Wie geht Führung ohne bewährte Rezepte?
So geht es nicht mehr weiter mit Führung im Job und mit Führungskräften in den Firmen. Mit so einem Bauchgefühl ging auch ich lange durch die Gegend und dachte doch immer in den alten Maßstäben. Zum Beispiel ist eine lang gehegte Überzeugung von mir, dass Führung sehr stark auf Persönlichkeit und damit auf Führungsstil hinausläuft. Aber ist das noch so? Dazu später mehr.Überhaupt nicht verwundert war ich, als ich letzten Mittwoch auf der New Work Night in Berlin mein Bauchgefühl bestätigt bekam: So geht's nicht weiter, sagten dort auch Managementguru Thomas Sattelberger und der Organisationspsychologe Peter Kruse, dessen redegewandte Analytik und verblüffende Statistiken schon seit Jahren über re:publica und ähnliche Plattformen die Internetgemeinde verzücken. Überrascht war ich jedoch von der Totalität des Wandels, in dem wir uns befinden. Schon im XING-Magazin spielraum vom Winter 2013/2014 sagt Kruse über die Manager: "Sie tragen die volle Verantwortung, verlieren aber zunehmend an Macht und Einfluss." (S. 44)
Prof. Kruse mit typisch-überkomplexer Folie auf der New Work Night (Foto: Gilbert Dietrich CC 4.0) |
Ein Hauptgrund für die Abnahme an Macht und Einfluss sind, neben der enormen Verdichtung und Parallelisierung der Arbeit durch die extrem schnellen Kommunikationswege, die sich aufschaukelnden Systeme in Technik, Gesellschaft und Wirtschaft. Was soll das sein, ein sich aufschaukelndes System? Regentropfen, die in einen See fallen, lassen kleine Wellenkreise entstehen, die sich vom Einschlagsort aus völlig vorhersehbar ausdehnen und sich auch völlig vorhersehbar mit den Wellenkreisen anderer Regentropfen schneiden. Jeder kennt solche linearen Systemdynamiken, da schaukelt sich nichts auf. Sich aufschaukelnden Systemen liegt eine nichtlineare Systemdynamik zugrunde. Denken wir an Tsunamis oder Lawinen, die unvorhersehbar hereinbrechen und dabei exponentiell anschwellen.
Ähnliches passiert heute, überall dort, wo Märkte so stark vernetzt und globalisiert sind, wie es heute in den meisten Geschäftsfeldern der Fall ist. In solchen Systemen finden wir viele Teilnehmer, eine hohe Spontanaktivität dieser Teilnehmer und ihre enorme Vernetzung. Das Ergebnis in den Medien ist dann entweder "viral" oder ein "Shitstorm". In der Wirtschaft ist es das Zusammenbrechen von Märkten durch disruptive Technologien; Kruse nennt beispielhaft Whatsapp, das den Markt für SMS der Mobilfunkanbieter in kürzester Zeit vernichtet hat. Die Systeme in denen sich Führungskräfte heute bewegen, sind damit volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig. Wir können sie in ihrem Verhalten nicht mehr vorhersagen. Allein die Masse und Komplexität der heute auf uns einstürzenden Informationen bringen uns an den Rand unserer Verarbeitungsgeschwindigkeit und Auffassungsgabe. Wie soll man da noch entscheiden können?
