6. Februar 2018

Misanthropie, die Erkenntnis des verletzten Lebens

Fragt weiter wie die Kinder: Und wieso?

Ich habe mich immer schon zur Misanthropie bekannt, bin selbst mal ein Misanthrop, mal keiner und habe grundsätzlich große Sympathie mit Misanthropen. Denn wie ich schon im Artikel Wie wird man ein Misanthrop? geschrieben habe:

"Wie könnte man sich denn ohne Abscheu ansehen, wie wir nicht aufhören, uns in Kriegen und Massakern gegenseitig zu vernichten, wie wir vergewaltigen, foltern, die Natur in Asche legen oder in industriellem Stile Tiere quälen? Wie kann man eine solche unzivilisierte Zivilisation nicht hassen? Wie kann man sich nicht wünschen, all das hörte bald auf?"

Was mir jedoch Sorge macht, ist ein unhinterfragter Menschenhass, einer der nicht mehr verschwindet, sich verschärft und in unsere Gesellschaften einsickert. Misanthropen sind oft wütende, stolze Menschen, wutstolz auf ihre selbstgefühlte Sonderstellung, selbstgerecht in ihrer Verachtung der anderen, hochmütig in ihrer Ablehnung des Daseins. Nicht selten beziehen Misanthropen sich selbst in ihren Menschenhass mit ein, ohne das als einen Widerspruch zu ihrer vermeintlichen Sonderstellung zu sehen. Als Extrem könnte man da Emil Cioran mit seinem Satz nennen: "Ich verzeihe mir nicht, geboren zu sein."

Zarathustra – der erste Misanthrop? (Quelle: Wikipedia)

Wir meinen, dass es heutzutage kein Wunder sei, wenn wir die Menschheit, so destruktiv wie sie im Moment als Masse ist, ablehnen. Dabei ist es im Grunde ein ganz altes Denkmuster aus antiken dualistischen Religionen wie dem persischen Zoroastrismus lange vor Christi Geburt (bekannt aus Nietzsches "Zarathustra") oder den bis zum frühen Mittelalter in seinen vielen Schattierungen weit verbreiteten Gnostizismus. Diese dualistischen Religionen hatten einen ganz erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der heutigen monotheistischen Religionen wie das Christentums. Der Grundgedanke ist:

"Das wahre Selbst des Menschen ist ein Teil des göttlichen Seins, der sich durch einen Sturz in die Materie verloren hat." (Walter Brugger, Philosophisches Wörterbuch, Gnostizismus, S.151)

Die Schöpfung als Unfall, sozusagen. Dualistischen Religionen liegt die Überzegung zugrunde, dass es zwei Mächte gibt: eine gute und eine böse Macht, z.B. den guten Gott Ahura Mazda und den bösen Angra Mainyu im Zoroastrismus. Wäre die Exitenz doch rein geistig, dann gäbe es all die Probleme nicht. Unsere Existenz ist aber auf den Körper angewiesen, also ist bereits die Geburt selbst die Sünde des Menschen, so wie für Gnostiker schon der Moment der Schöpfung das eigentliche Unheil ist.

Aus solch einem Denkmuster stammen nicht nur die Dualismen von Körper (böse oder niedrig) und Geist (gut oder erhaben) oder der Teufel und die Engel im Christentum, sondern auch die verschiedendsten asketischen Bemühungen, die wir aus allen großen spirituellen Praxen wie Buddhismus, Islam oder Christentum kennen und die heute im Meditations-, Vegan- und Minimalismus-Hype den Tod Gottes überlebt haben. Denn die Askese reduziert das Weltliche und maximiert das Göttliche; wenn wir durch diesen Verzicht sterben, umso besser.

