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Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

9. Oktober 2011

Warum klappt eigentlich rein gar nichts?

Ich frage mich gerade, warum in dieser Welt eigentlich gar nichts zu klappen scheint, wenn es wirklich wichtig ist. Egal, wo man hinkuckt: Katastrophen, Krisen und Fehlschläge. Die wichtigsten Ziele, die wir uns stecken, werden nicht erreicht. Spätestens seit Erfindung der Eisenbahn scheint alles schief zu gehen. Nur ein paar Beispiele, wie man sie aus den Nachrichten der letzten Wochen kennen sollte:

  • Banken und Wirtschaft insgesamt scheinen trotz aller Mühen und bei Strafe des Untergangs dieses Systems nicht unter Kontrolle zu bringen sein.
  • Globale Umweltschutzziele und Vereinbahrungen sind immer schon ein Lacher gewesen.
  • Bekämpfung von Hunger, Krankheit und Armut. Müsste eigentlich machbar sein, kriegen wir aber nicht hin.
  • Die versuchten Befriedungen und Demokratisierungen im Nahen Osten, in Afrika, Irak oder Afghanistan - da haben wir offenbar keine Chance. Selbst die Revolutionen in Nordafrika drohen im Kanonenrohr zu krepieren.
  • auch im kleineren Rahmen, z.B. in der Innen- und Parteipolitik, läuft alles schief: Alle Parteien scheinen ständig irgendwelche Wahlen zu verlieren (außer gerade die Piraten und manchmal die Grünen); Bahnhöfe können weder gebaut noch verhindert werden, dasselbe gilt für Autobahnen und Stromtrassen; der DAX ist auf Talfahrt, genauso wie der Geschäftsklima-Index; seit Jahrzehnten scheitern wir mit der Gesundheits-, Verkehrs- und Bildungspolitik und so weiter und so fort.
Fazit: Alles scheint schief zu gehen. Es ist lange her, dass ich mal irgendwo gehört habe, dass mal etwas geklappt hat. Aber warum? Hier sind ein paar Interpretationsvarianten:
  1. Realistische Variante: Die Probleme sind wirklich nicht trivial und nehmen an Komplexität und Abhängigkeiten zu. Richtige Lösungen für wahre Probleme sind also immer schwerer zu haben. Beispiel: Der Nahost-Friedensprozess ist durchwirkt von so vielen uralten Abhängigkeiten, Ängsten und Konflikten, dass man ihn eben nicht einfach mal voranbringen kann. Ebenso das Abwenden der ökologischen Katastrophen: Zu viele soziale, wirtschaftliche und politische Komponenten spielen eine Rolle, als dass man das Problem einfach mal abschließend behandeln könnte. 
  2. Traurige demokratiekritische Variante: Den wenigen ernsthaften Problemlösern wie Obama stehen immer mehr Kasperköppe wie Putin, Sarkozy und Berlusconi gegenüber. Beispiel: Die einzig rationalen Lösungsvorschläge hinsichtlich US-Steuer- und Gesundheitssystem werden von einer Bande irrationaler Republikaner (Tea Party Movement) erfolgreich torpediert und blockiert.
  3. Realistische Variante mit Verschwörungseinschlag: Dem Allgemeininteresse entgegengesetzte Lobbys sind zwar klein, aber sehr mächtig und so stark, dass Lösungen im Interesse des Volkes nur noch machbar sind, wenn ihnen keine Interessen der Industrie entgegenstehen. Beispiel: Jeder weiß um die verbrecherischen Machenschaften der Pharma-/Energie-/Waffen-/... Industrie, aber Politik und Gesellschaft scheinen abhängig und machtlos zu sein.
  4. Optimistische Variante (die Medien sind schuld): Es ist gar nicht so, sondern sieht nur so aus, als wenn nichts klappt. Die Sachen, die funktionieren, werden uns nur nicht gezeigt. Only bad news are good news. Insgesamt geht es aufwärts, Fortschritt wird gemacht, es geht voran. Beispiel: Der Kampf gegen Malaria ist ziemlich erfolgreich, aber wir hören nichts darüber.
  5. Weltuntergangszenario: Die Welt geht unter. Beispiel: Die Polkappen schmelzen und die Welt geht unter.
Von solchen Fragen getrieben, habe ich gerade angefangen, Erich Feldmeiers Buch SONNTAGS REDEN MONTAGS MEETING zu lesen (die Rezension finden Sie hier). Feldmeier scheint mir die in diesem Zusammenhang genau richtige Frage zu stellen: Warum hören wir nicht auf unsere Vernunft? Brauchen wir wirklich Platons Diktatur der Philosophen? Denn offenbar verhalten wir uns alle wie ein Haufen Idioten, obwohl wir es besser wissen müssten. Warum? Dazu demnächst mehr. Jetzt rufe ich erst einmal Sie dazu auf, mir in den Kommentaren Antworten auf die Frage zu geben: Warum klappt eigentlich rein gar nichts?