Managementkonzepte funktionieren nicht in sich aufschaukelnden Systemen #NWN14
— Geist & Gegenwart (@GeistGegenwart) November 5, 2014
Keine Rezepte, sondern neue Prinzipien
"Was ist nun das richtige Managementkonzept für die Zukunft?" fragt einer der Anwesenden. Kruse sagt, es gibt keine Rezepte mehr. Das beste, das wir tun können, ist, uns auf die Welt einlassen und uns dabei an taugliche Prinzipien halten. Als Beispiel noch einmal das Informationschaos und Kruses eigenes Prinzip. Er hält die Komplexitätsverringerung durch eine Beschränkung auf einzelne Aspekte in der Informationsflut für riskant:"Ich muss, wo immer ich bin, maximal bereit sein, mich von der Menge der Informationen verunsichern zu lassen. Wenn ich mich permanent mit Informationen auseinandersetze, die ich nicht mehr rational einordnen kann, dann fängt das Gehirn an, Zusammenhänge zu erzeugen. [...] Ich akzeptiere die Komplexität." (Kruse im spielraum S. 43)
Das beeindruckt mich ehrlich. Vor allem darum, weil es meiner eigenen bisherigen Strategie völlig zuwider läuft. Ich versuche mich auf einige mir besonders relevant erscheinende Aspekte zu konzentrieren und andere Informationen als Störgeräusch auszublenden. Natürlich heißt es dann "Daumen drücken", denn es gibt rein gar keine Sicherheit, dass die von mir fokussierten Aspekte die entscheidenden sind und nicht die, die ich schon als Müll verklappt habe.
Das, was Kruse dort als Erzeugen von Zusammenhängen im Gehirn beschreibt, nennt man Intuition. Seine Herangehensweise deckt sich mit dem, was Gary Klein in Natürliche Entscheidungsprozesse beschreibt: Wahre Experten - solche, die genug Übung darin haben, die Muster in ihrer Umwelt zu erkennen - treffen bessere Entscheidungen, wenn sie ihrer Intuition folgen, als wenn sie große Analysen anstellen. Man kann also sagen: Lassen wir uns auf unsere Intuition ein, aber eben nur dort, wo wir uns auskennen und nur dann, wenn wir emotional nicht zu stark beeinflusst sind. Ich werde das versuchen, werde mich dort, wo es zu viel komplexe Information gibt, in ihr baden und meine Intuition für mich entscheiden lassen. Mal sehen, was passiert, wenn ich die Komplexität akzeptiere.
Intuition passt auch wunderbar in eine Reihe weiterer Prinzipien, die laut der Tiefeninterviews, die Kruse mit Führungskräften und Mitarbeitern geführt hat, an die Stelle alter Management-Paradigmen treten (siehe Kruses Präsentation oben). Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass es von 3 P zu 3 I gehen müsse: Statt Persönlichkeit, Planung und Profit müssen wir auf Information, Iteration und Integration umschwenken:
- Es geht also nicht mehr um starke und charismatische Führungspersönlichkeiten, sondern darum, dass alle Beteiligten in einem entsprechenden Netzwerk an die nötige Information kommen, um als Team entscheiden zu können. "Hierarchische Macht verliert klar an Bedeutung." (siehe Folie 78 in der Präsentation)
- Die typischen Business- und Projektpläne sind wegen mangelnder Vorhersagbarkeit der Umwelt fürs Altpapier. Statt dessen hilft uns iteratives Vorgehen, wie wir es beispielsweise aus der agilen Software-Entwicklung kennen. Hier geht man von planvoller Zielerreichung zur Gestaltung ergebnisoffener Prozesse über. "Vorausdenken und Planung wird ersetzt durch maximale Agilität und Lernbereitschaft." (siehe Folie 80 in der Präsentation)
- Ohne eine gerechte Berücksichtigung aller Beteiligten trägt sich unsere Gesellschaft auch wirtschaftlich nicht länger. "Die Wert-Orientierung des Shareholder-Value-Denkens wandelt sich zunehmend zur Werte-Orientierung des Stakeholder-Ansatzes. Der vorherrschende Fokus auf Kapitalinteressen wird als Fehlentwicklung kritisiert." Und: "Der Fokus auf Shareholder-Value wird als Entwicklungsbremse eingestuft." (siehe Folie 82 in der Präsentation)
Diese Paradigmenwechsel haben nichts Schleichendes mehr an sich, sondern werden von Führungskräften und Mitarbeitern als extrem dringlich angesehen, damit überhaupt noch "vernünftig" gearbeitet werden kann. Die zwei ersten sind sicherlich auch gut zu beeinflussen. Aber ein Paradigmenwechsel vom Profit für Shareholder zur Integration aller Stakeholder scheint sich unserem direkten Einfluss zu entziehen. Sicher gibt es Firmen wie SoundCloud, die von sich selbst sagen, dass jedes "Business Model nur als Mittel zum Zweck" dient (Das Geschäftsmodell ist nicht das Endziel) und das es nicht darum ginge, eine Cash-Cow zu bauen, sondern Innovation und Mehrwert für alle Beteiligten inklusive der Mitarbeiter zu schaffen. Und so eine enorm profitable Firma wie Google, die traditionell tatsächlich auch diesen Ansatz fährt (bis hin zur mutwilligen und wiederholten Enttäuschung der Shareholder), zeigt, dass vielleicht gerade der Stakeholder-Ansatz auch wirtschaftlich der richtige sein kann.
