Geist und Gegenwart

Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.

24. März 2024

Die verletzliche Demokratie wehrt sich doch

"Mit Tyrannei meine ich eine Situation,
in der ein Einzelner oder eine Gruppe genug
Macht erlangt hat, um den Rechtsstaat zu umgehen."
(Timothy Snyder)

Populismus ist, wenn Milliardäre betteln gehen müssen

Ein angeblicher Milliardär versucht in diesen Tagen eine halbe Milliarde Dollar aufzutreiben und als Kaution zu hinterlegen, damit er das gegen ihn ergangene zivilrechtliche Urteil wegen Finanzbetrugs in einem Revisionsprozess anfechten kann. Es scheint so, als sei Donald Trump gar kein Milliardär oder zumindest kein liquider Milliardär. Nun geht er betteln: bei befreundeten Versicherungsunternehmern, bei Elon Musk, bei seiner Familie, bei ausländischen Machthabern – irgendwer muss ihm doch die halbe Milliarde borgen können. 

Trump Mug Shot (Fulton County Sheriff's Office)

Trump schreibt sogar seine Wähler an, dass sie ihm kleine und große Summen überweisen sollen, damit er nicht seine Golfclubs und Hochhäuser liquidieren muss. Der Milliardär bettelt bei den Ärmsten in seinem Land, damit er ein reicher Mann bleiben kann. Aber er ist wirklich in einer prekären Lage, in die er sich selbst gebracht hat. Man hat ausgerechnet, dass er täglich ca. $ 200.000 an Anwalts- und Verfahrenskosten anhäuft. Und niemand will ihm mehr helfen, denn Trump ist bekannt dafür, dass er seine Schulden nicht zurückzahlt. Morgen läuft die Frist für die Kaution aus und danach wird die Staatsanwaltschaft anfangen, seine Immobilien zu konfiszieren.

Als eine weitere vielleicht helfende Maßnahme gegen die eskalierenden Rechtskosten hat Trump seine Schwiegertochter in den Vorstand des Republikanischen Nationalkommittees (RNC) gesetzt, um die dort eingetriebenen Wahlkampfgelder direkt an ihn durchzuschleusen. So muss er die Anwalts- und Gerichtskosten nicht aus seiner eigenen Tasche bezahlen. Schon eine starke Nummer in einer Demokratie. Stellen wir uns vor, dass er wirklich von Elon Musk oder den saudischen Machthabern eine halbe Milliarde Dollar erhält, damit er doch noch Präsident wird... Ein Präsident, gekauft von einem Tech-Milliardär oder einem fremden Staat? Das klingt nach einer vielversprechenden Amtszeit – zumindest für die, die ihn dann in der Tasche haben. 

12. Januar 2024

Der Mann auf dem Weg ins Gefängnis oder ins Weiße Haus

Reaktionen eines demokratischen Rechtsstaates auf seine drohende Abschaffung

Wir leben in einer Zeit, in der Demokratie sich wieder bewähren muss. Man sieht es überall, auch bei uns an den immer größer werdenden antidemokratischen Rändern. Am deutlichsten sieht man es aber gerade dort, wo vor dem Verfassungsgericht (Supreme Court der USA) die Frage geklärt werden muss, ob ein Präsident im Amt einfach seinen politischen Gegner umbringen lassen darf. Dass diese Frage überhaupt im Raum steht, ist einfach atemberaubend und zeigt, wie prekär die Lage ist. Donald Trump, ehemaliger und hoffnungsfroher zukünftiger Präsident der USA meint jedenfalls, dass ihm ein solches Recht zustünde. Ob er dieses "Recht" auch dem derzeitigen Präsidenten Joe Biden zugestehen würde?

Screenshot aus Alex Wagner Tonight, 10.01.2024


Wie geht's weiter mit Donald Trumps zahlreichen Gerichtsverfahren, in denen er unter anderem der "Verschwörung, andere an der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu hindern, nämlich der Rechte, ihre Stimme abgeben und rechtmäßig zählen zu lassen zu können" angeklagt wurde (United States of America v. Donald J. Trump, Defendant)? 

Es geht hier nicht um Trump als Person, sondern um diesen historisch einmaligen Zeitpunkt, an dem wir uns befinden und an welchem sich in der mächtigsten Demokratie der Welt entscheiden wird, ob sie eine Demokratie bleiben kann. Nicht oft hat man im Leben das (Un-) Glück, solchen historischen Momenten beizuwohnen und sie in Echtzeit analysieren zu dürfen. Let's go.

3. Dezember 2023

Küsst du mit diesem Mund auch deine Mutter?