9 Kommentare:

  1. Hallo Gilbert Dietrich,
    ich favorisiere die Punkte 4 und 3 in genau dieser Reihenfolge.
    Gelegentlich habe ich das "Kaspertheater" mit Unbehagen beobachtet, mittlerweile kann ich es belächeln. Obwohl die Situation keineswegs zum Lachen ist!
    Um den Grund für das Chaos, das stetig zunimmt, zu erkennen, muss man gar nicht so tief tauchen, wie gedacht. Profitgier einiger Weniger auf der einen Seite steht der (überzeugten) Machtlosigkeit der großen, breiten Masse gegenüber. Wehe, wenn der Mensch, der gemeine, durch Medien und Politik und vor allem durch seine eigene Bequemlichkeit (fast) entmündigte sich seiner Macht bewusst wird...
    Kein Thema, das man hier in einem Kommentar ausführlich darlegen kann :-).
    Ich denke, wenn jeder einmal für sich selbst schaut, wo er welche Prioritäten setzt und welches seine wirklichen Bedürfnisse sind, anstatt blind mit der breiten Masse zu rennen oder denen nacheifern zu wollen, die von Profitgier getrieben sich bereichern wollen (vor allem mit Macht), kann er relativ zufrieden sein Leben gestalten.

    Einen schönen Sonntag wünscht
    Angelika Fleckenstein

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  2. Vielen Dank für diese Gedanken! Mit der Profitgier haben Sie sicher einen wunden Punkt getroffen. Es geht aber noch absurder. Was halten Sie von diesem Beispiel:

    "Der Antrag der Linkspartei wird indes kaum eine Mehrheit finden, obwohl Sozialdemokraten als auch CDU inhaltlich eigentlich nicht dagegen sein können. Aber laut Koalitionsvertrag in Potsdam dürfen SPD und CDU nur gemeinsam abstimmen. Und die märkische Union lehnt grundsätzlich alle Anträge der Linkspartei ab. [...] Die Linkspartei hat Platzek und seine große Koalition erfolgreich in die Klemme manövriert." (SZ, 25.01.06, zitiert nach Feldmeier)

    Herrlich. Wo Verstand keine Chance hat, obwohl alle parteien derselben (ich spekuliere) vernünftigen Meinung sind.

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  3. Stewart Brand schrieb dazu in edge.org 1991(!):

    "the same old boring disenchanted cycle...
    Science is the only news.
    When you scan through a newspaper or magazine, all the human interest stuff is
    -->the same old he-said-she-said <--,
    the politics and economics the same sorry cyclic dramas, the fashions a pathetic illusion of newness"
    und:
    Human nature doesn't change much...

    SO WIE THUKYDIDES 400 v.Chr.(!)

    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/Thukydides_wikipedia_org

    Da Thukydides deshalb bewusst in die EU-Verfassung aufgenommen wurde, sollten wir nicht überrascht sein, sondern eher neugierig & aufmerksam, warum sich 2500 Jahre 'nichts' geändert hat - trotz allem Fortschritt.

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  4. @Gilbert Dietrich: "... alle Parteien derselben vernünftigen Meinung sind..." Wahrlich herrlich!!! Hätten die Politiker, welche darauf eingeschworen sind, zum Wohle des Volkes zu handeln, ebendieses im Auge (von Herz kann ich nicht reden), dann MÜSSEN sie zwangsläufig einig eine Richtlinie verfolgen, denn es gibt nur EIN Wohl des Volkes. Eigentlich! - Ich hoffe noch immer und träume auch gern. - Die Realität wird allerdings auch und besonders in der Politik von jenen beherrscht, deren Profil von Neurosen befallen nur eine recht abstrakte Erscheinung ist, welche häufig danach strebt, mit oft abstrusen Ideen und Reformen (?) in die Geschichte einzugehen.

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  5. Die Frage ist doch: Hat je etwas richtig geklappt? Angefangen bei den großen Weltkulturen der Antike über die französische Revolution bis heute: Überall gab und gibt es die Differenz zwischen Idee und Umsetzung. Die Folgen einer Handlung sind nicht wirklich bis ins letzte Detail planbar, wie man auch an den neuen Revolutionsbewegungen im Nahen Osten sehen kann. Was dort aber sichtbar wird, ebenso wie es vor 20 Jahren beim Fall der Mauer in Deutschland sichtbar wurde, ist wahre Macht.

    Ich bin ja Anhängerin der Polit-Philosophin Hannah Arendt und deren Verständnis von Macht: Macht kann keiner alleine haben, nur Herrschaft (über Reglementierungsgewalt), Stärke (körperliche Gewalt) oder Autorität (Anerkennung der anderen). Macht ist nach Arendt etwas, das entsteht, wenn sich mehrere zusammentun, sich einig über ihr Ziel sind und öffentlich sichtbar handeln. Je mehr sich zusammentun, desto mehr Macht kann entstehen. Wichtig ist, dass die Macht nicht dem Selbstzweck dient, sondern dem gemeinsamen Ziel im Sinn eines Gemeinwohls.

