In dem Aufsatz Coaching and Psychotherapy: Commonality and Difference von Mike O'Halloran und Evelyn Gilmore habe ich einen interessanten Absatz zum Thema persönliche Verantwortung, Selbst-Sabotage und Existentialismus gelesen. Im Kern geht es darum, dass Selbst-Sabotage, also der Gedanke, dass Menschen eher durch sich selbst als durch ihre Umwelt blockiert werden, eines der Grundkonzepte von Coaching und Psychotherapie sei.*
Ich war bei der Begegnung damit sehr überrascht, da ich vor und während des Studiums viel aus dem Bereich Existentialismus gelesen habe und erst jetzt diesen Zusammenhang zwischen existentialistischer/persönlicher Verantwortung und dem Problem der Selbst-Sabotage sah.
Ein zentraler Aspekt des Existentialismus ist die Selbstbestimmung. Darin steckt der Gedanke, dass sich jeder einzelne in einer Entfaltung seiner Möglichkeiten selbst befreien kann. Natürlich kann man sich auch davor drücken, wir müssen eben zu jedem Zeitpunkt immer wieder eine Wahl treffen. Und das ist schwer.
Ich habe manchmal Schwierigkeiten, Leuten mit Empathie zu begegnen, die sich permanent über die Umstände beschweren und andere Leute für ihr eigenes Leben verantwortlich machen, also den Locus of Control außen, anstatt innen zu akzeptieren. Das man selbst die Kontrolle habe, ist einerseits eine optimistische Sicht. Andererseits ist es auch eine harte Sicht, die uns unter den Druck setzt, selbst Verantwortung für unser Gedeih und Verderb zu übernehmen.
Es ist einfacher, alles auf die Umstände zu schieben und daher ein verständlicher Reflex. Auf lange Sicht macht es das Leben jedoch schwerer, denn es führt in Abhängigkeiten und den Verlust der persönlichen Freiheit. In der philosophischen Coaching-Praxis muss man die potentielle Härte des Existentialismus berücksichtigen und die Empathie trotzdem aufbringen, um in der Lage zu sein, den Locus of Control langsam und behutsam nach innen zu verschieben.
Was kann ich tun, um meine Situation zu verbessern?
Was sind meine Stärken, die hier helfen können?
Was ist der nächste kleine Schritt, den ich machen kann, um vorwärts zu kommen?
Solche und ähnliche auf die Machbarkeit zielenden Fragen helfen, die Abhängigkeit von den Umständen abzulegen und den Geist auf eine selbstbestimmte und pragmatische Spur des Lebens zu lenken.
*Der Unterschied sei, dass der Psychotherapeut dem Ursprung dieser Sabotage auf den Grund zu gehen versucht, während der Coach den Klienten vor diesem Phänomen nur warnen kann und ihn bitten sollte, eine Strategie zum positiven Umgang mit den inneren Stimmen zu finden.
Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.
24. Oktober 2009
9. Oktober 2009
Leistungsgesellschaft, Glück und Erfolg
In der Leistungsgesellschaft ist es vor allem der Erfolg, der uns glücklich zu machen hat. Er folgt - so die Grundannahme - der von uns erbrachten Leistung. Er lindert den stechenden Neid, den wir fühlen, wenn andere erfolgreich sind. Er verschafft uns Neid erheischende Statussymbole, ein sicheres Einkommen und Familien, die uns als potente Ernährer schätzen. Wir fühlen uns als Mitglieder der Gesellschaft bestätigt, in ihr angekommen. Das alles zusammengenommen lässt uns glücklich sein - angeblich.
Neid ist der eine große Antrieb unserer Gesellschaft und ein sehr moderner. Die Bauern der vergangenen Jahrhunderte waren nicht neidisch auf den Kaiser und dessen unsagbaren Reichtum. Denn sie konnten sich nicht mit ihm vergleichen. Er war aus einer anderen, unerreichbaren Sphäre der Gesellschaft. Heute gibt es keine Stände mehr, jeder trägt Jeans und hat vermeintlich die gleichen Voraussetzungen, um sein eigenes Glück zu schmieden. Es gibt angeblich nichts, dass mich daran hindern würde, ein Kanzler zu werden oder ein Rockstar oder wenigstens ein Millionär.