Die Geburt als Sünde

Was hat das mit Misanthropen zu tun? Ganz einfach: auch für heutige Misanthropen besteht die Ungeheuerlichkeit bereits im Existieren-müssen, auch wenn ihnen das zuallererst an der Existenz der anderen Menschen auffällt. Und weil der Weg ins Unheil, den jeder selbst gehen muss, bei den Misanthropen wie bei den Gnostikern immer individuell und nicht verallgemeinerbar ist, rückt bald auch die eigene Existenz in den negativen Fokus.

Was den Misanthropen in der Regel fehlt, ist eine Umkehrmöglichkeit wie die alt-religiöse, absolute Askese der Gnostiker, die den Körper verschwinden lässt und nur den Geist mit seinem göttlichen Funken hinauf ins Himmelsreich fahren lässt. Heutige Misanthropen sind dafür zu weltlich, nicht spirituell genug.

"Sie können weder die Welt noch sich selbst vergessen, sie leben als Gedächtnisse der Wut. Sie sind Pathetiker des Steckenbleibens, trotzige Opfer der Vergewaltigung zum Sein-müssen – ihr Selbstbewusstseinsfunke glüht im Beharren auf dem Recht, beleidigt zu bleiben." (Peter Sloterdijk Nach Gott, S. 99)

Es wäre eine Hypothese, die man untersuchen könnte, dass nur Agnostiker und Atheisten zu Misanthropen werden können. Im Grunde fehlt ihnen die Konsequenz im Ansatz. Prinzipiell gibt es zwei mögliche Konsequenzen: Entweder mitmachen mit der Welt, so werden wie sie, sich beschmuztzen und dann als der Geringste unter den Menschen geläutert seinen Weg zurück anzutreten. Oder gar nicht erst mitmachen, gleich Askese, gleich sich verflüchtigen ins Geistige.

Gibt es für Misanthropen einen Weg zurück?

Für die zweite Option ist es bei Misanthropen zu spät, denn sie sind mitten drin in der Welt und hassen ja gerade das. Hier besteht immer die Gefahr, sich einzurichten "im listigen Stillstand eines schwarzen Kitsches", wie es Sloterdijk formuliert (a.a.O., S. 102). Im Grunde ist das Wesen der Misanthropie genau dieser Stillstand, dieses Steckenbleiben in der Ablehnung, diese fehlende Konsequenz.

"Der Rückweg der schwarzen Psychiker kann mit ereignishaften Ausbrüchen von Haß beginnen. Wenn dieser sich im Schmerz auf den Grund kommt, entsteht Gnosis des verletzten Lebens." (A.a.O.)

Mit dieser haßerfüllten Ablehnung all dessen, was ist, könne man zumindest aus dem Stillstand ausbrechen und nach Auswegen suchen. Gnosis heißt nicht viel mehr als "Erkenntnis", das heißt der Hass ist eine zum Schmerz hin zu durchbrechende Mauer, denn erst jenseits von ihr, jenseits vom Hass finden wir die Erkenntnis. Für Gnostiker war es ein Ausweg, sich selbst als "nichts" zu denken und damit als ein Teil Gottes. Als ein Teil Gottes konnte man dann wiederum Anschluss finden an all die anderen verlorenen Seelen, die auch nichts sind und ein Teil Gottes. Da ist also eine Öffnung für die Liebe.

Man kann das auch weltlich wenden und ohne Gott denken: Wenn der Misanthrop meint, wir alle wären nichtswürdig, dann teilen wir zumindest dieses Schicksal. Wenn der Misanthrop dann noch versteht, dass sein Hass vielleicht in Trauer oder Schmerz gründet, dann kommt damit eine Öffnung des Mitleids, der Empathie und vielleicht auch der Liebe in die Welt. Aber das kann man niemanden enempfehlen, wenn man nicht psychologisieren und damit anderen etwas unterstellen will. Eine Empfehlung jdeoch kann man auch Misanthropen geben:

