25. März 2017

Vorgetäuschte Orgasmen und Populismus

Männer zweifeln: Sind unsere Frauen Roboter? (Michael Coghlan, adaptiert, CC BY-SA 2.0)

Leidet die Welt unter spezifisch männlichen Pathologien?


Oder anders gefragt: Ist der Fake-Orgasmus typisch weiblich, so wie Fake-News typisch männlich sind? Catherine Newmark schreibt im letzten Philosophie Magazin:

"Niemand verkörpert derzeit die unrühmliche Denkgeschichte des pathologischen männlichen Zweifels eindeutiger als der neue amerikanische Präsident. Wie sich die Weltgeschichte unter ihm entwickeln wird, darüber lässt sich gegenwärtig nur sorgenvoll spekulieren. Dass ein schlecht verarbeiteter Mangel an körperlicher Gewissheit und spezifisch männliche Pathologien des skeptischen Zweifels schon bis hierhin viel Unheil angerichtet haben, steht dagegen außer Frage." (Philosophie Magazin Heft 3 / 2017, S. 57)

Auch ich frage mich seit ich denken kann, warum unsere Geschichte meistens durch männliche Gewalt getrieben ist. Dass den Frauen dabei nicht unbedingt die Opferrolle, sondern zu oft die Rolle der Mitläuferinnen zukommt, spricht nicht unbedingt dafür, dass sie so etwas wie ein besseres Geschlecht wären. Aber was sind die "spezifisch männlichen Pathologien", von denen Newmark hier spricht?

Zum einen ist da der Zweifel an der Vaterschaft, den es für Mutterschaft nicht gibt. OK, das verstehe ich, ein Vater wird sich nie so sicher sein können, ein Kind gezeugt zu haben, wie eine Mutter sicher sein kann, ein Kind geboren zu haben. Aber hauptsächlich sei da eine Skepsis gegenüber dem Lustempfinden und der Orgasmusfähigkeit der Frauen, die den Männern in der Folge Descart'sche Zweifel kommen lasse, ob es sich bei der Frau in ihrem Bett wirklich um einen Menschen handle. Hm, also ich bin da eher bei Jerry Seinfeld:

"Women have two orgasms, the real ones and the ones they make up on their own. And I can give you the male point of view on this, which is: we're fine with it." (Jerry Seinfeld auf YouTube)

Wir Männer, so Seinfeld, hätten mit unserem eigenen Orgasmus ohnehin genug zu tun und gar nicht die Kapazität, uns darüber Sorgen zu machen, was die Frau wirklich fühlt oder eben einfach spielt. "Macht ihr mal, was ihr tun müsst und wir machen, was wir tun müssen." Aber Spaß beiseite, die Probleme, die Donald Trump hat, sind ganz anderer Natur und haben ihre Parallelen höchstens in der post-koitalen mangelnden intellektuellen Kapazität.

Das eigentliche Problem in Newmarks Argumentation ist, dass sie die "Fähigkeit" zum Descart'schen Zweifel nur Männern zuschreibt und dieser Zweifel treffe – so liest sich Newmark – nur die Frauen, nämlich "in einer narzisstischen Pathologie, im männlichen Zweifel daran, ob das weibliche sexuelle Gegenüber ein Mensch ist, wie ich selber." (ebd.)

Ganz LGTBQ-getreu könnte man hier erst einmal fragen: Was ist mit homosexuellen Männern oder lesbischen Frauen oder solchen Menschen, die sich nicht binär klassifizieren lassen wollen, sondern vielleicht eher "fluide" sexuelle Identitäten haben? Gibt es bei ihnen keine metaphysischen Zweifel hinsichtlich der Identität des/der anderen? Und akzeptieren wir mal die binäre Trennung, bleibt die Frage, ob sich Frauen beim Sex tatsächlich immer darüber sicher sind, dass der Mann in ihrem Bett ein Mensch mit allen intrinsischen Dimensionen sei, wie sie selbst? Oder anders gefragt: Haben Frauen weder die Kapazität zu dieser Skepsis noch die Defizite, die daraus resultieren? Und wieso eigentlich die Verbindung zum Sex? Könnte man diese narzisstische Emphathielosigkeit nicht auch ohne sexuellen Hintergrund analysieren?

