigt Willen zur "Vision" und Strategie, um solche Dinge auf den Weg zu bringen. Die Amerikaner sind in dieser Hinsicht viel weniger skeptisch, lieben Visionen, Missionen, Veränderung und Fortschritt. Sind nicht solche Miespeter wie wir. Daher haben wir es viel schwerer, als z.B. die Amerikaner, solche wissenschaftlichen Fakten einzuarbeiten. Wir werden uns vom allgemeinen Wettbewerb zwingen lassen müssen. Was mir Hoffnung macht: Auf den Fachmessen (ich war zuletzt auf der Zukunft Personal in Köln) und in der HR-Fachpresse (siehe Artikel) sind diese Sachen schon Common Sense.
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