Bleibt nicht mit eurem Pathos stecken in eurem Hass, beharrt nicht auf eurem Recht, beleidigt zu sein, macht euch nicht zu Opfern des Sein-müssens! Bleibt oder werdet wieder neugierig: Fragt, wo euer Hass herkommt und wenn ihr eine Antwort findet, dann fragt weiter, wie die Kinder: "Und wieso?" Vielleicht kommt ihr an bei einer Art Trauer oder Melancholie, die immer noch besser sind als der Hass. Vielleicht kommt ihr an bei einer Enttäuschung, die immer noch besser ist, als der unerklärliche Schmerz, getäuscht zu werden. Vielleicht kommt ihr an bei einer Art Vergebung gegenüber den anderen, die ihr verachtet. Vielleicht kann sich auch ohne einen Gott eine Öffnung für die Liebe finden.



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17 Kommentare:

  1. Eine kurze erste Antwort (mögen noch weitere folgen):
    Wir sind Teil der Evolution und Agression an sich gehört seit Anbeginn an zu einer Art Triebfeder der Bestandssicherung und Weiterentwicklung.
    Mit unserem Erbe müssen wir auskommen. Draufhauen und Verdammen ist sinnlos.
    Schauen wir lieber, was wir tun können.
    Liebe und Nachsicht!
    Auch ein Monster kann Schönes gebären. Schauen wir dankbar hin.

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  2. Schade eigentlich, dass es keine moderne Religion gibt, die ohne unbeweisbare Geschichten und Dogmen auskommt und auch nicht versucht, Macht zu erringen.

    Ihre Aufgabe wäre es, den heutigen Individuen Symbole und Rituale zur Verfügung zu stellen, um besser mit der Realität zurecht zu kommen. Quasi ein läuterndes, beruhigendes und motivierendes Psychotheater, das mit den "dämonischen" Aspekten im Menschen umzugehen lehrt - und ebenso dabei hilft, die göttlich-engelsgleichen Aspekte zu sehen und zu stärken.

    Statt dessen haben wir Süchte, Karrierismus und Konsumwahn - und "weltlich" keine wirklich greifenden Rezepte dagegen. Die Vernunft allein ist nun mal zu wenig für ein erfülltes Leben.

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    1. Das wäre ein guter, vielleicht notwendiger Schritt für die Menschheit. Alain de Botton verflgt diesen Ansatz mit seiner School of Life, dort gibt es auch soetwas wie eltliche sonntägliche Messen. Ein Modell, dass es inzwischen auch schon in Deutschland gibt. Vielleicht ist es gerade die fehlnde Magie, die es schwer macht, soetwas in der Breite attraktiv zu machen.

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  3. Hatte ich schon von Robert Sapolsky gesprochen?
    Dessen Mammutwerk lese ich ja gerade...und er stellt sich die Frage
    a) worin genau besteht unser "Gefangensein", unser Nichtanderskönnen und schlägt ein großes Rad über Biologie und Soziologie.
    b) worin bestehen unsere Möglichkeiten?

    Das Buch klärt auf, nennt und benennt die Conditio humanae (und nicht nur die, denn selbst einfachste Organismen versuchen sich im "Täuschen"), aber er erklärt den Menschen definitiv nicht als verloren - denn er hat ein mächtiges Werkzeug, das der Erkenntnis.

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    1. Interessant, dazu würde ich gern mehr lesen.

      Auch spannend, dass du "ein mächtiges Werkzeug, das der Erkenntnis" sagst. Das dachten die Gnostiker (daher der Name gnosis) auch von sich: Wahre Selbsterkenntnis lief für sie darauf hinaus, dass sie ihren Materieteil, das weltliche Ich, als Böse deklarierten und somit nur einen Weg kannten: sich zu entweltlichen oder auch zu entleiben.