Dennoch kann man resümieren, dass operative Führung und Projektplanung relativ leicht anpassbar sind, während die wirtschaftliche Werte-Orientierung eines ganzen Gesellschaftssystems nur schwierig zu beeinflussen ist. Kriegen wir jedoch den dritten Punkt nicht hin, bleiben wir auf einer "extrem kalten" Netzwerk-Gesellschaft sitzen, in der die solidarische Verteilungsgerechtigkeit, ohne die schon heute über 50% der Mitarbeiter nicht mehr zu motivieren sind (siehe Folie 117 in der Präsentation), zugunsten einer bloßen innovativen Netzwerkdynamik vernachlässigt wird.
An dem Punkt sagt Peter Kruse: "Die große Frage ist: In welcher Gesellschaft wollen wir denn eigentlich leben? Wir müssen es einfach neu definieren." Wenn ich jemandem zutraue, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, dann solchen enorm intelligenten und redegewandten Denkern wie Kruse. Im Video hier unten kann man seinen gesamten Vortrag von der New Work Night im November 2014 sehen.
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Faszinierend. Eine Stunde, bevor Du diesen Post online gestellt hast, habe ich einen Entwurf geschrieben, der am Ende drauf kommt, dass es so mit der Arbeitswelt nicht weitergehen kann. Allerdings mehr aus Mitarbeitersicht. Nun habe ich aber durch Dich hier neuen Input, den ich einfließen lassen möchte. Mal sehen, was am Ende draus wird. Falls überhaupt.
AntwortenLöschenAus Mitarbeitersicht... nunja eine Skizze: Mein Umfeld teilt sich mal wieder auf. Es gibt Menschen wie mich, die gerne arbeiten wollen, aber auch noch andere Interessen verfolgen und soziale Kontakte weit vorne anstellen, und deswegen Teilzeitjobs haben. Und die anderen mit 42h-Arbeitsvertrag, aber realer 50- bis 60h-Woche. Die habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Zwischendurch dringt ein eher ersticktes Klagen aus ihrer Richtung hervor. Zufrieden sind sie überhaupt nicht, aber sie sagen immerfort, sie hätten keine Wahl. Viel geklagt wird über den Druck von oben, der am Ende zu nichts führt, vor allem nicht zu besseren Resultaten und schon gar nicht dazu, dass Mitarbeiter sich angenommen und eingebunden fühlen.
So und jetzt der Bogen nach oben: Ich denke, dass eine Erhöhung von Kontrolle, Strukturen und Druck ein ehemals bewährtes Mittel ist, schwierige Situationen in den Griff zu bekommen. Das funktioniert so jetzt aber nicht mehr - eigentlich wirkt es ab einem gewissen Punkt gegenteilig. Wir brauchen ganz gesamt betrachtet einen neuen Umgang mit Unwägbarkeit.
Dass Begriffe wie Loslassen, Achtsamkeit und Gelassenheit im Privatleben der Leute zunehmend auf dem Speiseplan stehen, ist dabei für mich überhaupt keine Überraschung.
So, jetzt geh ich mal meinen Entwurf weiter sortieren. Immer wieder eine Inspiration hier! Danke.