Anstand, Tugend und Würde in der Öffentlichkeit

Kaiser Nero: Man-child, Gopnik, Peter Pan (Abraham Janssens van Nuyssen: Nero, Ausschnitt)

Wir kennen alle die Geschichte vom Kaiser Nero als größenwahnsinnigen Tyrannen, der lasterhaft und mit Grausamkeit das antike Rom beherrschte. Inspiriert von Neros Niederbrennens seiner eigenen Stadt, wies Adolf Hitler am Ende des zweiten Weltkrieges mit dem sogenannten "Nerobefehl" die Zerstörung der deutschen Infrastruktur an. Wir alle haben sicher auch schon von Iwan dem Schrecklichen gehört, der schon als Kind durch Sadismus gegenüber Tieren auffiel und später seinem Volk Massenhinrichtungen, grausamste Foltermethoden und andere Grausamkeiten wie diese zukommen ließ:

"Einmal ließ er einen Fürsten in ein Bärenfell einnähen und auf das Eis bringen. Als seine großen Hunde den vermeintlichen Bären in Stücke rissen, belustigte der Zar sich so sehr, dass er vor Freude nicht wusste, auf welchem Bein er stehen sollte." (Peter Petrejus: Historien und Bericht im Großfürstenthumb Muschkow. Leipzig 1620 – Wikipedia)

Ich glaube, diesen historischen Figuren wurde in Games of Throns die Figur King Joffrey (Baratheon) gewidmet. Ein tyrannisches und grausames Kind mit absoluter Macht über ein ganzes Königreich und seine beklagenswerten Einwohner.

18. November 2023

Sterben lernen #2: Ein Schierlingsbecher voll Hoffnung

Sokrates' Wiederauferstehung

"Der Mensch bringt sein Leben damit zu, daß er lernt, was er wußte..."

So bringt Vladimir Jankélévitch (Der Tod, Suhrkamp, 2017, S. 22) die antike Metapher vom Sterben lernen auf einen paradoxen Punkt. Denn, dass jeder Mensch einmal sterben muss, ist so ein allgemeines Gesetz, dass jeder es wohl weiß. Aber man weiß es als allgemeines Gesetz und man weiß erst einmal nichts darüber, was das genau für einen selbst heißt. "Das Ereignis, das wie kein anderes vorauszusehen ist, ist paradoxerweise das unvorhersehbarste." (Ebd. S. 29) "Erst wenn er in das Nichts zurücksinkt und dem Sein entrissen wird, erfährt der Mensch die Tatsächlichkeit der Veränderung." (Ebd. S. 24) Was ist diese "Tatsächlichkeit der Veränderung"?

Der Tod des Sokrates, Jacques-Louis David, 1787 (gemeinfrei)

Platon schwebt offenbar keine allzu negative Veränderung vor. Wenn Sokrates im Phaidon sagt, dass "die richtig philosophierenden danach [trachten] zu sterben" und wenn er weiter meint, dass "tot zu sein [...] ihnen unter allen Menschen am wenigsten furchtbar" sei, dann ist damit nicht gemeint, dass sich Philosophen besser auf den Tod vorbereiten und durch Weisheit den Tod akzeptieren lernen können. Bei Platons Sokrates ist es eher umgekehrt: Die Philosophen versuchen schon im Leben insofern tot zu sein, als dass sie schon lebend versuchen, die Seele vom Körper zu trennen. "Befreiung und Absonderung der Seele von dem Leibe" sei geradezu "das Geschäft der Philosophen". Sokrates entschied, nicht vor der Hinrichtung zu fliehen, freut sich gar auf den Tod, denn erst im Tod, könne er die Ideen selbst schauen und damit durch und durch philosophisch in Platons Sinne werden:

"Nämlich diejenigen, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, mögen wohl, ohne daß es freilich die Andern merken, nach gar nichts anderm streben, als nur zu sterben und tot zu sein."

"Auch ziemt es sich ja wohl am besten, daß der, welcher im Begriff ist dorthin zu wandern, nachsinne und sich Bilder mache über die Wanderung dorthin, wie man sie sich wohl zu denken habe. Was könnte einer auch wohl noch weiter tun in der Zeit bis zum Untergang der Sonne!" (Platon: Phaidon, projekt-gutenberg.org 18.11.2023)

5. Oktober 2023

Sterben lernen – #1: Akzeptanz, anstatt Hybris

"Philosophieren heißt sterben lernen", meinte Platon. Ein starker Satz, den wir uns in der Lektion 2 genauer ansehen müssen, denn er flüstert in unsere heutige Ohren einen modernen, existenzialistischen Sinn, der ursprünglich nicht gemeint war. Aber erst einmal: Einfach so dahin leben und irgendwann tot sein? Oder lieber sukkzessive weiser werden und versuchen mit dem Nicht-Sein vor und nach uns, einem erfüllten Sein näher zu kommen? Mir gibt die Endlichkeit viel Freiheit: Was zählen all die kleine Sorgen im Angesicht der Ewigkeit? Und sie motiviert mich, das Beste aus dem zu machen, das mir gegeben wurde (christlich gesagt) oder zu dem ich gezwungen wurde (existenzialistisch gesagt). 

Manche Bäume werden über 500 Jahre alt, und gerade die so genannte Krönung der Schöpfung muss mit 80 abtreten? (Friederike Mayröcker)

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