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  4. Schöner Artikel. Finde mich sehr in den Beschreibung. Verdammt zum sein, Gefangen in der Alternativlosigkeit der menschlichen Existenz usw.
    Ich sehe mich in gewisser weise als philantropischer Misanthrop: Ich helfe und unterstütze gerne Menschen möchte aber (dabei) möglichst wenig oder gar nichts mit Ihnen zu tun haben. Hängt auch mit einer gewissen emotionalen Faulheit zusammen. Es muss nicht alles aus Mitgefühl und Empathie enstehen. Mich stört einfach das Menschen offenbar immer irgendwas narratives/spirituelles brauchen und die Sache (oder die Werte) an sich nicht ausreichen. Ständig braucht es irgendein "etwas", eine Art Medium (Religion, Nationalstolz, etc) um irgendwas recht zufertigen. Ich kann auch aus sagen wir "sozialer Rationalität" gutes tun, ohne Mitgefühl oder Mitleid (sehr stoisch eben). Bin ich pünktlich und zuverlässig, weil ich Deutscher bin? Bullshit. Ich habe mich dazu entschieden, weil es mir wichtig ist.

    Abgesehen davon ist "meine" Misanthropie auch darin begründet das man immer mehr den Eindruck bekommt das wir Menschen unserer eigene Entwicklungsfähigkeit verleugnen. Ständig läuft es immer darauf hinaus: "Der Mensch ist halt so. Das ist unsere Natur usw." Das geht mir unheimlich auf den Sack. Insbesondere wenn dieses (sorry) verkackte Weltwirtschaftssystem ständig damit legitimiert wird als wenn Erwerbs- und Lohnarbeit etwas natürliches sind usw. Einfaches Leben gilt als Arm. Ich glaub das sehr viele Arme Menschen an so vielem so viel Reicher sind als die (finanziell/materiell) reichen Menschen.

    Menschlich/Unmenschlich ... auch so absurd. Eigentlich ist alles was Menschen tun auch Menschlich. Was uns nicht gefällt spalten wir ab von uns. Ein kollektives selbst belügen es als "unmenschlich" zu bezeichnen. Irgendwie infantil, oder nicht?

    Ich mag die Menschen bzw. die Menschheit nicht. Ich mag das Mensch sein nicht. Taedium Vitae Aber es gibt eben keine Alternative daher eben eigentlich auch keinen Ausweg.

    Empfehlung: Auf Netflix läuft zur Zeit "Altered Carbon". Extremes philosophisches Potenzial! Körper und Geist sind NICHT eins. Menschliche Bewusstsein können in Tiere gepflanzt werden. Ein Geist kann mehrere Körper gleichzeitig steuern.
    Und dennoch bleiben wir schlaue, trieb-gesteuerte Affen ... ;)

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    1. Danke für den Kommemntar und den Tipp am Ende. Ich kann das mit der stoischen Rationalität sehr nachempfinden (wenn das kein Widerspruch ist). So fühlt es sich für mich auch an. Ich mache Dinge, weil sie mir sinnvoll erscheinen und nicht, weil sie in irgendein Narrativ passen (hier wäre zu schauen, ob mein Empfinden von "sinnvoll" nicht selbst so ein Narrativ voraussetzt).

      Interessant auch deine EInlassungen zum Thema Wirtschaftssystem und Armut. Wir leben ja in einem "Ismus" (also jetzt Kapitalismus) und das ist ein Narrativ, eine Ideologie vieleicht. Sie beruht auf der Erzählung, dass durch den Fortschritt der Wissenschaften der Wohlstand, die Waren und Dienstleistungen immer anwachasen. Das können wir aber nur nutzen und unterstützen, wenn wir uns nicht verweigern, sondern mitmachen, also konsumieren. Wer "arm" sein möchte, ist sozusagen "asozial", weil er die weltweite soziale Mission des immer weiter wachsenden Kuchens, der letztlich auch den heute nicht freiwillig Armen zukommen wird, nicht unterstützt. In dieser Logik ist arm = böse.

