9. Januar 2011

Pessimismus und Optimismus als Interpretation

Licht am Ende des Tunnels
Pessimisten sagen gerne von sich, dass sie eigentlich nur Realisten sind. Alleine das ist schon eine hübsche Sprachfigur, denn damit scheint bereits gesagt zu sein, dass der Realität kaum mit Optimismus beizukommen sei. Außerdem scheint bei einer solchen Ansicht von vornherein klar zu sein, dass man mit einem Optimisten eigentlich nicht vernünftig reden kann, denn er hat nun einmal eine realitätsfremde Brille auf. Dass der Begriff Realität selbst schon ungeheuer problematisch ist und mit unseren Wahrnehmungen und den einhergehenden Gefühlen und Stimmungen sehr kompliziert und ziemlich undurchsichtig verknüpft ist, wird dabei vernachlässigt. Es ist aber eine wichtige Tatsache, um das Verhältnis der vermeintlichen Gegensatzpaare Pessimismus und Optimismus zu untersuchen. Offenbar kann die eine Person eine Situation als hoffnungsvoll und viel versprechend erfahren, während eine andere Person dieselbe Situation als hoffnungs- und ausweglos erlebt. Viele Umstände spielen hier eine Rolle, etwa hirnphysiologische oder spezielle Erfahrungswerte und erlernte Reaktionen. Fakt ist, dass einige Menschen ihre Umwelt pessimistischer deuten und andere eben optimistischer. Außerdem haben wir alle sowohl optimistische als auch pessimistische Tendenzen. Was heißt das für unser Leben?

Optimistische Pessimisten und die Metaphysik

Ich stelle bei mir selbst beide Tendenzen in jeweils anderen Dimensionen fest: Im Kleinen und Individuellen bin ich ein Optimist, während ich in großen und globalen Zusammenhängen eher zum Pessimismus neige. Zum Beispiel stelle ich in meiner eigenen Lebensgeschichte fest, dass ich eine Menge Glück und Erfolg hatte und sehe deswegen meiner eigenen Zukunft ganz positiv entgegen. Selbst wenn ich ein vorher optimistisch eingeschätztes Ziel nicht erreiche, sehe ich das nicht als ein durchweg negatives Zeichen, das mich davon abhalten könnte, es wieder zu versuchen. Denke ich jedoch an die Welt als ganzes, die Kriege und Qualen überall, die Überbevölkerung in den ärmsten Regionen, die Umweltverschmutzung, dann habe ich kaum Zuversicht, dass wir das als Menschheit je wieder hin bekommen können. Obwohl ein Blick in die Geschichte und Gegenwart der Menschheit zeigt, dass in der Tendenz die Lebensverhältnisse für den Einzelnen immer besser werden, auch für die benachteiligten Menschen. Ganz am Ende der Geschichte jedoch, werden die kosmischen Gegebenheiten ein Leben auf der Erde sowieso nicht mehr zulassen. Glücklicherweise ist das für mein eigenes Leben völlig irrelevant.

Philosophische Konzepte spiegeln - grob vereinfacht gesagt - diese Dualität. Da wäre zum Beispiel Leibniz zu nennen, mit seiner Auffassung von der Welt wie sie ist, inklusive des nötigen Leids, als die von Gott bestmöglich erschaffene. Schopenhauer hingegen, hat sich als Pessimist einen Namen gemacht, indem er das Individuum und sein Leid in den Mittelpunkt rückte und damit die Richtigkeit des großen Ganzen infrage stellte. Für unser psychisches Erleben der Welt sind solche Standpunkte jedoch kaum relevant. Vielmehr sind es die bereits früh erlernten Verhaltensweisen und die damit einhergehenden täglichen Erlebnisse, die uns prägen.

Prophezeiungen, Teufelskreise und die Auswege zum Machbaren

Dabei gilt für Optimisten und Pessimisten gleichermaßen, dass sie sich täglich in ihren Interpretationen bestätigt sehen. Die realen Geschehnisse haben dabei wenig Einfluss auf die positive oder negative Interpretation. Extremer noch: Durch das Prinzip der Selbsterfüllenden Prophezeiung, also unsere an die optimistische oder pessimistische Vorhersage angepassten Verhaltensweisen, kann es auch objektiv betrachtet dazu kommen, dass der Optimist mehr Erfolg hat und der Pessimist mehr Rückschläge einstecken muss. Daher manifestieren sich unsere jeweiligen Sichtweisen und gewinnen an Kraft und Gewicht, während wir in unserem Leben um uns selbst kreisen. Das heißt aber auch, dass wir auf unsere Dispositionen selbst Einfluss nehmen können, wenn wir aktiv mit ihnen arbeiten.

Ohne dass ich jemanden komplett umkrempeln wollte, denke ich doch, dass ein wenigstens partieller Optimismus, eine Art an sich selbst und das Machbare zu glauben, nötig ist, um die selbst für erstrebenswert gehaltenen Dinge zu erreichen und mithin zu einer Zufriedenheit zu gelangen. Nebenbei bemerkt sind auch negative Stress-Effekte auf die Gesundheit bei sehr pessimistischen Menschen nicht auszuschließen.