Wo kommt der Stress her?
Die Logik der meritokratischen Leistungsgesellschaft, wo also der, der sich streckt und Leistung bringt auch seinen Rang verdient, scheint im Umkehrschluss zu meinen, dass der, der keinen Erfolg hat, auch selbst daran Schuld ist. Solche unterschwelligen, aber weit verbreiteten Annahmen setzen viele von uns unter einen immensen Druck, dessen Ursprünge und Alternativen im Alltag oft nicht zu entdecken, dessen Folgen aber in Stress und Unzufriedenheit hart zu spüren sind. Wir haben Angst vor dem Scheitern, denn dann wird unsere Unzulänglichkeit deutlich und wir dem Urteil der anderen ausgesetzt. Und diese Angst vor dem Versagen ist der andere große Antrieb der Leistungsgesellschaft. Anders als zu Zeiten der griechischen Tragödie, als ungenügende Umstände oder zornige Götter noch zum Scheitern führten, kann man heute nicht mehr edel scheitern.
Wundersamer Weise übernehmen viele von uns die egozentrische Lebensphilosophie der Leistungsgesellschaft und versuchen ihr Leben danach auszurichten. Coaching zur Leistungssteigerung hat Hochkonjunktur. Überall kann man lesen, wie man erfolgreich und mithin glücklich wird. Das Einmaleins dazu kommt aus der Management-Schule: Plan & Execute. Die zwei Voraussetzungen: Man muss erstens wissen, was man will und zweitens muss man wissen, wie man es bekommt. Auch Stretch Goals sind beliebt. Also ausschließlich die Früchte begehren, die so hoch hängen, dass man sich danach strecken muss. So wachse man über sich hinaus.
Was will der Mensch wirklich?
Das seien die Rezepte, um erfolgreich und glücklich zu werden. Das eigentliche Problem ist damit jedoch noch gar nicht erkannt: Es ist uns Menschen gar kein grundlegendes Bedürfnis zu planen, Ziele zu setzen und dann auch noch hart daran zu arbeiten. Das ist viel zu anstrengend. Wie überall im Leben geht es vornehmlich darum, Aufwand zu minimieren und angenehm stimuliert zu überleben. Wir wollen essen, uns amüsieren und auf der faulen Haut liegen. Die meisten von uns würden sich freuen, wenn sich die Dinge im Leben so dahinschuckelten. Es wäre doch total pervers, wenn wir nur unter Anstrengungen glücklich sein könnten, indem wir permanent auf Hochtouren funktionieren. Deshalb ist auch Lotto so beliebt. Wenn man die Zahlen angekreuzt und die 10 Euro bezahlt hat, dann hat man alles menschenmögliche für sein Glück getan. Dann heißt es nur noch warten. Wenn es nicht klappt, dann ist es jedenfalls nicht unsere Schuld.
Was ist Erfolg für dich?
Wenn man schon erfolgreich sein will, dann könnte man vielleicht aufpassen, dass man eine eigene Vorstellung von Erfolg entwickelt und nicht einfach die übernimmt, die man von seinen Eltern, Lehrern oder Kultureliten serviert bekommt. Dazu ist es nötig, dass man den Erfolgs-Neid und die Angst zu Scheitern hinter sich lässt und sich Ziele setzt, die einen wirklich erfüllen. Sicher: Diese Ziele zu identifizieren, ist leichter gesagt als getan. Aber sich selbst dazu zu befragen, ist ein guter Anfang.