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    2. Hallo Gilbert, weiter unten einiges von mir dazu. Nur noch was konkret zum Arm sein. Ich selbst gehe seit etwa 2 Jahren keiner Erwerbstätigkeit nach und lebe überwiegend von Ersparnissen (Kein Hartz 4 oder sonstige Transferleistungen). Ich suche eine Job ... Teilzeit, etwa 20/25 Std. die Woche. 800,- Euro netto im Monat würden mir völlig reichen, ggf. 900,- wenn ich doch ein Auto oder ÖPNV bräuchte um zum Job zu kommen ... (wobei es auch blödsinnig ist Geld zu verdienen, was man nur braucht umdahin zu kommen, wo man es verdient). Offiziell würde ich dann als Arm oder Armutsgefährdet gelten. Ich würde sogar noch weniger Geld brauchen wenn ich ggf. einen Garten oder Hof hätte zur Selbstversorgung. Dann würde sogar ein 450,- Euro Job reichen.

      Es ist genau wie Du es beschreibst: Es ist ein richtiges Stigma. Wenn ich bei der Arbeitsagentur oder sonstigen Vermittlern selbst in Vorstellungsgesprächen mich erkläre gerate ich nur auf Unverständnis: "Sie wollen nicht mehr Geld?" "Keine Karriere?" "Davon können Sie leben?" JA VERDAMMT! Ich will und brauche nicht mehr und habe es Satt mir ständig zu erklären. Ihr seht mich als Arm? Bitte. Ist mir Egal!
      Aber es ist wie Du schreibst. Man gilt als fauler Leistungsverweigerer der nicht in die Leistungsgesellschaft (Leistungskultur) passt. Bescheidenheit ist Asozial geworden? Immer mehr komme ich mir vor wie im Mittelalter. Ich kämpfe nicht gegen religiöse Dogmen sondern gegen wirtschaftliche.

      Zumal ich mit der gewonnenen Freizeit ggf. sogar ehrenamtlich Tätig werden wollte und so für die Gesellschaft mehr erreichen könnte, als wie bisher in einem Job der mich bis zu 60 Std. die Woche gekostet hat. Dieser hat mich zum Schluss nur noch angekotzt. Ich soll viel leisten für Dinge und Geld was ich nicht brauche? Ne, nicht mit mir. Den Ballon können andere bis zum platzen aufblasen. Ich mach den Mist nicht mehr mit.

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  5. " Ich glaub das sehr viele Arme Menschen an so vielem so viel Reicher sind als die (finanziell/materiell) reichen Menschen."

    Nehmen das aber auch die jeweils (noch, wieder) Armen so wahr? Ich behaupte mal: in aller Regel nicht! Die Rede vom Reichtum der Armut ist eine Rede der materiell Reichen, die andere Arten von Stress kennen gelernt haben und nun nostalgisch auf "übersichtlichere" Lebensformen schauen - aber im Ernst niemals tauschen würden!

