Wir sind von Gehirnen besessen (gefunden auf IMP Awards) |
Bildgebung und Paranoia
Eine Gefahr dabei ist, dass wir annehmen, das Gehirn und alle seine Aktivitäten seien von uns berechenbar und könnten eins zu eins genutzt werden, um über uns selbst hinauszuwachsen. Das kann im Umkehrschluss dazu führen, dass wir uns im Alltag ständig fragen, was dies oder das meinem Gehirn antut. Es kann daraus eine Angst erwachsen, dass jeder Moment unabsehbare Folgen für meine Zukunft hat. Wir blockieren und, wenn wir annehmen, jeder negative Gedanke zerstört unser Ich oder jeder kleine Exzess tötet so und so viele Gehirnzellen. Solche Ängste sind nicht neu, aber sie werden durch die vermeintlich klaren Fakten, die uns durch bildgebende Verfahren suggeriert werden, überzeugend verstärkt. Die gute Nachricht ist: Unser Gehirn ist sehr flexibel und verzeiht uns Exzesse, Schläge und schlechte Stimmungen, solange unsere gesunden Gewohnheiten solchen Ausnahmen entgegenstehen.
Vermeintlicher Dualismus von Körper Geist
Die zugrunde liegenden Fragen sind sehr alt und wir dachten, dass wir Konzepte wie das der Trennung von Körper und Geist (vor allem mit René Descartes assoziiert) überwunden hätten. Die Art und Weise, wie wir heute oft über uns im Zusammenhang mit dem Gehirn reden, scheint aber genau diese Reduktion aufs Gehirn, an dessen Strippen (Nervenbahnen) der Körper nur wie eine Marionette hängt, weiter zu führen. Phantasien wie die, dass wir unseren Geist auf eine Festplatte laden und uns dadurch unsterblich machen könnten, sind Extrembeispiele. Dabei reicht schon ein Blick in die Biologie, um eine Ahnung zu bekommen, wie komplex die Zusammenhänge und Feedback-Mechanismen zwischen Körper und Geist sind. Hormone und Transmitter werden über Organe produziert und transportiert, ohne die das Hirn und seine "Datenverarbeitung" nicht funktioniert. Und externe Sinneseindrücke formen und prägen das Hirn individuell, um nur zwei der offensichtlichsten Abhängigkeitsprozesse zu nennen. Denken, Träumen, Fühlen finden eben nicht im Gehirn statt, sondern in der komplexen Zusammenarbeit aller Organe des Körpers.
Bilder als Interpretation der Wirklichkeit
Ich werde weiterhin mit Bildern und Metaphern des Gehirns arbeiten, weil ich all das für mögliche Interpretationen dessen halte, was wir die Realität nennen. Diese Interpretationen eröffnen uns Zugänge zum Selbstverständnis und zu einem bewussteren Umgang mit uns selbst. Wir dürfen diese Interpretationen der Wirklichkeit nur nicht mit der Realität verwechseln.
Dieser Artikel entstand auf der Basis eines Interviews von Davi Johnson Thornton durch John Lehrer auf dessen Blog The Frontal Cortex.
'Reduktion aufs Gehirn-Körper als Marionette'
AntwortenLöschenVerhalten ist immer nur eine von tagesabhängigen durchschnittlichen, statistischen Möglichkeiten -glücklicherweise NICHT individuell vorhersagbar (***)
Statistik blendet/schneidet Extreme aus, was schade ist und ist für das Nachhaltigkeits-Verhalten der Menschheit trotzdem sehr wichtig zur Kenntnis zu nehmen.
Ich habe gerade am Wochenende ein paar meiner Rezensionen zu amazon hochgeladen, u.a.
http://www.amazon.de/Die-Evolution-Menschen-Thomas-Junker/dp/3406536093/ref=cm_cr-mr-title
(auch Dietrich Dörner)
"Ein weit verbreitetes Menschenbild will es, dass die biologische Komponente des Verhaltens eher negativ gesehen wird,
der kulturelle, d.h. der erlernte dagegen als positiv....
...
Noch immer ist dieser alte Gegensatz zwischen Geistes-und Naturwissenschaften weit verbreitet
so als hätte es z.B. 'Die 3. Kultur' von edge.org nie gegeben..."
Das scheint mir nach wie vor eins der Hauptprobleme 'Der WAHRNEHMUNG' zu sein.
trifft in etwa den alten Graben zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern bzw. Idealisten und Materialisten.
wie lange können wir uns das historisch, global,... gesehen leisten?
innovative Grüße,
EF
*** http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/traffic_jam_texasfreeway_com
http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/DavidPizarro_edge_org
http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/JonathanLevav_columbia_edu
Mein aktuelles Lieblingsbuch zu diesem Thema ist: "Wie unser Gehirn die Welt erschafft" http://www.springer.com/spektrum+akademischer+verlag/spektrum-sachbücher/book/978-3-8274-2343-6
AntwortenLöschenDer Autor hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie abhängig wir von unseren eigenen Interpretationen sind und wie leichtgläubig das "ich" meint, durch zwei Kugeln hindurch auf eine Welt zu blicken, wie sie ist, dabei sitzen wir nur vor unserem eigenen Kopfkino... So spannend!
Danke, Claudia und Erich, für diese Hinweise und Tipps. Was Claudia von diesem Buch beschreibt, klingt für mich nach Konstruktivismus. Für mich die bevorzugte Erkenntnistheorie. Ich kenne das Buch noch nicht, vielleicht sollte ich es kaufen.
AntwortenLöschen"Bilder und Metaphern des Gehirns" - diese sind so eigenwillig und realitätsfern für den einen und so nah und widerwillig für den anderen.
AntwortenLöschenBestände die Voraussetzung, dass sich ein jedes Individuum auf Grund nur seiner Physiognomie in wirklicher Weise erkennen kann - was wäre uns diese Erkenntins wert?
Was wäre uns diese Erkenntnis mit dem vorausschaubarem Wissen wert? Wären wir überhaupt in der Lage - ein Profil mit "diesem Wert" ernst zu nehmen?
Nachdem ich es erst wieder in den Händen hatte, wollte ich noch eine Lektüre ergänzen: Tor Norretranders "Entdecke die Welt" (2000). Bevor ich zuviel schreibe, hier eine gute Zusammenfassung: http://web.archive.org/web/20050405050318/http://www.ngfg.com/texte/ae009.htm
AntwortenLöschenSuper interessant! "Heute verdrängen wir diese unheimlichen Seiten der rechten Gehirnhälfte in uns weitgehend, da es uns unheimlich ist und auch nicht zu unserer Kultur der Kontrolle paßt, daß wir Seiten in uns tragen, die sich jedem bewußten Zugriff gerne entziehen." Muss ich mal drüber nachdenken...
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