12. Mai 2013

Bildung und Technik für die moderne menschliche Seele

"Du kannst die beste Bildung haben und doch geht dein Leben schief."


Der Philosoph Alain de Botton ist einer meiner "Gurus". In London hat er die "School of Life" gegründet, weil er festgestellt hat, dass wir viel in unseren Bildungseinrichtungen lernen, aber nicht das Wichtigste: Wir lernen nicht zu leben. In seiner Schule des Lebens kann man zwar kein Diplom bekommen, dafür kann man lernen, wie man besser liebt, erzieht, arbeitet, wie man dem Stress mit Ruhe begegnet, wie man mit seinen Ängsten umgeht, dem Tod begegnet und eben generell ein besseres Leben führt. Lange Zeit haben die Religionen solche Aufgaben mit übernommen. Und was nun, da Gott inzwischen durch Suchalgorithmen und Smartphones ersetzt wurde?

Religion: Mehr als nur ästhetische Erlebnisse? (Flickr, Erzdiözese Wien)

Auf der Konferenz Seoul Digital Forum in Korea sprach er über das, was wir in der Moderne vermissen: die Sinnhaftigkeit unserer Existenzen, Weisheit und emotionales Wissen. Er konfrontiert sein Publikum damit, dass viele Menschen zwar verheiratet sind, aber ihre Partner nicht (mehr) lieben und dass fast alle täglich zur Arbeit gehen, ohne eben diese Arbeit zu lieben. Dabei sind Liebe und Arbeit die zentralen Elemente unserer modernen Gesellschaften. Das sind für ihn also die großen Probleme des modernen Lebens. in Konsequenz ruft er Samsung (also sozusagen den Hausherren dieser Konferenz) dazu auf, nicht nur schicke Telefone zu bauen, die der Kommunikation und Zerstreuung dienen, sondern an der Lösung dieser wahren und großen Probleme mitzuarbeiten: "Entwickeln Sie Applikationen, die uns dabei helfen, die großen Lebensfragen zu meistern und nicht lediglich einenader anzurufen oder im Internet zu surfen."

Es mag verwundern dass Alain de Botton als Agnostiker, also jemand, der im religiösen Sinne nicht glaubt, den ersatzlosen Verlust des Glaubens und der Religionen für den großen Mangel in unseren Leben verantwortlich macht. Lassen wir einmal die ketzerische Frage außen vor, was denn am Leben "damals", als Religion noch Mode war, besser gewesen sei und hören uns seine Argumente an.

De Botton sagt, Religion lehrte uns damals nicht nur, wie man rechnete und schrieb, sondern auch, wie wir gut, sanft und freundlich sein konnten. Wie können wir Trost finden, Sinnhaftigkeit, Moral, Freundlichkeit und Zusammenhalt? Es ist nicht Kunst, Kultur, Literatur und Philosophie sagt Alain de Botton. Man kann sich als Mensch in den wenigsten Fällen an solche Instituionen wie Museen, Galerien, Universitäten wenden, um die existenzielle Hilfe zu bekommen, die man benötigt. Mehr noch: Die Instutionen, die wir haben, vernachlässigen die Grundregeln, wegen derer die Religionen so erfolgreich die Brücke zwischen Wissen und Weisheit schlagen konnten. Welche sind diese Grundregeln, die wir villeicht in die nächsten großen Technologien überführen sollten?

Wiederholung

Wir vergessen alles wichtige, sogar das unwichtige, das wir in der Schule lernen, immer wieder, weil wir nicht berücksichtigen, was alle Religionen zuvor bereits herausgefunden haben: Damit wir etwas wirklich behalten, müssen wir es immer wieder wiederholen, 10 bis 15 mal am Tag. Daher die Gebete, die immer wieder dasselbe durch unsere Köpfe schleusen, bis wir es wirklich "gefressen" haben. Heute pauken Kinder allenfalls das Einmaleins und - wenn sie Glück/Pech haben - klassische Gedichte. Aber diese Inhalte vermögen nicht, dem Leben eine Sinnhaftigkeit zu stiften. Selbst Kunst und Literatur liegen dann nur noch wie eine extra Schicht auf dem Alltagsleben, ohne es zu durchdringen und ihm Sinn zu verleihen. Musik kann vielleicht noch am ehesten durch ihre Unmittelbarkeit aufs Leben wirken. aber auch das ist in den seltensten Fällen langahaltend sinnstiftend. Wir müssten uns also täglich und immer wieder mit diesen Sinnhaftigkeiten, wie auch immer sie aussehen sollten, mantrisch auseinandersetzen.