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  6. 1/2

    Das Geld verdienen ist doch schon zum Selbstzweck geworden. Wenn es wenigstens um den Fortschritt der Wissenschaften gehen würde. Tut es doch aber kaum. Es geht immer wieder nur darum irgendwas zu erfinden mit dem sich Geld erwirtschaften lässt. Es werden nicht Lösungen für Probleme gefunden, es werden Probleme erfunden um etwas verkaufen zu können. Agrartechnologie, Pharmaunternehmen, Rüstungsbranche ... alles ist immer mehr Ursache anstatt Lösung des Problems. Eben auch diese penetrante Wirtschaftswachstums-Ideologie. Angenommen eine Technologie würde wirklich Millionen Menschen den Lebensstandard massiv verbessern aber diese wäre nicht wirtschaftlich nutzbar, weil keiner Geld damit verdienen könnte ... dann würde diese sich gegenwärtig nicht durchsetzen, weil wir so verhaftet in dem System sind.
    Der Philosoph Richard David Precht hat vor einiger Zeit in einem Interview gesagt "Die Politiker verhalten sich so, wie auf der Titanic die Liegestühle umzustellen". Find ich gut ... das Schiff geht unter aber man beschäftigt sich nicht oder nur oberflächlich mit den eigentlichen Problemen: massive soziale Ungerechtigkeiten usw.
    Stimmt Gilbert, dass der Kapitalismus auch eine Ideologie ist. Ein Narrativ. Ironischerweise wird gerade von den neoliberalen anderen immer Ideologische Verblendung vorgeworfen. Wenn Bsp. Christian Linder über die Grünen meckert. Ich finde der ist der größte Dogmatiker wenn man so "geil" auf das Wirtschaftssystem ist: Geld First, bedenken Second was?! Erst mal einen wirtschaftlichen Goldesel aufbauen der dann ganz schnell „Too Big to fail“ ist bis einem auffällt wie wiederwertig er eigentlich ist. Beispiel: Massentierhaltung! Soll es so auch mit der Digitalisierung laufen? Datenschutz steht nur dem Geld verdienen im Weg?
    ClaudiaBerlin ... stimmt vollkommen. Viele Menschen aber, die ggf. als Arm abgestempelt werden, ist das ja egal. Suffizienz/Subsistenz usw. Aber man sieht ja immer wieder was in Afrika passiert. Menschen werden in Erwerbsarbeit GEZWUNGEN obwohl Sie diese eigentlich weder brauchten noch wollten. Ihre Lebensgrundlage (Kleinbauern, Selbstversorger, ...) wird von irgendwelchen Multinationalen Konzernen platt gemacht, weil das Land gebraucht wird um Genmais anzubauen oder so. Sowas macht mich unheimlich wütend. Dieser "Virus" Erwerbsarbeit der sich auf dem ganzen Planeten ausbreitet. Geld, Geld, Geld...

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  7. 2/2

    Ist jemand mit viel Geld unabhängig und Autonom? Ich finde nicht. Geld macht nicht unabhängig. Kein Geld zu brauchen macht unabhängig! Geld setzt immer ein Angebot für die Nachfrage voraus. Man kann Milliarden besitzen aber wenn es nichts zu kaufen gibt nützt das gar nichts. Selbstversorger dagegen sind wenn nur von Natur, Erde, Wind und Wasser abhängig. Aber sie benötigen keine Wirtschaft, keinen Markt, kein Angebot & Nachfrage ... aber diese Unabhängigkeit ist offenbar nicht gewollt, da man die Menschen so dann schlechter kontrollieren kann.
    Ich finde das ganze Wirtschaftssystem und dieses ganze Dreiecksverhältnis von Wirtschaft, Politik und "Volk" ist wie im Orwellischen Roman nur noch eine Kontrollinstanz geworden wo man kaum noch raus kommt. Daher auch das Aufkommen von Begriffen wie „illiberale Demokratie“ oder „undemokratischer Liberalismus“. Die Wirtschaft erpresst alles und Jeden, weil sich jeder von Ihr abhängig macht und keiner traut sich in die Hand die einen füttert zu beißen. Dabei, wie schon gesagt, gebe es andere Futterquellen … ohne Geld.
    Ich würde soooo viel eher von irgendeinem Menschen aus einem Urvolk Jagen, Sammeln und das Überleben lernen als von einem moralisch völlig verkorksten Investmentbanker das zocken an den Märkten um mit beknackten Spekulationen auf nichts und wieder nichts reich zu werden (ohne irgendeine Form von Wertschöpfung!).
    Es ist aber auch immer so eine Art von narzisstischer Selbstwerterhöhung von den Reichen auf die vermeintlich Armen blicken. Weil wir mehr haben oder besitzen sind wir besser oder so ein Mist. Armselig. Ich meine, ich bin selbst ein Kind dieser Welt. Sicher hätte ich auch große Schwierigkeiten plötzlich in Müll zu wühlen und Elektroschrott zu verbrennen und ein bisschen Kupfer zu schmelzen und mir dabei die Lunge zu versauen. Aber wo kommt der Müll den her? Die Leben ja nicht so, weil die es so wollen ... sondern weil der Reiche Teil der Welt die dazu nötigt. Ätzend. Will aber auch kaum einer wahr haben.
    In armen Ländern gibt es soweit ich weiß keinen Pflegenotstand und Mangel an Seniorenheimen. Klar, weil die die Lebenserwartung niedriger ist. Aber nicht nur. Auch weil der Familienzusammenhalt größer ist. Weil man sich nicht entscheiden muss zwischen Arbeit und Pflege der Angehörigen.
    Könnte ewig weiterschreiben aber ich reg mich zu sehr auf über die ganzen Missstände ... ;)