Hi Toc6,
Löschendanke für deinen Kommentar. Bin gespannt auf deinen Artikel. Wenn du in der Präsentation oben zur Folie 93 springst, dann kommst du zu den Ergebnissen der Studie, die sich eher um die Mitarbeiter drehen. Sehr interessant, besonders das Auseinanderklaffen in zwei Fraktionen, vielleicht ähnlich wie von dir beschrieben, in resignierte und optimistische Leute verdient mehr Nachdenken. Dieses Auseinanderklaffen korreliert auch mit weniger gebildet und schlechter bezahlt auf der einen und eher gebildet und besser bezahlt auf der anderen Seite. Wie immer lässt es keinen Schluss auf Kausalität zu, aber es lädt ein zum Nachdenken.
Viele Grüße!
Hallo,
AntwortenLöschenich habe zu diesem Buch:
Peter Felixberger:
http://www.murmann-verlag.de/buch/wie-gerecht-ist-die-gerechtigkeit
eine Rezension geschrieben, nein noch nicht buch7.de sondern amazonien ;-) ;-)
Recht hohes Niveau. aber aus historisch-philosophischer und staats-theoretischer Sicht äusserst interessant!
Wir kommen letzlich immer wieder auf Spieltheorie #gametheory, zurück.
R.Thaler bezieht sich z.B. in @edge.org (Wie funktioniert die Welt?) auf Tom Schelling:
essay on bargaining,1956! sic(!)
"Viele besonders schwierige gesellsch. Probleme liessen sich lösen...
(z.B. Klimawandel, Nahost konflikt)..wenn die Beteiligten einen Weg fänden,
um sich für die Zukunft auf eine Handlungsweise festzulegen"
Heute muss ich mal ganz starkes disagreement zum Ausdruck bringen ;).
AntwortenLöschenDie Ansichten von Kruse & Co. scheinen mir eher ein Mix von einigen altbekannten Sachen + haltloser Ideen und Utopien zu sein.
Fangen wir mit den altbekannten Allgemeinplätzen an:
"Kruse sagt, es gibt keine Rezepte mehr. Das beste, das wir tun können, ist, uns auf die Welt einlassen und uns dabei an taugliche Prinzipien halten." Richtig, aber uralt. Wers nicht glaubt dem empfehle ich mal Clausewitz' "Vom Kriege" zu lesen.
"Die Systeme in denen sich Führungskräfte heute bewegen, sind damit volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig." Das war auch schon immer so. Klar, die Welt verändert sich, aber man denke nur an die enorme Unsicherheit der Welt in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts oder auch der Jahrhunderte davor. Da ist die Welt jetzt schon deutlich weniger volatil...
"Die typischen Business- und Projektpläne sind wegen mangelnder Vorhersagbarkeit der Umwelt fürs Altpapier." ...ich sage nur "Prognosen sind immer unsicher, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen". Trotzdem braucht man solche Pläne, allerdings in sehr flexibler Form. Jedem Praktiker eigentlich auch bekannt.
Unter die Rubrik haltlose Behauptungen / Utopien zähle ich mal:
"Es geht also nicht mehr um starke und charismatische Führungspersönlichkeiten, "...wo sind die Belege für diese These? Aus eigener Erfahrung meine ich: starke Führungspersönlichkeiten spielen noch und werden auch in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen. Man denke nur an Steve Jobs, Larry Page/Sergey Brin, Warren Buffett,.... Natürlich sind sie nicht (und waren auch nie) alleiniger Erfolgsfaktor, aber ein zentraler.
"Ohne eine gerechte Berücksichtigung aller Beteiligten trägt sich unsere Gesellschaft auch wirtschaftlich nicht länger." ...Gerechte Berücksichtigung aller Beteiligten...das ist so eine altlinke Utopie deren Nachfolger die Welt leider eher verschlimmern als verbessern. Davon abgesehen, dass sie natürlich kompletter Unfug ist. Was ist denn "Gerecht"? - eben, jeder hat darauf seine eigene Antwort.
"Paradigmenwechsel vom Profit für Shareholder zur Integration aller Stakeholder scheint sich unserem direkten Einfluss zu entziehen" und wird es auch nicht geben. Aber, nicht vergessen, auch der Shareholder Value subsumiert natürlich ne ganze Menge an Stakeholder Value. Denn ein Unternehmen kann natürlich keinen Wert schaffen, wenn Kunden, Mitarbeiter oder Lieferanten davonlaufen. (Lustig finde ich immer wieder, dass kaum ein Shareholder Value Kritiker, sich mal mit dem Konzept im Detail beschäftig hat.)