Kalender

Religionen haben ihre Feiertage, an denen wir speziellen Personen oder natürlichen Erscheinungen und Zyklen oder Himmelskörpern gedachten und ihnen unsere volle Aufmerksamkeit schenkten und ihnen vielleicht auch zu danken (z.B. Erntedankfest). Wir brauchen diese Momente, wir brauchen das Bestaunen der Natur, das Erinnern an große Geschehnisse, das Gedenken wichtiger Personen. Dieses Innehalten, Gedenken und Danken bindet uns zurück an ein großes Ganzes, das im Kleinklein des Alltags, in den Familiengefechten und Zumutungen des Arbeitszwanges erst unsichtbar und schließlich unwirklich wird. Nun ist es ja nicht so, dass wir nicht auch ohne diese Kalendertage unsere Aufmerksamkeit auf diese Objekte richten könnten. Wir tun es aber nicht, weil wir abgelenkt oder eingespannt sind, weil immer irgend etwas wichtiger oder attraktiver ist. Zum wirklichen Gedenken brauchen wir also Kalender und Rituale. Das erinnert auch daran, wie schwer es für uns ist, aufmerksam und achtsam zu sein. Und es erinnert mich daran, wie selten ich meiner Uroma oder meinem Opa gedenke. Unsere Nahrung füllen wir doch nur noch in uns hinein oder wann haben Sie zuletzt mal der Natur, den Bauern oder dem Meer für Ihren reich gedeckten Tisch gedankt? Verabredungen wie Feiertage erinnern uns daran, zwingen uns fast dazu, unsere Aufmerksamkeit dem großen Ganzen zuzuwenden und der Welt, der Natur und unseren Mitmenschen und Ahnen in Achtsamkeit zu begegnen.

Verführung

Atemberaubend ist es, wie jede Relogion es versteht, uns zu verführen. Denken wir an katholische Kirchen und ihre Gottesdienste mit Orgelmusik, Weihrauch und Kostümen oder denken wir an buddhistische Tempel oder Moscheen. Sie alle bieten faszinierende ästhetische Erlebnisse, die unsere Aufmerksamkeit zu fesseln vermögen. Dort sprechen große Redner, die es schaffen mit bildhafter Sprache wichtige Inhalte zu vermitteln. Vergleichen wir das mit den Schulen und Universitäten, in denen nur in den seltensten Fällen Professoren auch brilliante Entertainer sind und die auf gar keinen Fall durch Ästhetik, Architektur oder Sinnlichkeit zu fesseln vermögen. Wir müssem ästhetisch verführt werden, um wirklich tief berührt zu werden und uns mit Ideen zu verbinden. Diese Verführung findet ohne Religion im Moment nicht statt.

Übung

Für unsere modernen Ohren klingt es schräg, wenn wir sagen: Wir wollen bessere Menschen werden. Wenn man sich aber zum Beispiel die 10 Gebote ansieht, dann sind sie der Trainingsplan für den Moralmuskel der Menschen. Diese Gebote gibt es ja, weil ohne die Erinnerung und die Übung unseres Verhaltens an ihnen, die meisten von uns gegen viele dieser Gebote verstoßen würden. Das wir uns heute moralische Gebote verstoßen, mag viel damit zu tun haben, dass über Jahrhunderte hinweg diese Übungen stattgefunden haben und die Gebote so ziemlich tief in unser aller moralisches Gewissen eingesunken sind. Was aber nicht geschieht ist die tägliche Übung, bessere Menschen zu werden: freundlicher, freigiebiger, geduldiger, humorvoller, aufmerksamer. Wenn wir uns daran nicht erinnern und diese Tugenden nicht üben, dann werden wir sie vergessen. Wir würden gern gute Menschen sein, aber manchmal brauchen wir einfach etwas Erinnerungshilfe. Ohne sie bleiben wir im besten Fall, wer wir durch Erziehung geworden sind, wir werden aber nicht zu besseren Menschen.

Das Medium ist nicht die Botschaft

Alain de Botton trauert nicht den Religionen nach, sondern macht deutlich, dass sie Funktionen haben oder hatten, die wir ersetzen müssen, wenn wir die Religionen hinter uns lassen. Wenn wir sie nicht ersetzen, werden unsere Leben ärmer, leerer und letztlich auch unangenehmer, sollten wir verlernen, gute also tugendhafte Menschen zu sein. Technische Bildung reicht dazu nicht aus, wir brauchen Weisheit. Und solche Errungenschaften wie das Internet in der Hosentasche sind tolle Technologien, aber als solche eben nur Medien. Wenn diese Medien nichts sinnvolles zu transportieren haben, uns nichts Höheres sagen, das uns als Menschen erfüllt und auch unser Zusammenleben auf einer spirituellen Ebene verbinden, dann bleiben sie im menschlichen Sinne nutzlos. Wir wissen zwar, wie wir einen Telefonanruf quer durch die Welt machen können, aber nicht, wie und worüber wir reden sollen.