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  8. Ja, ich bin auch eine Misanthropin. Ich finde es einfach furchtbar, was Menschen andern Menschen, auch Kindern, Tieren und der Natur antun. Dh, ich darf eigentlich gar nicht darüber nachdenken, sonst sinke ich in Depressionen, durchbrochen mit Aggressionen und gar Menschenverachtung. Ich muss mich deshalb richtig zwingen, immer das Schöne zu suchen und zusehen. Natur, Tiere, Blumen, freundliche Menschen, etc. Das grenzt an manchen Tagen an Arbeit, manchmal jedoch fällt es leicht. Ich denke wir leben jetzt in einer zeit,wo einige Menschen aufwachen; und sich bewusst für Liebe entscheiden müssen. Liebe zu sich selbst, Liebe zu Andern, Tieren, Natur und der Erde. Die andern stolpern halt unbewusst weiter und verbreiten Angst und Schrecken, Gewalt und Terror, einfach weil sie es können und eben Macht und Gewalt statt Liebe wählen. Aber manchmal ist es echt schrecklich, auf dieser Welt zu leben und das ständig mitansehen zu müssen. Keine Ahnung ob es Hoffnung gibt.

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  9. Wieder ein spannendes Thema. Insgesamt scheint mir aber hier und da etwas durcheinandergeraten.

    "Misanthropen sind oft wütende, stolze Menschen, wutstolz auf ihre selbstgefühlte Sonderstellung, selbstgerecht in ihrer Verachtung der anderen, hochmütig in ihrer Ablehnung des Daseins."

    Misanthropie ist nicht gleich Daseinshass (Misontie?). Der Misanthrop hasst dem Namen gemäß schlicht die Menschheit, das menschliche Dasein, mag aber oft genug bspw. Tiere, die Natur etc. Diese beiden Aspekte werden in dem Artikel unzulässigerweise als Synonyme behandelt. Die "Ungeheuerlichkeit des Existieren-Müssens" ist dann auch keine notwendig misanthropische, sondern eher eine antinatalistische Position. "Trotzige Opfer der Vergewaltigung zum Sein-Müssen" klingt nebenbei bemerkt ekelhaft herablassend; würde man einen Sklaven ein "trotziges Opfer der Versklavung" nennen und damit sein Leid als infantile Bockigkeit bagatellisieren? Wohl kaum. Niemand wurde gefragt, geboren zu werden und für alle gibt es nur einen Ausweg. Warum ist das Nicht-D'accord-Sein mit dieser Existenz dann "trotzig", "pathetisch" und ein verstocktes Beleidigtsein? Ach, Leiden ist ja so heroisch.

    "Aus solch einem Denkmuster stammen nicht nur die Dualismen von Körper (böse oder niedrig) und Geist (gut oder erhaben) oder der Teufel und die Engel im Christentum, sondern auch die verschiedendsten asketischen Bemühungen, die wir aus allen großen spirituellen Praxen wie Buddhismus, Islam oder Christentum kennen und die heute im Meditations-, Vegan- und Minimalismus-Hype den Tod Gottes überlebt haben. Denn die Askese reduziert das Weltliche und maximiert das Göttliche; wenn wir durch diesen Verzicht sterben, umso besser."