"Und so eine enorm profitable Firma wie Google, die traditionell tatsächlich auch diesen Ansatz fährt (bis hin zur mutwilligen und wiederholten Enttäuschung der Shareholder), zeigt, dass vielleicht gerade der Stakeholder-Ansatz auch wirtschaftlich der richtige sein kann". Bitte mal den Google-Aktienchart anschauen und dann die Aussage (dass keine Shareholder Value Fokussierung vorliegt) korrigieren ;).
Noch ne Ergänzung zum Thema Google: Grade Google richtet sich m.E. extrem an seinen eigenen (Shareholder-Value) Interessen aus - davon profitieren natürlich auch zahlreiche Stakeholder, aber auch genug Stakeholder fallen dabei hinten runter.
LöschenNaja, man kann sich immer um Begriffe streiten, aber die Hauptaussage der Studie ist, dass die Wirtschaft (hier in Deutschland) mit ihren Lenkern die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und ganz grundlegende z.T. neu aufkommende Bedürfnisse und Anforderungen nicht bedient. Das wird uns auf die Füße fallen, wenn wir nicht korrigieren. Wenn das althergebracht ist, dann wirds erst recht Zeit.
LöschenZu Utopien muss ich sagen: Das scheint mir gerade ein großes Merkmal unserer Zeit zu sein, dass wir keine großen Träume mehr haben. Wir kennen den Spruch, nachdem zu Arzt gehen solle, wer Visionen habe. Das ist genau auf den Punkt, das was Politik und Wirtschaft kaputt macht. Alles ist angeblich alternativlos und wir sichern den Wohlstand. Ich sage: Wer nicht visionär denkt und auch den Mut hat, Utopien zu entwickeln, der wird nicht aus dem drögen Rumwurschteln herauskommen. Konkret: Ich denke, dass wir Träume brauchen, die zum Beispiel das gewohnte (und nur deswegen so alternativlos anmutende) Shareholder-Prinzip überwinden, einfach um eben Alternativen zu einer einseitig auf Gewinnmaximierung reduzierten Wirtschaft schaffen.
Und letztlich: Wer Brin oder gar Page für charismatisch hält, hat die beiden noch nicht selbst erlebt ;) Sie sind genau das Gegenteil: Firmenlenker, die auf Netzwerke und Transparenz setzen. Nebenbei: Es schließt sich ja nicht aus, dass solche Leute gleichzeitig charismatisch sind, wie bspw. Eric Schmidt. Nur es ist eben weniger nötig als noch in der old Economy. Und es gibt ja auch solche - wir beide, Sebastian, kennen sie - die weder charismatisch sind, noch das Handwerk mitbringen, das man heute benötigt, um eine Firma erfolgreich zu führen ;) Und sie scheitern ganz sichtbar.
Zum Schluss: Natürlich enttäuscht der Aktienkurs Googles Shareholder immer nur zeitweise und das ist ja genau das, was ich sage: Man kann, ohne nur darauf zu schielen, trotzdem erfolgreich sein. Google hat immer wieder ganz bewusst gegen die Investoreninteressen gehandelt, das fing beim IPO und dem Founder's Letter an, ging über diverse Acquisitions bis hin zu Stock Splits und die konsequente Absage an Dividenden.
Wie gesagt, man kann vieles so oder so sehen, so oder so interpretieren, aber sich einem Neudenken zu verschließen, finde ich verkehrt.
Hi Gilbert.
AntwortenLöschenKeine Ahnung ob in Deutschland Konzernlenker die Zeichen nicht erkannt haben - ehrlich gesagt scheint es mir in Deutschland auch nicht besser (oder doch, vielleicht ein bisschen besser) oder schlechter als anderswo zu sein.
Mit "altbekannt" wollte ich nur aussagen, dass die oben von mir zitierten Aussagen von Herrn Kruse eben nicht neu oder revolutionär sind und auch nicht originär von ihm sind.
