21. Oktober 2011

Gunter Dueck: Professionelle Intelligenz (Rezension)

Erich Feldmeier rezensiert Gunter Duecks Professionelle Intelligenz: Worauf es morgen ankommt, erschienen 2011 bei Eichborn. Ein Telefon-Interview mit Gunter Dueck finden Sie hier im Text.

Der berüchtigte Graf Dracula des zeitgenössischen Managements hat wieder ein scharfsinniges Buch geschrieben. Zwischen Wollen und Tun ist ein Unterschied, deshalb schreibt er gleich zu Anfang: "Ich sage hier nicht, dass wir Altenpflege oder Bildung als reinen Service zum Lebens-Change-Management auffassen sollten. Wir tun es." Insofern schließt Professionelle Intelligenz an Duecks vorheriges Buch Homo Oeconomicus an, in welchem über viele Seiten hinweg das Geiz-Dilemma samt Schaden und Ruin, die uns daraus erwachsen, dargelegt wird.

So heißt es nun in der Professionellen Intelligenz: "Ich hoffe, die Werte der Welt schwingen wieder zurück... Erwarte ich das? Nein" (S. 69). Dass Duecks Buch Lean Brain Management (Zitat: "der Verzicht auf Intelligenz birgt enormes Einsparpotenzial") als Satire von 2006 heute nahezu in die Realität umgesetzt ist, zeigt, mit welcher Vehemenz der Wandel über uns kommt. Unsere (Arbeits-)Welt ändert sich, nicht nur Industrie, auch Dienstleistungs-Jobs verschwinden in der Automatisierung. Mit den herkömmlichen Kompetenzen kommen wir nicht mehr viel weiter. Die Aufforderung, sich doch bitte auf die neue Zeit der "Digital Natives" (siehe Piratenpartei) einzulassen und nicht als dauerhafter Exilant darin zu wohnen, ist insofern schlau.

Wieder einmal beschreibt Dueck die verschiedenen Menschen-Typen und X-Intelligenzen sehr ausführlich, diesmal anhand des Riemann-Modells der vier Grundängste von 1961, also längst bekannt! Es wäre an der Zeit, dass wir uns vermehrt mit solchen Persönlichkeits-Typen auseinanderzusetzen, um die Diversität unserer Spezies schätzen zu lernen und in professionelle Intelligenz zu übersetzen.

In ungewöhnlich schonungsloser und vielleicht verzweifelter Weise kritisiert er seine eigene Persönlichkeits-Gruppe, die INTJs (logisch-intuitive Introvertierte). Sie würden keine Schlüssel-Figuren, weil sie sich bequem im (Alters-)Zynismus verschanzten und dann in bitterster Verzweiflung hinter ihren Möglichkeiten weit zurückblieben (S. 31, 59, 242). "Ich habe einmal einen Test absolviert: INTJ. Mein Ergebnis haben nur etwa 1 % der Menschen... An der Mitteilung des Testergebnisses hing fast so etwas wie ein Beileidsschreiben... Nach aller Wahrscheinlichkeit ist keiner in Ihrer Umgebung so wie Sie. Sie haben große Phantasie und große Ideen, aber Sie werden nicht verstanden - GAR NICHT! Wenn es hart kommt, von niemandem. Tja, dieses Urteil habe ich im Alter von 40 Jahren erfahren... Ich arbeite nun seit 20 Jahren daran, verstanden zu werden...". Dass Dueck hier (wie in seinem früheren Buch Aufbrechen) vor allem "das System" kritisiert, wird deutlich, wenn er hervorhebt: "Diese Menschen sind durch alle Siebe des Bildungs-Systems gegangen und daher alle intelligent... aber unfähig" (S. 28 und 77). Das Urteil lautet auf Lebenslänglich - bis zur Rente. Man kann gar nicht oft und deutlich genug auf solche psychologischen Dispositionen und den Mangel an der Integration dieser Unterschiede hinweisen.

Für mich ist das die Schlüsselstelle des Buches, denn (und man soll ja seine Leistung ruhig vermarkten), in meinem eigenen Buch (siehe Rezension hier) schrieb ich über die mangelnde Einsicht der rationalistischen Charaktere, sich mit Smalltalk und allen weiteren notwendigen Schritten des Kommunikations-Verhaltens zu beschäftigen: "Wir müssen also dringend zur Kenntnis nehmen, dass wir mit allem Recht der Welt – und der gebotenen Vernunft – »mit diesen Dingen nichts zu tun haben wollen«. Diese Einstellung wird jedoch, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, mit drastischer Armut nicht unter lebenslänglich bestraft" (Sonntags Reden, Montags Meeting, S. 154).

Das Urteils-Schicksal Lebenslänglich muss aber nicht Lebenslänglich lauten, denn: "Es gibt den grünen Daumen der Menschenbetriebskunde... Lieben wir doch heimlich die Theorien der unveränderlichen Charaktere und Gene? Die machen keine Arbeit" (S. 99).