Therapien, Coaching und eigenes Training können sehr effektiv dazu beitragen, zu einem partiellen sozusagen pragmatischen Optimismus zu kommen. Anfangen kann man ganz einfach damit, die eigenen negativen Gedanken, Verallgemeinerungen und Selbstgespräche bewusst zu beobachten und zu hinterfragen. Z.B.: Stimmt es wirklich, dass ich immer, aber auch immer Pech habe? Welche Momente fallen mir ein, als ich Glück hatte? Oder: Welche Anhaltspunkte habe ich überhaupt für eine Annahme wie, dass ich als inkompetent wahrgenommen werde? Welches sind Beispiele für meine große Kompetenz in welchen Gebieten und wo ist diese auch anderen offenbar geworden? Solche Check-Ins eröffnen den Weg für eine mehr ausgeglichene Selbstwahrnehmung und damit zu eine positiveren und viel versprechenden Herangehensweise an die Dinge des Lebens.

7 Kommentare:

  1. Wieder mal ein sehr interessanter, schöner Artikel. Nächste Woche werde ich etwas zu Denkmustern und Depressionen schreiben. Da ist durchaus Verwandschaft zu Deinen Thesen gegeben. Stichwort Perzeptionswirklichkeit und self-fulfilling-prophecies.

    Ich kann nur empfehlen, sich abzugewöhnen, alle Erlebnisse umgehend zu bewerten. Bewerten ist ein rationaler Prozess, der für sich alleine vieles verfälschen kann.
    Etwas einfach erstmal zu akzeptieren und abzuwarten,ohne zu bewerten, bedeutet auch seinen Gefühlen eine Chance zu geben, die unter Umständen ganz anders bewerten würden.
    Das Gesamtergebnis, das dann am Ende steht, ist meistens überraschend.

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  2. Danke Jan! Das zur Bewertung und Gefühlen hätte ich nicht besser zusammenfassen können. Wahrnehmung statt Bewertung!

    Ich warte gespannt auf deinen Artikel zur Depression. Schwieriges Thema. Kennst du William Styrons Buch Darkness Visible?

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  3. Das Buch ist mir bisher nicht bekannt. Ist es empfehlenswert?

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  4. Es ist sehr persönlich, recht dünn und sehr literarisch. Styron litt selbst an extremer Depression und hat sozusagen seine Geschichte dazu aufgeschrieben. Er geht weniger in die physiologisch-psychologischen Details als in die gesellschaftlichen Aspekte. Kommt also drauf an, was du suchst. Es ist etwas, dass man an einem Nachmittag verschlingt.

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  5. Ich bin ganz Eurer Meinung: der einzige Weg aus dem Dilemma ist, die Bewertung wegzulassen. Da gibt es doch diese Geschichte, von dem weisen Mann im Dorf, zu dem die Leute immer kommen und ihn fragen, wie etwas zu bewerten sei... -> http://tillytilly.wordpress.com/

    Und ganz pragmatisch gedacht: der Tag geht um, die Erde dreht sich um die Sonne, ob wir so oder so denken. Nachdem es tendenziell anstrengender ist, pessimistisch zu denken, lasse ich es lieber :) Nur darf nicht Optimismus mit der kindlich-naiven Betrachtungsweise verwechseln, wie sie heute millionenfach in Verkaufstrainings propagiert wird: Sei optimistisch, habe Erfolg, irgendwer wird's schon bezahlen. Ich bin für Optimismus gepaart mit Verantwortung für das eigene Handeln.

    Ich kannte einen Mann, chronisch psychisch (schwer-)krank. Als er einmal darauf angesprochen wurde, warum er immer so grantig sei, antwortete er in seiner "liebenswürdig"-unwirschen Art: "Lieber grantig als depressiv!" :)

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  6. Lieber grantig als depressiv, das könnte von einer der legendären Biergarten-Bedienungen stammen...

    "Im Kleinen und Individuellen bin ich ein Optimist, während ich in großen und globalen Zusammenhängen eher zum Pessimismus neige"

    Dazu passt m.E. die immer wieder unterschiedliche Interpretation, z.B. in den Worten von Paul Ehrlich:
    P.R.Ehrlich: ich bin optimistisch, wenn ich mir vorstelle, was die Menschheit tun könnte.
    Ich bin aber sehr pessimistisch, dass sie es tatsächlich auch tun wird"
    http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/PaulREhrlich_stanford_edu

    Der Realist hat noch Hoffnung heisst es an anderer Stelle, während der Moralist schon verzweifelt aufgegeben hat:
    http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/TheMoralist_cloud9_net

    Berücksichtigen sollte man ausserdem die Tendenz, unangenehme Dinge auszublenden, wie Tali Sharot untersucht hat:
    http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/314352.html

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  7. Ein interessanter Artikel, dem letzten Satz "Wer übertriebenermaßen Negativinformationen ausblendet, leugnet damit unter Umständen die Realität und ist in der Folge leichtsinnig, geben die Forscher zu bedenken." würde ich noch anfügen: Er wird nicht nur leichtsinnig, sondern auch verantwortungslos. Wie wär's also statt Optmismus/Pessimismus einfach mit Achtsamkeit? Hier kann ich freudig genießen, bin aber in Kontakt mit der Umwelt und agiere im Rahmen meiner Möglichkeiten verantwortungsvoll (bestrebt, diesen Rahmen zu erweitern, statt zu verkleinern).

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