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18. September 2011

Introvertiert: linksrum oder rechtsrum?

Wer meinen Blog kennt, wird wissen, dass ich das Thema Introversion liebe und dass es keine ganz simple Materie ist, auch wenn Begriffe wie Introversion und Extraversion leicht dazu genutzt werden, Menschen in simple Schubladen zu stecken (wogegen nur mehr Aufklärung hilft). Um es noch komplizierter zu machen: Auch bei introvertierten gibt es wieder jede Menge Unterschiede, die nicht nur aus dem individuellen Erleben kommen, sondern aus Aspekten der Hirnphysiologie. Marti Laney schreibt in ihrem Buch "The Introvert Advantage: How to Thrive in an Extrovert World", dass es erhebliche Unterschiede zwischen denen gibt, die primär die rechte oder die linke Hirnhälfte nutzen.

Die rechte Hirnhälfte funktioniert nonverbal, holistisch, abstrakt und simultan. Sie denkt in schnellen und komplexen räumlichen Strukturen, ohne das Gedachte zu verbalisieren. Introvertierte mit Dominanz der rechten Hirnhälfte...
  • haben eher Schwierigkeiten, beim Sprechen die richtigen Wörter zu finden
  • lösen Probleme eher spielerisch
  • reagieren zuweilen emotional
  • interpretieren Körpersprache mit Leichtigkeit
  • haben einen ausgeprägten Sinn für Humor
  • improvisieren oft und gerne
  • nutzen Metaphern und Analogien, wenn sie etwas beschreiben
  • behandeln gern mehrere Probleme gleichzeitig
  • nutzen ihre Hände beim Sprechen
  • erkennen eher Muster und denken in Bildern
  • begreifen Lösungen als entwicklungsfähige Annäherungen 
  • sind sich nicht immer im Klaren darüber, was sie alles wissen

Die linke Hirnhälfte verarbeitet eine Information nach der anderen. Hier werden die analytischen Problemlösungen konstruiert. Die linke Hirnhälfte ist außerdem eine Verbalmaschine. Introvertierte mit Dominanz der linken Hirnhälfte...
  • analysieren für und wider bevor sie handeln
  • sind ordentlich und aufgeräumt
  • entscheiden anhand von Fakten und weniger mit Emotionen
  • geben konkrete Beispiele, wenn sie etwas beschreiben
  • denken gerne in "wahr" und "falsch" oder "gut" und "böse"
  • sind sich der Zeit sehr bewusst
  • gehen einen Schritt nach dem anderen
  • verstehen kleine soziale Andeutungen nicht immer
  • kategorisieren gerne
  • gehen geschickt mit Wörtern und Zahlen um
  • suchen nach exakten und definitiven Problemlösungen

Die Anforderungen von Schule, Studium und Arbeitsplatz kommen nicht allen Menschen gleichermaßen entgegen. Besonders die Talente der introvertierten mit Dominanz der rechten Hemisphäre lassen sich oft nur schwer in den Alltag übersetzen, wo Analysefähigkeit und verbale Stärken gefragt sind. Wenn man jedoch versteht, wie das eigene Gehirn funktioniert, spart man sich die Scham- und Schuldgefühle, die aus der Inkompatibilität resultieren können. Man kann sich mit diesem Wissen eher eine Umwelt schaffen, die einem entgegen kommt. Man kann sogar dazu übergehen, die eigenen Talente höher zu schätzen, als an den eigenen Schwächen zu leiden. Und darum geht es schließlich auf dem Weg durchs Leben: Sich selbst annehmen, lieben und das beste daraus machen.

8 Kommentare:

  1. Eine interessanter Beitrag!

    Hier ein weiterer Beitrag aus der neurobiologsichen Forschung, dass es Dinge gibt, die geschlechtsspezifisch vererbt werden (in unterschiedlichen Ausprägungen natürlich!, die das Einteilen in Schubladen vollkommen sinnlos machen)
    und die man noch vor kurzem als undenkbar gehalten hätte...
    http://vaeter-und-karriere.de/blog/index.php/2011/09/06/jungen-ohne-vater-bekommen-fruher-kinder/comment-page-1/#comment-100951

    Mehr auch hier:
    https://www.xing.com/net/evolutionsmanagement/konkurrenz-kooperation-538706/

    Innovative Grüße,
    EF

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  2. Hallo Erich! Interessant. Noch komplexer wird es, wenn man sich die Tatsache vor Augen hält, dass manche Gene (und damit die vererbte Information) wiederum von bestimmten Umwelteinflüssen aktiviert werden oder eben nicht. Man kann dann kaum noch sagen, dass da was vererbt wurde. Maximal kann man sagen, dass die Disposition zur Ausprägung unter bestimmten Umständen vererbt wird. Andere Dinge jedoch werden sozusagen "hardwired" vererbt. Ein weites Feld!

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  3. Ich persönlich würde ziemlich sicher sagen, daß meine rechte Gehirnhälfte dominant ist. Das Fazit, daß ich mir im Berufsleben aber schwerer tuen würde, weil mir Analysefähigkeit und verbale Stärke fehlen würde, trifft hingegen nicht zu.
    Sowohl Analysefähigkeit als auch verbale Stärke gehören zu meinen größten Stärken.
    Merkwürdig... Ist für mich nicht ganz schlüssig.