In 'daily dueck 135' auf seinem Blog Sinnraum schreibt der Autor jedoch selbst über das Urteil Lebenslänglich in Bezug auf Charaktere und Gene. Das müssen z.B. "die Frauen" immer wieder erleben, die sich nach der sogenannten gläsernen Decke strecken und diese "nie" erreichen, aus denselben Gründen: Urteil lebenslänglich. Sie werden einfach von der sogenannten Mehrheit nicht verstanden. Eine Charakter-Änderung scheint plötzlich gar nicht so einfach, bei der Mehr- als auch bei der Minderheit. Vielleicht ist es gar sinnlos, Frauen zu besseren Männern zu erziehen? Herzensbetriebskunde müsste also neben Menschenbetriebskunde wesentlicher Bestandteil der Bildung werden, schreibt Dueck. Was bedeutet Bildung heute? Welche Fähigkeiten werden heute dringend gebraucht? Um diese Fragen dreht sich das ganze Buch.

Um eine Veränderung herbeizuführen bedarf es einer "schmerzhaften Aufwendung an Gehirnenergie". Die Macht der Gene für die Charaktere können bei allem Veränderungswillen nicht in einem Nebensatz weggewischt werden. Jede bewusste Entscheidung - bei 20.000 Entscheidungen täglich - gegen das unbewusste Verhalten im AUTOPILOT-Modus ist ein Problem. Spiel-theoretische Entscheidungen beim Verhalten des homo oeconomicus, finden auch im Gehirn der Affen statt, die sich vor 30 Mio. Jahren vom homo sapiens verabschiedet haben (siehe kurzzeitiges Belohnungssystem).

Corso-Gespräch mit dem Mathematiker und Philosophen Gunter Dueck

Wir haben jedoch keine 30 Mio. Jahre Zeit um uns über die Intelligenz der Affen emporzuschwingen, wir haben keine 2500 Jahre, bis alle Führungskräfte wissen, dass sie Sokrates für die Personalführung brauchen. Ja, wir haben keine 25 Jahre mehr, um die Externalisierung der Kosten auf die Natur mit allen Mitteln zu bekämpfen – bei 7 Mrd. Mitbewohnern. Wir verbrauchen derzeit 2 Erden, das geht weder mathematisch noch biologisch gut. Die Nachhaltigkeit und Entschleunigung als stille Sehnsucht der Idealisten abzutun (S. 66) wird der globalen Herausforderung nicht gerecht.

"Top-Experten und Introvertierte leiden körperlich, wenn sie 'angeben müssen'... Sie selbst würden bei einem Vermarktungsversuch vor Peinlichkeit sterben – und noch schlimmer: Sie nehmen sich kein Vorbild an denen, die sich gut vermarkten..." (S. 31, 59). Hieraus ergeben sich eine ganze Reihe an Fragen. Warum sollen Menschen sich quälen, um von Anderen verstanden zu werden? Sollten da nicht "die Anderen" sich etwas entgegenkommend verhalten? Warum sollten Menschen gegen ihre Berufung und Leidenschaft arbeiten, statt ihre jeweiligen Stärken gewinnbringend für die Menschheit einzubringen? Niemand möchte an einem Wettbewerb teilnehmen in einer Disziplin, in der man niemals punkten kann.

Der gesamte zweite Teil des Buches handelt von nichts anderem als von der Notwendigkeit individueller Erziehung. Gilt dieses Menschenrecht nicht auch für Minderheiten? Könnte es nicht möglich sein, dass sich "die Mehrheit" auch ändert, ein kleines bisschen vielleicht? Nein? Ich erhoffe, aber natürlich erwarte ich es nicht... Umso mehr ein Grund das als utopische Vision zu formulieren.

"Aufbrechen" heißt immer auch die Minderheiten zu HÖREN (siehe Rezension zu Susan Cains Still). Professionelle Intelligenz ist ein Buch, dem man unbedingt viele Leser wünscht, die sich daran stoßen und in Konsequenz neue, vielleicht vorerst verstörende Gedanken hervorbringen.


Erich Feldmeier hat unter anderem das Institut für Querdenkertum gegründet, aber auch die Wohnungsbaugenossenschaft Jung und Alt e.G. und ist als Lehrbeauftragter und Berater tätig.

2 Kommentare:

  1. BRAVO, ich denke, das Buch ist mindestens so gut geschrieben wie die Rezension! Ich kaufe es, und zwar gleich 2x, denn bald ist Weihnachten...

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  2. aus meiner Rezension bei amazon:

    "Das 7:30-16:20 Arbeitszeit-Modell kann eher zu
    produktiver und vernünftiger Arbeit führen als Aktionismus und unprofessionelles Zeit- und
    Projekt-Management. Ein stiller Schrei nach professionellem gender-Management. Statt einer Steinigung, wie er schreibt, wäre eher ein Lorbeerkranz fällig.
    vgl.
    have a break for your working memory
    http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/JoelPearson_unsw_edu_au
    Have a sleep http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/BruceMcNaughton_arizona_edu

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