    Wenn man jetzt Deine Beispiele daneben nimmt, dann ist bis jetzt nichts schiefgegangen, sondern man sich darauf verlassen, dass diejenigen, denen man die Herrschaft überlassen hat, es schon regeln werden. So konnte sich jeder seit der Menschheitsgeschichte darauf verlassen, dass er sich nur um seinen Selbstzweck kümmern muss, wenn er das öffentliche Leben den Herrschenden oder den "Volksvertretern" überlassen hat. Das soll jetzt nicht sarkastisch sein, sondern es ist normal (biologisch begründbar), dass man das bekannte Übel vorzieht als die Angst und Unsicherheit zu ertragen, weil alles Neue kann das System - den eigenen Körper, die Familie, das Unternehmen... - in seiner Existenz gefährden. Was wäre, wenn jeder von uns gefordert wäre, Zeit zu investieren und öffentlich sichtbar gemeinsam für eine Sache einzutreten. Wenn jeder die Schritte seines Volksvertreters im Wahlkreis verfolgen würde und sich melden würde, wenn das nicht mit dem Wahlversprechen übereinstimmt? Das wäre Demokratie, aber in dieser Form kennen wir das nicht, und Unbekanntes verunsichert.

    Apropos Dein Punkt 4 "nichts darüber hören" und Macht: Wird denn in den großen Medien berichtet, dass seit 4 (!) Wochen die Mitarbeiter des "Facility Management" des Charite-Krankenhauses streiken? (Natürlich nicht, denn es könnte Nachahmer finden...) http://www.taz.de/Streik-bei-der-Charite/!79476/ Ich drücke den Menschen dort so die Daumen, dass ihre Macht zu besseren Arbeitsbedingungen führt. Und was ich mir wünschen würde, ist, dass diese Nachricht viel größer herausgebracht wird, um anderen Mut zu machen, selbst (mit den Worten Hannah Arendts) sichtbar im öffentlichen Raum zu handeln.

    Abschließend würde ich aus Sicht der Systemtheorie sagen: Es klappt alles! Die Systeme sind weiterhin bestrebt, sich zu erhalten und nur soviel Veränderung zuzulassen, um sich den verändernden Umweltbedingungen anzupassen mit dem Ziel zu überleben. Aber aus Sicht von Hannah Arendt möchte ich die Beobachtung anmerken, dass sich immer häufiger Menschen zusammentun und Macht demonstrieren (weiteres Beispiel Wallstreet). Es tut sich also was auf dieser Welt, und ich bin sehr gespannt auf die Entwicklung!

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  6. Sehr schöne Denkanstöße! Das sich auf etwas (oder auf andere) verlassen, scheint mir ein großes Problem zu sein. Wie ist es mit dem Belohnungssystem im Hirn? Sind wir überhaupt so gestrickt, dass wir irgendetwas langfristiges oder langwieriges in Angriff nehmen, nur weil es vernünftig ist?

    Dazu empfehle ich Erich Feldmeier.

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  7. Mal wieder ein schöner Artikel und eine interessante Diskussion.
    Ich werfe mal den Begriff der Pfadabhängigkeiten in den Raum.
    Jegliches politisches/ gesellschaftliches Gestalten ist in Pfadabhängigkeiten eingebunden und/oder schlägt langfristig in Pfadabhängigkeiten um.
    Wer dem keine Rechnung trägt, scheitert.
    Um den Zustand des sog. Lock-In zu überwinden, sind in der Regel große externe Krisen nötig, die eine kritische Masse dazu bewegen, gegen den Strom zu schwimmen.

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  8. Es scheint mir wohl eher ein Mix aus Variante 4 und der Fokussierung des Autors auf das Negative zu sein.

    Egal, wo man hinschaut: Uns geht's so gut wie noch nie auf dieser Erde. Wir:
    - können uns frei innerhalb vieler Länder bewegen (EU), - haben hervorragende Ausbildungsmöglichkeiten,
    - können uns den Beruf aussuchen, in dem wir uns selbst verwirklichen können,
    - können bei bescheidenem Lebensstandard gemütlich Leben,
    - ...

    Natürlich könnte man auf diese Punkte zahlreiche negative Argumente erwidern. Aber an und zu tut ein bisschen Optimismus gut, nicht wahr? ;)

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  9. Vielen Dank für diesen optimistischen Kommentar! Ich bin wirklich selbst dafür, den ganzen negativen Beispielen, positive gegenüber zu stellen. Siehe auch meine Variante 4 oder auch das hier: Grund zum Optimismus? Zum Beispiel Gewalt.

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