    Was ich noch interessant finde sind versuche mit Personen, bei denen aus medizinischen Gründen (früher oft geschehen) die Verbindung zwischen den beiden Hemispheren im Gehirn vollzogen wurde:

    "Unterzog man jedoch die Patienten, bei denen die beiden Hemisphären getrennt worden waren, genaueren Testbedingungen, so zeigte sich immer deutlicher, daß sich beide Hemisphären in ihrer Eigenart und Zuständigkeit sehr deutlich unterscheiden. Wir wissen ja, daß sich die Nervenbahnen lateral überkreuzen und somit die rechte Körperhälfte des Menschen von der linken Gehirnhälfte innerviert wird und vice versa die linke Körperhälfte von der rechten Hemisphäre. Verbindet man solchem obengenannten Patienten die Augen und gibt ihm beispielsweise einen Korkenzieher in die linke Hand, so kann er diesen Gegenstand nicht benennen, d.h., er kann den Namen nicht finden, der zu diesem ertasteten Gegenstand gehört, aber es macht ihm keinerlei Schwierigkeit, ihn richtig anzuwenden. Diese Situation kehrt sich um, wenn man ihm den Gegenstand in die rechte Hand gibt: Nun weiß er den richtigen Namen, kennt aber den entsprechenden Gebrauch nicht. "

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  4. Ja, diese Versuche mit Trennung des Corpus Callosum. Irgendwie grausig, aber aufschlussreich.

    Zu deinen Verbal- und Analysestärken. Das geht mir auch so, aber es fällt doch auf, dass ich ein viel besserer Schreiber als Redner bin. Beim Schreiben hat mein Hirn Zeit, die Worte hervorzukramen. Beim Reden unter Druck wird es schwierig.

    Du wirst sicher auch Analyse und Verbalfähigkeiten stark trainiert haben. Die Frage ist nicht, ob man die Linke Hirnhälfte nicht auch gut nutzen kann, wenn man sie anzapft, sondern was ist dein Default? Was zapft man zuerst an - links oder rechts? Z.B. in Stresssituationen fallen wir auf unsere Default-Funktionen zurück. Kannst du dann deine Analyse und Verbalfunktionen gut nutzen? Ich eher nicht. Wenn ich aber Zeit, Ruhe und Konzentration habe, funktioniert auch die linke Seite gut.

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  5. Ja Du hast recht, so herum wird ein Schuh draus.
    In Stresssituationen bin ich definitiv kein Verbalmeister, da falle ich eher auf den Kommandostil zurück ;-)
    Meine Analysefähigkeit betrifft das allerdings weniger. Die hilft mir gerade auch in Stresssituationen auch wieder zur ruhe zu kommen.
    Ich glaube da unterscheide ich mich von vielen Menschen.
    Ich habe einige Kollegen in enormen Stresssituationen (z.B. bei schweren Unfällen) erlebt, die dann nur noch instinktiv handeln. Ich bin in solchen Situationen maximal rational, sehe alles ganz klar, kann wunderbar abstrahieren, alle nötigen Schritte abrufen...
    Keine Ahnung woran das liegt, ich habe aber die Vermutung, daß Rationalität in solchen Situationen eine Art psychische Schutzreaktion bei mir ist.

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  6. Aber es gibt doch sicher auch Menschen, bei denen beide Gehirnhälften sehr und gleich aktiv sind, oder? Ich finde mich in beiden Beschreibungen wieder, je nach Problemstellung wird eine Denkmethode bevorzugt, manchmal auch alles durcheinander. Vielleicht sind in manchen Fällen die Hälften besonders vernetzt.

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  7. Hallo Jan,
    interessant, zu lesen, dass sich jmd ähnlich beschreibt, wie ich mich beschreibe. Dabei stoße ich meistens auf fragende Gesichter, die das nicht ganz einordnen oder nachvollziehen können.

    Vor Jahren habe ich im Freundeskreis fallen lassen, dass ich gefühlt eine extrovertierte Introvertierte bin. Das will bis heute keiner so recht akzeptieren :) Fühlt sich aber immernoch genau so an. Das analytische Denken und schnelle Handeln in Stresssituationen, Wortgewandheit, Anpassungsfähigkeit usw. scheinen meinem introvertierten Wesen zu widersprechen. Ich bin gerne unter Menschen, beobachte sehr gerne und stelle immer wieder fest, dass ich einiges mehr wahrzunehmen scheine, als der Durchschnitt. Dies gilt auch für fast alle meine Sinne.

    Ich finde das aber anstrengend. Mittlerweile verstehe ich auch, wieso. Durch das viele Wahrgenommene bin ich einfach schneller "voll", oder der Akku ist eben eher leer.
    Ich vermute, da werd ich noch so manches entdecken..

    LG, Mel

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  8. Hey Mel,

    ähnlich geht es mir auch seit Jahren. Ständig bekommt man zu hören: "Was Du alles wahrnimmst..., wie schnell Du den Kern der Sache triffst..., es ist immer so aufschlußreich mit Dir über gewisse Dinge zu reden..." Ja, das ist es wahrscheinlich, weil wir viel wahrnehmen, viel 'zwischen den Zeilen lesen' und durch logische Denkmuster und relativ strenge schwarz/weiß-Beurteilungen uns herausnehmen eine klare Meinung zu vertreten. Viele Leute schaffen das nicht und freuen sich, wenn ihnen diese Arbeit abgenommen wird.
    Das es uns aber manches Mal auch zu viel wird und wir überrascht angeschaut werden, wenn wir verlauten lassen es sei genung, das ist für einige Menschen in unserem Umfeld wirklich schwer zu begreifen!
    Doch ich denke, so wie wir sind ist es schon ganz in Ordnung. Etwas anders zu sein als der Durchschnitt kann einen doch auch stolz machen! :)

    Gruß, Annna

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