Bei den grossen angeblich menschheitsverbessernden Utopien denke ich halt immer an die Geschichte, und wieviel Unheil aus diesen grossen gesellschaftlichen Utopien resultierte.
Das Shareholder Value Prinzip halte ich nicht für alternativlos,aber für eine Gesellschaft die auf Freiheit, Arbeitsteilung und Schutz von Privateigentum beruht, ist es gar nicht so übel.
Allerdings halte ich eine "Stakeholder Value" Konzeption für ausgemachten Unfug, da diese jeglichen Fokus vernichtet. Letztlich kann man es schlicht nicht allen recht machen. Auch ist das Shareholder Value Prinzip nicht so einseitig wie viele denken (wie von mir oben kurz angerissen). Dazu empfehle ich die Bücher vom "Erfinder" des Shareholder Value, Alfred Rappaport, zu lesen, insb. "Creating Shareholder Value".
Nochmal zum Google Aktienkurs: Das ist ja grade der Beweis, dass Google eine Shareholder Value Strategie fährt. Eines der größten Missverständnisse ist ja, dass Shareholder Value irgendwie ein kurzfristig konzipiertes Prinzip ist - das Gegenteil ist jedoch der Fall. Und das ist methodisch inhärent, nicht eine Randnotiz. Und ohne jetzt die Google-Details zu kennen: Stock Splits und ausbleibende Dividenden stehen zumindest in keinem Widerspruch zum Shareholder Value.
Zum Thema Charisma ist mir grad noch aufgefallen: Dich überzeugt ja scheinbar auch vor allem das Charisma :) von Herr Kruse: " Wenn ich jemandem zutraue, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, dann solchen enorm intelligenten und redegewandten Denkern wie Kruse."
Klar! Charisma ist Spitze. Ich habe auch immer wie gebannt Eric Schmidt zugehört, das ist eine Freude. Es spricht gar nichts gegen Charisma, es wird nur als Führungsinstrument weniger wichtig. Andere Fähigkeiten treten in den Vordergrund. Bei Kruse steht meiner Meinung nach im Vordergrund, dass er ein hervorragender Organisationspsychologe ist, der nicht nur innovativ denkt, sondern vor allem sein Handwerk (Statistik) versteht und die Resultate sehr gut (vielleicht auch mit Charisma) vortragen kann.
LöschenZu Kruse's originären oder nicht originären Aussagen: Er hat die Ergebnisse seiner Umfragen ("Tiefeninterviews") vorgetragen. D.h. keine der Aussagen ist originär von ihm, sondern sie sind kategorisiert und zusammengefasst aus den Antworten der interviewten Führungskräfte und Mitarbeiter. Kuck einfach mal die Präsentation oben durch, die erklärt das ganz hervorragend.
Habe die Präsi jetzt mal durchgesehen (hatte bisher nur deinen Artikel gelesen) - finde sie ehrlich gesagt ziemlich schlecht aufbereitet und daher etwas wirr.
LöschenNaja, lassen wir uns mal überraschen wo die Reise hingeht ;)
Ich sehe gerade, dass die ZEIT über diese Studie auch schon berichtet hat, sehr lesenswert unter dem eigenartigen Titel:
AntwortenLöschenMacht euch locker!
Schön das Beispiel Continental nach solch einem Kulturwandel:
Conti ist mittlerweile wieder profitabel und kehrte in die Riege der Dax-30-Unternehmen zurück. Degenhart gilt nun als Beispiel dafür, dass Manager Führungsmethoden verändern können. Das ist allerdings leichter, wenn der Zweifel am Bestehenden den obersten Chef befällt, nicht nur das mittlere Management.
Eine Sache fällt mir grad dazu noch ein:
AntwortenLöschenWenn man grundlegende Unternehmensstrategien betrachtet: Zentralisierung vs. Dezentralisierung, vertikale vs. horizontale Integration dann ist das im Zeitverlauf betrachtet oft so ähnlich wie bei einem Pendel:
Es gibt nicht die "eine" richtige Strategie, sondern es kommt immer auf die Situation, in der sich ein Unternehmen, Markt und Branche befindet, an. Wenn ein Unternehmen total zentralisiert ist und sich damit selbst lähmt, dann muss es eben einen Strategieschwenk in Richtung Dezentralisierung geben und das gilt ebenso umgekehrt.