    Auch hier wird eine Menge von Ismen in einen Topf geworfen, die viel klarer differenziert werden sollten. Am meisten stört mich hier der Buddhismus: Er lehrt (besonders im Zen) gerade die Aufhebung von Dualismen. Es gibt keinen Dualismus von Körper und Geist im Buddhismus, alles bedingt sich gegenseitig. Das Ziel ist auch nicht eine bloß "reine" geistige Existenz, sondern die Aufhebung der Existenz überhaupt, egal in welcher Form. Askese ist Mittel, nicht Zweck.
    Auch Veganer wollen keine Asketen sein. Sie wollen schlicht nicht zu dem unmessbaren Leid beitragen, das durch Tierhaltung verursacht wird. Hier eine verkappte Selbstgerechtigkeit als Hauptmotiv zu diagnostizieren, scheint mir eher Projektion und der Versuch, die eigene Maßlosigkeit und Gedankenlosigkeit zu normalisieren ("Veganer sind extrem, also bin ich normal").

    Daneben stimme ich dir zu: Man darf sich nicht einreichten in seinem Hass oder überhaupt in seiner Position. Man darf kein Dogmatiker werden. Dazu gehört auf der anderen Seite aber auch, Liebe, Mitgefühl etc. nicht als selbstevidente Lebensziele anzustreben, die es nur über den Umweg der Misanthropie etc. zu verwirklichen gälte. Vielleicht gibt es einfach keine Rechtfertigung für dieses Sein und Liebe und Mitgefühl sind nur die faulsten Ausreden gegen diesen Sachverhalt.

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    1. Danke, B, für den kritischen Kommentar. Ich will mich da auch gar nicht rechtfertigen, sondern nur zugeben, dass dieser Text - so wie die meisten hier - ein Versuch ist, den ich als philosophischer Dilettant besten Gewissens und auch gern tendenziös verfasst habe. Dass Misanthropie nicht gleich Daseinshass ist, aber es einige Überschneidungen gibt, habe ich versucht darzulegen.

      Dein letzter Satz ist sehr interessant und lässt mich an Camus denken. Auch ich würde sagen, dass es keine Rechtfertigung, keinen höheren Sinn oder Zweck für unsere Existenz gibt und dass es das eben auch gar nicht braucht. Generell neige ich nicht zu Heroismus, aber bei dieser Sache sind meine Sympathien bei denjenigen, die dieser schwierigen Warheit kalt ins Auge sehen anstatt zu lamentieren, dass sie lieber nicht geboren worden wären.

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    2. Noch eine passende Ergänzung zum Thema Buddhismus und Pessimismus: In einem Interview von 2010, das ich gerade fand, sagt Sloterdijk:

      Seit 3000 Jahren ist ein Imperativ in der Welt, der Menschen verbietet, weiterzumachen wie bisher. Schon die brahmanischen Asketen Altindiens haben so empfunden. Mit dem Aufblühen der Karmalehre entwickelte sich die Vorstellung vom Rad der Wiedergeburten - mit der Folge, dass eine Kultur des metaphysischen Pessimismus aufkam. Aus ihr ging unter anderem der Buddhismus hervor, der nicht umsonst gerade zur Weltreligion der Gegenwart wird.

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  10. Zuerst haben mich hier viele Kommentare überrascht und ich war erstaunt was hier geschrieben worden ist!..
    Ich darf aber abschließend sagen, das vieles hier mir aus der Seele spricht und ich wirklich jeden einzelnen sehr gut verstehen kann!..
    Diese Welt ist nicht lebenswert wenn man keine Gleichgesinnten findet!..
    Ich bin schon mein ganzes Leben lang auf der Suche, das hat mich nach ewigen Enttäuschungen wohl zu einem von euch gemacht!..
    Das Gefühl, hier schreibt jemand meine Gedanken, ist einzigartig!..
    Uns gehört die Welt und, wenn es es wirklich gibt, das Himmelreich!..

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