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Gustave Doré: Dante Alighieri, Inferno |
Zur Zeit lese ich William Styrons Buch
Darkness Visible, ein autobiographischer bis wissenschaftlicher Aufsatz über Depression. Styrons Sprache ist so literarisch, wie es sich für einen Pulitzer Prize-Träger gehört. Als Poet kommt er nicht umhin, gegen den Begriff Depression zu protestieren:
"Depression, wie die meisten wissen werden, hieß zuerst 'Melancholie', ein Wort, dass im Englischen bereits im Jahr 1303 auftaucht und immer wieder auch bei Chaucer vorkommt, der sich in seinem Gebrauch offenbar den pathologischen Nuancen bewusst war. 'Melancholie' scheint immer noch ein viel zutreffenderes und ausdrucksstarkes Wort für die schwärzeren Formen der Krankheit zu sein, doch wurde es überwältigt von einem Substantiv mit fader Tonalität, ohne jede gebieterische Präsenz, ohne Unterschied gebraucht für eine ökonomische Krise oder geologische Unebenheiten, ein wahrer Kümmerling für eine so bedrohliche Krankheit." (Übersetzt nach
William Styron, Darkness Visible, London 2004, S. 36)
Wir haben doch alle mal einen schlechten Tag
Styron meint, dass die Harmlosigkeit des Wortes Depression, an der John Hopkins Medical School vom Schweizer Adolf Meyer geprägt, mit daran Schuld sein könnte, dass die Krankheit lange Zeit so wenig Beachtung fand. Styron beklagt auch, dass das Wort "Brainstorm" bereits für schnöde Ideenentwicklung vergriffen ist, denn es passe hervorragend, auf das, was er erlebte, wenn seine Stimmungstiefs außer Kontrolle gerieten. Das Wort Depression scheine in den Menschen ein Schulterzucken hervorzurufen: "Na und, wir haben doch alle mal einen schlechten Tag."
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William Styron |
Wie Depression die Melancholie ablöste
Adolf Meyer fand 1905, dass Melancholie zu viele ungleiche Zustände beschreibe. Außerdem impliziere der Begriff die kausale Ursache von "schwarzer Galle" am Zustand der Melancholie. Für Meyer, den psychosoziale Zusammenhänge mehr interessierte, waren solche physischen Ursachen reine Spekulation. Die Psychiatrie folgte Meyer in seinem Vorschlag und der Begriff Depression ersetzte den der Melancholie mehr und mehr. Der unten abgebildete Graph zeigt ganz hervorragend, wie sich die Häufigkeit der Verwendung der zwei Begriffe im Englischen nach 1905 erst überschnitten und dann auseinander entwickelten: Depression (rot) wurde zum Wort des 20sten Jahrhunderts, während Melancholie (blau) beinahe nur noch im kunsthistorischen Sinne verwendet wird. Die große Amplitude, die nach 1920 einsetzt und erst nach 1940 wieder nachlässt, ist übrigens der Zeit der Großen Depression in den USA geschuldet (1929–1941). Womit Styrons Kritik an diesem Wort sehr anschaulich belegt wäre.
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Wie der Begriff der Depression den der Melancholie über die Jahrhunderte ablöste |