Technologie und Weisheit zusammenbringen

Wir müssen - so Alain de Botton - die Technologien mit der Weisheit fusionieren. Hier sei die große Chance der Zukunft. Er bleibt freilich ein Philosoph darin, dass er recht vage bleibt, wie genau solche Technologien, solche Applikationen konkret aussehen könnten. Sie sollten eben psychologisch effektiv sein und uns helfen können, inhaltlich gut und tief mit einander reden zu können. Oft genug sorgt Technologie aber genau für das Gegenteil: Sie lenkt uns ab von uns selbst, unseren Gedanken und unseren existentiellen Fragen. "Wir brauchen Hilfe, um Stille zu finden!"

"Macht Smartphones zu Diagnosegeräten und Kalendern der wirklich wichtigen Dinge in unserem Leben. Im Moment lässt jedes Smartphone einfach jede Kommunikation, jeden Anruf, jede SMS ungefiltert durch. Das Smartphone sollte uns aber vielleicht lieber in die richtige Richtung lenken, uns zum Beispiel zur Meditation anhalten und solange keine Anrufe oder andere Funktionen zulassen, bis wir wirklich meditiert haben."

Wiederholung, Kalender, Verführung und Übung, das sind die alten Technologien, die Alain de Botton in die neuen Technologien überführt sehen will. Ein technischer Meditationszwang ist da ist sicher nur eine erste Idee. Ich hoffe, die anwesenden IT-Entwickler haben zugehört und finden Wege, ihre technisch brilianten Entwicklungen sinnstiftend aufzuladen. In der Zwischenzeit bleiben uns noch viele analoge Möglichkeiten, das Menschsein zu üben.

Wer mehr von Alain de Botton hören möchte, kann sich den gesamten Vortrag der Konferenz Seoul Digital Forum in folgendem Video auf Englisch ansehen. Es lohnt sich, Alain de Botton ist ein sehr klarer, bildhafter Redner mit einem vorzüglichen Englisch und tollen Ideen. Viel Spaß!


2 Kommentare:

  1. Gute Idee?!?

    Nur, wer sagt, welches Mantra wir aufsagen sollten?

    Würde da nicht genauso Tor und Tür für die Manipulation der Herrschenden geöffnet?

    Aber haben die Religionen es wirklich geschafft, die Menschen zum positiven Verhandeln zu bewegen. Wenn ich mir anschaue, dass die Herrschenden kaum aus der Kirche raus, sich der strukturellen Versklavung der Beherrschten widmeten, dann galt das gute Handeln wohl nur, damit die Herrschenden herrschen konnten, weil die Schäfchen nun positiv denkend, liebevoll folgten?

    Dennoch, Herzensbildung ist etwas, was definitiv zur Bildung dazugehören sollte. Und zwar bevor die technische Bildung in den Schädel gepresst wird. Die alten Sumerer hatten es wohl so gehalten: zur Grundierung des Menschen ZUERST das Herz bilden und dann erst den Verstand ...

    Viele Grüße, Martin

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  2. Danke für die Vorstellung dieses sympathisch-klugen Kopfes!
    Spontan kam mir A.d.B. ein klein wenig - im allerbesten Sinne - naiv vor, aber wo kämen wir hin, wenn sich Intellekt und Zutrauen ausschlössen...
    Für Religion gilt wohl das, was für fast alles andere auch gelten kann: Es kommt darauf an, was man draus macht. Sie lässt sich zum Angstmachen benutzen, aber auch zum Trösten; man kann in ihrem Namen töten, aber eben auch lieben. Den einen war sie das, was de Botton in seinem Vortrag erzählt (Bildungseinrichtung und Erinnerungshelfer), den anderen war/ist sie Quelle von Furcht und Unfreiheit (oder Schlimmerem). Generell ist halt die Gier nach Macht/Geld größer als der Wunsch zu lernen 'how to be good'. Und deswegen ist alles so wie es ist.
    ... und es ist in der Tat sehr viel einfacher, einen VHS-Kurs über Weißdergeierwas zu finden als einen über's Menschsein, -bleiben und Besserwerden. Aber diese Basics möchte ich eigentlich jenseits von Smartphone & Co. behandelt wissen. Oder sollten wir uns tatsächlich schon ernsthaft unvollständig fühlen, ohne diese kleinen Allesfresser in Hand und Jackentasche?
    Wie auch immer: Eine 'Schule des Lebens' gehört in jede Kommune.

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