Ich denke mit der Führung ist es durchaus ähnlich: Manchmal braucht es starke Führungspersonen - manchmal eher ein breiteres Führungsnetzwerk.
Ich kann es kaum noch hören oder lesen, dieses: "Die große Frage ist: In welcher Gesellschaft wollen wir denn eigentlich leben? Wir müssen es einfach neu definieren."
AntwortenLöschenAls ob das (über)komplexe Leben in Gesellschaft und Unternehmen ein Wühltisch wäre.
Zumindest ist die Entwicklung nur bedingt planbar und wählbar, diese Gemengelage aus Mitarbeiter, Markt, Kunden, Produkt, Konkurrenz, Politik, Kultur und nicht zuletzt Money und Management. Dabei treibt in vielen Fällen ein Changeprozess den nächsten, ein Gesellschafter / ein Investor den nächsten, kaum ist ein Projekt vorbeigerauscht, steht das nächste an.Ganz abgesehen von Zulieferer, Material, Termin, Logistik, Kontraktstörungen. Dabei wissen die Mitarbeiter oft nicht mehr wo und wie ihnen der Kopf steht. Was gestern noch old school war ist heute wieder "angesagt". Das häufig wechselnde Management spielt das Spiel der Glücksritter und macht eher auf Tantieme als auf Kulturgärtner. Viele werden dabei klug und halten den Kopf lieber tief als frei. Vielleicht übertreibe ich etwas und sehe es zu dramatisch. Aber ich sehe auch die Hitlisten der Krankenkassen und habe 25 Jahre Training, Coaching und Beratungserfahrung in Mittleren und Großen Unternehmen. Da gibt es viele die sich nicht unterkriegen lassen und viele bei denen es gut läuft aber ebenso viele "da tanzt der Bär": hundert eMails, hundert Anrufe, zig Sitzungen, daneben Störungen an Maschinen und Material, Konflikte mit Kunden etc. etc. dann noch "MA gegen MA"; "MA gegen FK; mittlere Führungsebene gegen Topmanagement. Da ist schon was los. Und dann kommt einer der sagt "In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben, das muss man definieren". Da kann ich nur den Kopf schütteln. Aber: das sind ja Konferenzfolien...obwohl die Diagnosetools von Prof Kruse ( Gott hab ihn selig) sind schon cool.
Ich finde schon, dass du da ein dramatisches Bild zeichnest, das sicher auch eine Entsprechung in der Realität hat, aber ein Glück nicht verallgemeinert werden kann. Vielleicht ha(tte)st du auch durch deine Rolle eben das Pech, nur in schlimme Organiosationen hineinzuschauen. Aber ich muss sagen, dass in manchen Bereichen auch sehr viel richtig gemacht wird, manchmal bis hin zu einem Punkt, wo es schon wieder falsch ist, weil den Arbeitnehmern z.T. jegliche Selbstverantwortung für Gesundheit, schwierige Momente im Leben oder Vorsorge abgenommen wird. Corona hat da auch eine riesen Rolle gespielt, Themen wie Gesundheit vom Individuum zu lösen und zu vergesellschaften. War in dieser Situation sicher angebracht, aber es hat auch den Effekt, dass MItarbeiter z.B. jetzt ganz selbstverständlich sagen: Die Kita meines Kindes hat zu, wie kann mein Arbeitgeber das jetzt kompensieren? Schon schräg.
LöschenAls Philosoph muss ich sagen, dass man sehr wohl erst einmal eine Definition des eigenen Zielbilds (und sei es ein gesellschaftliches) haben muss, bevor man sich daran machen kann, es zu verwirklichen. Die Definition alleine macht es selbstredend nicht, aber ohne Definition (oder weniger streng: Beschreibung) des Ziels, kann man nicht erwarten, irgendwo auch nur in seiner Nähe anzukommen.