Newmarks Argumentation scheint mir eine typisch männlich gedachte Philosophie fortzuschreiben, nach der Frauen eben einfach anders sind und daher ausgeklammert werden aus den erkenntnistheoretischen Fragen. Descartes jedoch sprach nicht für Männer (dieses Problem stellte sich ihm gar nicht) und die aus seinen Irrtümern sich entwickelnde Erkenntnistheorie und Bewusstseinsphilosophie hat bisher dem Geist-Körper-Dualismus noch nie solch einen weiteren falschen Mann-Weib-Dualismus hinzugefügt, wie er sich hier bei Newmark ableiten ließe. Ich plädiere auch dafür, so etwas nicht einreißen zu lassen, sondern in Ermanglung harter wissenschaftlicher Beweise davon auszugehen, dass es keine fundamentalen Unterschiede in der Ich- und Weltwahrnehmung bei Frauen und Männern gibt. Andernfalls sind wir wieder beim weiblichen Venus- und männlichen Mars-Gehirn.

Ich will nicht leugnen, dass Trump ein verrückter Narzisst ist und dass das ein großes Problem für alle sein wird, die unter seiner emphathiefreien Politik leiden werden. Ich will nur darauf hinweisen, dass es nicht hilfreich ist, mit aus Politik, Literatur, Mythologie und Philosophiegeschichte zusamengeklitterten intellektuell-feministisch anmutenden Argumenten die Grundlagen heutiger politischer Realitäten beschreiben zu wollen. Das erreicht das Gegenteil des Gewünschten: Es begibt sich auf dieselbe postfaktische Ebene, auf der sich die neue populistische Bewegung so wohl fühlt. Mit Argumenten aus solchem Storytelling, wie sie Newmark hier entfaltet, lässt sich immer eine Sache und ihr Gegenteil beweisen. Man kann das heute alternative Fakten nennen und die sind ein sicheres Zeichen für den Bullshit, aus dem alles und gar nichts folgt. Nebenbei: Dass Dummheit, Sexismus, Fremdenhass und Grausamkeit nicht auf Männer beschränkt sind, zeigen nur in der jüngsten Geschichte Frauen wie Sarah Palin, Lynndie England, Beate Zschäpe, Biljana Plavšić oder Margot Honnecker.



Das passt dazu:

4 Kommentare:

  1. Newarks Argumentation scheint mir nach psychoanalytischem Gedankengut zu riechen.Damit mag ich mich nicht anfreunden.
    Eher anfangen kann ich mit was mit dem, was Hirnforscher so über die Unterschiede zwischen Mann und Frau herausfinden.
    Auch halte ich es mit dem Spruch "Walk a mile in my shoes": Wer kann schon wissen, was und wie ein anderer/eine andere etwas erlebt.

    Gerhard
    kopfundgestalt.com

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    1. Ich finde Psychoanalyse interessant und inspirierend, aber sie ist eben nicht wissenschaftlich, eher literarisch. Der von mir sehr geschätzte Theodor Milton sagt:

      "Auch wenn diese Prozesse nur sehr schwer gemäß wissenschaftlicher Grundsätze formuliert werden können, kann ihre Existenz nicht geleugnet und ignoriert werden. Die Bemühungen, sie zu erklären, mögen wegen der theoretischen und methodologischen Schwierigkeiten angreifbar sein, aber auf die Untersuchung dieser Vorgänge können wir nicht verzichten." (siehe mein Artikel Die Kritik und Rechtfertigung der Psychoanalyse)

      Wie gesagt bezweifle ich aber, dass diese Gendertheorien zu den von Newmark angesprochenen Problemen überhaupt relevant sind, denn das scheint zu implizieren, dass nur heterosexuelle Männer dieses Emphathieproblem haben. Ganz nebenbei: Wissen wir wirklich, was Trump ist? Hetero, homo, Mann, Frau, Roboter :) Newmarks Spekulationen wären vielleicht unter humoristischen Gesichtspunkten ganz passend, aber nicht unter geisteswissenschaftlichen.

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    2. Ich merke gerade, daß meine Anmerkung missverständlich war. Ich hatte ja mal die Geschichte der Psychoanalyse nachverfolgt (es gibt da ein Standardwerk).
      Also nichts gegen Psychoanalyse an sich, sondern gegen ein Argumentierem im Stile der Psychoanalyse.
      Gerhard

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  2. Für mich ist das Bullshit vom Feinsten. Und sowas sage ich wirklich selten! Wenn schon, dann ist der Zweifel, "ob der Andere ein Mensch ist wie ich" allgemein und geschlechtsneutral. Wir haben nun mal nur von uns selbst eine "Innenansicht" - wobei sogar die immer unvollständig und oft verzerrt ist. Viele Philosophen haben Wunder und Schrecken der Andersheit des Anderen reflektiert - Geschlecht ist dabei zu vernachlässigen, denn auch für gleichgeschlechtliche Paare stellt sich die Frage nicht anders.
    Natürlich nur, soweit man zur philosophischen Reflektion neigt...

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