Neid ist der eine große Antrieb unserer Gesellschaft und ein sehr moderner. Die Bauern der vergangenen Jahrhunderte waren nicht neidisch auf den Kaiser und dessen unsagbaren Reichtum. Denn sie konnten sich nicht mit ihm vergleichen. Er war aus einer anderen, unerreichbaren Sphäre der Gesellschaft. Heute gibt es keine Stände mehr, jeder trägt Jeans und hat vermeintlich die gleichen Voraussetzungen, um sein eigenes Glück zu schmieden. Es gibt angeblich nichts, dass mich daran hindern würde, ein Kanzler zu werden oder ein Rockstar oder wenigstens ein Millionär.
Wo kommt der Stress her?
Die Logik der meritokratischen Leistungsgesellschaft, wo also der, der sich streckt und Leistung bringt auch seinen Rang verdient, scheint im Umkehrschluss zu meinen, dass der, der keinen Erfolg hat, auch selbst daran Schuld ist. Solche unterschwelligen, aber weit verbreiteten Annahmen setzen viele von uns unter einen immensen Druck, dessen Ursprünge und Alternativen im Alltag oft nicht zu entdecken, dessen Folgen aber in Stress und Unzufriedenheit hart zu spüren sind. Wir haben Angst vor dem Scheitern, denn dann wird unsere Unzulänglichkeit deutlich und wir dem Urteil der anderen ausgesetzt. Und diese Angst vor dem Versagen ist der andere große Antrieb der Leistungsgesellschaft. Anders als zu Zeiten der griechischen Tragödie, als ungenügende Umstände oder zornige Götter noch zum Scheitern führten, kann man heute nicht mehr edel scheitern.
Wundersamer Weise übernehmen viele von uns die egozentrische Lebensphilosophie der Leistungsgesellschaft und versuchen ihr Leben danach auszurichten. Coaching zur Leistungssteigerung hat Hochkonjunktur. Überall kann man lesen, wie man erfolgreich und mithin glücklich wird. Das Einmaleins dazu kommt aus der Management-Schule: Plan & Execute. Die zwei Voraussetzungen: Man muss erstens wissen, was man will und zweitens muss man wissen, wie man es bekommt. Auch Stretch Goals sind beliebt. Also ausschließlich die Früchte begehren, die so hoch hängen, dass man sich danach strecken muss. So wachse man über sich hinaus.
Was will der Mensch wirklich?
Das seien die Rezepte, um erfolgreich und glücklich zu werden. Das eigentliche Problem ist damit jedoch noch gar nicht erkannt: Es ist uns Menschen gar kein grundlegendes Bedürfnis zu planen, Ziele zu setzen und dann auch noch hart daran zu arbeiten. Das ist viel zu anstrengend. Wie überall im Leben geht es vornehmlich darum, Aufwand zu minimieren und angenehm stimuliert zu überleben. Wir wollen essen, uns amüsieren und auf der faulen Haut liegen. Die meisten von uns würden sich freuen, wenn sich die Dinge im Leben so dahinschuckelten. Es wäre doch total pervers, wenn wir nur unter Anstrengungen glücklich sein könnten, indem wir permanent auf Hochtouren funktionieren. Deshalb ist auch Lotto so beliebt. Wenn man die Zahlen angekreuzt und die 10 Euro bezahlt hat, dann hat man alles menschenmögliche für sein Glück getan. Dann heißt es nur noch warten. Wenn es nicht klappt, dann ist es jedenfalls nicht unsere Schuld.
Was ist Erfolg für dich?
Wenn man schon erfolgreich sein will, dann könnte man vielleicht aufpassen, dass man eine eigene Vorstellung von Erfolg entwickelt und nicht einfach die übernimmt, die man von seinen Eltern, Lehrern oder Kultureliten serviert bekommt. Dazu ist es nötig, dass man den Erfolgs-Neid und die Angst zu Scheitern hinter sich lässt und sich Ziele setzt, die einen wirklich erfüllen. Sicher: Diese Ziele zu identifizieren, ist leichter gesagt als getan. Aber sich selbst dazu zu befragen, ist ein guter Anfang.
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